11248/AB XXIV. GP

Eingelangt am 19.06.2012
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BM für Frauen und öffentlichen Dienst

Anfragebeantwortung

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017     W i e n                                                   

GZ: BKA-353.290/0049-I/4/2012                                                  Wien, am        Juni 2012

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Tadler, Kolleginnen und Kollegen haben am 19. April 2012 unter der Nr. 11405/J an mich eine schriftliche parlamentarische An­frage betreffend Zwangsverheiratung in Österreich gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 3:

Ø  Kennen Sie von der deutschen Familienministerin Dr. Kristina Schröder die im November 2011 vorgestellte Studie über die „Zwangsverheiratung in Deutsch­land – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ und trifft das Ergebnis der Stu­die auch auf Österreich zu?

Ø  Gibt es für Österreich ähnliche Untersuchungen oder haben Sie diesbezüglich eine Studie in Auftrag gegeben? Wenn nein, warum nicht?

Ø  Wenn ja, welche Untersuchungen werden/wurden durch Ihr Ressort erhoben und mit welchem Ergebnis (Bitte um Aufschlüsselung Bund, Länder, Gemeinden)?

 

Diese Studie ist mir durch die Medien bekannt. Neben Studien wie dem Migrantin­nenbericht beschäftigt sich auch die von meiner Vorgängerin in Auftrag gegebene Studie „So fern und doch so nah“ mit dieser Problematik. Die Ergebnisse dieser Stu­die sind unter http://www.frauen.bka.gv.at/studien/tgf2008/index.html ersichtlich.

Zu den Fragen 4 bis 6 sowie 9 bis 13:

Ø  Von wie vielen Fällen der Zwangsverheiratung haben Sie Kenntnis und können diese aufgeschlüsselt werden (Bitte um Aufschlüsselung Bund, Länder, Gemein­den, Religionszugehörigkeit, Herkunftsland)?

Ø  Spielt die Religionszugehörigkeit und das Herkunftsland bei solchen Untersu­chungen/Erhebungen eine Rolle?

Ø  Haben Sie Kenntnisse von Zwangsverheiratungen, insbesondere von moslemi­schen Mädchen und Frauen in Österreich? Wenn ja, wie viele Fälle sind Ihnen bekannt?

Ø  Wie viele Mädchen und Frauen suchten bisher bei diesen Beratungsstellen Hilfe zum Thema Zwangsheirat?

Ø  Gibt es Erhebungen in den einschlägigen Service-Einrichtungen und Beratungs­stellen bzw. aus den Helplines dazu, wie viele Anfragen und Ersuchen um Hilfe in Fällen von Zwangsverheiratung gestellt werden?

Ø  Wenn ja, werden diese Daten veröffentlicht und können Sie diese Zahlen der Be­antwortung beilegen?

Ø  Werden derzeit überhaupt Zahlen zum Thema Zwangsverheiratung erhoben? Und wenn ja, wie?

Ø  Wie alt waren die Frauen und Mädchen, die Beratung suchten?

 

Laut Auskunft einschlägiger Hilfseinrichtungen handelt es sich bei den von Zwangs­heirat bedrohten/betroffenen Personen (meist Mädchen) vorwiegend um Minderjäh­rige mit österreichischer Staatsbürgerschaft, die bereits in zweiter oder dritter Gene­ration hier leben. Die Religionszugehörigkeit spielt hierbei keine Rolle, da Zwangs­heirat in Traditionen verwurzelt ist und kein religiöses Phänomen darstellt.

 

Wie schon in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 2331/J dargelegt, ist das Ausmaß von Zwangsverheiratung in Österreich über die Statistiken der Inter­ventionsstellen und Frauenserviceeinrichtungen aus mehreren Gründen nur unzurei­chend erfassbar. Die Grenze zwischen arrangierter Ehe und Zwangsehe wird - unter anderem abhängig von kulturellen Prägungen - unterschiedlich gezogen. Eheschlie­ßungen, die nach österreichischem Verständnis bereits Zwangscharakter aufweisen, werden von den Betroffenen selbst unter Umständen nicht als solche empfunden/er­kannt. Darüber hinaus sind auch jene Betroffenen, die den Zwangscharakter durch­aus als solchen empfinden, häufig nicht in der Lage, sich zur Wehr zu setzen und eine Hilfseinrichtung aufzusuchen - insbesondere dann, wenn sie zur Verheiratung außer Landes gebracht werden. Der Druck, der auf den Betroffenen lastet, ist meist enorm. Selbst wenn bei einer Widersetzung keine körperliche Gewalt drohen sollte, ist die zu erwartende Abwendung der Familie eine fast unerträgliche Vorstellung. Diese Realität spiegelt sich auch in der Beratungserfahrung der Interventions- und Servicestellen wider. Immer wieder stellt sich in der Beratungsarbeit heraus, dass Frauen, die sich wegen akuter häuslicher Gewalt an die Interventionsstellen wenden, in der Vergangenheit auch zwangsverheiratet wurden. Aus diesen Gründen werden Fälle von Zwangsverheiratung statistisch auch nicht flächendeckend getrennt (von anderen Formen familiärer Gewalt) erfasst. Expertinnen schätzen, dass jährlich ca.200 Mädchen und junge Frauen in Österreich von Zwangsheirat betroffen sind.

 

Zu Frage 7:

Ø  Welche Maßnahmen Ihres Ressorts werden gesetzt, um einer Zwangsverheira­tung entgegenzuwirken?

 

In Fortführung der Aktivitäten, die bereits in Anfragebeantwortungen zu parlamenta­rischen Anfragen (etwa Nr. 2331/J, 3746/J, 6710/J und 7063/J) mitgeteilt wurden, wird zu den spezifischen Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen bereits seit mehreren Jahren Informations- und Bewusstseinsarbeit geleistet.

 

So habe ich veranlasst, dass zwei Projekte vom Verein Orient Express organisiert und durchgeführt wurden, die sich insbesondere mit den Themen Zwangsehe, FGM und Generationenkonflikte auseinandersetzen. Es sind dies:

 

1.  Trainingsangebote zu den Themen Zwangsheirat, FGM und Generationenkonflik­te, die sich an MultiplikatorInnen, wie z.B. LehrerInnen, SozialarbeiterInnen, Mitar­beiterInnen in Jugendeinrichtungen, FamilienrichterInnen, usw. wenden und mit Ausnahme von Wien in allen Bundesländern durchgeführt werden.

2.  Eine Ausbildung zu Multiplikatorinnen, u.a. für den Bereich der traditionsbedingten Gewalt. Junge Frauen der 2. und 3. Generation mit Migrationshintergrund können durch diese Ausbildung eine Zusatzqualifikation in Form einer spezifischen Ausbil­dung erwerben und erhalten dadurch auch eine Chance für die weitere Entwick­lung im beruflichen Leben.

 

Darüber hinaus werden aus Fördermitteln meines Ressorts Beratungseinrichtungen, sowie Projekte, die Maßnahmen zur Prävention und Eliminierung von Zwangsehen und/oder FGM setzen, subventioniert, da es mir ein grundsätzliches Anliegen ist, Ini­tiativen in diesem Bereich bestmöglich und im Rahmen der budgetären Möglichkei­ten zu unterstützen.

Zu den Fragen 8 und 14:

Ø  Gibt es Beratungsstellen, die Hilfe und Beratung zum Thema „Zwangsheirat“ an­bieten? Wenn ja, um welche Beratungsstellen handelt es sich?

Ø  Gibt es in Österreich Einrichtungen, die Mädchen und Frauen, die von Zwangs­heirat bedroht sind, Zuflucht bieten? Wenn ja, um welche Einrichtungen handelt es sich?

 

Neben den Interventionsstellen und Frauenservicestellen wendet sich die Frauenser­vicestelle Orient-Express speziell an von Zwangsheirat betroffene Mädchen und Frauen. Dieser Verein bietet auch Schulworkshops und Trainingsangebote für Multi­plikatorInnen an (siehe Beantwortung zu Frage 7).

 

Zu den Fragen 15 und 16:

Ø  Ist Ihnen bekannt, ob an Schulen spezielle Unterrichtseinheiten und Projekte, so­wie Fortbildung für LehrerInnen zum Thema „Zwangsheirat“ angeboten werden?

Ø  Halten Sie solche Unterrichtseinheiten und Projekte an Schulen für notwendig und sinnvoll und sind solche von der Bundesregierung geplant?

 

Diese Fragen betreffen keinen Gegenstand meines Vollzugsbereichs.

 

Zu Frage 17:

Ø  Dem Vernehmen nach ist es zu einer Einigung bezüglich der Notunterkunft für Betroffene von Zwangsverheiratungen gekommen. Wie gestalten sich diese Lö­sungen bzw. wann soll der Betrieb von diesen Notunterkünften aufgenommen werden?

 

Ich bekenne mich klar zu diesem Punkt des Regierungsübereinkommens und versu­che seit Jahren, dieses Projekt zu realisieren. Es wurden Gespräche mit ExpertInnen geführt, um deren Expertise in die Vorbereitung dieses Projekts einfließen zu lassen. Ebenso gab es sowohl auf politischer als auch auf Ebene der Verwaltung Bemühun­gen für eine ressortübergreifende gemeinsame Finanzierung dieses engagierten Vor­habens. Diese sind nun geglückt und das Frauen- und Innenministerium werden nun je zur Hälfte die Finanzierung tragen. Das BMJ und das BMWFJ sehen sich dafür allerdings nicht zuständig.

Offen sei auch gewesen, was der bestgeeignete Standort sei. Nun sei entschieden, dass es eine anonyme Einrichtung im urbanen Umfeld sein solle, die nun gefunden werden muss.

 

Ich werde mich jedenfalls weiterhin sehr dafür einsetzen, dass dieses Vorhaben ehestmöglich umgesetzt werden kann.