13032/AB XXIV. GP
Eingelangt am 06.02.2013
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BM für Justiz
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BMJ-Pr7000/0302-Pr 1/2012 |
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Anfragebeantwortung
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Zur Zahl 13275/J-NR/2012
Die Abgeordneten zum Nationalrat Petra Bayr und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Verfolgung eines Mannes, der mit HIV lebt, durch die Staatsanwaltschaft trotz Einhaltung der Safer Sex Regeln“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Die in der Anfragebeantwortung zur Zl. 4941/AB XXIV GP vom 2. Juni 2010 geäußerte Rechtsauffassung wird aufrechterhalten.
Das angesprochene Verfahren der Staatsanwaltschaft Wien zur AZ 37 St 133/12i ist zunächst von der Staatsanwaltschaft Wien eingestellt worden. Infolge eines Fortführungsantrages des Opfers, in welchem dieses einen weiteren Vorwurf erhoben hat, wonach in einer bestimmten Situation die Gefahr einer Ansteckung bestanden habe, wurde das Verfahren fortgesetzt und ein Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Haut- und Geschlechtskrankheiten eingeholt. Dieser kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass bei den vom Opfer geschilderten Sexualpraktiken die Gefahr einer Infektion bestanden habe,
dies jedoch im geringen Ausmaß. Aufgrund des Ergebnisses dieses Gutachtens brachte die Staatsanwaltschaft Wien schließlich einen Strafantrag wegen § 178 StGB beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein. In der Hauptverhandlung verantwortete sich der Angeklagte dadurch, dass die inkriminierte Handlung vor der HIV-Diagnose stattgefunden habe. Der Freispruch erfolgte schließlich, weil die subjektive Tatseite nicht erweislich war und die Safer-Sex-Regeln beachtet wurden.
Zu 4 bis 6:
Die Bestimmungen der §§ 178 und 179 StGB wurden mit dem Strafgesetzbuch (StGB) BGBl. Nr. 60/1974 eingeführt und traten am 1. Jänner 1975 in Kraft. Eine spezifische Vorläuferbestimmung zu § 178 StGB gab es im davor in Kraft befindlichen Strafgesetz (StG) nicht. Mit Ausnahme der Bestimmung des § 379 StG, wonach sich eine Frau strafbar machte, die während ihrer Tätigkeit als Amme eine „schändliche oder sonst ansteckende Krankheit“ verheimlichte, konnte ein Täter für die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit nur nach dem Tatbestand der Herbeiführung einer Gemeingefahr für das Leben, die Gesundheit oder körperliche Sicherheit von Menschen (§ 87 iVm § 85 lit. b erster Fall StG) verfolgt werden. In diesem Fall musste der Täter jedoch aus Bosheit (§ 1 StG) handeln und einen konkreten Gefährdungserfolg herbeiführen. Spezifisch strafbar war im StG nur die fahrlässige Gefährdung der Gesundheit durch übertragbare Krankheiten (§ 393 StG, entspricht dem nunmehrigen § 179 StGB). Aufgrund der häufig vorkommenden Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten hielt es der Gesetzgeber daher für notwendig, auch eine spezifische Bestimmung für die vorsätzliche Begehung einzuführen.
Der Zweck des § 178 StGB liegt in der Endemie- und Epidemiebekämpfung. Die Gesamtbevölkerung soll vor Ansteckung mit bestimmten übertragbaren Krankheiten bewahrt und damit primär das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit geschützt werden.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit nach §§ 178 und 179 StGB ist, dass jene Krankheit, hinsichtlich derer die Gefahr der Verbreitung besteht, ihrer Art nach zumindest beschränkt anzeige- oder meldepflichtig sein muss. Derartige Meldepflichten ergeben sich eben nicht nur aus dem AIDS-Gesetz, sondern finden sich etwa auch im EpidemieG, GeschlechtskrankheitenG oder TuberkuloseG. Nur die Sanktionierung der Gefahr der Verbreitung derart meldepflichtiger Krankheiten – nicht nur im Geltungsbereich des AIDS-Gesetzes – vermag letztlich die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung hinreichend zu sichern. Auch bringt es die Formulierung der Bestimmung mit sich, dass auch neu entdeckte auf Menschen übertragbare Infektionskrankheiten tatbestandsmäßig werden, sofern der Gesetzgeber eine entsprechende Anzeige- oder Meldepflicht normiert.
Wenn HIV-infizierte Personen bei der Vornahme geschlechtlicher Handlungen die als generell gültige Verkehrsnormen anzusehenden allgemein anerkannten „safer-sex“-Regeln einhalten,
die im Rahmen der staatlichen AIDS-Aufklärungspolitik propagiert werden, um die Verbreitung von HIV und AIDS zu verhindern, handeln sie nicht sozial inadäquat und verwirklichen die Tatbestände der §§ 178 und 179 StGB nicht (Flora in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Sbg Kommentar zum StGB (AT), Rz 17 zu § 178). Wie bereits dem in der Anfrage „Straftatbestände der §§ 178 und 179 StGB“ (5015/J) zitierten Schreiben vom 23. Februar 2010 an die österreichische AIDS-Gesellschaft zu entnehmen ist, hat auch die aktuelle medizinische Forschung in das österreichische strafrechtliche Schrifttum Eingang gefunden. Hingegen stellt die in Mayerhofer zu WK-StGB2, Rz 4 zu §§ 178, 179, vertretene Rechtsansicht eine vereinzelt gebliebene dar, die keineswegs den derzeitigen Meinungsstand widerspiegelt.
Zwar trifft es zu, dass in Deutschland keine dem § 178 vergleichbare Rechtsvorschrift besteht. Das Fehlen einer solchen Bestimmung führte nach Entdeckung der HIV-Infektion in den 90er Jahren zu einer breiten Diskussion über die Anwendbarkeit der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte im Zusammenhang mit der Ansteckung mit HIV. Im Ergebnis qualifiziert die deutsche Rechtsprechung den ungeschützten Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten jedenfalls als (versuchte) gefährliche Körperverletzung (§§ 22, 223 f dStGB).
Die schweizerische Rechtslage unterscheidet sich insofern von der österreichischen, als Art. 231 schwStGB ein Erfolgsdelikt darstellt, weil eine tatsächliche Verbreitung der Krankheit verlangt wird. Zwar sieht der Entwurf des schweizerischen Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG) den Entfall des Tatbildmerkmals der fahrlässigen und vorsätzlichen Begehung der Verbreitung menschlicher Krankheiten bei gleichzeitiger Beschränkung auf die Begehung aus gemeiner Gesinnung vor, jedoch darf hierbei nicht vernachlässigt werden, dass das schweizerische Bundesgericht schon im Bundesgerichtsentscheid 131 IV 1 vom 27. Oktober 2004 festgehalten hat, dass die (vorsätzliche) HIV-Infektion als solche objektiv eine schwere (lebensgefährliche) Körperverletzung nach Art. 122 StGB darstellt, so der angesteckte Partner hiermit nicht ausdrücklich einverstanden war.
Vor diesem Hintergrund erachte ich eine Änderung der §§ 178 und 179 StGB für nicht geboten.
Zu 7 bis 9:
Das angesprochene Sachverhaltselement „Safer Sex“ wird im Verfahrensregister nicht erfasst und entzieht sich daher einer automationsunterstützten Auswertung. Im Hinblick auf meine bisherigen Ausführungen halte ich eine solche Eintragung für entbehrlich.
Zu 10:
Die Setzung bzw. Verstärkung gesundheitspräventiver Maßnahmen fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.
Über regelmäßig stattfindende institutionalisierte Besprechungen der Leiter der Staatsanwaltschaften mit den Experten der betroffenen Fachabteilungen des Hauses erfolgt ein regelmäßiger Wissensaustausch auch hinsichtlich neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und daraus resultierender rechtlicher Folgen. Dadurch wird eine Harmonisierung der Verfolgungspraxis gewährleistet. Aktuelle Entwicklungen - insbesondere auch im Bereich der AIDS-Forschung - finden zeitnah Eingang in das Schrifttum und stehen den unabhängig agierenden Richterinnen und Richtern als Grundlage ihrer Entscheidungsfindung zur Verfügung.
Darüber hinaus wird die Thematik zwar nicht in spezifischen Seminaren, jedoch im Zuge der zahlreichen Aus- und Fortbildungsveranstaltungen im Bereich des Strafrechts, die allen Richterinnen, Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten offen stehen, behandelt. Neue Erkenntnisse und Entwicklungen werden in diesem Rahmen gegebenenfalls weitergegeben und erörtert.
Wien, . Jänner 2013
Dr. Beatrix Karl