10928/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.05.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

BMJ-Pr7000/0093-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 11082/J-NR/2012

Die Abgeordneten zum Nationalrat Gerald Grosz, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Sachwalterschaften“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 15:

Das österreichische Sachwalterrecht hat zum Ziel, Menschen, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen können, zu begleiten und zu unterstützen. Dabei werden im Bestellungsverfahren hohe rechtsstaatliche Standards eingezogen, um zu vermeiden, dass Menschen leichtfertig unter Kuratel gestellt werden:

Wird die Bestellung einer Sachwalterin oder eines Sachwalters für eine bestimmte Person angeregt, verschafft sich das Gericht persönlich einen Eindruck von diesem Menschen. Nur wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass dieser Mensch möglicherweise psychisch krank oder geistig behindert ist und daher einer Unterstützung bedarf, ist das Sachwalterbestellungsverfahren fortzusetzen. In diesem Fall muss das Gericht der betroffenen Person sofort einen „Verfahrenssachwalter“ beistellen, dessen Aufgabe einzig darin besteht, die Rechte der betroffenen Person im Sachwalterbestellungsverfahren wahrzunehmen. Nur wenn bereits zu diesem Zeitpunkt dringende Angelegenheiten zu besorgen sind, die bereits vor der definitiven Bestellung einer Sachwalterin oder eines Sachwalters erledigt werden müssen, ist darüber hinaus ein „einstweiliger Sachwalter“ zu bestellen, der in diesem Bereich die betroffene Person vertreten kann. In jedem Sachwalterbestellungsverfahren ist ein Gutachten eines bzw. einer psychiatrischen oder neurologischen Sachverständigen einzuholen, um festzustellen, ob die betroffene Person wirklich psychisch krank oder geistig behindert im Sinne des Gesetzes ist. Außerdem hat sich das Gericht darüber ins Bild zu setzen, ob es trotz Vorliegens einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung nicht andere Möglichkeiten gibt, der betroffenen Person die notwendige Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten angedeihen zu lassen. Dazu kann seit dem Sachwalterrechts-Änderungsgesetz ein sogenannter „Clearingbericht“ eines Sachwaltervereins eingeholt werden. Dieser Bericht hilft dem Gericht ganz allgemein, einen sehr klaren und objektiven Eindruck von der Lebenssituation des betroffenen Menschen zu bekommen.

Häufig können auf diese Weise auch Angehörige gefunden werden, die bereit sind, den Betroffenen zu unterstützen. Durch die zunehmende Komplexität des Rechts- und Geschäftsverkehrs – sei es in der Privatwirtschaft, sei es im öffentlichen Bereich – und der allgemeinen Präferenz potenzieller Vertragspartner, mit einer gerichtlich bestellten Vertreterin bzw. einem gerichtlich bestellten Vertreter zu kontrahieren als mit einer möglicherweise nicht geschäftsfähigen Person, hat die Zahl der Sachwalterschaften deutlich zugenommen.

Um sicherzustellen, dass Menschen, für die eine Sachwalterin bzw. ein Sachwalter zu bestellen ist, keine Nachteile erleiden, unterliegen diese einer engmaschigen gerichtlichen Kontrolle: Jede Sachwalterin und jeder Sachwalter hat dem Gericht regelmäßig über die Tätigkeit für die betroffene Person zu berichten. Über die persönliche Situation hat das Gericht jährlich einen solchen Bericht einzuholen. Über die Verwaltung des Vermögens hat die Sachwalterin bzw. der Sachwalter gegenüber dem Gericht zum Ablauf des ersten vollen Jahres zu berichten, danach hat sie bzw. er in angemessenen Zeitabständen von höchstens drei Jahren sowie nach Beendigung der Vermögensverwaltung Rechnung zu legen. Darüber hinaus hat das Gericht in angemessenen – fünf Jahr nicht überschreitenden – Zeitabständen zu überprüfen, ob das Wohl der oder des Pflegebefohlenen die Beendigung oder Änderung der Sachwalterschaft erfordert.

All diesen gesetzlichen Anforderungen entspricht die gerichtliche Praxis, wie die laufenden Revisionen der Bezirksgerichte, die auch die Sachwalterschaftsverfahren umfassen, zeigen. Es mag Ausnahmefälle geben, in denen eine Sachwalterin oder ein Sachwalter zum Nachteil der betroffenen Person sorgfaltswidrig bzw. manchmal auch mit Bereicherungsabsicht vorgeht. Dies wird aber in aller Regel von den Gerichten erkannt und abgestellt.

Was nun Beschwerden in Sachwalterschaftsangelegenheiten angeht, so ist zu beachten, dass sowohl die Entscheidung über die Bestellung als auch die Überwachung einer Sachwalterin bzw. eines Sachwalters nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen dem Pflegschaftsgericht obliegt, also eine Angelegenheit der unabhängigen Rechtsprechung darstellt. Das Pflegschaftsgericht ist auch primär Adressat von „Beschwerden“ über Sachwalterinnen und Sachwalter und für allfällige sich daraus ergebende Maßnahmen zuständig.

Im Jahr 2011 sind 20 Beschwerden von Betroffenen über ein Sachwalterschaftsverfahren beim Bundesministerium für Justiz eingelangt. Die Betroffenen monierten zumeist, dass entweder überhaupt keine Sachwalterin bzw. kein Sachwalter oder zumindest keine berufliche Parteienvertreterin (kein beruflicher Parteienvertreter) als Sachwalterin oder Sachwalter (sondern eine Familienangehörige bzw. ein Familienangehöriger) hätte bestellt werden dürfen oder dass das Gericht die Sachwalterin bzw. den Sachwalter nicht angeleitet habe, bestimmte (Sozial-)Leistungen zu beantragen (und der bzw. dem Besachwalteten dadurch ein entsprechender Schaden entstanden sei). Vereinzelt wurden Einwände gegen die Person der Sachwalterin bzw. des Sachwalter und der bzw. des Sachverständigen geltend gemacht oder ins Treffen geführt, dass vom Gericht zu wenig Beweismittel eingeholt worden seien. Vereinzelt wurden die Richterinnen und Richter des Pflegschaftsverfahrens des Amtsmissbrauchs bezichtigt. Pro Jahr sind dies nach Auskunft meiner Fachabteilung im Schnitt etwa zwei bis drei Fälle. Nach dienstaufsichtsbehördlicher Überprüfung hat sich jedoch keine einzige Beschwerde als begründet erwiesen.

Die standesrechtliche Aufsicht über Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärterinnen, Rechtsanwaltsanwärter bzw. Notarinnen, Notare, Notariatskandidatinnen und Notariatskandidaten – auch hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Sachwalterin oder Sachwalter – obliegt hingegen den zuständigen Rechtsanwalts- bzw. Notariatskammern. Die Information der Volksanwaltschaft, dass über eine Wiener Rechtsanwaltskanzlei gehäuft Beschwerden in Sachwalterschaftsangelegenheiten eingelangt seien, wurde dem (haupt-)zuständigen Pflegschaftsgericht zur Kenntnis gebracht.

Amtshaftungsfälle der letzten Jahre, in denen es um ein behauptetes schädigendes Zusammenwirken von Richterinnen bzw. Richtern, Sachverständigen und Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälten gegangen wäre, sind meiner Fachabteilung nicht bekannt.


Da Sachwalterinnen und Sachwalter keine Organe im Sinn des § 1 Abs. 2 AHG sind, kommen Aufforderungsschreiben nach dem Amtshaftungsgesetz (AHG) im Zusammenhang mit Sachwalterschaften nur sehr vereinzelt vor (und beziehen sich dann zumeist auf ein allfälliges „Überwachungsverschulden“ des Pflegschaftsgerichts).

Der Justizverwaltung kommt keine allgemeine Aufsicht über Sachwalterinnen und Sachwalter zu, sondern nur hinsichtlich der geeigneten Vereine im Sinne des Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und Bewohnervertretergesetzes (VSPBG), die gemäß § 5 VSPBG der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Justiz unterliegen. Darunter fällt auch die Behandlung von Beschwerden über diese Vereine bzw. Vereinssachwalterinnen und ‑sachwalter. Dazu ist in den letzten Jahren ein einziger Fall aktenkundig.

Soweit statistisches Material aus den elektronischen Registern der Verfahrensautomation Justiz zur Verfügung steht und einer Veröffentlichung nicht datenschutzrechtliche Einschränkungen entgegenstehen, habe ich dieses der Anfragebeantwortung angeschlossen.

 

Wien,        . Mai 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl

 

 

Anmerkung der Parlamentsdirektion:

 

Die vom Bundesministerium übermittelten Anlagen stehen nur als Image, siehe

Anfragebeantwortung (gescanntes Original)

zur Verfügung.