11863/AB XXIV. GP
Eingelangt am 21.08.2012
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
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BMJ-Pr7000/0192-Pr 1/2012 |
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Museumstraße 7 1070 Wien
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Tel.: +43 1 52152 0 E-Mail: team.pr@bmj.gv.at
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Frau
Präsidentin des Nationalrates
Zur Zahl 12063/J-NR/2012
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Kolleginnen und Kollegen, haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Niederschlagungsrecht des Bundespräsidenten“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Gnadenbefugnisse des Bundespräsidenten entgegen den einleitenden Worten der Anfrage nicht als Relikt vergangener Epochen anzusehen sind. Dem Institut der Gnade kommt im demokratischen Rechtsstaat die Aufgabe zu, auf belastende, nicht unbedingt den Rechtsbrecher selbst treffende Situationen zu reagieren, die der Gesetzgeber weder gewollt noch in Kauf genommen hat. Er kann im Gesetz nur große Gruppen von Fällen generell und abstrakt regeln; für jeden in der Vielfalt des Lebens denkbaren Fall eine eigene Norm zu schaffen, ist ihm nicht möglich. Somit ist geradezu unvermeidbar, dass die korrekte Anwendung einer Vorschrift in untypischen Einzelfällen Effekte provoziert, die der Gesetzgeber nicht wollte und unter Umständen dem mit der Norm angestrebten Ziel zuwider laufen. Daher sehen praktisch alle modernen Verfassungen das Institut der Gnade in differenten Formen vor.
Meist wird die Gnadenkompetenz obersten Staatsorganen übertragen, wie in Österreich dem Bundespräsidenten. Die Verfassung räumt ihm – entsprechend dem Wesen der Gnade als Regulativ für unvorhersehbare, sich der generellen Regelung entziehende Situationen – weites Ermessen ein, hebt aber nach herrschender Ansicht seine Bindung an ihre Grundsätze nicht auf. Gnadenweise Eingriffe in den Rechtsbestand müssen daher stets den Intentionen des Gesetzgebers und dem Schutzzweck der Rechtsordnung entsprechen. Hervorzuheben ist auch, dass die Verfassung die Gnadenkompetenz des Bundespräsidenten auf einzelne Fälle beschränkt. Das Recht zur Erteilung von Amnestien, also zur Erlassung von Gesetzen, durch die größere, generell-abstrakt definierte Gruppen von Rechtsbrechern begünstigt werden, kommt hingegen dem Nationalrat zu.
Zu 1 und 2:
Der Bundespräsident hat das gnadenweise Unterbleiben der Strafverfolgung (also die Nichteinleitung eines Strafverfahrens von vornherein) seit 2001 überhaupt nicht angeordnet.
Der bisher letzte Gnadenakt, mit dem ein anhängiges Verfahren eingestellt (nach Terminologie des Art. 65. Abs. 2 lit. c B-VG niedergeschlagen) wurde, erging 2002. Die Sache befand sich seit langer Zeit im Stand der dem heutigen Ermittlungsverfahren vergleichbaren Voruntersuchung. Sie betraf einen trotz Herztransplantation dauernd vernehmungsunfähigen Beschuldigten, der im Verdacht von Wirtschaftsdelikten stand (Verbrechen bzw. Vergehen der Veruntreuung, des Betrugs, der Untreue, betrügerischen Krida und der fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach den §§ 133, 146 ff, 153, 156 und 159 StGB). Die Strafrechtsordnung sah damals keine den Fall dauernder Vernehmungsunfähigkeit regelnde Bestimmung vor. Das Verfahren hätte somit bis zum Tod des Beschuldigten anhängig bleiben müssen.
Zu 3 und 4:
Die Befugnis des Bundespräsidenten, von den Gerichten rechtskräftig verhängte Strafen zu mildern, wird von Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG weder auf eine bestimmte Zahl von Urteilen noch auf besondere Deliktsgruppen beschränkt. Der Gnade naheliegende Härten können unabhängig von der Zahl der Urteile und vom Deliktstyp auftreten. Im Justizressort wird daher nur eine Anzahlsstatistik geführt, die als Beilage angeschlossen ist. Eine Auswertung nach Deliktskategorien wäre mit einem unvertretbaren Aufwand verbunden. Ganz grundsätzlich kann aber aus der Gnadenpraxis gesagt werden, dass die weit überwiegende Zahl der Begnadigten Vermögensdelikte zu verantworten hatte. Der Anteil der Gewalttäter ist hingegen als gering einzuschätzen, jener der Fahrlässigkeitstäter hat im angefragten Zeitraum immer weiter abgenommen.
Zum besseren Verständnis der angeschlossenen Anzahlsstatistik kann ich Folgendes erläutern: Im Jahr 2002 wurden Fälle, in denen Strafgefangene außerhalb der Weihnachtsbegnadigung im Gnadenweg vorzeitig entlassen wurden, nicht gesondert gezählt. Die Statistik kann daher nur zwischen Gnadenakten durch bedingte Straf- bzw. Strafrestnachsicht im Rahmen der Weihnachtsbegnadigung (WB) und anderen Gnadenerweisen unterscheiden.
Von März 2003 bis Oktober 2008 und seit April 2010 wurden bzw. werden die Weihnachtsbegnadigungserlässe analog auf Personen angewendet, die die in diesen Vorschriften normierten Bedingungen für die Einleitung des amtswegigen Gnadenverfahrens schon im Laufe des Jahres erfüllen. Die Justizanstalten haben die betreffenden Fälle zu erfassen und das als Einzelbegnadigung (EB) bezeichnete amtswegige Verfahren einzuleiten. Kommt es zur Begnadigung, wird das vom Weihnachtsbegnadigungserlass geforderte Strafminimum meist deutlich überschritten und ein Entlassungstermin bestimmt, der den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls Rechnung trägt.
Der deutliche Anfallsanstieg zwischen 2004 und 2007 erklärt sich damit, dass Weihnachts- und Einzelbegnadigungen außer Strafgefangene auch Personen, die sich nicht in Haft befanden, betrafen. Im Jahr 2004 sollten damit für die für 2005 geplante Amnestie Erfahrungen gewonnen werden. In der Folge wurde auf die Amnestie verzichtet und die Würdigung der Jubiläen der Republik dem Gnadenverfahren überlassen. Den aus diesem Grund auf freiem Fuß Begnadigten wurden zumeist geringe Geldstrafen endgültig erlassen.
Im Herbst 2005 kamen Bundesministerin für Justiz und Bundespräsident überein, Verurteilungen wegen Verbrechens nach dem aufgehobenen § 209 StGB und verwandter Delikte im Gnadenweg zu tilgen, wenn der wesentliche Anlass ein nicht mehr strafbares Verhalten war. Die mit dieser Gnadenaktion verbundenen Arbeiten dauerten bis 2007 an und führten 2006 zu einer besonders hohen Zahl gnadenweiser Tilgungen.
Zu 5 und 6:
Zur Zahl der Fälle gnadenweiser Tilgungen oder Auskunftsbeschränkungen verweise ich wieder auf die angeschlossene Übersicht. Eine Auswertung nach Deliktstypen ist aus den genannten Gründen nicht möglich.
Zu 7 bis 9:
Die Gnadenakte des Bundespräsidenten setzen einen Vorschlag der von der an sich zuständigen Bundesregierung hiezu ermächtigten Bundesministerin für Justiz voraus. In ihnen sind Personen und Fälle, auf die sie sich beziehen, zu bezeichnen. Die aktuellen Lebensverhältnisse der Verurteilten sind ebenso darzustellen wie die Anlasstaten der Urteile, auf die sich der Gnadenakt beziehen soll. Im Fall der Niederschlagung tritt an die Stelle der Darstellung der Straftat die des Tatverdachts. Letztlich hat jeder Vorschlag auszuführen, welche Argumente im betreffenden Fall für die verfassungskonforme Gewährung der gnadenweisen Begünstigung sprechen. Wesentliche Teile der Gerichtsakten, Gnadengesuche und alle Erhebungsberichte, die vom Bundesministerium für Justiz im Gnadenverfahren eingeholt wurden, sind dem Bundespräsidenten als Beilagen des Vorschlags vorzulegen.
Zur Prüfung der Vorschläge steht dem Bundespräsidenten die Österreichische Präsidentschaftskanzlei als Hilfsorgan zur Verfügung. Er macht auch vom Recht Gebrauch, das Bundesministerium für Justiz um ergänzende Ermittlungen zu ersuchen, wenn er dies für seine Entscheidung als nötig erachtet. Ein besonderes Gremium, das ihn in Gnadensachen zu beraten hätte, sieht das Bundes-Verfassungsgesetz nicht vor.
Zu 10 und 11:
Jedes Gnadenverfahren wird in den Akten des Bundesministeriums für Justiz dokumentiert. Wenn der Bundespräsident mit einer Gnadensache befasst wird, bestehen hierüber unabhängig vom Verfahrensstand auch Akten der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei. Aus ihnen ist daher der Gang des Verfahrens ab der Vorlage des Gnadenvorschlags zu ersehen. Hat der Bundespräsident die Hemmung des Strafvollzugs für die Dauer des Verfahrens angeordnet (§ 510 StPO), hat ihm das Bundesministerium für Justiz auch dann über den weiteren Verfahrensgang zu berichten, wenn letztlich doch kein Anlass zum Gnadenvorschlag besteht.
Die Akten über Gnadensachen enthalten personenbezogene Daten zumindest der Verurteilten, über deren Begnadigung zu entscheiden war. Einsicht ist daher nur nach Maßgabe der datenschutzrechtlichen Vorschriften zulässig.
Im Übrigen erklärt § 513 StPO für die Erhebungen im Gnadenverfahren die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) und insoweit auch dessen § 17, wonach Akteneinsicht nur den Parteien des Verfahrens zusteht, für sinngemäß anwendbar, beschränkt jedoch im Sinne des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz AVG („Soweit in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist“) die Akteneinsicht für den Verurteilten selbst auf die Einsicht in die Ergebnisse der Erhebungen im Gnadenverfahren (§ 509 StPO).
Wien, . August 2012
Dr. Beatrix Karl
Begnadigung 2002 bis 2011
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Straf(rest)nachsicht |
Nachsicht von Rechtsfolgen |
Tilgung |
Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister |
Gesamt |
Tilgung, AB, Rechtsfolgenachsicht, Strafrestnachsicht 2002/03 |
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Straf-gefangene |
Verurteilte auf freinem Fuß |
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EB |
WB |
EB |
WB |
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2002 |
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456 |
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|
736 |
280 |
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2003 |
452 |
379 |
|
|
|
|
|
1124 |
293 |
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2004 |
653 |
271 |
|
1269 |
|
|
|
2476 |
283 |
|
2005 |
962 |
171 |
288 |
566 |
0 |
1 |
187 |
2175 |
|
|
2006 |
804 |
159 |
208 |
530 |
0 |
586 |
218 |
2505 |
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|
2007 |
733 |
149 |
135 |
503 |
1 |
22 |
165 |
1708 |
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2008 |
415 |
102 |
47 |
0 |
1 |
16 |
183 |
764 |
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2009 |
45 |
121 |
70 |
0 |
5 |
13 |
153 |
407 |
|
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2010 |
200 |
33 |
27 |
0 |
7 |
9 |
97 |
373 |
|
|
2011 |
203 |
46 |
21 |
0 |
7 |
3 |
80 |
360 |
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