10689/AB XXIV. GP

Eingelangt am 27.04.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

BMJ-Pr7000/0069-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

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1070 Wien

 

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Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 10787/J-NR/2012

Die Abgeordnete zum Nationalrat Dr. Susanne Winter und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Ermittlungskrimi WKR-Ball“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Die Frage des Waffenbegriffs kann sich im Rahmen des StGB vor allem beim Hausfriedensbruch (§ 109 StGB), beim Diebstahl (§ 129 StGB), beim Raub (§ 143 StGB) oder beim Ansammeln von Kampfmitteln (§ 280 StGB) stellen. Von praktischer Bedeutung ist – soweit überblickbar – lediglich die nach ständiger Judikatur gegebene Qualifikation von Injektionsnadeln als Waffen beim schweren Raub nach § 143 StGB.

Zum Hausfriedensbruch:

Nach § 109 Abs. 1 StGB ist wegen Hausfriedensbruchs mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wer den Eintritt in die Wohnstätte eines anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt erzwingt. Nach § 109 Abs. 2 StGB ist der Täter nur mit Ermächtigung des in seinen Rechten Verletzten zu verfolgen.

Hingegen hat nach § 109 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu gewärtigen und ist von Amts wegen unabhängig von einer Ermächtigung des Verletzten zu verfolgen, wer auf die im Abs. 1 geschilderte Weise in ein Haus, eine Wohnstätte, einen abgeschlossenen Raum, der zum öffentlichen Dienst bestimmt ist oder zur Ausübung eines Berufes oder Gewerbes dient, oder in einen unmittelbar zu einem Haus gehörenden umfriedeten Raum eindringt, wobei er gegen eine dort befindliche Person oder Sache Gewalt zu üben beabsichtigt (Z 1), er oder mit seinem Wissen ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer Person zu überwinden oder zu verhindern (Z 2) oder das Eindringen mehrerer Personen erzwungen wird (Z 3).

„Waffen“ iS des Abs. 2 Z 2 sind Gegenstände nach § 1 WaffenG; „andere Mittel“ sind Gegenstände, die man als Waffen verwenden kann: Küchen- oder Taschenmesser, Totschläger, Brecheisen, Sprühdosen mit ätzendem oder brennendem Inhalt (Bertel in WK StGB2, § 109 Rz 29) und sohin wohl auch Injektionsnadeln.

Zum Diebstahl:

Die Grundstrafdrohung beim Diebstahl beträgt nach § 127 StGB Freiheitsstrafe bis zu sechs Monate oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätze. Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist hingegen nach § 129 Z 4 StGB zu bestrafen, wer einen Diebstahl mit Waffen begeht, das heißt einen Diebstahl, bei dem er oder mit seinem Wissen ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer Person zu überwinden oder zu verhindern. Definition und Abgrenzung Waffe/andere Mittel entsprechen § 109 Abs. 3 StGB. Injektionsnadeln werden daher die Qualifikation des § 129 Z 4 StGB zu bewirken vermögen.

Zum Raub:

Die Grundstrafdrohung beim Raub (§ 142 Abs. 1 StGB) beträgt Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Wer jedoch einen Raub als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung begeht oder wer einen Raub unter Verwendung einer Waffe verübt, ist nach § 143 StGB wegen schweren Raubs ohne Weiteres mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren zu bestrafen.

Herrschende Lehre und Rechtsprechung vertreten einen materiell und eigenständig für § 143 StGB nach funktionalen Kriterien entwickelten Waffenbegriff. Demnach gehören dazu alle Gegenstände, die als ein zur Gewaltanwendung gegen eine Person oder zur Raubdrohung ad hoc geeignetes Instrument gebraucht werden und bezüglich Form, Wirkungsweise und Anwendbarkeit in einem Kampf den Waffen des § 1 WaffG gleichwertig sind; denen also die Eignung zukommt, die Abwehrfähigkeit des Opfers durch unmittelbare Einwirkung herabzusetzen und solcherart den Gewahrsamsbruch zu erleichtern (Leukauf/Steininger Komm3 RN 10; Kienapfel BT II3 Rz 20 und Eder/Rieder in WK2 Rz 16 ff jeweils zu § 143; SSt 57/39 uam).

Mit einer Injektionsspritze samt zugehöriger Nadel können, sofern sie gezielt oder unkontrolliert (also nicht unter medizinischer Kenntnis und Vorsicht) verwendet wird, erhebliche Verletzungen im Kopf- (insbesondere Augen‑), Hals- und Brustbereich verursacht werden. Stiche in (etwa infolge Abwehrbereitschaft) angespannte Muskel sowie in von vielen Nerven durchgezogenen Körperteilen können nicht unbeträchtliche Schmerzen verursachen, solche in gut durchblutete Körperstellen fallweise ausgedehnte (wenn auch nicht lebensbedrohende) Blutungen. Alle angeführten Folgen einer Einwirkung mit einer Injektionsnadel bewirken eine zumindest kurzzeitige, aber keinesfalls zu vernachlässigende Herabsetzung der Abwehrfähigkeit eines Opfers.

Auch bei Verwendung als Drohmittel hat eine Injektionsspritze die gleiche Wirkung, wie sie bei Einsatz einer Waffe im technischen Sinn erzeugt wird.

Insoweit entsprechen zur Tatverübung verwendete „Injektionsnadeln“ daher dem Waffenbegriff des § 143 StGB (RIS-Justiz RS0115121; SSt 63/131).

Zum Ansammeln von Kampfmitteln

Wer Waffen, Munition oder andere Kampfmittel an sich bringt, besitzt oder einem anderen verschafft, um eine größere Zahl von Menschen zum Kampf auszurüsten, ist nach § 280 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

Waffen iS dieser Bestimmung sind solche im technischen Sinn (vgl SSt 55/27), mithin alle Gegenstände, die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen durch unmittelbare Einwirkung zu beseitigen oder herabzusetzen, oder die bei der Jagd oder beim Schießsport zur Abgabe von Schüssen verwendet werden. Darunter sind nicht nur militärische Waffen, sondern überhaupt alle Waffen, somit auch Jagd- und Schießsportwaffen, zu verstehen (vgl SSt 55/27; Fabrizy StGB9 § 280 Rz 2; Hinterhofer BT II4 § 280 Rz 2; Leukauf/Steininger § 280 Rz 3), weil auch die Ausrüstung mit derartigen Waffen die Kampfkraft einer Personengruppe entsprechend erhöht.

Andere Kampfmittel sind alle sonstigen Gegenstände, die nach ihrer spezifischen Beschaffenheit zur Ausrüstung zum Kampf bestimmt sind (EBRV 1971, 423; Fabrizy StGB9 § 280 Rz 3; L/St § 280 Rz 3). Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie dem Angriff oder (bloß) der Verteidigung dienen sollen (NRsp 1994/157).


Zu den anderen Kampfmitteln zählen insbesondere Stahlhelme, Gasmasken, Schutzschilder, Sprengstoff, Reizgase sowie militärische Kampffahrzeuge (Kampfpanzer und andere militärische Fahrzeuge, die durch Bewaffnung, Panzerung oder sonstige Vorrichtungen für den unmittelbaren Kampfeinsatz besonders gebaut und ausgerüstet sind). Ausrüstungsgegenstände müssen, um dem Kampfmittelbegriff zu entsprechen, eine spezifische Beziehung zum Kampf aufweisen, mithin der Erhöhung der eigenen oder der Herabsetzung der gegnerischen Kampfkraft während der Auseinandersetzung bewaffneter Gruppen, dienen; können sie zwar auch bei einem Kampfeinsatz verwendet werden, stehen sie aber ihrer Art nach mit der bewaffneten Auseinandersetzung nur in loser Verbindung, wie etwa Uniformstücke, Stiefel, Rucksäcke, Zelte, Spaten udgl, aber auch Feldtelefone, Signalpistolen, sonstige Signalgeräte oder Handschellen, sind sie keine Kampfmittel (Plöchl in WK StGB2 § 280 Rz  11 mwN).

„Injektionsnadeln“ werden daher dem § 280 Abs. 1 StGB nicht unterfallen.

Zu 2 bis 5:

Der, der Interpellation unterliegende Vollziehungsbereich des Justizressorts kann von den Fragen nur insoweit betroffen sein, als allfällige Verfahrenseinstellungen durch die staatsanwaltschaftlichen Behörden nach Anzeigenerstattung thematisiert werden (Fragepunkte 2 und 4). 

Eine Auswertung des Registers der Verfahrensautomation Justiz kommt allerdings nicht in Betracht, weil „Anzeigen rund um den WKR-Ball“ im Register nicht als solche ausgewiesen werden, eine automationsunterstützte Auswertung damit nicht möglich ist. Eine Auswertung anhand der Erinnerung der Sachbearbeiter bei den Staatsanwaltschaften wäre – unabhängig von der unvermeidbaren Unvollständigkeit der auf diese Weise gewonnenen Daten – mit einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden, zumal hiefür nicht nur die primär zuständige Staatsanwaltschaft Wien, sondern (zufolge der Zuständigkeitsregelung des § 29 JGG) sämtliche Staatsanwaltschaften bundesweit befasst werden müssten.

Ich ersuche daher um Verständnis, dass mir eine Beantwortung dieser Fragen nicht möglich ist.

 

 

Wien,       . April 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl