13106/AB XXIV. GP

Eingelangt am 13.02.2013
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

BMJ-Pr7000/0311-Pr 1/2012


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 13351/J-NR/2012

Der Abgeordnete zum Nationalrat Christian Lausch und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Insassentelefonie im Strafvollzug“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 15:

Zum Verständnis der Grundkonzeption der sogenannten „Insassentelefonie“ schicke ich voraus, dass Telefongespräche von Insassen der Justizanstalten – ähnlich wie auch Telefonate von Parteien oder Besuchern in anderen Amtsgebäuden, Bahnhöfen oder Krankenhäusern – über Münz- und Kartentelefone (Fernsprechautomaten) erfolgen. In den Tarifen für solche Münz- und Kartentelefone sind über die bloßen Verbindungsentgelte hinaus auch Grund- und Anschlussgebühren, Hardware-, Verrechnungs- und Wartungskosten etc. enthalten. Dementsprechend wird – wie in allen Amtsgebäuden üblich – behördenfremden Personen die Möglichkeit angeboten, das öffentliche Fernsprechsystem zu nutzen, ohne dass der jeweiligen Behörde (abgesehen von der internen Verkabelung) Kosten für die Errichtung dieses Systems innerhalb eines Amtsgebäudes entstehen.


Der Anforderungskatalog an die Bieter gestaltete sich wie folgt:

Vom Betreiber des Telefonsystems bereitzustellende Ausstattung bzw. Leistungen:

1.    Bereitstellung der komplett erforderlichen Hardware  (z.B.: Server, Telefonapparate, Workstations, Verkabelung,…)

2.    Bereitstellung und Installation des Telefon-Hauptsystems sowie von Produkterweiterungen und Updates 

3.    Bereitstellung der Telefon-Manager-Software

4.    Schulung der zuständigen Mitarbeiter der einzelnen Justizanstalten

5.    Wartung und Service sowie Management der Hard- und Software des Hauptsystems sowie der Workstation, insbesondere Beseitigung von Störungen

6.    Supporthotline zur Unterstützung bei auftretenden Störungen

Grundsätzliche Anforderungen:

1.      Verwendung von handelsüblichen Telefonwertkarten oder diesen gleichwertigen Telefonwertkarten

2.      Anlegen von zugeordneten Personendaten, auf die ausschließlich nur die Justizanstalten zugreifen können

3.      Autorisierung durch PIN

4.      Herstellung eines Telefonkontaktes nur bei Anwählen von bewilligten Rufnummern mit zugehörigen Personendaten (Schwarzlistensystem)

5.      Sperre von besonders geschützten Telefonnummern (Rettung, BMJ, 0800er Rufnummern,…)

6.      Festlegung von Betriebszeiten

7.      Sperre von Rufumleitungen

8.      Rufnummernunterdrückung bei ausgehenden Telefonaten

9.      Festlegung der Parameter (Gesprächszeit/Betrag/Anzahl pro Insasse/Tag/Monat)

10.   Speicherung von > 5 Kurzwahlnummern pro Insassen

11.   Tarifanzeige und Gesprächsgebührenanzeige am Display der Telefoneinheit

12.   Kosten- und tariffreie Systembegleitung in der Muttersprache des Insassen vor dem Wählvorgang in zumindest folgenden 12 verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Türkisch, Polnisch, Französisch, Vietnamesisch, Serbokroatisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, Arabisch, Rumänisch)

13.   Anlegemöglichkeit von > 50.000 Insassenkonten pro Justizanstalt


14.   Sperre der Rückruffunktion

15.   Sperre der Karte bei Manipulation

16.   Datenabspeicherung und Rückerfassung bei Strafvollzugsortsänderung

17.   Datenabspeicherung ausschließlich auf den lokal in der jeweiligen Justizanstalt befindlichen Anlagen

18.   Schnittstellenfähigkeit mit der elektronischen Insassenverwaltung (IVV) der österreichischen Strafvollzugsverwaltung sowie dessen Modul Gefangenengelderverrechnung (GGV)

19.   Netzwerkfähigkeit

Anforderungen zur Gewährleistung der Erfüllung der relevanten gesetzlichen Regelungen sowie der Sicherheitsinteressen:

1.      Vorabkontrolle durch die Datenschutzkommission (§ 10 Abs. 2 DSG 2000)

2.      Protokollierung der Gesprächsverbindungsdaten

·       Name des Insassen

·       gewählte Rufnummer und Personendaten

·       Datum und Uhrzeit

·       Dauer des Gesprächs

3.      Grundsätzlich keine automatisierte Aufzeichnung von Gesprächsinhalten

4.      Der Telekommunikationsanbieter hat gerichtlichen Beschlüssen zu entsprechen und ist hierzu zu befähigen.

5.      Im Bedarfsfall Rufnummern zugeordnete Aufzeichnung von Gesprächen mit möglicher Parallelschaltung zu autorisierten Personen (z.B.: Untersuchungsrichter)

6.      Mithöreinrichtung mit mechanischer Gesprächsunterbrechungsfunktion

7.      Im Bedarfsfall zentrale Speicherung der Gespräche mit automatisch generierter Personenzuordnung in der Datenbank der Telefonanlage

8.      Anfügen von Zusatzinformationen, Notizen, Dokumenten

9.      Datenspeicherung auf CDs und Weiterleitung der Daten mittels PC/Mail

10.   Kopierschutz der gespeicherten Daten und Aufzeichnungen

11.   Generelle Sperre der Gesprächsaufzeichnung bei speziell gekennzeichneten Rufnummern (z.B.: Rechtsanwälte, öffentliche Stellen, allgemein anerkannte Vereinigungen und Einrichtungen der Insassenberatung und Entlassenenbetreuung)

12.   Im Telefonsystem müssen alle Daten gemäß § 15c StVG gelöscht werden können. Dazu wäre ebenfalls eine Schnittstelle mit der Integrierten Vollzugsverwaltung (IVV) einzurichten.


13.   Selektive Apparatezuweisung: An Insassen können unterschiedliche Telefonapparate-Standorte „zugewiesen“ werden.

14.   Telefonnummernabgleich: Die Telefonanlage kontrolliert selbsttätig, ob Telefonnummern bereits vom System erfasst sind. Im positiven Fall muss das Telefonsystem den Genehmigenden darauf aufmerksam machen, dass die Telefonnummer bereits im System enthalten ist.

Die Teilnahmebedingungen sahen unter anderem vor, dass der Preis einer Tarifeinheit, die Taktlängen sowie die Tarifzonen und Tarifzeiten für ein Gespräch des Insassen über dieses Telefonsystem, wie bei allen bisherigen 133 Endgeräten während der Vertragslaufzeit der jeweiligen Tarifstruktur für öffentliche Münz- und Kartentelefone der Telekom Austria AG entsprechen sollten.

Dementsprechend sollte der Betreiber dieser Telefonanlage Leistungen für Dritte (Insassen) entgeltlich zur Verfügung stellen und der Bund (die Strafvollzugsverwaltung) im Gegenzug die Möglichkeit haben, Zusatzfunktionen dieser Telefonanlage zu nutzen. Dem Anbieter sollten die Errichtung und der Betrieb entsprechender Anlagen ermöglicht werden, der Strafvollzugsverwaltung im Gegenzug die Möglichkeit, Gespräche zu limitieren, zu überwachen und erforderlichenfalls aufzuzeichnen.

Anschaffungskosten sind aufgrund dieses Modells nicht entstanden. Der Vollzugsverwaltung entstehen durch den Betrieb der Insassentelefonieanlagen auch keine laufenden Kosten wie Wartungskosten oder Telefongebühren.

Im Zusammenhang mit der Ausschreibung wurden für ein externes Rechtsgutachten fünf Stunden à 114,40 Euro zzgl. USt. in Rechnung gestellt. Weitere Kosten sind im Zuge der Durchführung des Wettbewerbes nicht angefallen.

Vom Bundesministerium für Justiz wurden jene fünf Unternehmen zur Teilnahme eingeladen, die über die ausgereiftesten anforderungsgemäßen Produkte verfügten. Innerhalb der Anbotsfrist langten drei Anbote ein. In den darauf folgenden mündlichen Verhandlungen mit diesen Bewerbern wurde bei allen drei Teilnehmern die vollständige Erfüllung des technischen Anforderungsprofils sowie die Gleichwertigkeit der vertraglichen Konditionen festgestellt und entschieden, Teilvergaben, die sich an regionalen Anknüpfungspunkten orientieren, anzubieten. Diese Anbote wurden von den drei Bewerbern vollinhaltlich angenommen und ein Rahmenvertrag unterfertigt, der mit Anfang 2007 in Kraft trat. Der Vollständigkeit halber darf darauf hingewiesen werden, dass das Insassentelefonsystem eines der Anbieter in zahlreichen europäischen Ländern seit vielen Jahren in Justizanstalten eingesetzt wird.


In weiterer Folge haben die drei Unternehmen mit den einzelnen Justizanstalten die erforderliche Anzahl an Sprechstellen festgelegt, ihre Systemkomponenten in der jeweiligen Justizanstalt aufgestellt und diese Anlagen in Betrieb genommen. Die Abwicklung obliegt den einzelnen Justizanstalten. Die Umstellung erfolgte im Wesentlichen in den ersten Monaten des Jahres 2007. Die Verkabelung von den Systemkomponenten zu den Sprechstellen – soweit sie nicht schon von der vorherigen Anlage vorhanden war – wurde von den Justizanstalten selbst hergestellt. Die Kosten dieser von Anstalt zu Anstalt variierenden Eigenleistung können nicht gesondert herausgerechnet und ausgewiesen werden. Abgesehen von diesen Kosten und dem Honorar für das bereits erwähnte Rechtsgutachten ist der Straf- und Maßnahmenvollzugsverwaltung jedenfalls kein weiterer finanzieller Aufwand für die Installation des Telefoniesystems entstanden.

Welche Hardwarekomponenten diese drei Unternehmen für ihre Systeme verwenden, ist mir nicht bekannt. Ich kann daher auch nicht angeben, ob diese von verschiedenen Unternehmen bereit gestellt werden und ob diese untereinander in Kontakt stehen.

Laut einer Erhebung im Jahr 2011 waren österreichweit 346 Sprechstellen in Betrieb, die sich auf die einzelnen Justizanstalten wie folgt verteilen:

Zu 16 bis 18 und 25:

Eine umfassende und zentrale Aufzeichnung von Störfällen der Anlagen bzw. einzelner Apparate findet nicht statt, zumal deren Behebung bzw. Abwicklung über den Anbieter den einzelnen Justizanstalten obliegt. Störfälle können mit Manipulationsversuchen durch Insassen, Softwarefehlern, Hardwareausfällen oder Störungen im allgemeinen Telefonnetz zusammenhängen.

Soweit einzelne Anstalten bei verschiedenen Gelegenheiten, zB. aus Anlass von Beschwerden einzelner Insassen gegenüber der Volksanwaltschaft, über technische Probleme bzw. Störungen berichtet haben, werden diese Berichte nicht zentral erfasst.

Schriftlich hat sich die Justizanstalt Stein mit Schreiben vom 13. Mai 2011 wegen des gehäuften Auftretens von Störfällen an die Vollzugsdirektion gewandt. Diese Störfälle konnten dann vom Anbieter eingedämmt werden. Soweit überblickbar konnten keine weiteren schriftlichen Meldungen zu Störfällen eruiert werden.


Dem Bundesministerium für Justiz liegt ferner ein Bericht über Störungen vor, den die Justizanstalt Wr. Neustadt im Juli 2012 übermittelt hat. Darin wurden potenzielle Möglichkeiten des Missbrauchs des aktuellen Insassentelefoniesystems aufgezeigt. Soweit überblickbar liegen keine weiteren schriftlichen Meldungen zu Missbrauchsfällen vor.

Eine statistische Erfassung von bekannt gewordenen „Missbrauchsfällen“ findet nicht statt. Der Art nach ist ein Missbrauch einerseits (inhaltlich) durch unerlaubte Kontaktaufnahmen, andererseits aber auch (technisch) durch „schlichte“ Manipulationen an den Automaten zur Erschleichung der Leistung denkbar.

Es können aber technische Einstellungen in den Telefoniesystemen vorgenommen werden, die geeignet sind, die missbräuchliche Verwendung der Telefonieanlage einzuschränken:

·         Zeitliche Begrenzung von Einzelgesprächen

·         Zeitliche Regelungen, wann das Telefonieren von welchen Apparaten aus möglich ist

·         Limitierung von Gesprächen über die Telefonkosten

Ein lückenloser Ausschluss ist mit vertretbarem Personalaufwand aber nicht möglich.

Weiters können einzelne (genehmigte) Telefonnummern wieder gesperrt oder der Zugang zur Insassentelefonie generell deaktiviert werden.

Um Manipulationsversuchen von Insassen entgegenzuwirken, wurden beim aktuellen Insassentelefoniesystem alle drei Anbieter verpflichtet, folgende Konstellationen zu unterbinden:

·         Manipulationsversuche an den Telefonapparaten durch mehrmaliges, schnelles Betätigen der Hörergabel bzw. Klopfen auf der Tastatur

·         Weiterleitungsmöglichkeiten über Drittanbieter (0800er und 0900er Telefonnummern)

·         DTMF-Nachwahlmöglichkeit (Bedienung von Mobilboxen und Anrufbeantwortern)

·         sechsstellige HNR-Nummern (PIN-Code) und Eingabe von unbegrenzt langen Zahlenreihen

Diese Vorgaben wurden von den drei Anbietern umgesetzt, wodurch die Telefonsysteme bei solchen Missbrauchsversuchen sofort automatisch das Gespräch unterbinden bzw. auf Störung schalten und neu booten.

Darüber hinaus können in den Justizanstalten im Einzelfall auch Ordnungsstrafen durch den Anstaltsleiter verhängt werden. Da Ordnungsstrafen noch nicht zentral elektronisch erfasst (und deshalb auch nicht abgefragt) werden können, ist eine exakte statistische Aussage derzeit nicht möglich.


Zu 19:

Alle Systeme bieten die technische Möglichkeit, Telefongespräche zu überwachen und aufzuzeichnen. Ebenso ist eine direkte optische und akustische Überwachung durch den Justizwachebeamten bzw. die Justizwachebeamtin möglich.

Zu 20 bis 22:

Bei Untersuchungsgefangenen werden Rufnummern vom Gericht bzw. der Staatsanwaltschaft geprüft und genehmigt. Eine weitere Überprüfung durch die Justizanstalt ist daher nicht erforderlich. Bei Strafgefangenen obliegt die Prüfung bzw. Genehmigung einer Telefonnummer der jeweiligen Justizanstalt. Wenn etwa der Inhaber einer Geheimnummer nicht hinreichend identifiziert werden kann, ist eine Sperre dieser Rufnummer für den jeweiligen Insassen möglich. Dies gilt auch für ausländische Geheimnummern.

Zu 23:

Mit den technischen Möglichkeiten des Insassentelefoniesystems lassen sich die Missbrauchsmöglichkeiten weitgehendst einschränken. Ein absoluter Ausschluss eines Missbrauchs – der etwa darin bestehen kann, dass sich unter einer bewilligten Rufnummer ein anderer Teilnehmer als der „genehmigte“ meldet – ist mit einem vertretbaren wirtschaftlichen Aufwand kaum möglich. Man kann aber einen solchen Missbrauch durch aktive Gesprächsüberwachung (Mithören) verbunden mit limitierter Nummernfreigabe massiv erschweren.

Zu 24:

Im Jahr 2011 hat ein Bediensteter der Justizanstalt Wien–Josefstadt über vermeintliche Sicherheitsmängel im Rahmen der Insassentelefonie an die Vollzugsdirektion berichtet. Dieses Schreiben wurde von der Vollzugsdirektion am 13. Mai 2011 der Anstaltsleitung mit dem Ersuchen retourniert, den geäußerten Bedenken im eigenen Wirkungsbereich nachzugehen und im eigenen Wirkungsbereich Abhilfe zu schaffen. Mit Schreiben vom 7. Jänner 2013 langte eine ähnliche Eingabe auch beim Bundesministerium für Justiz ein.

Wien,         . Februar 2013

 

 

Dr. Beatrix Karl