12363/AB XXIV. GP

Eingelangt am 14.11.2012
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

Alois Stöger

Bundesminister

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

 

 

 

 

 

GZ: BMG-11001/0246-I/A/15/2012

Wien, am 13. November 2012

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 12707/J des Abgeordneten Doppler und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Fragen 1 und 2:

Nach den meinem Ressort vorliegenden Informationen hat es bisher keine maß­geblichen Repräsentativerhebungen für Österreich gegeben; es wird jedoch von ähnlichen Zahlen an Internetsüchtigen, wie sie für Deutschland und die Schweiz erhoben wurden (Prävalenz zwischen 1 bis 3 Prozent), ausgegangen.

Bei einer Zahl von ca. 4 Millionen Österreicherinnen und Österreichern (ab 14 Jahren), die fast täglich das Internet nutzen[1] und einer herangezogenen Prävalenzrate von 1 bis 3 Prozent kann als geschätzter Richtwert angenommen wer­den, dass zwischen 40.000 und 120.000 Internetnutzer/innen (ab 14 Jahren) eine Verhaltensstörung im Gebrauch des Mediums Internet entwickeln können.

 

Es darf an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass es in Fachkreisen generell als umstritten gilt, ob und wann von einer Internetsucht gesprochen werden kann. Das Internet stellt an sich keine Droge dar und bedingt als Medium auch keine Sucht, sondern es bedarf einer gewissen Bereitschaft von Seiten der Benutzer/innen, um suchtinduzierte Potenziale im allgemeinen Bereich des Internets aufzufinden.

Dies ist vergleichbar mit anderen menschlichen Verhaltensweisen, wie z.B. Telefonie­ren, Fernsehen, Lesen, aber auch Ernährung oder Sport, die - meist in Folge einer Grundproblematik - exzessiv ausarten und zu ernsten Problemen für die Be­troffenen selbst und deren Umgebung werden können.

 

Es gibt einen weitgehenden Konsens unter Expert/inn/en, dass Computer und das Internet im Besonderen nicht im Sinne einer generellen Technologieskepsis dä­monisiert werden sollten, da diese Technologien aus dem heutigen Alltag nicht mehr wegzudenken sind; wichtig ist, dass bereits Kinder den vernünftigen Umgang damit erlernen.

 

Auch in den üblichen Diagnosemanualen (ICD-10 bzw. DSM-IV) finden sich keine Kri­terien, die eine Diagnose der Internetsucht erlauben.

Internetsucht lässt sich daher lediglich unter dem allgemeinen ICD-Code F 63 (ab­norme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle) und hier insbesondere unter F 63.9 (abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle, nicht näher be­zeichnet) einordnen.

 

Abgeleitet von den diagnostischen Kriterien von Sucht allgemein werden in Fach­kreisen folgende Kriterien für die Diagnose von Internetsucht empfohlen:

·        Häufiges, unüberwindliches Verlangen, in das Internet einzusteigen

·        Kontrollverluste (d.h. längeres Verweilen im Internet als vorgehabt) verbunden mit diesbezüglichen Schuldgefühlen

·        sozial störende Auffälligkeit im engsten Kreis der Bezugspersonen

·        bedingtes Nachlassen der Arbeitsfähigkeit

·        Verheimlichung/Bagatellisierung der Gebrauchsgewohnheiten

·        psychische Irritabilität bei Verhinderung am Internetgebrauch

·        mehrfach fehlgeschlagene Versuche der Einschränkung.

 


Frage 3:

Wie bereits zu den Fragen 1 und 2 ausgeführt, sind meinem Ressort weder Studien noch speziell altersbezogene Daten zur Internetsucht in Österreich bekannt.

 

Ich darf jedoch an dieser Stelle auf die Erhebungen von Integral, Austrian Internet Monitor, 3. Quartal 2012[2] verweisen, wonach der höchste Anteil an Internet­nutzer/inne/n mit durchschnittlich 94 Prozent in den Altersgruppen zwischen 14 und 39 Jahren zu finden war.

Eine mögliche Ursache für diese Ergebnisse kann darauf zurückzuführen sein, dass diese Altersgruppen bereits „digital natives“ sind, die mit dem Medium Com­puter/Internet aufwachsen und dieses, im Gegensatz zu den „digital immigrants“, die sich die Nutzung im Erwachsenenalter erst aneignen müssen, automatisiert in den Alltag integriert haben und dementsprechend mehr Zeit online verbringen.

 

 

Frage 4:

Expert/inn/en gehen davon aus, dass der Brennpunkt des Denkens und der Hand­lungsintention darauf gerichtet ist, möglichst viel Zeit im Internet zu verbringen. Hier ist eine Art von Gier, auch „craving“ genannt, zu beobachten, der verbrachte Zeitrahmen am Computer kann nicht kontrolliert werden. Häufig findet sich auch das Phänomen der Toleranzsteigerung, die User/innen müssen das Benutzungsverhalten ständig intensivieren.

 

Durch dieses exzessive Verhalten können folglich psychische, soziale und auch kör­perliche Folgeschäden auftreten. Gegenüber dem Umfeld können schließlich, wie bei jeder Sucht, suchttypische Ab­wehrmechanismen - von der Verleugnung und Bagatellisierung über die Projektion bis hin zur Rationalisierung, also dem Erfinden ausgeklügelter Rechtfertigungsstrategien - auftreten.

 

 

Fragen 5 und 6:

Zunächst ist festzuhalten, dass zu einem umfassenden therapeutischen Angebot, das spezifisch auf die Problematik von Internetabhängigkeit ausgerichtet ist, neben kli­nisch-psychologischer bzw. psychotherapeutischer Therapie (Einzel-, Paar- und/oder Gruppentherapie) auch eine eigens konzipierte Sozialberatung sowie psychiatrische Konsultation/Behandlung, Einzelbetreuung bzw. -beratung für Angehörige und thera­peutische geleitete Gruppen für Angehörige gehören.

 

Fast alle Suchtberatungsstellen, ambulanten und stationären Einrichtungen bieten inzwischen entsprechende Unterstützung bei dieser Diagnose an.

Suchttherapeut/inn/en und Psychotherapeut/inn/en können bei unterschiedlichen Problemen adäquat beraten und intervenieren; je mehr Patient/inn/en mit solchen Problemen in Beratung und Behandlung kommen, desto präziser wird der Er­fahrungsstand.

Über die Fachstellen für Suchtprävention in den jeweiligen Bundesländern können Informationen über die in den Bundesländern vorhandenen und in Frage kommenden Suchtberatungsstellen bezogen werden.

 

 

Frage 7:

Psychologie, Psychotherapie und Medizin werden generell in der Praxis im Kontakt mit erfahrenen Expert/inn/en erlernt, die die Auszubildenden im Rahmen der prakti­schen Tätigkeit unterweisen und supervidieren.

 

Für bestimmte Teilbereiche ist es ferner sinnvoll, eine spezifische Ausbildung bzw. berufliche Weiterbildung anzubieten, um besondere Angebote zum theoretischen Lernen zu schaffen. Im Rahmen der derzeit in Österreich angebotenen Suchtberater/innenlehrgänge ist auch Internetsucht ein Thema.

 

Derzeit ist beispielsweise das Anton-Proksch-Institut an einem Projekt mit deutschen Zentren beteiligt, dessen Ziel es ist, ein standardisiertes Programm zur Behandlung von Internetabhängigkeit zu entwickeln und zu erproben (STICA Studie).

 

 

Frage 8:

Internetsucht ist eine relativ neue Erscheinungsform der Verhaltenssucht. Es muss daher als Ziel gelten, vor allem durch suchtpräventive Maßnahmen die Anzahl jener gering zu halten, die Probleme damit entwickeln.Prävention und Beratung werden insbesondere von den Österreichischen Fachstellen für Suchtprävention und den Suchtberatungsstellen durchgeführt. Vor allem im Kinder- und Jugendbereich werden regelmäßig Aktivitäten zur Aufklärung und Vorbeugung von diversen Süchten gesetzt.

 

Ansatzpunkte für die Präventionsarbeit im Suchtbereich richten sich vor allem an die Primärprävention, d.h. Maßnahmen, die schon im Vorfeld der Entstehung des Problems ansetzen. Zur Suchtvorbeugung sind vor allem die Reduktion von Risikofak­toren und die Stärkung der personalen sozialen Kompetenzen der Heranwachsenden, die als Schutzfaktoren gelten, indiziert.

 

Für etwaige Behandlungen besteht die Möglichkeit, diese als Leistung mit den Kran­kenkassen abzurechnen. Die Leistungspflicht der Krankenversicherung besteht gemäß § 120 Z 1 ASVG dann, wenn ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand eine Kran­kenbehandlung notwendig macht. Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist im Zusammenhang mit den Zielen der Krankenbehandlung zu sehen.


Eine Krankenbehandlung soll gemäß § 133 Abs. 2 ASVG die Gesundheit, die Arbeits­fähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen Bedürfnisse zu sorgen, nach Mög­lichkeit wiederherstellen, festigen oder bessern.

Der der Internetsucht zugrundeliegende regelwidrige Körper- oder Geisteszustand kann so gestaltet sein, dass er zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, führt, und da­mit die Krankenbehandlung notwendig macht. Das wird jedoch nicht immer der Fall sein, womit der Anspruch vom Einzelfall abhängt.

 

Wenn aber das Ausmaß der Internetsucht eine Krankenbehandlung notwendig macht, werden - wie bei jedem anderen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand - die Kosten der Behandlung von der Krankenversicherung übernommen.

 

Eine besondere Herausforderung für die Zukunft wird ferner die Anerkennung als eigenständiges Krankheitsbild in der internationalen Klassifizierung des ICD darstel­len, wobei mein Ressort bestrebt ist, den Prozess der Findung allgemeingültiger und universell verwendbarer Kriterien mitzugestalten (bis dato ist lediglich pathologisches Glücksspiel als eigenständige psychische Erkrankung im ICD anerkannt).

Schließlich ist zu betonen, dass es im Suchtbereich immer wichtiger wird, einen substanzübergreifenden und umfassenden Ansatz (legale und illegale Süchte) zu verfolgen, um neue Zugangswege zu Risikogruppen zu erlangen.

 

Von meinem Ressort wird derzeit eine Österreichische Suchtstrategie erarbeitet, die diesem Vorhaben Rechnung tragen soll und sowohl illegale als auch legale Süchte, darunter auch Verhaltenssüchte wie die Internetsucht, miterfasst. Nach den Vorga­ben und in Übereinstimmung mit dem Regierungsprogramm der Bundesregierung für die XXIV. Gesetzgebungsperiode wird hier auch ein besonderes Augenmerk auf die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen gelegt.

Diese Strategie setzt sich auf Basis der österreichischen Rahmenbedingungen mit dem Thema Sucht unter Berücksichtigung sowohl der bisherigen Erfahrungen als auch der neuen Phänomene und Herausforderungen auseinander und wird - mit be­sonderem Bezug auf Kinder und Jugendliche - die Grundlage liefern, um die sucht­politische Ausrichtung für die nächsten Jahre vorzugeben.

 



[1] INTEGRAL, Austrian Internet Monitor, rep. Österreicher/innen ab 14 Jahren, 1. Quartal 2011, n: 3000

[2] rep. Österr. ab 14 Jahren, n=2.500, http://www.integral.co.at/downloads/Internet/2012/08/AIM-Consumer_-_Q2_2012.pdf