1678/AB XXIV. GP

Eingelangt am 10.06.2009
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BM für Verkehr, Innovation und Technologie

Anfragebeantwortung

GZ. BMVIT-13.000/0004-I/PR3/2009    

DVR:0000175

 
 


An die

Präsidentin des Nationalrats

Mag.a  Barbara PRAMMER

Parlament

1017    W i e n

 

Wien, am     . Juni 2009

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Moser, Freundinnen und Freunde haben am 15. April 2009 unter der Nr. 1676/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Vorratsdatenspeicherung (Data Retention) gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Frage 1:

Ø      Welches Fazit haben Sie bzw. hat Ihr Vorgänger/Ihr Ressort aus den im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zum BMVIT-Gesetzesentwurf für die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich zwischen April und Juli 2007 eingegangenen Stellungnahmen gezogen?

 

Auf Grund der erheblichen Bedenken gegen das Vorhaben wurde vor Setzung weiterer Schritte versucht, auf politischer Ebene zwischen den beteiligten Ressorts eine Lösung zu finden. Da dies erfolglos war, konnte vor den Nationalratswahlen kein neuer Gesetzesentwurf mehr ausgearbeitet werden.


Frage 2:

Ø      Haben Sie mittlerweile einen Auftrag für einen neuen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ins nationale Recht an das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte erteilt, wenn ja wann?

 

Der Vertrag zur Ausarbeitung von legislativen Vorschlägen zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG über Vorratsdatenspeicherung wurde mit dem Ludwig Boltzmann Insitut für Menschenrechte am 14. April abgeschlossen.

 

 

Frage 3:

Ø      Welche Ressorts und Institutionen sollen in der diesbezüglich geplanten Arbeitsgruppe vertreten sein?

 

Neben den vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte an dem Projekt beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern umfasst der Auftrag auch die Abhaltung von „runden Tischen“ mit allen in Betracht kommenden Interessensgruppen, der Branche und den betroffenen Ressorts. Die Zusammensetzung der Gruppen wird bewusst nicht von mir beeinflusst, sondern vom Ludwig Boltzmann Institut bestimmt, damit in keiner Phase des wissenschaftlichen Auftrags politische Interessen die Unabhängigkeit der Wissenschafter/innen beeinflussen.

 

 

Frage 4:

Ø      Welche Gesetze bzw. Gesetzesänderungen über eine Änderung des TKG hinaus sind Inhalt dieses Auftrags bzw. werden Inhalt dieses Auftrags sein?

 

Der Auftrag an das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte lautet, legislative Vorschläge zur Umsetzung der gegenständlichen Richtlinie auszuarbeiten. Teil dieser Leistung wird die Beantwortung der Frage sein, in welche ministeriellen Zuständigkeiten die von der Richtlinie geregelten Gegenstände fallen und in/mit welchen Gesetzen diese umzusetzen sind.

 

 

Frage 5:

Ø      Wie sieht der weitere Zeitplan aus:

a) Bis wann ist mit einem Vorentwurf für eine interne Vorbegutachtung zu rechnen? b) Wer wird in diese interne Vorbegutachtung einbezogen werden? c) Bis wann ist mit einem Entwurf für ein offenes Begutachtungsverfahren zu rechnen? d) Bis wann ist mit einer Regierungsvorlage bzw. einem Regierungsparteien-Initiativantrag zu rechnen?

 

Das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte wird seine Vorschläge spätestens zum 11. September 2009 vorlegen.

Die weiteren Schritte hängen von der Art und dem Inhalt der vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte vorgelegten Vorschläge ab, daher kann noch kein Zeitplan angegeben werden.

 

 

Fragen 6 bis 9:

Ø      Werden Sie – wie von Ihrem Amtsvorgänger gelegentlich angekündigt – daran festhalten, die Vorratsdatenspeicherungs-RL nur in einer absoluten Minimalvariante umzusetzen?

Ø      Wenn ja, welche Eckpunkte sehen Sie im einzelnen für eine solche absolute Minimalvariante?

Ø      Welche Daten im einzelnen sollen in welchem zeitlichen und sonstigen Umfang von einer Speicherung im Rahmen einer solchen „absoluten Minimalvariante“ erfasst werden?

Ø      An wen und in welchem Umfang soll wer unter welchen Rahmenbedingungen Auskünfte über diese gespeicherten Daten geben können?

 

Ich werde daran festhalten, dass ausschließlich diejenigen Daten, die in der umzusetzenden Richtlinie angeführt sind, der Speicherverpflichtung unterliegen und dass diese im Gesetz taxativ aufgezählt werden. Bedauerlicherweise ist die Richtlinie gerade im Bereich der Internetdaten sehr unpräzise, sodass die davon erfassten Datenarten einer gesetzlichen Spezifizierung bedürfen. Auch diesbezüglich soll das Ludwig Boltzmann Institut grundrechtskonforme Vorschläge vorlegen oder nachweisen, dass eine grundrechtskonforme Umsetzung nicht möglich ist.

Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Zugang zu diesen Daten ausschließlich unter den Voraussetzungen und Bedingungen für eine Überwachung einer Telekommunikation gemäß den Bestimmungen der §§ 149a ff. StPO erfolgen darf, damit die gleich strengen Regeln zur Anwendung kommen, wie sie für eine Überwachung des Inhalts von Nachrichten vorgesehen sind.

Weiters werde ich dafür eintreten, dass keine andere als die nach den Vorgaben der Richtlinie kürzestmögliche Speicherdauer von sechs Monaten festgelegt wird.

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie fordert, dass die zu speichernden Daten jedenfalls für Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen. Anlässlich der Annahme der Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments zur gegenständlichen Richtlinie am 21. Februar 2006 forderte der Rat in einer Ratserklärung, dass die Mitgliedstaaten bei ihrer Definition von „schwerer Straftat“ die in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl genannten Straftaten sowie Straftaten unter Einsatz von Telekommunikationseinrichtungen angemessen zu berücksichtigen haben.

Ich werde mich daher dafür einsetzen, dass die gesetzlich festzuschreibende Definition der „schweren Straftat“ die in dem genannten Rahmenbeschluss getroffene Definition nicht überschreitet.

 

 

Fragen 10 und 11:

Ø      Welche budgetäre Vorsorge ist für die Kostentragung für eine evtl. Vorratsdatenspeicherung für 2009 und 2010 getroffen?

Ø      Falls keine budgetäre Vorsorge getroffen wurde: Gehen Sie folglich davon aus, dass die beträchtlichen Kosten einer evtl. Vorratsdatenspeicherung auf die Wirtschaft bzw. auf die VerbraucherInnen überwälzt würden?

 

Seitens des BMVIT ist keine budgetäre Vorsorge getroffen worden. Teil des Auftrages an das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte ist es, auch einen Vorschlag betreffend eine Finanzierungsbestimmung nach dem Verursacherprinzip auszuarbeiten.

 

 

Fragen 12 bis 15:

Ø      Was haben Sie – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen Ressorts – im einzelnen unternommen, um die EMRK-Konformität der EU-Richtlinie 2006/24/EG beurteilen zu lassen?

Ø      Wurde diese Frage im Vorfeld der Zustimmung Österreichs zur Richtlinie im Rat im Jahr 2006 mit Gutachten o.dgl. abgeklärt, wenn nein warum nicht?

Ø      Was haben Sie bzw. Ihr Amtsvorgänger Werner Faymann – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen Ressorts – seit August 2007 im einzelnen unternommen, um eine Änderung der Richtlinie zu erreichen, nachdem Ihr Amtsvorgänger die Richtlinie in einer Parl. Anfragebeantwortung als „nicht vollkommen unberechtigt“ – somit im Umkehrschuss also als „weitgehend unberechtigt“ – charakterisierte?

Ø      Falls Sie nichts unternommen haben – warum nicht?

 

Die österreichische Haltung in den Verhandlungen in den Gremien der Europäischen Union wurde in einem Koordinierungsprozess erarbeitet. Die Federführung in diesem Prozess oblag dem Bundesministerium für Justiz. Ergebnis dieses Koordinierungsprozesses war eine schriftliche Stellungnahme der Republik Österreich an die zuständige Arbeitsgruppe des Rates der EU (Dok.Nr.12621/04 COPEN 110 TELEKOM 144). Die Richtlinie wurde auf EU-Ebene im Rat der Justiz und Innenminister verhandelt.

 

Aus Anlass des Mahnschreibens der Europäischen Kommission wegen der Nichtumsetzung der gegenständlichen Richtlinie zum 15. September 2007 ersuchte das Bundesministerium für Justiz im Dezember 2008 das Bundeskanzleramt – Verfassungsdienst um Stellungnahme, ob der Einwand einer allfälligen Grundrechtswidrigkeit der Richtlinie mit Erfolg im Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH erhoben werden könnte. In seinem Gutachten kommt das Bundeskanzleramt – Verfassungsdienst zum Ergebnis, dass der Einwand des Verstoßes der Richtlinien im Vertragsverletzungsverfahren gegen Art 8 EMRK, wie auch die Einrede der Rechtswidrigkeit der Richtlinie (das Verfahren des EUGH zu C-301/2006 war noch nicht abgeschlossen) oder das Vorliegen eines inexistenten Rechtsakts nicht erfolgversprechend aufgegriffen werden könne. Das Bundeskanzleramt – Verfassungsdienst bejaht einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht auf Privatsphäre durch die Richtlinie 2006/24/EG, und unterstreicht, dass ein solcher nur in den Grenzen des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig sei.

 

 

Frage 16:

Ø      Wie beurteilen Sie die Sachlage angesichts der Äußerung des deutschen Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27.2.2009, wonach die umfassende Speicherung aller Telekommunikationsdaten ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz sei und die EU-Richtlinie gegen die EMRK verstoße?

 

Zu dieser Frage darf ich darauf hinweisen, dass es sich bei dieser Äußerung um die Äußerung einer deutschen Behörde handelt und eine abschließende Beurteilung der Frage, ob die in der gegenständlichen Richtlinie vorgesehene Speicherung von Daten einen Grundrechtsverstoß darstellt, ausschließlich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgen kann.

 

 

Frage 17:

Ø      Ist Ihnen die Stellungnahme des – konservativ dominierten! – Deutschen Bundesrats vom 6.3.2009 bekannt, in der dieser gravierende Bedenken zur Vereinbarkeit bestimmter weitreichender Protokollierungen und Auswertungen mit den „hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ äußert? Welche Konsequenzen werden Sie daraus als Spitzenrepräsentantin einer nicht-konservativen Partei in Ihren einschlägigen Vollzugs-Aktivitäten ziehen?

 

Österreich ist als Mitgliedsstaat der Europäischen Union dazu verpflichtet, die gegenständliche Richtlinie umzusetzen. Wie bereits zu den Fragen 6 bis 9 ausgeführt, werde ich für die Umsetzung der Richtlinie in der gelindest möglichen Form eintreten. Maßstab für die Umsetzung ist die Grundrechtsordnung.

 

 

Frage 18:

Ø      Ist Ihnen bekannt, dass der EuGH Anfang Dezember 2008 in einem Urteil die „flächendeckende und unterschiedslose Natur der Befugnisse zur Vorratsspeicherung der Fingerabdrücke, Zellproben und DNA-Profile“ Verdächtiger als „unverhältnismäßigen Eingriff“ bezeichnet hat, was analog für flächendeckende und unterschiedslose Eingriffe in andere Grundrechte wie bei der Vorratsdatenspeicherung ebenso gelten muss?

 

Die Anwendbarkeit dieser Entscheidung auf andere Sachverhalte kann nur der Gerichtshof selbst beurteilen.

 

 

Frage 19:

Ø      Werden Sie dem Datenschutz, dem Schutz des Privatlebens gemäß EMRK und der Konformität mit der Österreichischen Bundesverfassung den gebotenen absolut vorrangigen Stellenwert in Ihrer Tätigkeit zu diesem Thema einräumen?

 

Ja. Ziel ist, ungeachtet der Umsetzungsverpflichtung den Schutz der Grundrechte maximal zu garantieren.