10875/AB XXIV. GP
Eingelangt am
15.05.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für europäische und internationale Angelegenheiten
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Petra Bayr, Kolleginnen und Kollegen haben am 15. März 2012 unter der Zl. 11021/J-NR/2012 an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend „bilateraler Investitionsschutzabkommen“ gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 und 2:
Derzeit befindet sich Österreich mit 27 Staaten in Verhandlungen zum Abschluss eines Investitionsschutzabkommens (Bahrain, Benin, Brunei, Myanmar/Burma, Kolumbien, Costa Rica, Elfenbeinküste, Dominikanische Republik, El Salvador, Honduras, Indonesien, Katar, Kenia, Kirgistan, Laos, Mauritius, Nicaragua, Nigeria, Pakistan, Palästinensische Gebiete, Panama, Peru, Singapur, Sri Lanka, Thailand, Turkmenistan, Venezuela). Die Länderauswahl erfolgt aufgrund einer interministeriellen und mit den Sozialpartnern ausgearbeiteten Prioritätenliste, die neben den Interessen der österreichischen Exportwirtschaft auch dem entwicklungspolitischen Aspekt Rechnung trägt.
Zu Frage 3:
Österreich unterhält derzeit 60 Investitionsschutzabkommen, davon 48 Abkommen mit Drittstaaten der Europäischen Union (EU). Diese Investitionsschutzabkommen wurden auf 10 Jahre, in Einzelfällen auf 15 bzw. 20 Jahre abgeschlossen. Die Abkommen mit Ägypten, Algerien, Armenien, Äthiopien, Belarus, Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Iran, Jemen, Kosovo, Libanon, Libyen, Mazedonien, Moldau, Mongolei, Philippinen, Saudi-Arabien, Tadschikistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten befinden sich im Zeitraum der ersten 10 Jahre nach in Kraft treten. Die restlichen der 48 EU-Drittstaatenabkommen wurden automatisch verlängert. Eine Übersicht der von Österreich abgeschlossenen bilateralen Investitionsschutzabkommen enthält folgende Website des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA).
http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/aussenpolitik/voelkerrecht/staatsvertraege/bilaterale- staatsvertraege.html?no_cache=l
Zu Frage 4:
Die bilateralen Investitionsschutzabkommen mit der Republik Kosovo sowie der Republik Tadschikistan sind 2010 auf Basis des neuen österreichischen Mustertextes nachverhandelt worden.
Zudem werden Nachverhandlungen der bilateralen Investitionsschutzabkommen mit China, Kap Verde, Malaysia, der Russischen Föderation, Südkorea und der Türkei geführt, um die seitens des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auferlegte Verpflichtung Österreichs, die Unionsrechtskonformität dieser Abkommen herzustellen, zu erfüllen.
Zu Frage 5:
Der Anteil österreichischer Direktinvestitionsbestände (DI), der durch bilaterale Investitionsschutzabkommen gedeckt ist, beträgt für österreichische DI im Ausland gemäß der letztverfügbaren Daten für 2009 51,9% und für ausländische DI in Österreich für 2009 5,3%.
Zu den Fragen 6, 7, 9 und 10:
Ein bilaterales Abkommen stellt stets einen Verhandlungskompromiss dar, wobei die österreichischen Verhandlungsführer Abweichungen vom Mustertext möglichst gering halten.
Zudem verweist das österreichische Musterabkommen aktiv auf einschlägige internationale Abkommen und Mindeststandards (z.B. Monterrey Konsens über Entwicklungsfinanzierung 2002, die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption 2003 oder die Ministererklärung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen über produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen 2006) sowie ausdrücklich auf die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development / OECD). Dieser weltweit gültige Verhaltenskodex stellt eine Ergänzung zum lokalen und internationalen Recht dar und ist für Verhalten bestimmt, das über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht. Die OECD-Leitsätze, die im Mai 2011 einer umfangreichen Überarbeitung unterzogen wurden, bieten einen international ausgearbeiteten und anerkannten Handlungsrahmen in den Bereichen Menschenrechte, Beschäftigungspolitik, Informationspolitik, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung, Verbraucherinteressen, Wissenschaft und Technologie, Wettbewerb und Besteuerung.
Zu Frage 8:
Durch das österreichische Investitionsschutzabkommen soll unter anderem nachhaltige Entwicklung gefördert werden. Die Präambel, die Umwelt- und Arbeitnehmerschutzbestimmungen sowie die „right to regulate“-Klausel führen diese Zielsetzung näher aus. Durch die „right to regulate“- Bestimmungen kann der Gastgeberstaat, wenn es sich um öffentliche Güter handelt, auf einem nicht diskriminatorischen Weg von seinem nationalen Regelungsspielraum Gebrauch machen. Diese modernen Klauseln besichern für beide Vertragsparteien den notwendigen politischen Gestaltungsspielraum.
Da österreichische Investitionsschutzabkommen den Investitionsschutz der Post-Investitionsphase regeln, steht es dem Gastgeberstaat zudem frei, die Zulassung von Investitionen nicht nur an Bedingungen wie beispielsweise die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards zu binden, sondern er kann Investoren auch weitere Pflichten auferlegen.
Zu den Fragen 11 und 12:
Dem BMeiA ist nicht bekannt, wie viele österreichische Unternehmen ein Investor-Staat- Schiedsverfahren initiiert haben. Es besteht für Investoren diesbezüglich keine Informationspflicht. Investitionsschutzabkommen und Investor-Staat-Schiedsverfahren dienen der Entpolitisierung von Streitigkeiten. Der Heimatstaat des Investors ist nicht Partei des Investor-Staat-Schiedsverfahren. Nur im Einzelfall werden die für Investitionsschutz sachlich zuständigen Ministerien vom Investor über anhängige Schiedsverfahren informiert.
Zu Frage 13:
Bereits das Vorhandensein eines bilateralen Investitionsschutzabkommens mit einem potentiellen Gastgeberland stellt einen entscheidenden Vorteil für österreichische Unternehmen dar. Sind im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung Investitionsschutzabkommen zwischen Österreich und dem Gastgeberland in Geltung, so werden seitens österreichischer Unternehmen Entscheidungen, in diesem Land Investitionen zu tätigen, viel eher getroffen, da Rechtssicherheit und vorhersehbare Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten zentrale Elemente einer Investitionsentscheidung sind. Dies gilt in weiterer Folge selbstverständlich auch für die Entfaltung der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit selbst.
Die Bestimmungen von bilateralen Investitionsschutzabkommen bilden den gemeinsamen Nenner, auf den sich die beiden Vertragsstaaten für die Regelung von Beziehungen wirtschaftlicher Art völkerrechtlich verständigt haben und bieten damit eine wesentliche Orientierungshilfe für Unternehmen im Regelwerk der Bestimmungen, die für ihre wirtschaftliche Tätigkeit entscheidend sind. Damit werden Unternehmen durch bilaterale Investitionsschutzabkommen in erheblichem Umfang Suchkosten erspart, die andernfalls für das Sich-Vertraut-Machen mit der Rechtsordnung des Landes anfallen würden, in dem die Investition getätigt werden soll. Darüber hinaus wird durch sie auch ein wichtiges Zeichen gegenseitigen Vertrauens gesetzt. Jeder Vertragsstaat eines bilateralen Investitionsschutzabkommens ist potentiell sowohl Herkunftsstaat eines investierenden Unternehmens als auch Gastgeberland für einen Investor aus dem anderen Vertragsstaat - und damit hinsichtlich der positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte, die sich durch Auslandsinvestitionen realisieren lassen (einschließlich Beschäftigungseffekten), nicht nur Gönner, sondern auch Nutznießer.
Zu den Fragen 14 bis 16 und 19:
Es ist zutreffend, dass bilaterale Investitionsschutzabkommen ausländischen Investoren die Möglichkeit einräumen, Österreich vor einem internationalen Schiedsgericht zu klagen. Das Risiko einer Klage ist jedoch überschaubar. Einerseits aufgrund des Verhaltens der österreichischen Behörden, die keine Handlungen setzen, die als „fair and equitable treatment“ verletzend eingestuft werden können oder bilateralen Investitionsschutzabkommen widersprechende entschädigungslose Enteignungen vornehmen. Andererseits ist auch die Qualität des österreichischen Rechtssystems so gut, dass ausländische Investoren hier auf dessen Funktionieren vertrauen und diesen Weg für allfällige Klagen wählen können anstelle des Anrufens eines internationalen Schiedsgerichts. Dafür spricht auch, dass Österreich bisher - trotz insgesamt steigenden Klagsaufkommen vor internationalen Schiedsgerichten - nicht geklagt wurde.
Während bei der letzten Überarbeitung des österreichischen Musterabkommens 2008 keine materiellen Änderungen vorgenommen wurden, wurden zusätzliche Klarstellungen im Text eingefügt, etwa in Hinblick auf „regulatory takings“, mit dem Ziel, den Interpretationsspielraum einzuschränken und die Gefahr unnötiger Klagen zu reduzieren. Der Text ist so formuliert, dass Österreich jedenfalls ausreichende Flexibilität zur Durchführung seiner Gesetze eingeräumt ist. Die österreichischen bilateralen Investitionsschutzabkommen rufen daher - was auch von der überwiegenden Mehrzahl der anderen EU-Länder so gesehen wird - keine nennenswerte Einschränkung des Spielraums der österreichischen Regierung hervor.
Zu Frage 17:
Eingriffe in Rechte österreichischer Investoren im Ausland können nicht nur zum Scheitern des Investitionsprojekts führen, sondern im schlimmsten Fall auch die Existenz des Mutterunternehmens gefährden und zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in Österreich führen. Eine Alternative zum Schutz der Investoren durch bilaterale Investitionsschutzabkommen wären Investitionsversicherungen, wobei es zu Lasten der öffentlichen Hand ginge, sollte der Versicherungsfall tatsächlich eintreten. Ohne den Schutz von bilateralen
Investitionsschutzabkommen würden österreichische Unternehmen letztlich weniger im Ausland investieren, was zu einem Wettbewerbsnachteil für österr. Unternehmen und einer Verschlechterung des Wirtschaftsstandortes Österreich führen würde.
Den ökonomischen Vorteilen grenzüberschreitender Direktinvestitionen (positive Wohlfahrtseffekte im Heimatland, Spillover-Effekte auch bei anderen inländischen Unternehmen, nachhaltige Wohlfahrtsgewinne auch und gerade für Schwellen- und Entwicklungsländer) stehen die mit Auslandsaktivitäten typischerweise verbundenen Risiken gegenüber, die der Staat dennoch bereit ist, mittels verschiedener Instrumente, im besonderen Investitionsschutzabkommen bzw. nationaler Investitionsförderinstrumente (z.B. Investitionsgarantien) - allenfalls gegen Vereinnahmung einer Risikoprämie und eines Selbstbehalts des begünstigten Unternehmens - abzufedern, mit dem Verständnis, dadurch im etwaigen auch indirekten Enteignungsfall zwar zur Entschädigungspflicht herangezogen werden zu können, andererseits aber bei einem weitreichenden völkerrechtsunmittelbaren Klagerecht des Investors gegen den Gaststaat (materielle Regelungen sind allesamt vor internationalen Schiedsgerichten justiziabel) einen Rückforderungsanspruch und damit eine Rückführungsquote/Erfolgswahrscheinlichkeit erwirken zu können. Investitionsgarantien als solche schützen die im Anlageland aufgrund der investierten Mittel begründeten Gesellschafter-/Gläubigerrechte und auch die Vermögenswerte der Projektgesellschaft gegen typische politische Risiken (darunter auch enteignungsgleiche Maßnahmen) ab.
Zu Frage 18:
Investoren werden per definitionem in einer ausländischen Rechtsordnung tätig. Im Falle einer Klagseinbringung gegen Gaststaaten vor deren nationalen Gerichten könnte daher eine gewisse Gefahr bestehen, dass diese Gerichte sich tendenziell eher den Behörden des Gaststaates anschließen als den ausländischen Investoren. Der Regelungszweck von bilateralen Investitionsschutzabkommen ist es daher, alternativ zur lokalen gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Vertrag den Zugang für Investoren zu einem unabhängigen internationalen Streitschlichtungsmechanismus vorzusehen. Eine ähnliche Gefahr besteht für den Staat naturgemäß nicht, es ist vom Schutzzweck der Norm daher nicht gleichermaßen notwendig, dem Staat ein derartiges Klagsrecht gegen Investoren einzuräumen.
Zu den Fragen 20 und 21:
Die wesentlichen Bestimmungen der österreichischen bilateralen Investitionsschutzabkommen entsprechen den international üblichen Formulierungen in derartigen Verträgen. Sie entsprechen ziemlich genau den Texten anderer europäischer Länder und mit geringfügigen Abweichungen auch denen mancher außereuropäischen Länder. Zur Interpretation der Kernelemente der bilateralen Investitionsschutzabkommen gibt es umfangreiche wissenschaftliche Literatur, sowie Publikationen der OECD und des Komitees für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (United Nations Conference on Trade and Development / UNCTAD), die in die Ausarbeitung des österreichischen Musterabkommens und die Festlegung der österreichischen Position in konkreten Verhandlungen einflossen.
Zu den Fragen 22 und 23:
Schirmklauseln stellen im österreichischen Investitionsrecht kein Novum dar. Bereits im Energiecharta-Vertrag sowie im bilateralen Investitionsschutzabkommen mit Mexiko oder dem Oman, welchen der Nationalrat zugestimmt hat, finden sich Schirmklauseln. Durch die Überarbeitung wurde im Sinne der Ausgewogenheit und um den Anliegen von Gastgeberstaaten und Investoren gleichermaßen Rechnung zu tragen das Musterabkommen qualitativ vertieft. Mit der Aufnahme von Arbeitnehmerschutz- bzw. Umweltschutzbestimmungen oder der „right to regulate“- Klausel in das Musterabkommen konnte eine vertiefte Sicherstellung nationalstaatlicher Souveränität erreicht werden. Die Aufnahme einer Schirmklausel in das Abkommen zielte auf die Erhöhung der Rechtssicherheit für österreichische Investoren ab. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen, die für Österreich typisch sind, ist diese angestrebte erhöhte Rechtssicherheit als Unterstützung bei ihren Investitionsbemühungen im Ausland wichtig.
Die Streitschlichtung durch internationale Schiedsgerichte und insbesondere die Klagemöglichkeit vor solchen Gerichten ist als Alternative zur oft mangelhaft ausgebildeten lokalen Gerichtsbarkeit und in weiterer Folge zum herkömmlichen diplomatischen Schutz anzusehen, die den wirtschaftlichen Interessen der Investoren und den Interessen der an ausländischen Investitionen interessierten Staaten besser gerecht wird. Dies war auch der zentrale Grund für die Ausarbeitung der Konvention über die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, der Konvention des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes / ICSID).
Die Folgenabschätzung hat sich jeweils am rezenten Trend der ICSID- und der Schiedssprüche der Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (United Nations Commission on International Trade Law / UNCITRAL) orientiert.
Zu den Fragen 24 und 31:
Die "gerechte und billige Behandlung“ ist nach wie vor die meistverwendete und praxisrelevanteste Bestimmung von bilateralen Investitionsschutzabkommen und wird von so gut wie allen EU Ländern auch so verwendet. Die Schiedspraxis der letzten Jahre hat bereits einige Elemente dieses Behandlungsstandards herausgearbeitet und so dazu beigetragen, mehr Klarheit über Umfang und Inhalt dieser Verpflichtung zu bekommen. Auch wissenschaftliche Literatur und Studien etwa der UNCTAD zu diesem Thema sind verfügbar und werden von Österreich bei der Verhandlung von bilateralen Investitionsschutzabkommen berücksichtigt. Im angelsächsischen Bereich, etwa im US- Mustertext für bilaterale Investitionsschutzabkommen, wird eine alternative Formulierung verwendet, die auf den völkergewohnheitsrechtlichen Mindeststandard verweist, die aber nicht zwangsläufig zu einer Reduktion des Interpretationsspielraums führen muss.
Zu den Fragen 25 und 26:
Der österreichische Mustertext sieht vor, dass die Vertragspartner Investitionen in Übereinstimmung mit ihren Gesetzen und Vorschriften zulassen. Die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zur Behandlung ausländischer Investoren, einschließlich Inländergleichbehandlung, setzen daher erst nach erfolgter Zulassung in Österreich ein. Auch bei Vorliegen eines bilateralen Investitionsschutzabkommens ist Österreich daher frei bei der Regelung des Marktzugangs, es sind sowohl Einschränkungen als auch Zulassungen unter bestimmten Bedingungen zulässig. In dieser Hinsicht unterscheiden sich bilaterale Investitionsschutzabkommen von den investitionsrechtlichen Bestimmungen des Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services / GATS) im Rahmen der Welthandelsorganisation (Word Trade Organisation / WTO), das in erster Linie den Marktzugang regelt. Aus diesem Grund benötigen bilaterale Investitionsschutzabkommen keine horizontale Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen wie das GATS sie vorsieht.
Zu den Fragen 27 und 28:
In den letzten Jahren wurde in einigen Abkommen in Zusammenhang mit der Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung der Verweis auf "in like circumstances“, also die Gleichbehandlung bei vergleichbaren Umständen, aufgenommen. Ob dies tatsächlich zu einer Klarstellung führen wird, ist derzeit in der Literatur umstritten. Bisher sind die meisten europäischen Länder, darunter auch Österreich, der Ansicht, dass dies nicht der Fall sein wird und die Aufnahme einer derartigen Bestimmung in bilateralen Investitionsschutzabkommen daher nicht notwendig erscheint.
Zu den Fragen 29 und 30:
Der unter Mitwirkung der Sozialpartner und akademischen Experten erarbeitete und von der Bundesregierung 2008 angenommene neue österreichische Mustertext gilt in Expertenkreisen im europäischen aber auch im internationalen Vergleich als modern und vorbildlich. In der von der Arbeiterkammer Wien erstellten Studie wurde der österreichische Mustertext durchaus gelobt, unter anderem auch was die Absicherung des wirtschaftspolitischen und regulatorischen Spielraums („policy space“) der Gastgeberstaaten betrifft.
Das österreichische Musterabkommen mit 29 Artikeln auf 14 Seiten liegt - was den Textumfang betrifft - im europäischen Mittelfeld. Charakteristisch für den europäischen Typus von Investitionsschutzabkommen ist, dass sie eine hohe Zahl von relativ abstrakten Begriffen enthalten, wie sie sich über einen Zeitraum von etwa 50 Jahren im internationalen Investitionsrecht herausgebildet haben. Sowohl UNCTAD als auch OECD haben diesbezüglich sehr nützliche und gute Studien verfasst.
Die Rechtsauswahl wird in formaler und inhaltlicher Form im Abkommenstext genau definiert. Die materiellen Verfahrensregeln wie auch die Transparenzvorschriften hängen aber vom jeweiligen Schiedsforum ab und werden nicht durch das BIT geregelt. Zum anwendbaren Recht kann angemerkt werden, dass das Schiedsgericht neben dem allgemeinen Völkerrecht auch das staatliche Recht des Gastgeberstaates anwenden muss, d.h. legitime staatliche Regulierungen, wie z.B. im Umwelt-, Arbeits- oder Sozialbereich sind auch von den internationalen Schiedsgerichten zu berücksichtigen.
Österreich hat die Bestrebungen, Transparenzregeln für Investor-Staat-Schiedsverfahren weiterzuentwickeln, stets unterstützt. Dies geschieht bei den derzeit laufenden Verhandlungen zu den UNCITRAL Transparenzregeln für Investor-Staat-Schiedsverfahren, bei welchen sich Österreich für eine bessere Veröffentlichung und bessere Zugänglichkeit von Unterlagen und Schiedssprüchen einsetzt. Im Rahmen der Reform der ICSID-Schiedsregeln im Jahr 2006 wurden bereits weitreichende Transparenzregeln eingeführt, unter anderem die Veröffentlichung von Schiedssprüchen und Beteiligungsmöglichkeiten für Nebenintervenienten („amici curiae“).
Zu Frage 32:
Der Regelungszweck von bilateralen Investitionsschutzabkommen ist der Schutz von Investoren vor staatlichen Übergriffen im Gaststaat. Damit dieser Schutz effizient ist, können per definitionem regulatorische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden. Das Recht des Staates, legitime staatspolitische Maßnahmen zu setzen, etwa im Bereich der Steuerpolitik, wird durch ein bilaterales Investitionsschutzabkommen nicht eingeschränkt. Bei der Überarbeitung des österr. Mustertextes 2008 ist auch in Hinblick auf "regulatory takings“ eine Klarstellung erfolgt.
Zu den Fragen 33 bis 35:
Die im österreichischen Musterabkommen vorhandene „denial of benefits“-Klausel zielt darauf ab, das treaty Shopping zu unterbinden. Die Klausel bestimmt, dass Investoren, die zwar im Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien Unternehmen besitzen oder kontrollieren, dort jedoch keine nennenswerte Geschäftstätigkeit entfalten, von den Begünstigungen dieses Abkommens ausgeschlossen werden.
Zu den Fragen 36 und 37:
Die Ziele und Inhalte der österreichischen Investitionspolitik werden regelmäßig im Rahmen von parlamentarischen Enqueten mit Regierungsvertretern, Parlamentariern, Experten der zuständigen Fachministerien, Vertretern der Zivilgesellschaft, den Sozialpartnern und akademischen Experten diskutiert (zuletzt im März 2011).
Zudem wird das österreichische Parlament gemäß den verfassungsmäßigen Vorgaben laufend über die aktuellen Entwicklungen der EU-Investitionspolitik informiert. Die Auswirkungen der seit dem Vertrag von Lissabon erfolgten Kompetenzverschiebung im Bereich ausländischer Direktinvestitionen auf die bestehenden bilateralen Investitionsschutzabkommen wurden im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) am 2. März 2012 organisierten Runden Tisches erörtert, zu welchem auch Parlamentarier aller Fraktionen sowie die Sozialpartner eingeladen waren.
Die Erarbeitung des österreichischen Mustertextes 1997-1998 und die letzte Überarbeitung 2008 sind in einem breiten partizipatorischen Prozess erfolgt. Anlässlich der letzten Überarbeitung des Mustertextes 2008, der mit Beschluss der Bundesregierung vom 30. Jänner 2008 angenommen wurde, fand eine parlamentarische Enquete statt, an der auch internationale Experten der UNCTAD und OECD teilgenommen haben. Zudem muss jedes abgeschlossene Investitionsschutzabkommen vor Inkraftsetzung vom Parlament genehmigt werden. Auch eine allfällige Überarbeitung des Mustertextes, die sich aus dem Vertrag von Lissabon ergeben könnte, wird unter Einbindung der Sozialpartner und akademischer Experten erfolgen.
Zu Frage 38:
Die Tatsache, dass die Anzahl der Klagen basierend auf bilateralen Investitionsschutzabkommen seit den 1990er Jahren zugenommen hat, zeigt die Relevanz von bilateralen Investitionsschutzabkommen. Dies gilt gerade auch für österreichische Unternehmen, die seit den 1990er Jahren begonnen haben, verstärkt im Ausland zu investieren und nun auch die Rechtsschutzmöglichkeiten, die ihnen durch derartige Verträge eingeräumt werden, nutzen und davon profitieren.