11860/AB XXIV. GP

Eingelangt am 20.08.2012
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

 

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

Alois Stöger

Bundesminister

 

 

 

 

GZ: BMG-11001/0179-I/A/15/2012

Wien, am 14. August 2012

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 12062/J des Abgeordneten Dr. Karlsböck und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Fragen 1 bis 2:

Während die Sectiorate 1998 in Österreich 14,6% betrug stieg sie bis zum Jahr 2009 auf 28,8% an; von 2009 (28,8%) auf 2010 (28,9%) war die Steigerung aber nur mehr sehr gering. Die WHO empfiehlt Sectioraten von 15%, da eine Erhöhung der Sectioraten zu keiner weiteren Verringerung der perinatalen Mortalität und Morbidität mehr führt.

 

 


Wesentliche Faktoren für den Anstieg der Sectioraten sind:

·        Geburtshilfliche Parameter (Anstieg der Risikofaktoren wie z.B. Alter der Mutter, IVF, Über- und Untergewicht, Diabetes, Mehrlingsschwangerschaft, Frühgeburt, Reduktion der Geburts-Komplikationsrate durch Kaiserschnitt)

·        Veränderung der Rechtsprechung (Haftung)

·        Persönliche Einstellungsveränderung , sowohl bei geburtshilflichen Teams als auch bei den Frauen (vermehrtes Sicherheitsdenken, verringerte Schwelle zum Eingriff, bessere Planbarkeit)

·        Geringerer Erfahrung von geburtshilflichen Teams (niedrige Fallzahlen einer geburtshilflichen Abteilung, geburtshilfliches Wissen geht verloren) v.a. bei schwierigen Geburtssituationen (z.B. Geburt bei Beckenendlage), bei unzureichender Erfahrung  wird eher für eine Sectio entschieden

·        Pathologisierung der Schwangerschaft

·        Veränderter Zugang zu Information (Vorbildwirkung bei Wunschkaiserschnitten)

·        Private Zusatzversicherung (die Sectiorate ist in privaten Krankenanstalten deutlich höher als in öffentlichen Krankenanstalten)

 

Die Unterschiede sind demnach auf ein komplexes Zusammenspiel von Information und Kommunikation seitens der geburtshilflichen Betreuung, Ängstlichkeit, Einstellungen sowie individueller Vorerfahrungen und Risikofaktoren, nicht jedoch nur auf ein unterschiedliches Risikoprofil der Schwangeren zurückzuführen. Es steht außer Zweifel, dass es medizinische Indikationen gibt, bei denen die Sectio wichtig und notwendig für die Gesundheit von Mutter und Kind ist. Da die Betreuung von Hebammen die Information an Frauen deutlich verbessert und damit auch Ängste nimmt, befürworte ich eine Hebammenbetreuung in der Schwangerschaft, während der Geburt und in der ersten Phase nach der Geburt.

 

Fragen 3:

Die Sectioraten in den Bundesländern variierten im Jahr 2010 zwischen 23,2% und 34,6%. Meinem Ressort liegen keine Informationen über die jeweiligen Gründe der Entscheidung für eine Kaiserschnittgeburt in den einzelnen Krankenanstalten vor. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die breite Varianz an Kaiserschnitt-raten von ökonomischen, organisatorisch-strukturellen und persönlichen (Haltung der Abteilungsleiter) Faktoren abhängig ist.

 

Fragen 4 und 5:

Auch in den nordischen Ländern und in den Niederlanden kam es in den letzten zehn Jahren zu einem Anstieg der Kaiserschnittraten, allerdings sind die Ausgangswerte ebenso wie die derzeitigen Raten niedriger als in Österreich. In den Niederlanden ist

die Geburtshilfe anders strukturiert als in Österreich, es gibt viele (Haus)Geburten, die überwiegend durch Hebammen betreut werden. In vielen nordischen Ländern ist die Vor- und Nachbetreuung einer Geburt durch eine Hebamme gängige Praxis. Die evidenzbasierte Literatur zeigt, dass hebammengeleitete Geburten im Vergleich zu ärztlich geleiteten Geburten mit einer geringeren Interventionsrate, aber dem gleichen mütterlichen und kindlichen Outcome verbunden sind.

 

Fragen 6 und 7:

Primäre und Sekundäre Sectio lassen sich nur auf Basis des Diagnosenschlüssels

ICD-10, aber nicht auf Basis des österreichischen Leistungskatalogs unterscheiden.

Da jedoch bei Aufenthalten, bei denen die medizinische Leistung „Entbindung durch Sectio Caesarea“ erbracht wird, auch andere Hauptdiagnosen als lediglich Primäre und Sekundäre Sectio erfasst werden können, lassen sich rund 20% der Leistung „Entbindung durch Sectio Caesarea“ nicht diesen beiden Hauptdiagnosen zuordnen.

 

Unter der Einschränkung, dass somit nur rund 80% der medizinischen Leistung „Entbindung durch Sectio Caesarea“ den Hauptdiagnosen (nach ICD-10) Primäre Sectio (O82.0 Geburt durch elektive Schnittentbindung, Primäre Sectio, Re-Sectio caesarea o.n.A.) und Sekundäre Sectio (O82.1 Geburt durch Schnittentbindung bei Gefahrenzustand für Mutter oder Kind, Sekundäre Sectio) zugeordnet werden können, betrug der Anteil der Leistung Sectio mit Hauptdiagnose Primäre Sectio

im Jahr 2010 österreichweit 46,4% und mit Hauptdiagnose Sekundäre Sectio 34,5% an der Anzahl der Leistung Sectio insgesamt. Weitere 19,1% der Leistung Sectio waren anderen Hauptdiagnosen zugeordnet. Die entsprechenden Zahlen und Anteile für die Jahre 2008 bis 2010 sind der Beilage zu entnehmen (die Daten für das Jahr 2011 sind derzeit noch nicht für Auswertungen verfügbar).

 

Die sich in dieser tabellarischen Darstellung zeigende höhere Anzahl an Primären Sectiones kann darauf zurückgeführt werden, dass es als günstiger angesehen wird, eine Sectio geplant unter bestmöglichen Bedingungen durchzuführen als akut im Notfall wegen einer pathologischen Entwicklung während der Geburt.

 

Frage 8:

Nach derzeitigem Kenntnisstand wird eine Sectio oft als traumatisierend empfunden, der Aufbau einer Mutter-Kind-Beziehung („bonding“) kann nach einer Kaiserschnitt-geburten länger dauern. Aus psychosomatischer Sicht stellt die Sectio eine Verhinderung des physiologischen Geburtserlebnisses dar und das Erleben der Geburt, das Sehen und das Spüren des Kindes während der Geburt fehlen. Das fehlende Geburtserlebnis wird häufig bagatellisiert, aber Frauen trauern nach einer Kaiserschnittentbindung oft um ihre verlorene Geburt und sind in ihrem Selbstwertgefühl getroffen. Hinzu kommen die Folgen der Operation wie Wundschmerz, Verwachsungen und Narbenbildung bis hin zu einer möglichen Infektion. Auch besteht bei weiteren Schwangerschaften die Gefahr einer Placenta praevia und accreta und einer damit verbundenen Komplikation. Sowohl für die Entstehung von Asthma wie auch für die Entstehung von allergischer Rhinitis wird ein Vorteil der Spontangeburt gegenüber der Sectioentbindung beschrieben. Weiters ist die Rate an Atemproblemen nach der Geburt sowie die Notwendigkeit der Aufnahme auf eine neonatologische Intensivstation signifikant höher bei Sectioentbindung im Vergleich zur vaginalen Geburt. Wird die Sectio vor der 38. Schwangerschaftswoche durchgeführt steigt das Risiko einer neonatalen respiratorischen Komplikation beim Kind deutlich an.

 

Es muss darauf hingewiesen werden, dass eine Sectio eine große Operation ist, die Risiken mit sich bringt. Ein Nach- und Umdenken muss hier angeregt werden. Die Indikation sollte immer überprüft und besprochen werden.

 

Frage 9:

Die Behandlung in Krankenanstalten hat nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft zu erfolgen. Dem Ansinnen nach einem „Wunschkaiserschnitt“ darf daher wohl nur dann entsprochen werden, wenn dessen Vornahme im Einzelfall nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft indiziert ist. Auch die Vornahme eines Kaiserschnitts aus bloß organisatorischen Gründen wäre daher unzulässig.

 

Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein Kaiserschnitt - wie jede andere Operation auch - Risiken mit sich bringt und meist ein längerer Krankenhausaufenthalt notwendig ist als nach einer Spontangeburt. Auch Spätfolgen sind zu bedenken, eine umfassende Aufklärung der Schwangeren auch über mögliche Risiken und Folgen des Eingriffs ist daher besonders wichtig.

 

Fragen 10:

Meinem Ressort liegen zu diesen Fragen keine Daten bzw. Informationen vor.

 

Fragen 11:

Als Beweggründe der Frauen, sich eine Sectio zu wünschen, gelten unterschiedliche Aspekte:

·        Ängste vor Geburtsschmerzen

·        Ängste vor einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit

·        Sorge um die Gesundheit des Kindes

·        Planbarkeit der Geburt im Bezug auf berufliche Verpflichtungen oder häusliche Rahmenbedingungen

·        Anwesenheit des/der gewünschten Arztes/Ärztin

·        Planbarkeit, Unabhängigkeit und Kontrolle des Geburtsereignisses

·        Traumatisches Erlebnis bei vorausgegangener Geburt

·        Vorbildwirkung der „Promigeburten“

Als relative Indikationen für einen Kaiserschnitt gelten:

·        Beckenendlage (BEL)

·        Mehrlingsgeburt

·        Geburtsgewicht über 4,5kg

·        Relatives Missverhältnis zwischen Becken der Mutter und Kopfgröße

·        Geburt nach einem Kaiserschnitt

·        Geburtsstillstand

·        Mütterliche Erschöpfung

·        Überlange Geburtsdauer

·        Pathologische Herztöne

 

Fragen 12:

Als wesentliches Kriterium für die Entscheidung des Geburtsmodus ist eine umfassende Aufklärung über das Nutzen-Risiko-Verhältnis zwischen primärer Sectio und vaginaler Entbindung zu nennen. Der Wunschkaiserschnitt ist häufig durch Angstgefühle motiviert. Eine gute psychosoziale Betreuung der Schwangeren durch verschiedene Berufsgruppen wie ÄrztInnen, Hebammen, PsychologInnen, usw. kann helfen diese Ängste abzubauen und eine informierte Entscheidung zu treffen. Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass zu Beginn der Schwangerschaft kaum der Wunsch nach einer Sectio besteht, gegen Ende wünschen sich aber 38% der Frauen einen Kaiserschnitt. Information, Betreuung und Begleitung Schwangerer durch z.B. eine Hebamme kann hier hilfreich sein und Ängste nehmen.

 

Fragen 13 und 14:

a)      Der Round-Table „Kaiserschnitt“ fand einmalig am 26. Jänner 2010 statt.

Die im Rahmen des Kindergesundheitsdialogs eingesetzte Arbeitsgruppe „Risikoschwangerschaft/Risikogeburt und die Folgen“ tagte zwischen

Juni 2010 und März 2011 insgesamt fünfmal. Die Arbeitsgruppen setzten sich interdisziplinär aus Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Berufs-gruppen, Einrichtungen und Bundesländer zusammen, wie Bundesministerien (Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, Bundeskanzleramt/Frauen), Ämter der Landesregierungen, Sozialversicherung, Interessen- bzw. Berufsgruppenvertretungen (insbesondere Fachgesellschaften und Berufsverbände), Leistungsanbieter/innen und ‑erbringer/innen sowie wissenschaftliche Einrichtungen zusammen.

b)     Auf Antrag wurden nicht in Wien tätigen Expertinnen und Experten die Reisekosten erstattet.

c)      Es wurden Handlungsempfehlungen zum Kaiserschnitt erarbeitet, die in die Kindergesundheitsstrategie eingeflossen sind:

·        Verstärkte Einbindung von Hebammen in die Schwangerenbetreuung

·        Erarbeitung eines Maßnahmenpaketes zur Reduktion von Kaiserschnitten

·        Schaffen von Transparenz zur Kaiserschnittrate nach Krankenhäusern

d)     und e) Eine verstärkte Einbindung von Hebammen wird derzeit bereits vereinzelt in den Bundesländern umgesetzt, z.B. als Familienhebammen.

In der Stellungnahme meines Ressorts zur letzten Novelle des Kinderbetreuungsgeldgesetzes des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend wurde auch auf die Notwendigkeit der Einbindung von Hebammen in den Mutter-Kind-Pass hingewiesen.

 

Mit der Erarbeitung eines Maßnahmenpaketes befasst sich auch eine Arbeitsgruppe des Obersten Sanitätsrates, deren Ergebnisse frühestens Ende des Jahres vorliegen werden.

 

Auch im Rahmen des Ergebnisqualitätsmessungsprojektes (AIQUI) der Bundesgesundheitskommission wird die Kaiserschnittrate als Qualitätsindikator aufgenommen.

 

 

 

Beilage

 

 


Entbindung durch Sectio Cäsarea in österreichischen Krankenanstalten

 

 

 

2008

2009

2010

 

abs.

%ANT

abs.

%ANT

abs.

%ANT

Anzahl der Leistungserbringung gesamt

21.068

100,0%

21.505

100,0%

22.243

100,0%

Davon mit Hauptdiagnose (ICD-10):

 

 

 

 

 

 

Primäre Sectiones*

9.201

43,7%

9.831

45,7%

10.320

46,4%

Sekundäre Sectiones **

7.102

33,7%

7.330

34,1%

7.676

34,5%

andere Hauptdiagnose

4.765

22,6%

4.344

20,2%

4.247

19,1%

* O82.0 Geburt durch elektive Schnittentbindung, Primäre Sektio, Re-Sectio caesarea o.n.A.

** O82.1 Geburt durch Schnittentbindung bei Gefahrenzustand für Mutter oder Kind, Sekundäre Sektio

Datenquelle: Diagnosen- und Leistungsberichte