2213/AB XXIV. GP

Eingelangt am 24.07.2009
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Anfragebeantwortung

 

NIKOLAUS BERLAKOVICH

Bundesminister

 

 

 

 

 

 

 

 

 
An die                                                                                    Zl. LE.4.2.4/0098 -I 3/2009

Frau Präsidentin

des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

 

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 22. JULI 2009

 

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl. parl. Anfr. d. Abg. z. NR Dr. Ruperta Lichtenecker, Kolleginnen

                        und Kollegen vom 29. Mai 2009, Nr. 2251/J, betreffend Atommülllager

                        in Tschechien

 

 

 

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Dr. Ruperta Lichtenecker, Kolleginnen und Kollegen vom 29. Mai 2009, Nr. 2251/J, teile ich Folgendes mit:

 

In der vorliegenden Anfrage wird der Begriff „Atommüll(end)lager“ bzw. „Atommüllendlager­platz“ verwendet, ohne diesen Begriff näher zu definieren. Daher sei hier – auch um einer Fehlinterpretation der Anfragebeantwortung vorzubeugen – zunächst klargestellt, dass radioaktive Abfälle grundsätzlich in lang- bzw. kurzlebige und in schwach-, mittel- und hochaktive Abfälle eingeteilt werden. Dazu kommen noch abgebrannte Brennelemente, falls für diese eine direkte Endlagerung – also keine Wiederaufarbeitung – vorgesehen ist. Für letztere sowie für hochaktive und langlebige mittelaktive Abfälle ist derzeit in der Regel ein geologisches Tiefenlager vorgesehen, auch wenn dies – u.a. wegen der Anforderung eines sicheren Einschlusses für mehrere hunderttausend Jahre – in der Fachwelt nicht unumstritten ist. Schwach- und mittelaktive Abfälle werden häufig auch in oberflächennahe Endlager verbracht. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Standortsuche für ein geologisches Tiefenlager für abgebrannte Brennelemente und hochaktive sowie langlebige mittelaktive radioaktive Abfälle in der Tschechischen Republik.

 

Die Bemühungen der Tschechischen Republik, einen geeigneten Standort für ein Endlager für hochaktive radioaktive Abfälle zu finden, sind seit Jahren bekannt. Die Problematik war und ist folglich regelmäßig Gegenstand bilateraler Kontakte. Das tschechische Entsorgungskonzept sieht eine langfristige Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente mit anschließender Verbringung in ein geologisches Tiefenlager vor. Andere Optionen werden jedoch explizit offen gehalten. Für den Fall der Errichtung eines geologischen Tiefenlagers sollen in dieses Tiefenlager auch andere Kategorien radioaktiver Abfälle eingelagert werden. Mit der Errichtung soll um 2050, mit der Einlagerung um 2065 begonnen werden.

 

Da es sich vorerst um eine Standortsuche handelt und somit noch kein formelles Verfahren eingeleitet wurde, kommen diesbezügliche völker- bzw. europarechtliche Bestimmungen (u.a. UVP-Verfahren) noch nicht zum Tragen. Auch die allfällige Auswahl eines militärischen Sperrgebietes könnte diese Bestimmungen nicht außer Kraft setzen.

 

Faktum ist, dass die bereits vorhandenen Mengen an abgebrannten Brennelementen und  radioaktiven Abfällen in jedem Fall dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechend zu lagern, zu behandeln und letztlich zu entsorgen sind.

 

Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:

 

Zu Frage 1:

 

Mit der Standortsuche wurde bereits Anfang der 1990er Jahre begonnen. In einer ersten   Phase wurde das gesamte Territorium der Tschechischen Republik in Hinblick auf geeignete Standortregionen untersucht. In einer zweiten Phase wurde mit verschiedenen geologischen Methoden die Anzahl der Standortregionen eingeschränkt. In dieser Phase wurden noch keine Probebohrungen vorgenommen.

 

Angesichts des Widerstands in den potentiellen Standortregionen wurde die Endlagersuche für einige Zeit „suspendiert“ und soll nun nächstes Jahr (2010), vorbehaltlich der Zustimmung der betroffenen Regionen, wieder aufgenommen werden.

 

Im Jahre 2008 hat die tschechische Regierung SÚRAO (Radioactive Waste Repository   Authority) beauftragt, auch militärische Standorte auf ihre Eignung als Endlager zu untersuchen. SÚRAO teilte am 25. Mai 2009 mit, dass eine vorläufige Analyse zeige, dass geeignete geologische Bedingungen für ein geologisches Tiefenlager an zwei der untersuchten sechs militärischen Standorte gegeben sein könnten. An diesen zwei Standorten (Boletice und     Hradiště) werden nun ausführliche Untersuchungen durchgeführt, um eine mit den bislang bereits identifizierten Regionen (Božejovice, Budišov, Lodhérov, Lubenec, Pacejov und      Rohozná) vergleichbare Datenlage zu etablieren. Diese Arbeiten sollen frühestens 2010/2011 zu Ergebnissen führen.

 

Zu Frage 2:

 

Da es noch keine Standortentscheidung gibt, kann auch keine Distanzangabe gemacht werden.

 

Zu Frage 3:

 

Dies hängt von der Art und technischen Ausführung des Lagers, aber auch von den meteorologischen, geologischen und hydrologischen Gegebenheiten ab. Im Rahmen des Verfahrens zur Erbringung eines grundsätzlichen Entsorgungsnachweises in der Schweiz, an dem sich Österreich beteiligt hat, wurde im Auftrag des BMLFUW an Hand der damals präferierten Standortregion, dem Zürcher Weinland, auch diese Frage gutachterlich geprüft. Auch wenn diese Ergebnisse nicht unmittelbar übertragbar sind, so lässt sich doch sagen, dass potentielle Gefahren hauptsächlich während des Zeitraums der Einlagerung radioaktiver Abfälle bzw. abgebrannter Brennelemente durch die Manipulation derselben an der Oberfläche (Anlieferung, Umladen, etc.) entstehen.

 

Zu Frage 4:

 

Diese Frage betrifft keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft.


Zu den Fragen 5 bis 8:

 

Ich verweise auf die Einleitung sowie die Beantwortung der Frage 1. Wie bereits erwähnt, steht das BMLFUW in regelmäßigem Kontakt mit den zuständigen tschechischen Behörden, auch in dieser Angelegenheit. Darüber hinaus sind meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter grundsätzlich angewiesen, für Österreich relevante Entwicklungen nach Maßgabe der Möglichkeiten aktiv zu verfolgen.

 

Zu den Fragen 9 und 10:

 

Die Position der Bundesregierung ergibt sich aus dem Regierungsprogramm, dem zu Folge Österreich generell gegen den Bau neuer Kernkraftwerke eintritt: „In allen Fällen von kerntechnischen Anlagen, die negative Auswirkungen auf Österreich haben oder haben könnten, wird die Bundesregierung alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung österreichischer Sicherheitsinteressen nutzen. Dies bedeutet, auch für maximale Transparenz und Partizipation einzutreten.“ Im Einklang mit internationalem Recht muss Österreich allerdings die nationale Souveränität anderer Staaten hinsichtlich der Auswahl der Energieträger grundsätzlich respektieren. Dort jedoch, wo es um legitime Schutzbedürfnisse der österreichischen Bevölkerung, bzw. um den Schutz der Umwelt geht, ist Österreich berechtigt und verpflichtet, seine Stimme zu erheben. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung in allen Fällen von kerntechnischen Anlagen, die negative Auswirkungen auf Österreich haben oder haben könnten, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung der österreichischen Sicherheits­interessen nutzen wird. Dies gilt insbesondere für grenzüberschreitende UVP-Verfahren, aber auch für die Konsultationsmechanismen, die in den bilateralen „Nuklearinformations­abkommen“ vorgesehen sind. Diese Haltung ist nicht nur den Regierungen unserer Nachbar­staaten bekannt. Sie gilt auch im konkreten Fall einer Endlagersuche in der Tschechischen Republik.

 

Zu Frage 11:

 

Da das tschechische Atomrecht, wie das vieler anderer Staaten, keinen konkreten „Entsorgungsnachweis“, wie er etwa in der Schweiz gefordert ist, kennt, besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. Ein allenfalls denkbarer Zusammenhang wird dadurch relativiert, dass in der Tschechischen Republik eine jahrzehntelange Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente vorgesehen ist und für die endgültige Entsorgung alle Optionen (nicht nur die direkte Endlagerung) offen gehalten werden.

 

Zu Frage 12:

 

Diesbezüglich ist meiner Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 526/J-NR/2008 XXIV. GP (535/AB XXIV. GP) nichts hinzuzufügen. Weiters verweise ich auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 528/J-NR/2008 XXIV. GP (511/AB XXIV. GP) durch den Herrn Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten und die parlamentarische Anfrage Nr. 529/J-NR/2008 XXIV. GP (538/AB XXIV. GP) durch den Herrn Bundeskanzler.

 

Zu Frage 13:

 

Auf die Beantwortung der Fragen 9 und 10 wird verwiesen. Die Sicherheit der österreichischen Bevölkerung sowie der Schutz der Umwelt sind dabei oberste Maxime unserer Bemühungen. Umweltschutz ist aber auch für die tschechische Bevölkerung von Bedeutung. Die Zusammenarbeit mit den zuständigen tschechischen Behörden bleibt daher essentiell.

 

Zu Frage 14:

 

Für die Finanzierung kommerzieller kerntechnischer Anlagen oder generell für den Ausbau eines Kernenergieprogramms aus dem Gemeinschaftsbudget besteht grundsätzlich keine Rechtsgrundlage.

 

Der Bundesminister: