1615/AB XXIV. GP

Eingelangt am 29.05.2009
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN

            FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0113-Pr 1/2009

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 1583/J-NR/2009

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Harald Stefan und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Überprüfung von Geschworenenurteilen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 6:

Gegen Urteile der Geschworenengerichte stehen gemäß § 344 StPO die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung offen. Auch gegen Urteile der Landesgerichte als Schöffengerichte stehen diese Rechtsmittel zur Verfügung (§ 280 StPO). Während die Nichtigkeitsbeschwerde die in § 345 bzw. § 281 StPO aufgezählten materiellen und formellen Fehler erfasst, versteht sich die Berufung als Rechtsmittel gegen das Strafausmaß und gegen Maßnahmen. Gegen Urteile der Bezirksgerichte und der Landesgerichte als Einzelrichter können mit der sogenannten Schuldberufung ganz allgemein Fehler in der Beweiswürdigung geltend gemacht werden, die zur Feststellung von tat- und schuldrelevanten Tatsachen geführt haben (§§ 464 Z 2, 489 Abs. 1 StPO). Mit den Nichtigkeitsgründen nach § 281 Abs. 1 Z 5 und 5a sowie nach § 345 Abs. 1 Z 10a StPO lässt sich in eingeschränktem Umfang auch die Beweiswürdigung eines Urteils eines Geschworenengerichtes bzw. eines Schöffengerichtes bekämpfen.

Bundes-Verfassungsgesetz (Art. 91 Abs. 2 B-VG) und Strafprozessordnung überantworten den Geschworenen die Entscheidung über die Schuld; eine umfängliche Überprüfung der Beweiswürdigung durch Berufsrichter stünde zu dieser Wertung des Gesetzgebers in einem Spannungsverhältnis.

Zu den näheren Einzelheiten darf ich auf das einschlägige Schrifttum verweisen (etwa Bertel/Venier, Strafprozessrecht 2. Auflage, Rz 486 ff., Seiler, Strafprozessrecht 9. Auflage, Rz 991 ff.; Fabrizy, StPO 10. Auflage; Ratz in WKStPO, Vorbem zu §§ 280 bis 296a; Steininger, Handbuch der Nichtigkeitsgründe 5. Auflage, Rz  43 ff., jeweils mit weiteren umfangreichen Literaturnachweisen).

Zu 7 bis 17:

Ich habe bereits bei mehreren Gelegenheiten erklärt, dass mir die Reform der Geschworenengerichtsbarkeit ein besonderes Anliegen ist. Dabei geht es mir in erster Linie darum zu gewährleisten, dass Urteile über die schwersten und bedeutendsten Straftaten auch in einer Weise begründet werden, die eine nachprüfende Auseinandersetzung und Kontrolle ermöglicht. Die gemeinsame Beratung von Berufs- und Laienrichtern auch über die Schuldfrage wäre dazu erforderlich. Gerade im Strafrecht, dessen Wirksamkeit in besonderem Ausmaß von der Akzeptanz der Bevölkerung abhängt, halte ich es für wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger an der Rechtsprechung mitwirken. Angesichts der hohen Qualität der österreichischen Justiz halte ich jedoch Sorgen vor einer Kabinettsjustiz, wie im 19. Jahrhundert, die auf das „Metternichsche Staatssystem“ des Vormärz zurückgehen und die Anlass für die Einführung der Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich waren, nicht mehr für gerechtfertigt.

Die in der Rechtswissenschaft vertretenen und zum Teil in der Anfragebegründung zitierten Meinungen zur Geschworenengerichtsbarkeit sind mir bekannt. Ausgangspunkt meiner Überlegung ist, dass selbst Befürworter der Geschworenengerichtsbarkeit, wie z.B. em o Univ. Prof DDr. Manfred Burgstaller einen Reformbedarf anerkennen (was etwa die Auswahl der Geschworenen und die Öffentlichkeit der Rechtsbelehrung; aber auch die Voraussetzungen für die Aussetzung des Wahrspruchs betrifft). Auf diesem Konsens möchte ich aufbauen und weiter für meine Überlegungen werben. Daher ist es mir auch ein Anliegen, Expertenmeinungen einzuholen, was zu gegebener Zeit, nämlich dann, wenn die Überlegungen in ein konkreteres Stadium getreten sind,  auch geschehen wird.

Ich halte auf diesem Gebiet ein schrittweises Vorgehen für sinnvoll, weshalb zunächst das Geschworenenverfahren in erster Instanz reformiert werden soll. Darauf aufbauend soll – auch in Entsprechung des Regierungsprogramms für die XXIV. Gesetzgebungsperiode – eine Reform des Rechtsmittelverfahrens eingeleitet werden, deren Ausgestaltung im Wesentlichen von der Frage abhängt, ob Urteile der Geschworenengerichte künftig zu begründen sein werden.

. Mai 2009

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)