1176/AB XXIV. GP

Eingelangt am 04.05.2009
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0073-Pr 1/2009

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 1144/J-NR/2009

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Christian Lausch und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Kosten einer angemessenen Gerichtsmedizin“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Ich ersuche um Verständnis, dass eine exakte Beantwortung dieser Anfrage für den gesamten Sprengel der Oberstaatsanwaltschaft Wien nicht möglich ist, weil - abgesehen von der Staatsanwaltschaft Wien - keine statistischen Aufzeichnungen über die Zahl der durchgeführten bzw. beantragten oder angeordneten Obduktionen vorliegen und eine händische Auswertung sämtlicher in Betracht kommender Tage­bücher der Staatsanwaltschaften mit vertretbarem Aufwand nicht möglich war.

Für den Sprengel der im Zusammenhang mit der Anfrage ohnehin besonders interessierenden Staatsanwaltschaft Wien liegen die angefragten Daten ab dem Jahr 2002, mit dem das Leichenverzeichnis auf ein elektronisches System umgestellt wurde, vor und sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:

 

Jahr

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Obduktionen

508

600

489

423

481

431

410

 

Zu 2 und 3:

Die Beantwortung dieser Fragen fällt nicht in meine Zuständigkeit. Die Errichtung hat die Stadt Wien bzw. deren Krankenanstaltenverbund übernommen, die Justiz hat dazu keinen finanziellen Beitrag geleistet.

Zu 4 bis 5:

Mit 1. Jänner 2008 hat der Rektor der Medizinischen Universität Wien – aufgrund massiver Kritik des Rechnungshofes – angeordnet, dass in den Räumlichkeiten des Departments für Gerichtliche Medizin in Wien (DGM), keine Obduktionen mehr durchgeführt werden dürfen. Deshalb schloss die Republik Österreich, vertreten durch die Bundesministerin für Justiz, eine Vereinbarung mit der Gemeinde Wien, um die Durchführung von Obduktionen nach den Bestimmungen der StPO ab 1. Jänner 2008 sicherzustellen. Nach dieser Vereinbarung können Obduktionen bis Ende 2009 im Auftrag der Justiz an bestimmten kommunalen Krankenanstalten durchgeführt werden. Basierend auf dem „Kostenersatz 2004“ der Medizinischen Universität Wien wurde ein Pauschalbetrag von 565 Euro pro Obduktion ermittelt, wobei eine dem Gebührenanspruchsgesetz 1975 (GebAG) entsprechende Aufschlüsselung nicht erfolgt. Nach dem Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 17. Dezember 2007 über die Ausweichlösung für Obduktionen aus Anlass der Einstellung des Obduktionsbetriebs am DGM (vgl. Erlass BMJ-B11.851/0004-I 6/2007) haben die Sachverständigen einen Betrag von 274 Euro an die Krankenanstalten zu leisten. Wie viele Obduktionen mit dieser Pauschalregelung im Jahr 2008 verrechnet wurden, kann nicht beziffert werden, weil eine manuelle Recherche auf Basis von Einzelfällen durchzuführen wäre, die ich aus verwaltungs-ökonomischen Gesichtspunkten nicht anordnen kann.

Bei einer Anzahl von 431 gerichtlichen Obduktionen errechnet sich - unter Ausblendung des Umstandes, dass die Obduktionen auch in Privatkliniken durchgeführt wurden (Anspruch ergibt sich dann nach GebAG) - ein Betrag von 243.515 Euro. Dabei sei nochmals darauf hingewiesen, dass es sich dabei lediglich um eine Übergangslösung handelt.

Zu 6 bis 8:

Im Bericht des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) vom September 2008 werden die Errichtungskosten für einen Neubau auf rund 17,4 Millionen Euro inklusive USt geschätzt. Dazu kommen noch die Kosten für die Ausstattung, insbesondere medizintechnische Geräte, Kosten der Ausstattung für den DNA-Bereich und für den Bereich Toxikologie sowie eine komplette Virtopsy- Ausstattung, sodass insgesamt von Bruttokosten in der Höhe von etwa 25 Millionen Euro ausgegangen werden muss. Hinzu kommen noch laufende jährliche Kosten, die vom ÖBIG – auf Basis des Tätigkeitsumfanges im Jahr 2006 – errechnet wurden, in der Höhe von 1,82 Millionen Euro (vgl. Bericht ÖBIG Seite 48f).

Die Entscheidung über eine Generalsanierung des Standortes in der Sensengasse liegt nicht im Vollziehungsbereich des Bundesministeriums für Justiz.

Zu 9 bis 11:

Den Ausgangspunkt der Neuregelung auf dem Gebiet der Obduktionsgutachten (§ 128 Abs. 2a StPO idF Zweites Gewaltschutzgesetz) stellte der Rechnungshofbericht über Teilgebiete der Gebarung der Medizinischen Fakultät der Universität Wien (Prüfung von April bis August 2004), mit dem Schwerpunkt Institut für Gerichtliche Medizin, dar. In diesem Bericht wurden Mängel in der Verrechnung der Sachverständigengebühren, Verzögerungen bei der Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sowie bauliche Mängel an den vom Institut genützten Räumlichkeiten aufgezeigt. Als Reaktion darauf, wurde in der ursprünglichen Fassung des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, eine exklusive Beauftragung der Leitung von Universitätseinheiten für Befund und Gutachten über eine Obduktion geschaffen. Im Begutachtungsverfahren zum Entwurf einer Strafprozessnovelle 2005 wurden jedoch Bedenken gegen eine ausschließliche Konzentration geäußert, weil dies angeblich eine Entfernung von den Grundsätzen des Sachverständigenrechts (freie Auswahl unter den ständig beeideten und zertifizierten Sachverständigen, die für ein bestimmtes Fachgebiet in die Sachverständigenlisten eingetragen sind; persönliche und unmittelbare Verantwortung) und auch eine gewisse Gefährdung der Erwerbsausübungsfreiheit freiberuflich tätiger Fachärzte aus dem Gebiet der Gerichtsmedizin mit sich gebracht hätte. Aus Anlass dieser geäußerten Bedenken wurde eine Kompromisslösung gewählt, damit die Leiter der Universitätsinstitute ihre Dienstaufsicht ausüben können, wenn ein Angehöriger ihrer Einheit vom Gericht zum Sachverständigen bestellt wird (Zustellung der Beauftragung eines Universitätsangehörigen als Sachverständigen muss über den Leiter des Institutes erfolgen; § 128 Abs. 1 StPO idF BGBl. I 164/2004).

Erfahrungen mit dieser Regelung haben jedoch gezeigt, dass sie nicht geeignet ist, die vom Rechnungshof aufgezeigten Mängel zu beheben, wie dies insbesondere in einer „follow-up“- Prüfung (Gebarungsüberprüfung der Medizinischen Universitäten Wien, Graz und Innsbruck sowie der Universitäten Salzburg und Linz mit dem Schwerpunkt Gerichtliche Medizin) zu Tage getreten ist. Aus diesem Grund hat der Ministerialentwurf für das Strafprozessreformbegleitgesetz I (vgl. 87/ME XXIII. GP) vorgeschlagen, dass – unter grundsätzlicher Beachtung der Erwerbsausübungsfreiheit und des Grundsatzes der freien Auswahl des zu bestellenden Sachverständigen – entweder eine Organisationseinheit für gerichtliche Medizin einer Universität oder aber ein Facharzt, der nicht Angehöriger einer solchen Einheit ist, mit der Obduktion beauftragt werden kann (vgl. die geltende Rechtslage der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 87 Abs. 2 StPO, wonach die Leichenöffnung von zwei Ärzten vorzunehmen ist, wobei einer der Ärzte Gerichtsarzt oder Leiter eines öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder einer von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischer Fachkenntnis sein muss). Flankierende Maßnahmen im Universitätsrecht (Dienstpflicht zur Erstattung von Befund und Gutachten über eine Obduktion) standen zum damaligen Zeitpunkt in Aussicht. Der Rechnungshof und die Medizinischen Universitäten Wien, Graz und Innsbruck unterstützten diesen Vorschlag nachdrücklich, der Hauptverband der Gerichtssachverständigen samt den privat niedergelassenen Gerichtsmedizinern, VertreterInnen der Universität Wien und andere Interessensvertretungen und Berufsvereinigungen äußerten jedoch Zweifel.

Angesichts dieser Widerstände hat sich der Gesetzgeber vorläufig entschlossen, an der damals geltenden Rechtslage festzuhalten. Ergänzende Anpassungen wurden im GebAG getroffen. In § 31 GebAG wurde klargestellt, dass die gesonderte Berücksichtigung von Fixkosten, die für die Berufsausübung, Befundaufnahme und Gutachtenserstellung im jeweiligen Fachgebiet üblicherweise für die notwendige Ausstattung und Einrichtung anfallen, ausgeschlossen ist. Demnach ist die Verrechnung von Kosten für das Büro, die Werkstatt, das Untersuchungslabor, die Ordination oder den für derartige Gutachten sonst stets notwendigen Untersuchungsraum (samt Reinigung und sonstiger Infrastruktur) im Rahmen des § 31 GebAG nicht mehr möglich; derartige Kosten werden durch die Gebühr für Mühewaltung abgedeckt. Da gerichtsmedizinische Sachverständige nicht über eigene Obduktionsräumlichkeiten verfügen, sind sie darauf angewiesen, sich diese Räumlichkeiten zu besorgen. Da im Einzelfall völlig unterschiedliche Kosten hiefür verrechnet werden, soll die Gebühr für Mühewaltung in § 43 GebAG bei der Leichenöffnung (Abs. 1 Z 2) zur Abdeckung der rasant gestiegenen Kosten für die Nutzung von externen Untersuchungsräumlichkeiten um den Pauschalbetrag von 130 Euro, für Faulleichen um 180 Euro, erhöht werden.

Als Reaktion auf diese Entscheidung des Gesetzgebers hat die Medizinische Universität Wien – wie bereits erwähnt - mit Ende 2007 die Beendigung der Obduktionstätigkeit am Department für Gerichtliche Medizin angeordnet.

Zur ressortübergreifenden Lösung der in Wien bestehenden Problematik fanden von Frühjahr bis Herbst 2008 Sitzungen der zu diesem Zweck gebildeten gemischten Arbeitsgruppe „Zukunft der Gerichtsmedizin Wien“ statt, der neben Vertretern des Bundesministeriums für Justiz auch VertreterInnen des BMWF, der BPD Wien, der Stadt Wien, der Medizinischen Universität Wien sowie einer Interessensgruppe von Gerichtsmedizinern angehörten.

Als gemeinsames Ziel wurde die Garantie einer nachhaltigen Qualitätssicherung in den Bereichen Forschung, Lehre und Dienstleistung auf dem sensiblen Gebiet der Obduktionen formuliert.

Zu diesen Zielsetzungen hat sich der Justizausschuss ausdrücklich bekannt (vgl. JAB 106 d. Beilagen, 39), denen der neu geschaffene § 128 Abs. 2a StPO einen geeigneten gesetzlichen Rahmen geben soll.

Nach dieser Bestimmung können künftig (ab 1.10.2009) Staatsanwaltschaften und Gerichte entweder eine Universitätseinheit für Gerichtsmedizin oder einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Gerichtsmedizin, der kein Angehöriger des wissenschaftlichen Personals einer universitären Einrichtung ist, mit der Durchführung einer Obduktion beauftragen. Wird ein universitäres Institut mit der Durchführung einer Obduktion betraut, so soll die Leitung der Universitätseinheit die persönliche Verantwortung im Sinne des § 127 Abs. 2 StPO einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter übertragen, der die entsprechende persönliche und fachliche Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen erfüllt. Die Bestellung eines bestimmten Universitätsangehörigen soll nur dann verweigert werden können, wenn wichtige Gründe dagegen sprechen (Abwesenheit, Überlastung, dringende Erledigungen anderer Art im dienstlichen Bereich udgl.). In einem Konfliktfall soll zwischen Institut und Staatsanwaltschaft bzw. Gericht Einigung über die Person hergestellt werden, an die der Auftrag übertragen wird. Die Unabhängigkeit der Gutachtenserstellung und der Sachverständigen ist weiterhin gewahrt.

Ich bin davon überzeugt, dass durch diese Regelung nach einer entsprechenden Absicherung im Dienst- und Organisationsrecht der Universitäten einerseits den Vorschlägen des Rechnungshofs, andererseits den im Begutachtungsverfahren geäußerten Bedenken Rechnung getragen wird; die Justiz hat damit ihren Beitrag für  die Erhaltung und Weiterentwicklung einer leistungsfähigen und wissenschaftlich innovativen Gerichtsmedizin geleistet.

 

. Mai 2009

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)