2105/AB XXIV. GP

Eingelangt am 15.07.2009
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BM für Frauen und öffentlichen Dienst

Anfragebeantwortung

 

 

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017     W i e n

GZ: BKA-353.290/0117-I/4/2009

Wien, am 14. Juli 2009

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Schwentner, Freundinnen und Freunde haben am 2. Juni 2009 unter der Nr. 2331/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Zwangsverheiratung gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 5:

Ø     Was wird derzeit getan, um zu klären, wie weit Zwangsverheiratung verbreitet ist?

Ø     Gibt es Erhebungen in den einschlägigen Service-Einrichtungen und Beratungs­stellen bzw. aus den Helplines dazu, wie viele Anfragen und Ersuchen um Hilfe in Fällen von Zwangsverheiratung gestellt wurden? Falls ja:
a) Werden diese Daten veröffentlicht?
b) Können Sie diese Zahlen der Beantwortung beilegen?

Ø     Wurden Workshops zur Diskussion von Datenerhebungsmöglichkeiten in Service-Stellen durchgeführt?

Ø     Werden derzeit überhaupt Zahlen zum Thema Zwangsverheiratung erhoben und wenn ja, wie?

Ø     Gibt es Evaluierungen über den Umgang mit Zwangsverheiratung in öffentlichen Service-Einrichtungen?


Generell halte ich fest, dass das Ausmaß von Zwangsverheiratung und Genitalver­stümmelung in Österreich über die Statistiken der Interventionsstellen und Frauen­serviceeinrichtungen aus mehreren Gründen nur unzureichend erfassbar ist. Die Grenze zwischen arrangierter Ehe und Zwangsehe wird - unter anderem abhängig von kulturellen Prägungen - unterschiedlich gezogen. Eheschließungen, die nach österreichischem Verständnis bereits Zwangscharakter aufweisen, werden von den Betroffenen selbst unter Umständen nicht als solche empfunden/erkannt. Darüber hinaus sind auch jene Betroffenen, die den Zwangscharakter durchaus als solchen empfinden, häufig nicht in der Lage, sich zur Wehr zu setzen und eine Hilfseinrich­tung aufzusuchen - insbesondere dann, wenn sie zur Verheiratung außer Landes gebracht werden. Der Druck, der auf den Betroffenen lastet, ist meist enorm. Selbst wenn bei einer Widersetzung keine körperliche Gewalt drohen sollte, ist die zu erwar­tende Abwendung durch die Familie eine fast unerträgliche Vorstellung. Diese Reali­tät spiegelt sich auch in der Beratungserfahrung der Interventions- und Servicestellen wider. Immer wieder stellt sich in der Beratungsarbeit heraus, dass Frauen, die sich wegen akuter häuslicher Gewalt an die Interventionsstellen wenden, in der Vergan­genheit auch zwangsverheiratet wurden. Aus diesen Gründen werden Fälle von Zwangsverheiratung statistisch auch nicht flächendeckend getrennt (von anderen Formen familiärer Gewalt) erfasst. Dennoch lässt sich aus den Berichten der Frauen­servicestellen das ungefähre Ausmaß der Fälle erkennen.

 

Zu den Fragen 6 bis 10:

Ø     Welche Maßnahmen Ihres Ressorts gibt es, um die Auswirkungen der öffentli­chen Debatten einzuschätzen und negativen Auswirkungen entgegenzutreten?

Ø     Werden die Materialien und Methoden von Maßnahmen gegen Zwangsverhei­ratung (wie sie zum Beispiel in Schulen durchgeführt werden) evaluiert?

Ø     Was wurde unternommen, um die Bildungs- und Berufssituation von Frauen mit Migrationshintergrund zu verbessern?

Ø     Welche Maßnahmen zur Arbeit mit Burschen wurden gefördert oder angeregt?

Ø     Was wurde gemacht, um insbesondere isolierte und gefährdete Frauen zu er­reichen (Deutschkurse, Schulen, Sozialarbeit, MultiplikatorInnenarbeit etc.)?

 

Zu den oben angeführten spezifischen Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen wird bereits seit mehreren Jahren Informations- und Bewusstseinsarbeit geleistet.

Im Rahmen der Ausstellung „Hinter der Fassade", die sich mit dem Thema der häus­lichen Gewalt auseinandersetzte, fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Gewalt­schutz für Migrantinnen“ statt.


Um dem Thema mehr Gehör zu verschaffen, zu sensibilisieren und es in all seiner Breite zu erfassen wurde als nächster Schritt eine Studie erstellt, die Migration und ganz speziell traditionsbedingte Gewalt aus der Genderperspektive untersucht. Diese Studie „So fern und doch so nah - Traditionsbedingte Gewalt an Frauen“ steht auf der Bundeskanzleramtwebsite für Frauen zur Verfügung.

 

Begleitend zu dieser Studie wurde zur Sensibilisierung und Unterstützung von betrof­fenen Frauen die Broschüre „Tradition und Gewalt an Frauen“ erstellt.

 

Im Rahmen der Gender Tage 2008 – „Migration und Gender“ und gleichzeitig im Vor­feld zu den 16 Tagen gegen Gewalt setzte sich die Ausstellung „Tatmotiv Ehre“ mit dem Menschenrecht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung, bzw. dem Themen­bereich der frauenverachtenden Traditionen auseinander. Diese Ausstellung zu „Ge­walt an Frauen und Mädchen im Namen der Ehre“ war der Öffentlichkeit vom 5. bis 25. November 2008 im Palais Dietrichstein zugänglich und wurde von zahlreichen Schulklassen und Einzelpersonen besucht.

 

Das Thema wird auch in der EU mit Engagement verfolgt. Beispielsweise zielt das EU-Daphne-Projekt „Aktiv gegen Zwangsheirat“ darauf ab, durch Beratung und Sen­sibilisierung von Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung dem Verbot der Zwangsheirat verstärkt Geltung zu verschaffen. Um die Aktivitäten zu bündeln, ist im Zuge dieses Projektes auch ein österreichweites Ver­netzungstreffen geplant.

 

Zu den Fragen 11 und 12:

Ø     Gab oder gibt es Informationskampagnen zum Thema Zwangsverheiratungen in Krankenhäusern?

Ø     Gab oder gibt es Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema Zwangsverheiratun­gen bei der Ausbildung von medizinischem Personal?

 

Diese Fragen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung meines Wirkungsbe­reichs.

 

Zu den Fragen 13 bis 15:

Ø     Was wurde für die Ausbildung von Personen mit Migrationshintergrund als Me­diatorInnen und MultiplikatorInnen im Bereich von Zwangsverheiratung und an­deren Fällen von Gewalt im persönlichen Nahraum getan?


Ø     Wurden Initiativen gestartet, um die vermutlich betroffenen Communities einzube­ziehen? Falls ja, wie und in welcher Form wurden diese Communities in die Arbeit einbezogen?

Ø     Wurden JugendarbeiterInnen, SozialarbeiterInnen und LehrerInnen Angebote zur Weiterbildung in diesem Bereich gemacht?

 

Bereits 2005 erfolgte die erste Initiative in Form von Fachgesprächen, an denen Ver­treter und Vertreterinnen mehrerer Bundesministerien und Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen teilnahmen. Die Diskussion wurde dann in Fachta­gungen weitergeführt, in die vor allem Multiplikator/innen, wie etwa Pädagog/innen, Sozialarbeiter/innen, Polizist/innen, Gynäkolog/innen, Kinderärzt/innen usw. einge­bunden waren. Diese Veranstaltungen boten allen Beteiligten durch gezielte Work­shops die Möglichkeit, differenziert an den einzelnen Problemfeldern zu arbeiten und etwaige Lösungsansätze zu diskutieren.

 

Zu den Fragen 16 und 17:

Ø     Sind die Interventionsstellen gegen Gewalt österreichweit mit muttersprachlichen BeraterInnen ausgestattet?

Ø     Sind die MitarbeiterInnen speziell zu diesen Fragen geschult worden bzw. finden dazu kultursensible Weiterbildungen statt?

 

Bei der Weiterentwicklung der Interventionsstellen gegen Gewalt wird dem Ausbau muttersprachlicher Beratung besonderes Augenmerk geschenkt. Die Interventions­stellen sind gemäß dem mit ihnen auf Grundlage des § 25 Abs. 3 SPG abgeschlos­senen Auftragsvertrag verpflichtet, entsprechend qualifiziertes Personal zu beschäfti­gen und erhalten für Weiterbildungsmaßnahmen bzw. Fachliteratur nach Maßgabe der budgetären Möglichkeiten auch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Es ob­liegt daher in der Verantwortung der Interventionsstellen, vorhandene adäquate Wei­terbildungsmaßnahmen zu nutzen oder intern für eine geeignete Schulung Sorge zu tragen.

 

Zu den Fragen 18 bis 21, sowie 23:

Ø     Wann wird die im Regierungsprogramm festgeschriebene und für 2009 geplante Errichtung einer Notwohnung für von Zwangsverheiratung bedrohte Frauen um­gesetzt werden?

Ø     Welche anderen Ressorts werden sich an der Finanzierung dieser Notwohnung beteiligen?

Ø     Wie hoch sind die geschätzten jährlichen Kosten für diese Notwohnung?

Ø     Ist daran gedacht, auch ein Krisenzentrum für von Zwangsverheiratung bedrohte Frauen zu errichten?


Ø     Welche Empfehlungen aus den derzeit vorliegenden Studien zum Thema Zwangs­heirat wurden bisher umgesetzt bzw. wird ihre Umsetzung in Zukunft konkret ge­plant?

 

Ich werde mich weiterhin für eine Unterbringungsmöglichkeit für von Zwangsheirat bedrohte und betroffene Mädchen und junge Frauen einsetzen. Für eine derartige Einrichtung liegt bereits ein Konzept vor, das Beratung, Betreuung, Begleitung und Krisenintervention (rund um die Uhr), sowie die Unterbringung von betroffenen Mäd­chen und jungen Frauen umfasst. Ressortübergreifende Gespräche mit dem BM für Inneres betreffend eine gemeinsame Finanzierung sind im Laufen.

 

Die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für von Gewalt bedrohte Frauen und Mädchen sind für alle Frauen, die von Gewalt betroffen sind, geeignete Anlaufstellen. Zudem steht die ebenfalls aus diesen Budgetmitteln unterstützte bundesweite Frau­enhelpline gegen Männergewalt allen Frauen zur Verfügung, die von familiärer Ge­walt bzw. Gewalt in Beziehungen betroffen oder bedroht sind. Diese Einrichtung ist täglich rund um die Uhr und kostenlos zu erreichen und Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund stellen eine ausdrückliche Zielgruppe dar, für die auch mutter­sprachliche Beratungen anboten werden. Ebenso finanziell unterstützt werden von mir spezielle Beratungs- und Betreuungseinrichtungen für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund, darunter auch eine Beratungsstelle gegen Zwangsheirat.

 

Im Rahmen der ressortübergreifenden Kooperation ist es mir ein wichtiges Anliegen, dass bei der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans für Integration auf die Bedürf­nisse der Migrantinnen, darunter die Problematik der Zwangsehe, eingegangen wird.

 

Zu Frage 22:

Ø     Sind zweijährige Berichte zum Thema Gewalt gegen Frauen im Nahraum geplant, die auch das Thema Zwangsheirat beleuchten und dadurch eine bessere Ein­schätzung der Bedeutung des Themas ermöglichen würden?

 

Nein, zweijährige Berichte zur Gewalt gegen Frauen im Nahraum sind nicht geplant.

 

Mit freundlichen Grüßen