2214/AB XXIV. GP
Eingelangt am 24.07.2009
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung

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Frau Präsidentin des Nationalrates Maga. Barbara Prammer Parlament 1017 Wien |
Alois Stöger diplômé Bundesminister
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Wien, am 23. Juli 2009
GZ: BMG-11001/0192-I/5/2009
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 2256/J der Abgeordneten Ing. Christian Höbart und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Eingangs darf ich festhalten, dass zur Beantwortung dieser Anfrage auch die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), der Österr. Berufsverband für Psychotherapie (ÖBVP) und der Berufsverband Österr. Psychologinnen und Psychologen (BÖP) von mir befasst wurden.
Von GÖG und ÖBVP wurde mitgeteilt, dass sie über keinerlei Studien bzw. Informationen zu diesem Thema verfügen. Die Stellungnahme des BÖP ist den einzelnen Beantwortungen zu entnehmen.
Fragen 1 bis 5:
Umfassendes Zahlenmaterial zu diesem Thema findet man auf der Homepage der „Spielsuchthilfe“ www.spielsuchthilfe.at, die seit 27 Jahren in Wien als Beratungs- und Behandlungseinrichtung für Glücksspielabhängige und Angehörige besteht. Ich bitte um Verständis, dass ich in Anbetracht der Ressourcenknappheit meines Ressorts auf diesen Link zu verweise.
Über Jahre hinweg wurde von über 40 % der bei dieser Stelle Beratungssuchenden (Quelle: Spielsuchthilfe, Forschungsbericht 2008) angegeben, bereits als Jugendliche an Glücksspielen teilgenommen zu haben. Bei mehreren von ihnen war das Glücksspielverhalten bereits damals zumindest problematisch. Diese Personen suchen die Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten durchschnittlich erst 8 Jahre später auf (die größte Gruppe der Beratungssuchenden ist über 30 bis 40 Jahre alt).
Über Jahre ist die obgenannte Einrichtung immer wieder mit Anfragen von Eltern computersüchtiger Jugendlicher konfrontiert worden. Soweit möglich wird den nachfragenden Angehörigen von computersüchtigen Jugendlichen auch Beratungsmöglichkeit angeboten (aktuell ist es aufgrund ständig steigender Nachfrage Glücksspielsüchtiger weniger der Fall). Rund 1 % der Patienten (bei N = 595) gab Computerspiele als für sich problembehaftete Spielform an.
Eine Studie zum Computerverhalten Kinder und Jugendlicher wurde kürzlich im Rahmen der Sigmund Freud PrivatUniversität präsentiert (vgl. http://www.ots.at/presseaussendung.php?schluessel=OTS_20090616_OTS0065).
Mit Computerspielsucht beschäftigt sich auch das Institut zur Prävention von Online Sucht, www.onlinesucht.at.
Im Jahr 2007 wurde vom „Institut für Jugendkulturforschung“ die Studie „Elf/18“ durchgeführt, anhand derer die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten (und Defizite) von Jugendlichen im Alter von 11-18 Jahren repräsentativ - 880 Jugendliche, 440 männliche, 440 weibliche, wurden befragt - erhoben wurden. Einen Teil dieser Studie nahm die Erhebung des Computer-und Konsolenspielverhaltens der Jugendlichen ein, welche in Kooperation mit der Bundesstelle für Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (BuPP) im Bericht „Computerspiele im Alltag Jugendlicher. Gamer-Segmente und Gamer-Kulturen in der Altersgruppe der 11-18 Jährigen“ zusammengefasst wurden. Daraus geht hervor, dass 3 von 4 Jugendlichen zwischen 11-18 Jahren an PC und/oder Konsole spielen. Einer von drei Jugendlichen spielt häufig und hat Computer- und/oder Konsolenspiele fix in seinen Freizeitalltag integriert.
Diese Studie ist vergleichbar mit der jährlich in Deutschland durchgeführten KIM-Studie, bei der das Medienverhalten deutscher Kinder im Alter von 6-13 Jahren erfasst wird, und der JIM-Studie, in der das Medienverhalten deutscher Jugendlicher im Alter von 12-19 Jahren erfasst wird.
In den besagten Studien wurden zwar Aspekte von Computerspielsucht nicht abgefragt, aber trotzdem ist das Spielverhalten Kinder und Jugendlicher erkennbar.
In Österreich werden derzeit die vorliegenden Zahlen deutschsprachiger Studien der Humboldt Universität Berlin (Hahn & Jerusalem 1999; Eidenbenz 2001) herangezogen, die bei einer Onlineumfrage eine Prävalenzrate (somit pathologischer Computergebrauch) von 2,3-3% der internetnutzenden Bevölkerung (Deutschland und Schweiz) festgestellt haben, und auf die österreichische Bevölkerungszahl umgelegt. Diese Zahlen lassen sich auf die österreichische Bevölkerung, die das Internet mehrmals pro Woche nützt - 4,31 Millionen Menschen ab 14 Jahren (Barth/Cerny 2009) - umlegen, welche vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Integral vierteljährlich mittels Telefonbefragung erhoben werden, sodass man hochgerechnet in Österreich auf eine Prävalenzrate von ca. 99.000 bis 129.000 Personen (pathologische Nutzer) kommt.
Frage 6:
Derzeit sind keine Studien geplant oder in Auftrag gegeben, dies vor allem auch in Hinblick auf die erforderliche budgetäre Zurückhaltung auch meines Ressorts.
Frage 7:
Siehe die Beantwortung zu den Fragen 1 bis 5. Ergänzend hingewiesen wird auf die Heranziehung der oben angeführten internationalen Studien aus dem deutschsprachigen Raum und auf die daraus erfolgende Hochrechnung des Anteils von Jugendlichen.
Frage 8:
Aus dem Therapiealltag, insbesondere aus Erfahrungsberichten des Anton-Proksch-Instituts, lassen sich anhand der institutionellen Erfahrungsberichte einige soziale Problemlagen erkennen, die vermehrt bei computer/internetsüchtigen Jugendlichen auftreten.
Durch den exzessiven Computergebrauch und dem damit verbundenen hohen zeitlichen Aufwand leiden andere Lebensbereiche der Betroffenen. So kann es zu schulischem/beruflichem Leistungsabfall kommen: Müdigkeit wegen Schlafentzugs kann zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, vermehrte Fehltage in Schule/Arbeit zu Schulabbruch bzw. Arbeitsplatzverlust, Vernachlässigung des Freundeskreises zu Beziehungsabbrüchen. Online-Kontakte ersetzen immer mehr die „Offline“-Kontakte, innerfamiliäre Schwierigkeiten zu Auseinandersetzungen, Streitigkeiten etc., in deren Zentrum der PC-Gebrauch steht, und Vernachlässigung anderer Freizeitaktivitäten, bis hin zur völligen Aufgabe anderer Aktivitäten. Es kann zu einer völligen Isolation kommen, in der der/die Betroffene von Arbeitslosengeld bzw. Sozialhilfe lebt, sich mehr als 12 Stunden am Tag in den virtuellen Welten aufhält, wo online-Kontakte gepflegt werden, ohne daneben ein funktionierendes soziales Netz aufrecht zu erhalten.
Frage 9:
Aufgrund der bisherigen Erfahrungswerte geht der Berufsverband Österr. Psychologinnen und Psychologen davon aus, dass ein Leistungsabfall der betroffenen Jugendlichen stattfindet.
Frage 10:
Es handelt sich offenkundig um ein Fehlverhalten, das neben anderen Suchtverhalten, wie etwa der Glücksspielsucht, stetig zunimmt.
Erkenntnisse dazu können aus der Beratungs- und Therapietätigkeit des Anton-Proksch-Instituts herangezogen werden. Demnach kommt es im Bereich Internetsucht zu einer zunehmenden Nachfrage bei der Beratungs- und Therapietätigkeit. Derzeit kann jedoch davon ausgegangen werden, dass jener Anteil an Menschen, die eine professionelle Hilfseinrichtung aufsuchen, nur die Spitze des Eisbergs darstellen und es weit mehr Personen mit einem Leidensdruck auf Grund ihres problematischen Internetgebrauchs gibt.
Frage 11:
Mein Ressort wird diesen Problemkreis in Umsetzung der Aufgabenstellung des Regierungsprogramms für die XXIV. Gesetzgebungsperiode, das die „Weiterentwicklung der nationalen Suchtpräventionsstrategie mit besonderem Augenmerk auf die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen“ zum Ziel hat, mitberücksichtigen. Innerorganisatorisch wurden durch Etablierung und Besetzung einer Planstelle mit einer Fachexpertin für substanzungebundene Süchte, worunter Computersucht zu subsumieren ist, die Voraussetzungen geschaffen, diesen Fachbereich aufzubauen.
Fragen 12 bis 14:
Aufklärung und Bewusstmachung sind in diesem Bereich zentral, da es sich bei der Internetsucht bis dato noch immer um eine sehr stark mystifizierte Abhängigkeitserkrankung handelt, die sowohl bei Laien (und somit auch bei Betroffenen), als auch bei ÄrtzInnen und anderen ProfessionistInnen oftmals für Verwirrung sorgt. Um suchtgefährdete Jugendliche besser zu schützen, wird daher Bewusstseinsbildung und Aufklärungsarbeit bei verschiedenen Zielgruppen angestrebt, wobei hier eine interministerielle Zusammenarbeit mit BMWFJ und BMUKK notwendig ist:
a. Bei den Jugendlichen selbst. Das Wissen um eine Suchtkrankheit und deren Mechanismen kann helfen, dass Risiken im Umgang mit dem Medium Computer und Internet besser abgeschätzt werden können, Medienkompetenz zu vermitteln ist daher nötig.
b. Bei Eltern. Elterninformationen sind zu erstellen, um Einblicke in die virtuelle Lebenswelten der Jugendlichen zu geben, was wiederum einem besseren Verständnis für diese Lebenswelt und dem Abbau von Vorurteilen dienlich ist. Dadurch soll eine möglichst gleich kompetente Gesprächsebene geschaffen und ein wertfreier Austausch ermöglicht werden. Ein Überblick über die Abhängigkeitserkrankung Internetsucht soll die Eltern zudem dazu befähigen, Risiken realistisch abzuschätzen und Handlungsmöglichkeiten im Falle des Falles zu kennen.
c. Bei ProfessionistInnen aus den Bereichen Soziales, Gesundheit und Erziehung. Hierbei soll auch bei den ProfessionistInnen mittels Information ein Bewusstsein und nötige Kompetenzen geschaffen werden, die es ihnen in weiterer Folge ermöglichen sollen, Gefahren realistisch abschätzen und gegebenenfalls die nötigen Schritte (wie zum Beispiel Kontaktaufnahme mit Suchteinrichtungen) einleiten zu können.
Frage 15:
Das Anton-Proksch-Institut ist derzeit die einzige professionelle Institution in Österreich, welche ein dezidiertes Hilfsangebot im Bereich der Computer/Internetsucht anbietet. Hierbei werden vor allem in einem ambulanten Setting mit Beratungs- und Therapiegesprächen die Mechanismen der Abhängigkeitserkrankung aufgearbeitet und versucht, eine Verhaltensänderung zu erreichen. Abstinenz wird dabei nicht als Ziel, sondern maximal als vorübergehende unterstützende Maßnahme angesehen. Als Ziel wird ein kontrollierter und selbstbestimmter Umgang mit dem Computer bzw. dem Internet angestrebt. Als weiteres Angebot gibt es am Anton-Proksch-Institut für Betroffene auch Erfahrungsaustauschgruppen, in denen die TeilnehmerInnen ihre Erfahrungen mit dem Medium austauschen und in weiterer Folge Verhaltensstrategien für einen kontrollierten Umgang von den anderen erlernen können.
Liegt bei einem Betroffenen ein stark vorangeschrittenes Stadium der Abhängigkeitsentwicklung vor, gibt es außerdem auch die Möglichkeit eines stationären Aufenthaltes am Anton-Proksch-Institut, regelmäßig zwischen 6 und 8 Wochen.
Seitens des Berufsverbandes Österr. Psychologinnen und Psychologen wird u.a. auf das Institut zur Prävention von Online Sucht, www.onlinesucht.at, hingewiesen.
Frage 16:
Der Tagsatz für die stationären Behandlungskosten im Anton-Proksch-Institut beläuft sich auf € 129,60 (Stand 2009).
Die Frage nach den jährlichen Behandlungskosten für Jugendliche, die durch Computerspielsucht betroffen sind, kann aus dem Blickwinkel der gesetzlichen Krankenversicherung nicht sinnvoll beantwortet werden, da sich eine Unterscheidung zwischen dieser Behandlung und einer auf Grund einer sonstigen psychischen Störung erforderlichen therapeutischen Maßnahme nicht aus den dem Versicherungsträger zur Verfügung stehenden Daten ableiten lässt.