1776/AB XXIV. GP

Eingelangt am 19.06.2009
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BM für Justiz


Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0126-Pr 1/2009

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 1734/J-NR/2009

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Werner Neubauer und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Verfahrensabsprachen in Strafprozessen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Nein; nach dem Rechtssatz des Obersten Gerichtshofs Nr. RS0119311, setzt sich eine Absprache zwischen Richter und Verteidiger über zahlenmäßig determinierte Auswirkungen des Aussageverhaltens des Angeklagten auf die über diesen zu verhängende Strafe, die sich bereits vom Ansatz her mit den auf eine mögliche Diversion gerichteten, gesetzlich determinierten Verfahrensschritten nicht vergleichen lässt, in Widerspruch zu den tragenden Grundprinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechtes, namentlich jenem zur – ein Kontrahieren des Gerichtes mit (mutmaßlichen) Rechtsbrechern ausschließenden – Erforschung der materiellen Wahrheit.

Zu 3:

Die in den Eingangsbemerkungen der Anfrage vermutete Verfahrensabsprache ist nach den mir vorliegenden Informationen nicht erfolgt und es sind auch sonst keinerlei Verfahrensabsprachen bekannt.

Zu 4:

Das Verfahren 46 Hv 48/06s des Landesgerichtes Wiener Neustadt wurde durch Urteil vom 29. Oktober 2008 (rechtskräftig seit 4. November 2008) beendet.

Zu 5:

Nein.

Zu 6:

Dr. G. E. wurde unter Anwendung der §§ 41 Abs. 3, 43a Abs. 2 StGB zu einer (unbedingten) Geldstrafe von 360 Tagessätzen á 200 Euro (insgesamt 72.000 Euro) sowie zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Zu den über A. M. R. und Mag. M. L. verhängten Strafen wird auf die Beantwortung der Frage 13 verwiesen.

Zu 7:

Dr. G. E. legte in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Wiener Neustadt am 29. Oktober 2008 ein Geständnis ab.

Zur 8:

Das Strafverfahren gegen Dr. G. E. wurde am 2. Februar 2004 eingeleitet.

Zu 9:

Es gab insgesamt acht Hauptverhandlungstermine, wobei aufgrund des (ärztlich attestierten) eingeschränkten Gesundheitszustandes des Angeklagten die Verhandlungsdauer zumeist mit zwei Stunden begrenzt war.

Zu 10:

A. M. R. und Mag. M. L. wurden mit Urteil vom 12. Mai 2006, rechtskräftig seit 15. September 2008 verurteilt. Zum Wortlaut des Urteilsspruches wird auf die Beantwortung der Frage 13 verwiesen. Der Hinweis auf die Beteiligung des „abgesondert verfolgte[n] Dr. G. E.“ ist keine explizite Feststellung dessen Mittäterschaft.

Zu 11 und 12:

Ja, Dr. E. wurde als „abgesondert verfolgte[r] Dr. G. E.“ zu Punkt B) des unter Frage 13.) vollständig angeführten Urteilsspruches genannt.

Zu 13:

Der Urteilsspruch lautet:

 

 

„Es haben

              A)

A. M. R. als Schuldner der O***** AG, der B***** AG und weiterer Gläubiger in Bad Fischau, Wien und anderen Orten des Bundesgebiets die Befriedigung seiner Gläubiger dadurch zu schmälern versucht, dass er Bestandteile seines Vermögens verheimlichte, und zwar

1) im Zeitraum Sommer 2001 bis Jänner 2004 durch Verheimlichen einer Firmenbeteiligung an der V***** AG im Nominalwert von Euro 4,4 Millionen;

2) ab Herbst 2001 durch die wiederholte Bekundung gegenüber Vertretern seiner Gläubiger, vermögenslos zu sein, sowie durch die Behauptung, von der E***** GesmbH teilweise an seine Gläubiger geleistete Zahlungen bei dieser Gesellschaft erst auf Grund eines Dienstverhältnisses bzw. eines Werkvertrags abarbeiten zu müssen,

wodurch die Gläubiger des A. M. R. einen insgesamt Euro 50.000,-- übersteigenden Schaden erleiden sollten.

              B)

Mag. M. L. und der abgesondert verfolgte Dr. G. E. in Wien im Zeitraum Sommer 2001 bis Jänner 2004  zur Ausführung der von A. M. R. unter den Fakten A 1) und 2) beschriebenen strafbaren Handlungen beigetragen, indem sie Vergleichsverhandlungen mit den Gläubigern des A. M. R. führten, wobei sie dessen Vermögenslosigkeit und die Täuschungshandlungen bezüglich der Funktion der  E***** GesmbH bestätigten sowie A. M. R.  in diesem Sinn rechtlich berieten.

A. M. R. und Mag. M. L. haben hiedurch das Verbrechen der versuchten betrügerischen Krida nach den §§ 15, 156 Abs. 1 und 2 StGB – Mag. M. L. als Beteiligter nach dem § 12 3. Fall StGB – begangen und werden hiefür jeweils nach dem § 156 Abs. 2 StGB

zu einer Freiheitsstrafe von je

3 (drei) Jahren

sowie gemäß § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Gemäß § 43a Abs. 4 StGB wird ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe, und zwar hinsichtlich A. M. R. im Ausmaß von 28 (achtundzwanzig) Monaten,

hinsichtlich Mag. M. L. im Ausmaß von 2 (zwei) Jahren

unter Bestimmung einer Probezeit von je drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB wird hinsichtlich Mag. M. L. die erlittene Vorhaft  von 22.2.2004, 12.50 Uhr bis 09.03.2004, 13.00 Uhr auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Gemäß § 366 Abs. 1 und Abs. 2 StPO wird der Privatbeteiligte mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Hingegen wird A. M. R. von der weiteren Anklage, er habe als Schuldner der O***** AG, der B***** AG und weiterer Gläubiger in Bad Fischau, Wien und anderen Orten des Bundesgebiets die Befriedigung seiner Gläubiger dadurch zu schmälern versucht, dass er nicht bestehende Verbindlichkeiten vorschützte und sein Vermögen zum Schein verringerte, und zwar

1) am 22.05.2001 durch Umschreibung eines bei der damaligen C***** AG, Zweigstelle Salzburg, bestehenden Wertpapierdepots Nr. ***** und Nr. ***** mit einem Nominalwert von Euro 13.751,20 auf den Namen seiner Mutter;

2) Ende 2001 durch die Behauptung, die auf dem Hälfteanteil der Liegenschaft ***** Brunn an der Schneebergbahn, EZ *****, zu seinen Lasten verbücherten Pfandrechte der damaligen B***** AG würden noch bestehen,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.“

Zu 14 und 15:

Die im Rahmen der Strafbemessung vorzunehmende Beurteilung des Vorliegens des Milderungsgrundes der Ablegung eines reumütigen Geständnisses oder des wesentlichen Beitrages zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs. 1 Z 17 StGB) betrifft Akte der in Ausübung der Rechtsprechung unabhängigen Gerichte und unterliegt somit nicht der Vollziehungskompetenz des Bundesministeriums für Justiz.

Zu 16:

Es liegen mir keinerlei Hinweise auf Verfahrensabsprachen in dem gegen Dr. G. E. geführten Strafverfahren vor.

Zu 17 und 18:

Laut Mitteilung des zuständigen Sachbearbeiters der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt versuchten die Verteidiger des Dr. G. E., RA Univ.-Prof. Dr. R. S. und RA MMag. D., ihm im Zuge von persönlichen und telefonischen Kontaktaufnahmen den Standpunkt ihres Mandanten zu einzelnen Rechts- und Verfahrensfragen darzulegen. Die genaue Anzahl und die Daten dieser Kontaktaufnahmen sind mangels Relevanz nicht festgehalten worden. Der zuständige Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat den Verteidigern des Dr. G. E. ohne Eingehen auf die Sache stets empfohlen, ihr Vorbringen den Vorschriften der Strafprozessordnung entsprechend in die Hauptverhandlung einzubringen.

Zu 19 bis 21:

Im Verfahren 46 Hv 48/06s des Landesgerichtes Wiener Neustadt kam es laut Mitteilung der vorsitzenden Richterin einige Tage vor dem Hauptverhandlungstermin am 29. Oktober 2008 in ihrem Büro zu einem kurzen Gespräch mit dem Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt Dr. Soyer. Dr. Soyer teilte der Vorsitzenden dabei mit, dass der Angeklagte Dr. G. E. ein Geständnis ablegen wolle und seine Berufsbefugnis zurücklegen werde. Die Richterin habe dies zur Kenntnis genommen.

Ich gebe zu bedenken, dass Kontaktaufnahmen von Strafverteidigern mit der Staatsanwaltschaft und/oder dem Gericht nicht nur üblich, sondern auch geboten sein können; sie bieten per se selbstverständlich keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen von Verfahrensabsprachen.

Zu 22:

Ja.

Zu 23:

Mangels konkreter Anhaltspunkte für Verfahrensabsprachen zwischen Organen der Rechtspflege und dem Verteidiger des Dr. G. E. besteht kein Anlass für aufsichtsbehördliche, disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen.

Zu 24 und 25:

Eine nachträgliche Milderung der Strafe ist unter den Voraussetzungen des § 31a StGB möglich. Soweit zur Beantwortung der Frage von Relevanz lautet die genannte Bestimmung wie folgt:

„§ 31a. (1) Wenn nachträglich Umstände eintreten oder bekannt werden, die zu einer milderen Bemessung der Strafe geführt hätten, hat das Gericht die Strafe angemessen zu mildern.

(2) Verschlechtern sich nachträglich die persönlichen Verhältnisse oder die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines zu einer Geldstrafe Verurteilten nicht bloß unerheblich, so hat das Gericht für die noch aushaftende Geldstrafe die Höhe des Tagessatzes innerhalb der Grenzen des § 19 Abs. 2 neu zu bemessen, es sei denn, daß der Verurteilte die Verschlechterung vorsätzlich, und sei es auch nur durch Unterlassung einer zumutbaren Erwerbstätigkeit, herbeigeführt hat.“

Zu 26, 27 und 34:

Der Oberste Gerichtshof sieht sich dazu berufen, – aufgrund eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens – eine behauptete Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichtes festzustellen; ein Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, hat danach deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs. 1 StPO zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen.

Die Beurteilung dieser Voraussetzungen obliegt einzig und allein der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Neben der Erneuerung des Strafverfahrens sieht die StPO als Rechtsbehelf noch die Wiederaufnahme eines durch Urteil beendeten Strafverfahrens (§§ 352 ff. StPO), die außerordentliche Wiederaufnahme durch den Obersten Gerichtshof (§ 362 StPO), die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§§ 23, 292 StPO) und das Verfahren auf Grund eines Antrages auf nachträgliche Strafmilderung (§ 410 StPO) vor.

Die Voraussetzungen der Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten werden in § 353 StPO umschrieben; der rechtskräftig Verurteilte kann diese danach verlangen:

1.      wenn dargetan ist, dass seine Verurteilung durch Urkundenfälschung oder durch falsche Beweisaussage, Bestechung oder eine sonstige Straftat einer dritten Person veranlasst worden ist;

2.      wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen; oder

3.      wenn wegen derselben Tat zwei oder mehrere Personen durch verschiedene Erkenntnisse verurteilt worden sind und bei der Vergleichung dieser Erkenntnisse sowie der ihnen zugrunde liegenden Tatsachen die Nichtschuld einer oder mehrerer dieser Personen notwendig anzunehmen ist.

Erhält die Staatsanwaltschaft von einem Wiederaufnahmegrund, welcher sich zu Gunsten des Verurteilten auswirken könnte, Kenntnis, so hat sie davon den Verurteilten oder die sonst zur Antragstellung berechtigten Personen zu informieren oder selbst den Wiederaufnahmeantrag zu stellen.

Zu 28, 29, 32, 33 und 35:

Ich verweise auf die Beantwortung der Fragen 15, 17 und 18 der zur Zahl 467/J-NR/2007 erfolgten Beantwortung der schriftlichen Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Missstände in der Justizverwaltung rund um die Libro-Causa“.

Zu 30 und 31:

Die rechtliche Beurteilung des vom Landesgericht Wiener Neustadt festgestellten Sachverhaltes betrifft Akte der in Ausübung der Rechtsprechung unabhängigen Gerichte und unterliegt somit nicht der Vollziehungskompetenz des Bundesministeriums für Justiz.

Zu 36:

Der Strafakt befindet sich nach Abfertigung des Urteils am 24. März 2009 seit 5. Mai 2009 bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt.

Zu 37 und 38:

Das Strafverfahren unterliegt gemäß § 8 Abs. 1 StAG der Berichtspflicht. Diese Berichtspflicht ergibt sich unmittelbar aus der genannten gesetzlichen Bestimmung und lag bereits zum Zeitpunkt der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Dr. G. E. vor.

Zu 39 und 40:

Ich verweise zunächst auf die Beantwortung der Fragen 17 und 18 der zur Zahl 467/J-NR/2007 erfolgten Beantwortung der schriftlichen Anfrage der Abgeordneten zum Nationalrat Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Missstände in der Justizverwaltung rund um die Libro-Causa“. Nach Genehmigung ihres Vorhabens durch das Bundesministerium für Justiz (§ 29 Abs. 1 StAG) ersuchte die Oberstaatsanwaltschaft Wien die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt mit Erlass vom 30. März 2005,

„I) gegen A. M. R., Dr. G. E. und Mag. M. L. die im Entwurf angeschlossene Anklage einzubringen;

II) bezüglich F. L., A. A. D. R. und Dr. F. M. jeweils Erklärungen nach § 109 Abs. 1 StPO sowie

III) bezüglich der Sachverhaltsdarstellung des Dr. W. K. sowie des Verdachtes Erschleichung der Verfahrenshilfe und Erschleichung von Transferleistungen durch AMR und Mag. M. L. die entsprechenden Anträge zu stellen und Erklärungen abzugeben“.

 

. Juni 2009

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)