10860/AB XXIV. GP
Eingelangt am 11.05.2012
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BM für Wirtschaft, Familie und Jugend
Anfragebeantwortung
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Präsidentin des Nationalrates Mag. Barbara PRAMMER Parlament 1017 Wien |
Wien, am 9. Mai 2012
Geschäftszahl:
BMWFJ-10.101/0122-IM/a/2012
In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 11022/J betreffend „bilateraler Investitionsschutzabkommen“, welche die Abgeordneten Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen am 15. März 2012 an mich richteten, stelle ich fest:
Antwort zu den Punkten 1 und 2 der Anfrage:
Derzeit befindet sich Österreich mit 27 Staaten in Verhandlungen zum Abschluss eines bilateralen Investitionsschutzabkommens (BITs): Bahrain, Benin, Brunei, Myanmar/Burma, Kolumbien, Costa Rica, Elfenbeinküste, Dominikanische Republik, El Salvador, Honduras, Indonesien, Katar, Kenia, Kirgistan, Laos, Mauritius, Nicaragua, Nigeria, Pakistan, Palästinensische Gebiete, Panama, Peru, Singapur, Sri Lanka, Thailand, Turkmenistan, Venezuela. Die Länderauswahl erfolgt aufgrund einer interministeriellen und mit den Sozialpartnern abgestimmten Prioritätenliste, die neben den Interessen der österreichischen Exportwirtschaft auch entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung trägt.
Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:
Österreich unterhält derzeit 60 BITs, davon 48 Abkommen mit EU-Drittstaaten. Diese BITs wurden auf zehn Jahre, in Einzelfällen auf 15 bzw. 20 Jahre abgeschlossen. Die Abkommen mit Ägypten, Algerien, Armenien, Äthiopien, Belarus, Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Iran, Jemen, Kosovo, Libanon, Libyen, Mazedonien, Moldau, Mongolei, Philippinen, Saudi-Arabien, Tadschikistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten befinden sich im Zeitraum der ersten 10 Jahre nach in Kraft treten. Die restlichen der 48 EU-Drittstaatenabkommen wurden automatisch verlängert.
Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:
Die BITs mit der Republik Kosovo sowie der Republik Tadschikistan sind 2010 auf Basis des neuen österreichischen Mustertextes nachverhandelt worden. Zudem werden Nachverhandlungen der BITs mit China, Kap Verde, Malaysia, der Russischen Föderation, Südkorea und der Türkei geführt, um die volle Unionsrechtskonformität dieser Abkommen sicherzustellen.
Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:
Der Anteil österreichischer Direktinvestitionsbestände (DI), der durch BITs gedeckt ist, beträgt für österreichische DI im Ausland gemäß letztverfügbaren Daten für das Jahr 2009 51,9% und für ausländische DI in Österreich gemäß letztverfügbaren Daten für das Jahr 2009 5,3%.
Antwort zu den Punkten 6 bis 10 der Anfrage:
Ein bilaterales Abkommen ist immer Ergebnis eines Verhandlungsprozesses, bei dem die österreichischen Verhandlungsführer danach trachten, erforderliche Abweichungen vom Mustertext möglichst gering zu halten.
Das österreichische Musterabkommen bekennt sich zum Ziel der Nachhaltigen Entwicklung und berücksichtigt internationale Abkommen und Mindeststandards im Menschenrechts-, Sozial- und Umweltbereich wie den Monterrey Konsens über Entwicklungsfinanzierung 2002, die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption 2003 oder die Ministererklärung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen über produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen 2006. Es enthält ausdrückliche Bestimmungen gegen das Absenken von Sozial- und Umweltstandards.
Ausdrücklich hinzuweisen ist auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Dieser weltweit gültige Verhaltenskodex stellt eine Ergänzung zum lokalen und internationalen Recht dar und ist für Verhalten bestimmt, das über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht. Die OECD-Leitsätze, die im Mai 2011 einer umfangreichen Überarbeitung unterzogen wurden, bieten einen international erarbeiteten und anerkannten Handlungsrahmen in den Bereichen Menschenrechte, Beschäftigungspolitik, Informationspolitik, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung, Verbraucherinteressen, Wissenschaft und Technologie, Wettbewerb und Besteuerung.
Der notwendige politische Gestaltungsspielraum wird etwa durch eine ausdrückliche „right to regulate“-Bestimmungen im Enteignungsartikel sichergestellt. Im Übrigen beschränken sich alle österreichischen BITs auf den Schutz bereits getätigter Investitionen und stellen es dem Gastgeberstaat frei, Regeln und Bedingungen für die Zulassung von Investitionen zu formulieren. BITs stellen daher keine Einschränkung des legitimen österreichischen Handlungsspielraums dar.
Antwort zu den Punkten 11 und 12 der Anfrage:
Die genaue Zahl der Anrufungen des Investor-Staat-Schiedsverfahrens österreichischer BITs durch österreichische Unternehmen ist nicht bekannt, da es diesbezüglich keine Informationspflicht gibt. Investitionsschutzabkommen und Investor-Staat-Schiedsverfahren dienen der Entpolitisierung von Streitigkeiten. Der Heimatstaat des Investors ist nicht Partei des Schiedsverfahren.
Antwort zu Punkt 13 der Anfrage:
Das Vorhandensein eines BITs mit einem potentiellen Zielland definiert einen gewissen Mindestschutzstandard, erhöht die Rechtssicherheit, macht damit teilweise Investitionen überhaupt erst möglich oder reduziert zumindest das mit ihnen verbunden Risiko und stellt einen wesentlichen Vorteil für österreichische Unternehmen dar. BITs erhöhen damit auch die mit Auslandsinvestitionen verbundenen positiven volkswirtschaftlichen Effekte im Heimat- und Gastland des Investors.
Antwort zu den Punkten 14 bis 16 und 19 der Anfrage:
BITs räumen ausländischen Investoren die Möglichkeit ein, die Vertragsparteien vor einem internationalen Schiedsgericht zu klagen. Bis dato ist Österreich allerdings, trotz zuletzt weltweit gestiegener Fälle, noch nie geklagt worden. Das Risiko einer zukünftigen Klage gegen Österreich ist ebenso überschaubar; einerseits da Österreich ohnehin nicht vorhat, dem BIT widersprechende Aktivitäten wie entschädigungslose Enteignungen zu setzen, sowie andererseits, da das Vertrauen in die Qualität des österreichischen Verwaltungs- und Justizsystems so hoch ist, dass ausländische Investoren in Problemfällen regelmäßig den billigeren ordentlichen Rechtsweg wählen. Im Zuge der letzten Überarbeitung des österreichischen Musterabkommens 2008 wurden überdies zusätzliche Klarstellungen im Text eingefügt, etwa in Hinblick auf „regulatory takings“, um Missverständnissen vorzubeugen und die Gefahr unnötiger Verfahren weiter zu minimieren.
Antwort zu Punkt 17 der Anfrage:
Eingriffe in Rechte österreichischer Investoren im Ausland können nicht nur zum Scheitern des betroffenen Investitionsprojekts führen, sondern im schlimmsten Fall auch die Existenz des Mutterunternehmens und der damit verbundenen österreichischen Arbeitsplätze gefährden. Ohne den Schutz von BITs würden österreichische Unternehmen letztlich weniger im Ausland investieren, was zu einem Wettbewerbsnachteil für österreichische Unternehmen, einer Verschlechterung des Wirtschaftsstandortes Österreich und letztlich zu Wachstumseinbußen führen würde. BITs reduzieren auch das Ausfallsrisiko nationaler Investitionsförderinstrumente wie Investitionsgarantien der OeKB.
Antwort zu Punkt 18 der Anfrage:
Investoren werden per definitionem in einer ausländischen Rechtsordnung tätig. Im Falle einer Klagseinbringung gegen Gaststaaten vor deren nationalen Gerichten könnte daher die Gefahr bestehen, dass diese Gerichte sich tendenziell eher der Meinung der Behörden des Gaststaates anschließen als der der ausländischen Investoren. Regelungszweck von BITs ist es daher, Investoren alternativ zur lokalen Geltendmachung ihrer Ansprüche die Möglichkeit der Anrufung eines unabhängigen internationalen Streitschlichtungsmechanismus einzuräumen.
Antwort zu den Punkten 20 und 21 der Anfrage:
Österreichische BITs entsprechen weitgehend den Texten anderer europäischer Länder und grosso modo auch denen vieler außereuropäischer Länder. Zur Interpretation der Kernelemente von BITs gibt es umfangreiche wissenschaftliche Literatur sowie zahlreiche Publikationen, etwa von OECD und UNCTAD, die in die Ausarbeitung des österreichischen Musterabkommens und die Festlegung der österreichischen Position in den Verhandlungen eingeflossen sind.
Antwort zu den Punkten 22 und 23 der Anfrage:
Schirmklauseln stellen im österreichischen Investitionsrecht kein Novum dar und sind bereits im Energiecharta-Vertrag sowie einer Reihe früherer BITs, etwa mit Mexiko und dem Oman, enthalten. Die Möglichkeit, auch vertragliche Verpflichtungen des Gaststaates gegenüber Investoren dem BIT zu unterstellen, ist eine Erhöhung der Rechtssicherheit, von der gerade kleinere Investoren profitieren.
Antwort zu den Punkten 24 und 31 der Anfrage:
Die in österreichischen BITs verwendete Formulierung betreffend "gerechte und billige Behandlung" ist nach wie vor die meistgebrauchte Version und wird von fast allen EU-Mitgliedstaaten verwendet. Die Schiedspraxis der letzten Jahre hat einige wesentliche Elemente dieses Behandlungsstandards herausgearbeitet und so dazu beigetragen, Klarheit über Umfang und Inhalt dieser Verpflichtung zu schaffen. Auch wissenschaftliche Literatur und Arbeiten internationaler Institutionen wie UNCTAD und OECD sind verfügbar. Ein Verweis auf den völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard bedeutet daher nicht notwendigerweise eine Reduktion des Interpretationsspielraums.
Antwort zu den Punkten 25 und 26 der Anfrage:
Die sich aus österreichischen BITs ergebenden Verpflichtungen zur Behandlung ausländischer Investoren, einschließlich Inländergleichbehandlung, setzen erst nach erfolgter Zulassung in Österreich ein. Auch bei Vorliegen eines BITs ist Österreich daher frei bei der Regelung des Marktzugangs, es sind sowohl Einschränkungen als auch Zulassungen unter bestimmten Bedingungen zulässig. In dieser Hinsicht unterscheiden sich BITs vom GATS, das in erster Linie den Marktzugang regelt, und benötigen daher auch keine horizontale Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen, wie das GATS sie vorsieht.
Antwort zu den Punkten 27 und 28 der Anfrage:
In den letzten Jahren wurde in einigen Abkommen im Zusammenhang mit der Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung der Verweis auf "in like circumstances" aufgenommen. Ob dies tatsächlich zu einer Klarstellung führen wird, ist umstritten. Wie die meisten europäischen Länder ist Österreich der Ansicht, dass dies nicht der Fall ist.
Antwort zu den Punkten 29 und 30 der Anfrage:
Der unter Mitwirkung der Sozialpartner und akademischer Experten erarbeitete und von der Bundesregierung 2008 angenommene neue österreichische Mustertext gilt in Expertenkreisen im europäischen wie im internationalen Vergleich als modern und vorbildlich. Auch in der von der AK Wien erstellten Studie wurde der österreichische Mustertext gewürdigt, unter anderem was die Absicherung des wirtschaftspolitischen und regulatorischen Spielraums („policy space“) der Gastgeberstaaten betrifft. Das österreichische Musterabkommen liegt mit 29 Artikeln auf 14 Seiten auch was den Textumfang betrifft im europäischen Mittelfeld.
Die Rechtsauswahl wird in formaler und inhaltlicher Form im Abkommenstext genau definiert. Die materiellen Verfahrensregeln wie auch die Transparenzvorschriften hängen aber vom jeweiligen Schiedsforum ab und werden nicht durch das BIT geregelt. Zum anwendbaren Recht kann angemerkt werden, dass das Schiedsgericht neben dem allgemeinen Völkerrecht auch das staatliche Recht des Gastgeberstaates anwenden muss. Legitime staatliche Regulierungen, wie etwa im Umwelt-, Arbeits- oder Sozialbereich, sind auch von den internationalen Schiedsgerichten zu berücksichtigen.
Österreich hat die Bestrebungen, Transparenzregeln für Investor-Staat-Schiedsverfahren weiterzuentwickeln, stets unterstützt. Dies geschieht etwa bei den derzeit laufenden Verhandlungen zu den UNCITRAL Transparenzregeln für Investor-Staat-Schiedsverfahren, bei welcher sich Österreich für eine bessere Veröffentlichung und bessere Zugänglichkeit von Unterlagen und Schiedssprüchen einsetzt. Im Rahmen der Reform der ICSID-Schiedsregeln 2006 wurden schon weitreichende Transparenzregeln eingeführt, so die Veröffentlichung von Schiedssprüchen und Beteiligungsmöglichkeiten für Nebenintervenienten.
Antwort zu Punkt 32 der Anfrage:
Der Regelungszweck von BITs ist der Schutz von Investoren vor staatlichen Übergriffen im Gastland. Damit dieser Schutz effizient ist, können per definitionem regulatorische Maßnahmen nicht zur Gänze ausgeschlossen werden. Das Recht des Staates, legitime staatspolitische Maßnahmen zu setzen, etwa im Bereich der Steuerpolitik, wird durch ein BIT aber nicht eingeschränkt. Wie bereits erwähnt, erfolgte bei der Überarbeitung des österreichischen Mustertextes 2008 in Hinblick auf "regulatory takings" eine Klarstellung.
Antwort zu den Punkten 33 bis 35 der Anfrage:
Die im österreichischen Musterabkommen enthaltene „denial of benefits“-Klausel zielt darauf ab, "treaty shopping" zu unterbinden. Die Klausel besagt, dass Investoren, die zwar im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien Unternehmen besitzen oder kontrollieren, dort jedoch keine nennenswerte Geschäftstätigkeit entfalten, von den Begünstigungen des Abkommens ausgeschlossen sind.
Antwort zu den Punkten 36 und 37 der Anfrage:
Sowohl die Erarbeitung des österreichischen Mustertextes 1997-1998, als auch die letzte Überarbeitung 2008 erfolgten in einem breiten partizipatorischen Prozess unter Einbeziehung von Parlament und Sozialpartnern. Dies wird auch bei allfälligen zukünftigen Überarbeitungen der Fall sein. Im Übrigen muss jedes BIT im Zuge des Ratifikationsprozesses vor Inkraftsetzung vom Parlament angenommen werden.
Ziele und Inhalte der österreichischen Investitionspolitik sind wiederholt, zuletzt im März 2011, Gegenstand parlamentarischer Enqueten. Das österreichische Parlament wird gemäß den verfassungsmäßigen Vorgaben laufend über investitionsrelevante Entwicklungen in der EU informiert. Die Auswirkungen der EU-Investitionspolitik auf Österreich und österreichische BITs waren Gegenstand eines vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend am 2. März 2012 organisierten Runden Tisches, zu dem auch Parlamentarier aller Fraktionen sowie Sozialpartnervertreter eingeladen waren.
Antwort zu Punkt 38 der Anfrage:
Die Tatsache, dass die Anzahl der Klagen basierend auf BITs zuletzt zugenommen hat, beweist in erster Linie die Relevanz dieser Abkommen. Auch österreichische Unternehmen, die seit den 1990er Jahren verstärkt als Investoren tätig werden, profitieren von den Rechtsschutzmöglichkeiten, die ihnen BITs einräumen. Eine Gefährdung legitimer staatlicher Interessen ist nicht gegeben.