10675/AB XXIV. GP

Eingelangt am 27.04.2012
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

Alois Stöger

Bundesminister

 

 

 

 

GZ: BMG-11001/0050-I/A/15/2012

Wien, am  25. April 2012

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 10862/J des Abgeordneten Doppler und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Einleitend ist festzuhalten, dass es seit mehreren Jahren ambitionierte Bemühungen auf nationaler und europäischer Ebene gibt, die seltenen Erkrankungen mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken und dadurch das allgemeine Problembewusst-sein dafür zu stärken.

 

Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission auch 2008 den „Tag der seltenen Erkrankungen“ eingeführt, auf den in der Anfrage einleitend Bezug genommen wurde. Seit fünf Jahren wird dieser Tag mit vielen Veranstaltungen in aller Welt begangen. In Österreich finden hierzu regelmäßig Veranstaltungen in Salzburg und in Wien statt, die von Selbsthilfegruppen im Verbund mit akademischen Institutionen und Organisationen gestaltet werden. Ich begrüße diese Initiativen als Instrument der Bewusstseinsbildung und unterstütze diese auch aktiv, wie z.B. durch die Übernahme der Schirmherrschaft für den Aktionstag für seltene Erkrankungen am 3. März 2012 in Wien.

 

Neben der Einführung des Tages der seltenen Erkrankungen haben die Europäische Kommission, der Europäische Rat und das Europäische Parlament in den vergangenen Jahren mehrere Initiativen für seltene Erkrankungen in die Wege geleitet, u.a. die „Empfehlung des Rates vom 8. Juni 2009 für eine Maßnahme im Bereich seltener Krankheiten“ (2009/C 151/02) mit der Anregung an sämtliche europäische

Mitgliedstaaten, einen nationalen Aktionsplan für seltene Erkrankungen zu entwickeln und zu implementieren, und den „Beschluss der Kommission vom 30. November 2009 zur Einsetzung eines Sachverständigenausschusses der Europäischen Union für seltene Krankheiten“ (2009/872/EG).

Ich unterstütze auch diese Initiativen aktiv, beispielsweise durch:

 

·        die Einrichtung einer Nationalen Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen (NKSE) an der Gesundheit Österreich GmbH, begleitet durch die Einrichtung einer nationalen Expertengruppe für seltene Erkrankungen 2011 (bis 2011 als Unterkommission für seltene Erkrankungen des Obersten Sanitätsrates geführt)

sowie durch die Einrichtung einer strategischen Plattform für seltene Erkrankungen;

·        eine aktive, mit den Entwicklungen auf nationaler Ebene eng abgestimmte Teilnahme am Sachverständigenausschuss der Europäischen Union für seltene Krankheiten;

·        die Teilnahme an der europäischen Joint Action Orphanet Europe.

 

Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt derzeit auf der mit allen relevanten Akteuren im Gesundheitsbereich abgestimmten detaillierten Ausarbeitung eines Nationalen Aktionsplanes für seltene Erkrankungen. Dieser soll Maßnahmen, die für eine verbesserte Betreuung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen erforderlich sind, bestmöglich in das bestehende Gesundheitssystem integrieren. Ziel der Bemühungen ist es, den betroffenen Personen und deren Angehörigen den Zugang zu möglichst rascher Diagnose, bestmöglicher Therapie und notwendiger Unterstützung zu gewährleisten.

 

Frage 1:

Ich möchte betonen, dass die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen grundsätzlich in den gleichen Versorgungsstrukturen wie die Behandlung von Betroffenen mit häufigen Erkrankungen erfolgt, und zwar je nach den Erfordernissen im niedergelassenen oder im Spitalsbereich. Aufgrund der teilweise sehr spezifischen Anforderungen kommt dabei insbesondere dem Spitalsbereich eine besondere Rolle bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen zu. So existieren für eine Reihe von seltenen Erkrankungen so genannte Spezialambulanzen, die zumeist an Universitätskliniken angesiedelt sind. Spezialambulanzen bieten zahlreiche Vorteile bei der Diagnose, Behandlung und Betreuung seltener Erkrankungen: sie fokussieren ein hohes Maß an Erfahrung und Expertise auf wenige Krankheitsbilder, befinden sich in enger Anbindung an die diagnostischen Einrichtungen der jeweiligen Krankenanstalt und bieten die Möglichkeit einer verstärkten interdisziplinären Vernetzung.

 

Informationen über das Leistungsangebot dieser Einrichtungen finden sich in der internationalen, kostenfreien Referenzdatenbank Orphanet. Die Datenbank ist ein Internet-basiertes Informationsportal für seltene Erkrankungen, das Betroffenen, Familien und Fachleuten Informationen über seltene Erkrankungen und die entsprechenden vorhandenen Dienste bietet. Orphanet wird als europäisches Projekt auf Basis einer Joint Action geführt, wobei Österreich Mitglied ist.

Die Etablierung spezialisierter Einrichtungen, sogenannter „Centres of Expertise“ (Expertise-Zentren) wird seit einigen Jahren auf europäischer Ebene diskutiert und soll auf Empfehlung der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Im September 2011 hat der eingangs erwähnte Sachverständigenausschuss der Europäischen Union für seltene Krankheiten unter österreichischer Beteiligung Empfehlungen verabschiedet, die einerseits das Funktionsspektrum derartiger Expertisezentren beschreiben und andererseits jene Leistungs- und Qualitätskriterien definieren, die Expertisezentren erfüllen könnten. Auf Basis dieser Empfehlungen erarbeitet die einleitend genannte Nationale Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen in Zusammenarbeit mit der Expert/inn/engruppe für seltene Erkrankungen und weiteren Institutionen derzeit ein auf die österreichische Situation und die vorgegebenen Rahmenbedingungen abgestimmtes Versorgungskonzept für die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen.

 

Ein gut sichtbares, abgestuftes, an den Erfordernissen in Österreich ausgerichtetes Zentrenkonzept ist meiner Ansicht nach ein wesentlicher Baustein in der Versorgung von Betroffenen, da dadurch ein verbesserter Zugang zu Diagnose, Behandlung, Rehabilitation und Pflege möglich sein wird. Auch die Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (2011/24/EU) nimmt Bezug auf derartige Einrichtungen und die Vernetzung derselben innerhalb Europas.

 

Frage 2:

Das therapeutische Spektrum bei seltenen Erkrankungen ist im Wesentlichen vergleichbar mit dem häufiger Krankheiten und lässt sich systematisch untergliedern in:

a)      kausale Therapieformen, die bei den Krankheitsursachen ansetzen und diese bekämpfen oder korrigieren;

b)     symptomatische Therapieformen, die die primären Krankheitssymptome sowie die sekundären Krankheitsfolgen behandeln und abzumildern resp. aufzuheben versuchen, ohne die eigentlichen Krankheitsursachen zu adressieren;

c)      palliative Therapieformen, die schwerwiegende Krankheitssymptome (insbesondere starke Schmerzen) so gut wie möglich abzumildern versuchen - im Wissen, dass ein unheilbarer Krankheitsprozess vorliegt, der in absehbarer Zeit zum Tode der Patientin/des Patienten führen wird.

 

Betrachtet man weiterhin den Zeitrahmen der Behandlung, so können kausale wie auch symptomatische Therapien als (einmaliger) Akuteingriff oder als chronische (Dauer-)Therapie erfolgen, während palliative Verfahren immer eine chronische Therapieform darstellen. Nach der Art der Intervention kann man schließlich operative und konservative (also nicht-operative) Verfahren unterscheiden.

Wie in der Anfrage angeführt, besagen internationale Schätzungen, dass derzeit etwa ein Sechstel der seltenen Erkrankungen behandelbar ist. Es ist allerdings festzu-stellen, dass nur für einen kleinen Teil dieser Erkrankungen kausale Therapieformen existieren.

 

Zu den operativ-kausalen Therapiemaßnahmen zählen beispielsweise die operative Korrektur von isolierten Organfehlbildungen oder komplexen Fehlbildungssyndromen (z. B. aus dem Bereich der angeborenen Herzfehlbildungen).

 

Konservativ-kausal therapierbare Erkrankungen (teilweise in Kombination mit Operationen) umfassen beispielsweise neoplastische Erkrankungen des Kindesalters oder (zumindest) im zentraleuropäischen Raum seltene Infektionskrankheiten. Auch die bei einzelnen ausgewählten Stoffwechselkrankheiten (Speicherkrankheiten) angewandten sogenannten Enzymersatztherapien zählen zur Gruppe der konservativ-kausalen Therapieformen.

Im Bereich der seltenen Stoffwechselkrankheiten sind als Sonderform konservativ-kausaler Therapien noch indirekt-kausale Therapien zu erwähnen, die zwar den ursächlichen Stoffwechseldefekt nicht beheben, aber durch Modifikation anderer Stoffwechselwege den Gesamtstoffwechsel wieder in ein Gleichgewicht bringen und so eine gesunde Stoffwechsellage imitieren. Dabei kommen überwiegend diätetische Maßnahmen zum Tragen, die lebenslang beibehalten werden müssen, um schwere, irreversible Organschäden zu verhindern.

 

Seitens der sozialen Krankenver-sicherung werden eine Reihe von kausalen medikamentösen Therapien für die Behandlung von seltenen Erkrankungen zur Verfügung gestellt. Viele dieser Heilmittel sind im Erstattungskodex (EKO) angeführt, z. B. Enzymersatzpräparate bei Morbus Gaucher, Morbus Fabry oder Hyper­phenyl- alaninämie. Zur Behandlung werden weiters - wenn erforderlich - sogenannte „orphan drugs“ eingesetzt, da für seltene Krankheiten nötige Medikamente mitunter nicht zu den üblichen Marktbedingungen entwickelt und vertrieben werden. Darüber hinaus werden verschiedene Heilmittel aus dem EKO zur symptomatischen Therapie von seltenen Erkrankungen eingesetzt.


Fragen 3 bis 6:

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Angelegenheiten der Forschung nicht in den Zuständigkeitsbereich meines Ressorts fallen, ich darf hier insbesondere auf das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung verweisen.

 

Ich möchte daher lediglich anmerken, dass in Österreich Forschungsaktivitäten im Bereich der seltenen Erkrankungen existieren, die von Einzelprojekten bis hin zur Beteiligung an supranationalen Forschungsnetzwerken reichen. Fasst man auf europäischer Ebene durch das Generaldirektorat Forschung der Europäischen Union geförderte Forschungsnetzwerke als „Forschungsschwerpunkte“ auf, werden im Datenbanksystem Orphanet, welches auch die europäischen Forschungsnetzwerke systematisch zu erfassen versucht, für das aktuelle Rahmenprogramm FP 7 für Österreich 3 Projektkoordinatoren und 4 Projektpartner gelistet.

Für die Förderung der Forschung im Bereich der seltenen Erkrankungen stehen grundsätzlich die gleichen Förderstrategien und -instrumente zur Verfügung wie auch in anderen Forschungsbereichen.