11868/AB XXIV. GP

Eingelangt am 22.08.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

BMJ-Pr7000/0193-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

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1070 Wien

 

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Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 12072/J-NR/2012

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Peter Fichtenbauer, Kolleginnen und Kollegen, haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Anwendung des Abolitionsrechtes“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG begründet die Zuständigkeit des Bundespräsidenten zur Begnadigung einerseits der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten und andererseits zur Niederschlagung von Strafverfahren. Demnach können rechtskräftig Verurteilten Strafen erlassen oder in mildere umgewandelt, die Rechtsfolgen des Urteils nachgesehen oder Verurteilungen für getilgt erklärt werden. Diese jeweils eigenständigen Rechtsinstitute sind weder miteinander noch mit der meist als Abolition bezeichneten Niederschlagung gleichzusetzen. Die Abolition besteht in der die Staatsanwaltschaft bindenden Anordnung, die Strafverfolgung nicht einzuleiten oder in einem anhängigen Verfahren aufzugeben. Sie ist frühestens zulässig, wenn gegen bestimmte Personen ein konkreter, die Strafverfolgung rechtfertigender Tatverdacht vorliegt und kann spätestens vor der Verkündung des Urteils in der Hauptverhandlung angeordnet werden. Sie verhindert eine Verurteilung und macht die Nachsicht von Strafen und anderen Unrechtsfolgen ebenso überflüssig wie die Tilgung. Auf die übrigen Formen gnadenweiser Begünstigung wird, soweit erforderlich, in der Beantwortung der einzelnen Anfragepunkte eingegangen.

Zu 1:

Zuletzt wurde im Oktober 2002 ein Strafverfahren aboliert.

Zu 2 und 3:

Statistiken, die eine die Geschichte der Zweiten Republik umfassende Beantwortung dieser Anfragepunkte ermöglichen, liegen nicht vor.

Aussagen über die Abolitionspraxis vor 1975 sind daher ohne historische Forschung unmöglich. Von Juni 1975 bis Mai 1977 wurden insgesamt acht Strafverfahren aboliert, für die folgende Zeit bis Ende 1985 liegen keine vollständigen Aufzeichnungen vor. Jedenfalls ist von gnadenweiser Verfahrenseinstellung in vier Fällen auszugehen. Von 1986 bis 1989 wurde in acht, von 1990 bis 2012 in zwei Fällen Abolition gewährt.

Ältere Akten zeigen, dass die Abolition stets als besonders weit gehender Eingriff des obersten Organs der vollziehenden Staatsgewalt in die unabhängige Rechtspflege aufgefasst und nur selten angeordnet wurde. Zu großzügiger Anwendung des Instituts bestand auch kein Anlass. Der Nationalrat hat von 1945 bis 1995 – ausgenommen 1975 – dem Bedürfnis, Strafverfahren nicht einzuleiten oder einzustellen, durch von ihm erlassene Amnestien entsprochen. Nun wird diesem Bedürfnis weitgehend durch die Möglichkeit der diversionellen Erledigung und die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Verfolgungsverjährung Rechnung getragen.

Zu 4:

Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG beschränkt die Gnadenbefugnisse des Bundespräsidenten auf einzelne Fälle, nach Art. 66 B-VG kann er unter anderem Gnadenakte nur auf Grund eines Vorschlags der Bundesregierung oder des von dieser ermächtigten Bundesministers erlassen. Die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats sind auch im Gnadenrecht zu beachten. Die Vorschläge der (seit In-Kraft-Treten des B-VG für gerichtliche Strafsachen hiezu ermächtigten) Bundesministerin für Justiz haben daher Personen und Verfahren, auf die sie sich beziehen, konkret zu bezeichnen. Es ist darzulegen, aus welchen Gründen eine im Gesetz nicht vorgesehene Begünstigung gewährt werden könne, ohne gegen die Intentionen des demokratischen Gesetzgebers und das Gleichheitsgebot zu verstoßen.

Zu 5:

Umstände, die im Sinn der Antwort zu den Fragepunkten 2 und 3 zur Begründung von Gnadenvorschlägen herangezogen werden können, entziehen sich an sich der generell-abstrakten Definition. Dennoch ergeben sich aus den Akten mehrere Fallgruppen:

Ein besonders schlechter Gesundheitszustand des Beschuldigten hat mehrmals die Fortsetzung des Strafverfahrens als dem Gesetz fremde, daher Gnade rechtfertigende Härte ansehen lassen. Zudem kann eine geringfügige Überschreitung der Jugendliche und junge Erwachsene betreffenden Altersgrenzen oder im Fall einer Amnestie der Kalenderdaten, von denen ihr Eintritt abhängt, in einzelnen Fällen eine Härte darstellen, die Gnadenmaßnahmen rechtfertigt.

Anders als in Amnestiegesetzen wurde die Verfahrenseinstellung durch Abolition stets davon abhängig gemacht, ob die Begünstigten künftiges Wohlverhalten erwarten ließen, aber wie bei Amnestien darauf Bedacht genommen, dass das Sanktionsbedürfnis durch die seit der verfolgten Tat vergangene Zeit abgenommen hatte. Die Vorschriften der Amnestien ließen stets auch die teilweise Einstellung des Verfahrens zu, Abolition wurde hingegen nur gewährt, wenn gänzliche Aufgabe der Strafverfolgung vertretbar war.

Zu 6 bis 9:

Rechtsfolgen sind Änderungen der Rechtsstellung eines strafgerichtlich Verurteilten, die nach zahlreichen Bundes- und Landesgesetzen mit der Rechtskraft des Urteils eintreten, ohne dass es hiezu eines weiteren behördlichen Aktes bedarf. Sie bestehen im Wesentlichen im Ausschluss des Verurteilten von beruflichen Positionen und Berechtigungen, für die ein höheres Maß an Zuverlässigkeit vorauszusetzen ist.

Durch Tilgung wird das Urteil aus dem Rechtsbestand entfernt, die Rechtsfolgen erlöschen. Der Verurteilte gewinnt die Stellung eines Unbescholtenen zurück. Berechtigungen und Funktionen im privaten oder öffentlichen Bereich, die er als Folge des Urteils verloren hat, leben jedoch nur von selbst wieder auf, soweit sie nicht von einer besonderen Verleihung, Ernennung oder Wahl abhängig sind.

Dass Gnadenakte durch Tilgung oder Rechtsfolgennachsicht nicht mit solchen durch Abolition gleichzusetzen sind, wurde schon erwähnt. Eine „Tilgung der Rechtsfolgen“ ist begrifflich ausgeschlossen.

Die gesetzliche Tilgung geht von der unwiderlegbaren Vermutung aus, der Verurteilte habe sich geändert und stelle keine Gefahr mehr für seine Umgebung dar. Das Gesetz macht die Tilgung von Fristen abhängig, deren Dauer von der Zahl der Urteile und der Höhe der Strafen, ausnahmsweise auch vom Deliktstyp, bestimmt wird.

Gnadenweise Tilgung, Anordnung der Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister oder Rechtsfolgennachsicht könnten in Härtefällen angezeigt sein. Tilgung wäre zudem in Erwägung zu ziehen, wenn das Urteil ein nicht mehr mit gerichtlicher Strafe bedrohtes Verhalten betrifft oder eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Grundfreiheiten dies indiziert erscheinen lässt.

Zu 10 und 11:

Jede Statistik setzt die exakte Definition der Umstände voraus, die sie darstellen soll. Definitionen der Begriffe „Politiker“ und „Künstler“, die ohne weitere Begriffsmerkmale statistische Darstellungen zulassen würden, liegen nicht vor. Die Anfrage kann insofern nicht beantwortet werden.

Personen, die in den letzten zwanzig Jahren durch in den Massenmedien als künstlerisch oder politisch bezeichnetes Auftreten größeres öffentliches Interesse erregt haben, wurden nach Erinnerung der Mitarbeiter der zuständigen Fachabteilung des Bundesministeriums für Justiz nicht begnadigt.

Zu 12 und 13:

Jedes Gnadenverfahren ist in den Akten des Bundesministeriums für Justiz und, soweit der Bundespräsident befasst wurde, auch in denen der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei dokumentiert. Diese Akten enthalten durchwegs personenbezogene Daten. Einsicht wäre daher nur nach Maßgabe der datenschutzrechtlichen Vorschriften zu gewähren.

Im Übrigen erklärt § 513 StPO für die Erhebungen im Gnadenverfahren die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) und insoweit auch dessen § 17, wonach Akteneinsicht nur den Parteien des Verfahrens zusteht, für sinngemäß anwendbar, beschränkt jedoch im Sinne des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz AVG („Soweit in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist,“) die Akteneinsicht für den Verurteilten selbst auf die Einsicht in die Ergebnisse der Erhebungen im Gnadenverfahren (§ 509 StPO).

 

Wien,       . August 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl