11104/AB XXIV. GP

Eingelangt am 29.05.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

BMJ-Pr7000/0115-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 11299/J-NR/2012

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „StPO-Novelle: Strafprozess und Privatbeteiligung – Entwicklung 2011“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 9, 15, 18 bis 21 und 33:

Soweit Daten aus der Verfahrensautomation Justiz ausgewertet werden konnten, liegen sie der Anfragebeantwortung bei. Danach haben sich im Jahr 2011 21.806 Personen einem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. In 6.940 Fällen kam es zu einem (Teil-) Zuspruch. Eine Aufschlüsselung auf Landes- und Bezirksgerichtsebene ist dem Anhang zu entnehmen.

Darüber hinausgehende Daten liegen nicht vor und könnten nur im Wege händischer Recherchen durch Akteneinsicht gewonnen werden; davon habe ich wegen des damit verbundenen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwandes absehen müssen.


Aus 14 in den Jahren 2011 und 2012 fertig gestellten Berichten über Regelrevisionen von Gerichten, bei denen die Anwendung des § 69 Abs. 2 StPO (Fragepunkt 8) schwerpunktmäßig zu prüfen war, ergibt sich aber, dass diese Möglichkeit zum Vergleichsschluss in der Hauptverhandlung bei drei Gerichten genutzt wurde, während bei fünf Gerichten kaum oder keine Erfahrungen mit Vergleichen nach dieser Bestimmung gemacht wurden. Bei einem weiteren Gericht wurde die Möglichkeit eines solchen Vergleichs „eher nicht genutzt“. In zwei weiteren Berichten wurde festgehalten, dass derartige Vergleichsschlüsse „in der Praxis nicht ins Gewicht“ fielen bzw. „kein praktisches Problem“ darstellten. Bei drei Gerichten ergaben sich keine Auffälligkeiten.

Zu 10 und 11:

Gemäß der Definition des § 65 Z 2 StPO sind Privatbeteiligte Opfer, die erklären, sich am Verfahren zu beteiligen, um Ersatz für den erlittenen Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung zu begehren. Diese Personen müssen einen vermögensrechtlichen Schaden erlitten haben, der unmittelbar oder mittelbar durch die Straftat entstanden ist; die Verletzung bloß ideeller Interessen genügt nicht bzw. nur dann, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Opfer in diesem Sinne haben das Recht, sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen (Fabrizy, StPO11 § 65 Rz 5).

Gemäß § 67 Abs. 2 StPO werden Opfer durch Erklärung zu Privatbeteiligten. Diese Erklärung kann bei der Kriminalpolizei oder bei der Staatsanwaltschaft bzw. nach Einbringung der Anklage auch bei Gericht abgegeben und jederzeit zurückgezogen werden. Sie muss jedoch längstens bis zum Schluss des Beweisverfahrens erfolgen, wobei bis dahin auch die Höhe des Schadenersatzes oder der Entschädigung zu beziffern ist.

Eine derartige Erklärung ist gemäß § 67 Abs. 4 StPO zurückzuweisen, wenn diese

1.    offensichtlich unberechtigt ist,

2.    verspätet abgegeben wurde oder

3.    die Höhe des Schadenersatzes oder der Entschädigung nicht rechtzeitig beziffert wurde.

Unberechtigt sind Anschlusserklärungen insbesondere dann, wenn für einen privatrechtlichen Anspruch bereits ein rechtskräftiger zivilrechtlicher Exekutionstitel existiert. In den oben genannten Fällen obliegt die Zurückweisung gemäß § 67 Abs. 5 StPO der Staatsanwaltschaft bzw. nach Einbringung der Anklage dem Gericht.

Vor dem Hintergrund, dass die Zurückweisung einer derartigen Erklärung durchaus unterschiedliche Gründe haben kann, wäre eine den jeweiligen Einzelfall betreffende Auswertung notwendig, um die Frage nach der am meisten vorkommenden Zurückweisungsbegründung zu beantworten. Dies ist aufgrund der derzeit ohnehin sehr knappen Ressourcen jedoch nicht möglich.

Verfahrensökonomische Gründe oder die Vermeidung von Prozesskosten spielen angesichts der klaren Determinierung des § 67 Abs. 5 StPO bei der Entscheidung über die Zurückweisung der Anschlusserklärungen keine Rolle. Für die Verweisung des Privatbeteiligen auf den Zivilrechtsweg im Urteil spielen verfahrensökonomische Gründe nur insofern eine Rolle, als der Privatbeteiligte trotz Verurteilung des/der Angeklagten auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden kann, wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens keine ausreichende Grundlage für eine auch nur teilweise Beurteilung des geltend gemachten privatrechtlichen Anspruchs bieten, es sei denn, diese Entscheidungsgrundlage kann durch eine, die Entscheidung in der Schuld- und Straffrage nicht erheblich verzögernde, Beweisaufnahme ermittelt werden.

Zu 12, 16 und 17:;

Die Opferrechte erfuhren in den letzten Jahren zunächst durch die Änderungen des StPRG (BGBl. I 19/2004) sowie später durch das strafrechtliche Kompetenzpaket – sKp (BGBl. I 108/2010) einen ständigen Ausbau, wobei durch letzteres eine Verbesserung auch dadurch erreicht wurde, dass Opfer nunmehr nach § 194 Abs. 2 StPO eine schriftliche Begründung der Verfahrenseinstellung verlangen können. Dies ist auch vor dem Hintergrund der notwendigen Abwägung im Falle einer Antragstellung auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens sinnvoll und hat zudem zu einer Verbesserung der Transparenz der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft geführt.

Eine erwähnenswerte Neuerung wird nach Inkrafttreten des 2. Stabilitätsgesetzes 2012 – 2. StabG 2012 gelten, und zwar die neue Regelung des § 70 Abs. 1a StPO, wonach Opfer erklären können, auf weitere Ladungen und Verständigungen im Verfahren zu verzichten. Die StPO sieht zahlreiche Verständigungen und Ladungen für Opfer vor, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Rechte zu wahren. Vor dem Hintergrund der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass ein nicht unbeträchtlicher Anteil von Opfern nicht nur auf die aktive Verfahrensbeteiligung verzichten will, sondern ganz generell überhaupt nicht mehr mit dem Strafverfahren konfrontiert werden möchte (Vermeidung einer sekundären Viktimisierung). Durch die neue Bestimmung wird sohin nicht nur den genannten Interessen der Opfer Rechnung getragen, sondern auch ein effizienterer Einsatz von Personalressourcen ermöglicht.

Insgesamt werden daher die Opferinteressen sehr gut gewahrt, sodass derzeit keine Notwendigkeit für eine Erweiterung bzw. Neuformulierung der Bestimmungen über Opfer und Privatbeteiligte erkannt werden kann.


Zu 13 und 14:

Ganz allgemein ist festzustellen, dass gerichtliche Strafverfahren – nicht nur im Bereich der Wirtschaftsstrafverfahren – immer komplexer und umfangreicher werden, was sich nachvollziehbarer Weise auch auf die – ohne erheblich verzögernde Beweisaufnahme (§ 366 Abs. 2 StPO) – feststellbaren privatrechtlichen Ansprüche niederschlägt. Die Wahrnehmung, dass sich die Gerichte bzw. die Richter ihrer Verpflichtung, über privatrechtliche Ansprüche zu entscheiden, entziehen würden, kann ich jedoch nicht teilen.

Die Argumentation der Rechtsanwälte ist mir ebenfalls nicht bekannt, sodass auch keine Mutmaßungen über Zusammenhänge mit einer statistisch nicht belegten Zunahme diversioneller Maßnahmen angestellt werden sollten. Hingegen ist zu betonen, dass im Rahmen diversioneller Maßnahmen die Interessen der Opfer gemäß § 206 Abs. 1 StPO zu prüfen und im größtmöglichen Ausmaß zu fördern sind. Dabei ist nach Abs. 2 leg. cit. das Opfer jedenfalls zu verständigen, wenn sich der Beschuldigte bereit erklärt, aus der Tat entstandenen Schaden gut zu machen oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beizutragen. Insofern hat das Opfer bzw. der Privatbeteiligte im Falle einer diversionellen Erledigung Rechte, die er geltend machen kann.

Zu 22 und 23:

Dem Strafverfahren gegen Dr. W. A. haben sich 12.756 Personen als Privatbeteiligte angeschlossen. Davon wurden 12.508 Privatbeteiligten mit Urteil vom 31. Jänner 2011 gemäß § 369 Abs. 1 StPO jeweils Teilschadenersatzbeträge von 500 Euro zugesprochen. Mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen wurden die Genannten – ebenso wie die übrigen 248 Privatbeteiligten - gemäß § 366 Abs. 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Zu 24 und 25:

Aktuell wird von einer der zuständigen Einzelrichterin in Haft- und Rechtsschutzsachen zugeteilten Rechtspraktikantin eine „Gesamtübersicht“ aller Privatbeteiligten erstellt. Aufgrund des Umfanges des Ermittlungsaktes wird diese Auflistung jedoch noch einige Wochen in Anspruch nehmen.

Da sich das Verfahren gegen J. M. und weitere Beschuldigte noch im Ermittlungsstadium befindet, wurde noch nicht über privatrechtliche Ansprüche entschieden.

Zu 26 und 27:

Zufolge Information des für den Faktenkomplex „Immofinanz/Constantia" zuständigen Staatsanwaltes beträgt die Anzahl der Privatbeteiligten jedenfalls „mehrere Hundert". Eine vollständige Auflistung aller Personen würde – bei ausschließlicher Beschäftigung mit diesem Thema – mindestens zwei Arbeitswochen in Anspruch nehmen. Ich ersuche daher um Verständnis, dass eine exakte Bezifferung der Privatbeteiligtenanschlüsse nicht möglich ist.


Da sich der Faktenkomplex im Ermittlungsstadium befindet, wurde noch keine Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche getroffen.

Zu 28 und 29:

Dem „AWD-Verfahren" schlossen sich bisher 2.382 Geschädigte als Privatbeteiligte an. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, zu einer Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche kam es daher bislang nicht.

Zu 30 und 31:

Zum Faktenkomplex „Friedrich Müller Versand" sind bei der Staatsanwaltschaft Wien zwei Verfahren anhängig.

In einem Verfahren wurde bereits Anklage erhoben, das Verfahren jedoch seinerzeit an den Untersuchungsrichter rückgeleitet, weshalb noch keine Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche vorliegt. Auf Grund der großen Anzahl der Opfer konnten diese nicht im VJ-Register erfasst werden. In der Anklageschrift sind insgesamt 283 Opfer vermerkt, welche teilweise geschädigt wurden (teilweise blieb es laut Anklageschrift beim Versuch). In der bereits stattgefundenen Hauptverhandlung trat lediglich der Verein für Konsumenteninformation als Privatbeteiligter auf. Da sich der Akt zu diesem Verfahren aktuell bei der Kriminalpolizei befindet, können derzeit keine exakteren Auskünfte erfolgen.

Im zweiten Ermittlungsverfahren sind derzeit rund 600 Personen als Opfer erfasst, wobei es auch hier bei zahlreichen Tathandlungen beim Versuch geblieben sein dürfte. Die Opfer werden derzeit im Rechtshilfeweg vernommen, wobei sich lediglich ein Teil derselben bereits bei Anzeigeerstattung dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hatte. Da der Ermittlungsakt rund vierzig Kisten umfasst, ersuche ich um Verständnis, dass eine konkrete Auflistung der Privatbeteiligtenanschlüsse die Kapazitäten der Staatsanwaltschaft Wien bei weitem übersteigen würde.

Da sich das Verfahren im Ermittlungsstadium befindet, gibt es ebenfalls (noch) keine Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche.

Zu 32:

Im Zusammenhang mit den fehlerhaften Brustimplantaten (Fa. PIP) ist nach den mir vorliegenden Informationen in Österreich kein Strafverfahren anhängig, weshalb mir zur Anzahl der Privatbeteiligtenanschlüsse (in dem in Frankreich geführten Verfahren) keine Auskunft möglich ist.

 

Wien,       . Mai 2012

 

Dr. Beatrix Karl


 

 

Anmerkung der Parlamentsdirektion:

 

Die vom Bundesministerium übermittelten Anlagen stehen nur als Image, siehe

Anfragebeantwortung (gescanntes Original)

zur Verfügung.