1692/AB XXIV. GP
Eingelangt am 15.06.2009
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0121-Pr 1/2009
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 1675/J-NR/2009
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Vorratsdatenspeicherung (Data Retention)“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 19:
Die Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 „über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG“ fällt in die Zuständigkeit der Frau Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie.
Diese Zuordnung wird auch durch das Urteil des EuGH vom 10.2.2009 in der Rechtssache C-301/06 über die Nichtigkeitsklage Irlands zur gegenständlichen Richtlinie 2006/24/EG unterstrichen. Der EuGH stellt ausdrücklich fest, dass sich die Richtlinie zu Recht auf Art. 95 EGV stützt, weil die Harmonisierung von Verpflichtungen der Anbieter zur Speicherung von Daten (Art von Daten, Speicherfristen) und nicht die Abfrage dieser Daten zu Strafverfolgungszwecken geregelt werde. Die Bestimmungen der gegenständlichen Richtlinie erzeugen daher auch keine unmittelbaren strafprozessualen Umsetzungsverpflichtungen.
Der Zuständigkeitsbereich meines Ressorts (und mein Vollziehungsbereich) wird bloß von den Fragen 13 bis 15 betroffen, im Übrigen darf ich auf die Beantwortung der an die Frau Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie gerichtete Parallelanfrage verweisen:
Der Ursprung der Richtlinie 2006/24/EG liegt in dem im Frühjahr 2004 durch Frankreich, Irland, Schweden und Großbritannien vorgelegten Entwurf eines Vorschlags für einen Rahmenbeschluss über die Vorratsspeicherung von Daten, die in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlicher elektronischer Kommunikationsdienste verarbeitet und aufbewahrt werden, oder von Daten, die in öffentlichen Kommunikationsnetzen vorhanden sind, für die Zwecke der Vorbeugung, Untersuchung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich Terrorismus. Der Vorschlag wurde schließlich in den zuständigen Gremien des Rates der Europäischen Union sowie im Europäischen Parlament behandelt. Im Laufe des Jahres 2005 hat die Europäische Kommission einen Entwurf für die gegenständliche Richtlinie vorgelegt, welcher sich inhaltlich an den bis dahin erzielten Verhandlungsergebnissen zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss orientierte.
Der Vorschlag zielte nicht zuletzt auf eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften, die die Mitgliedstaaten gemäß Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG über die Voraussetzungen zur Aufbewahrung von Daten zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten erlassen können.
Die österreichische Haltung in den Verhandlungen in den Gremien der Europäischen Union wurde in einem Koordinierungsprozess mit sämtlichen von der Materie betroffenen Ressorts, insbesondere unter Einbindung der für den Datenschutz zuständigen Abteilung des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes erarbeitet. Ergebnis dieses Koordinierungsprozesses, in den auch die Vertreter der Wirtschaft eingebunden wurden, war eine schriftliche Stellungnahme der Republik Österreich an die zuständige Arbeitsgruppe des Rates der EU (Dok.Nr.12621/04 COPEN 110 TELEKOM 144). Darin wurde die grundsätzliche Haltung Österreichs zusammengefasst, wobei in Anbetracht der betroffenen Grundrechte Eckpfeiler für eine Zustimmung Österreichs formuliert wurden (eingeschränkte Speicherfristen, Beschränkung der zu speichernden Daten, Beschränkung auf Betreiber von öffentlich zugängigen Telekommunikationsnetzen oder -diensten, sowie Datenschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Datensicherheit). Diese Verhandlungslinie wurde selbst vom Datenschutzrat in einer Sitzung im Oktober 2005 – ungeachtet der grundsätzlich ablehnenden Haltung – anerkannt, indem die österreichische Vertretung in den Gremien der EU aufgefordert wurde, auf eine Ausgestaltung des Rechtsaktes im Sinne der vorhin genannten Stellungnahme hinzuwirken. Meine Amtsvorgängerin Bundesministerin Maga. Karin Gastinger hat sich – selbst unter dem Eindruck der Ereignisse in London am 7. Juli 2005 – beim ehemaligen Ratsvorsitzenden Charles Clark (VK) persönlich dafür eingesetzt, dass dem Aspekt der Einhaltung des Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre besondere Bedeutung eingeräumt wird. Österreich konnte schließlich in den Verhandlungen folgende Verbesserungen des ursprünglichen Vorschlags erreichen:
o Keine Speicherung ausschließlich für präventive Zwecke;
o Besondere Bedachtnahme auf Aspekte der Verhältnismäßigkeit;
o Besondere Bestimmung über Datenschutz und Datensicherheit;
o Einschränkung der Datenliste (Speicherung von Daten erfolgloser Verbindungsversuche auf jene Staaten, die diese schon derzeit speichern; Speicherung von Standortdaten nur zu Beginn der Verbindung);
o Datenspeicherung im Internet auf das Notwendigste beschränkt (Zugangsdaten und Daten der Internettelephonie bzw. des Internet- E- Mails);
o Evaluation der Wirksamkeit bzw. der mit der Speicherung verbundenen Eingriffe und Ermittlungserfolge.
Grundsätzlich beschränkt sich somit die Speicherung im Telefoniebereich auf jene Daten, die Betreiber schon derzeit aus Verrechnungsgründen speichern. Im Bereich des Internets geht es im Wesentlichen um eine Gleichstellung mit dem Telefoniebereich bzw. um eine Sicherung der Strafverfolgung, weil bei Delikten, die im Wege des Internets begangen werden, eine Möglichkeit der Rückverfolgung zu dem Urheber gegeben sein muss. Provider sind überdies in den Prozess der Evaluation einzubinden und können auf diese Weise ihre Sicht einbringen.
Ergänzend weise ich auf die intensive Diskussion mit dem Europäischen Parlament hin, wobei gerade die Grundrechtskonformität der gegenständlichen Richtlinie und damit die Verhältnismäßigkeit des Rechtsinstruments eine große, wenn nicht sogar die Hauptrolle spielte. Der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragen zu dem Vorschlag zur Richtlinie (ABl. C 298 vom 29.11.2005, S.1) wurde im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens besonderes Augenmerk gewidmet, sodass nach den Mehrheitsverhältnissen im Rat und im EP auch eine ablehnende Haltung Österreichs nichts am Zustandekommen der Richtlinie geändert hätte.
Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass Teil des Kompromisses mit dem Europäischen Parlament die Vorlage eines Rahmenbeschlusses über den Datenschutz in der dritten Säule bildete, der am 27. November 2008 auch tatsächlich verabschiedet werden konnte (Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, ABl. Nr. L 350/60 v. 30.12.2008). Gleichsam als Ausgleich konnte somit eine entscheidende Verbesserung des Schutzes personenbezogener Daten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit erzielt werden.
Aus Anlass des Mahnschreibens der Europäischen Kommission wegen der Nichtumsetzung der gegenständlichen Richtlinie zum 15. September 2007 ersuchte das Bundesministerium für Justiz im Dezember 2008 das Bundeskanzleramt – Verfassungsdienst um Stellungnahme, ob der Einwand einer allfälligen Grundrechtswidrigkeit der Richtlinie mit Erfolg im Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH erhoben werden könnte. In seinem Gutachten kommt das Bundeskanzleramt - Verfassungsdienst zum Ergebnis, dass der Einwand des Verstoßes der Richtlinien im Vertragsverletzungsverfahren gegen Art. 8 EMRK, wie auch die Einrede der Rechtswidrigkeit der Richtlinie (das Verfahren des EuGH zu C-301/2006 war noch nicht abgeschlossen) oder das Vorliegen eines inexistenten Rechtsakts nicht erfolgversprechend aufgegriffen werden könne.
. Juni 2009
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)