2414/AB XXIV. GP

Eingelangt am 05.08.2009
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(5-fach)

 

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Parlament

1010 Wien

 

 

 

GZ: BMASK-10001/0330-I/A/4/2009

 

Wien,

 

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 2906/J der Abgeordneten Pilz, Kolleginnen und Kollegen wie folgt:

 

Frage 1:

Zunächst ist festzuhalten, dass unter dem Begriff „Scheinselbständigkeit“ üblicher-weise Erwerbstätige verstanden werden, die faktisch wie unselbständig Beschäftigte arbeiten, jedoch nach der gewählten Vertragsform wie Selbständige behandelt wer-den.

Nach der arbeitsrechtlichen Judikatur ist im konkreten Einzelfall anhand der Ver-tragsgestaltung und der tatsächlich gelebten Vertragspraxis und den in der Judikatur genannten Kriterien zu prüfen, welcher Vertragstyp tatsächlich vorliegt. So kann im Zuge eines Verfahrens das zuständige Arbeits- und Sozialgericht zum Schluss kommen, dass in Wahrheit kein freier Dienstvertrag oder Werkvertrag vorliegt, sondern ein Arbeitsvertrag. Die Beurteilung hat anhand des wahren wirtschaftlichen Gehalts des Vertrags bzw. der gelebten Vertragspraxis zu erfolgen. Dabei sind die die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin grundsätzlich vom/von der Betroffenen selbst gerichtlich geltend zu machen.

Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz erlangt in seiner Funktion als Berufungsbehörde dann Kenntnis von Fällen der Scheinselbständigkeit, wenn diese im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens über die Versicherungspflicht (§ 415 ASVG) bis in die dritte Entscheidungsinstanz gelangen, wobei in meinem Ressort seit dem Jahr 2000 ein Fall betreffend die Beschäftigung eines Anlageberaters entschieden wurde. Derzeit sind beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz drei Berufungsverfahren über die Versicherungspflicht von so genannten FinanzdienstleistungsassistenInnen anhängig.

Seitens des Hauptverbandes, welcher diesbezüglich um ergänzende Beantwortung ersucht wurde, erging folgende Mitteilung:

„Eine bei den allfällig betroffenen Krankenversicherungsträgern durchgeführte Umfrage ergab folgendes Ergebnis:

Die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK) teilt dazu mit, dass in den Jahren 2000 und 2001 hinsichtlich eines Finanzberatungsunternehmens eine bundesweite Überprüfung der Tätigkeit von Finanzberatern/Finanzberaterinnen erfolgte, wobei im Ergebnis das Vorliegen von unselbständigen Beschäftigungsverhältnissen festgestellt wurde.

Bei der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) ist es seit dem Jahr 2000 im Rahmen von 173 GPLA [Gemeinsame Prüfung aller lohnabhängiger Abgaben] -Prüfungen in 41 Fällen zu einer Nachverrechnung und der Verhängung eines Beitragszuschlages gekommen. Es kann jedoch innerhalb dieser kurzen Frist nicht festgestellt werden, ob und gegebenenfalls in wie vielen der überprüften Vertragsverhältnisse eine „Scheinselbständigkeit“ vorliegt. Feststellbar ist jedoch, dass es in den meisten Fällen zu Nachverrechnungen von weniger als € 1.000,00 gekommen ist.

Darüber hinaus sind den Gebietskrankenkassen keine konkreten Fälle von Scheinselbständigkeiten in Finanzberatungsunternehmen bekannt geworden und wurden diese auch im Zuge durchgeführter Prüfungen nicht festgestellt.

Auch von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) wurde uns mitgeteilt, dass es bezüglich dieser Berufsgruppe keine Auffälligkeiten gibt.

Eine konkrete Anzahl an Fällen von „Scheinselbständigkeit“ kann somit nicht festgestellt werden.

Der Vollständigkeit halber wird jedoch darauf hingewiesen, dass die SGKK derzeit ein Verfahren gegen ein Versicherungsmaklerunternehmen wegen des Verdachts auf Vorliegen eines „Scheindienstverhältnisses“ führt.“

Fragen 2 und 3:

Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz prüft in seiner Funktion als Berufungsbehörde in Einzelfällen, ob eine als selbständig deklarierte Beschäftigung tatsächlich überwiegend Merkmale einer  persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit aufweist. Ist dies der Fall, so wird durch Bescheid Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG festgestellt. Die beschäftigte Person gilt dann sozialversicherungsrechtlich als DienstnehmerIn. Gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz kann Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

In dem oben genannten Fall eines Anlageberaters wurde Versicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG festgestellt. Der Beschäftigungszeitraum liegt in diesem Fall weit zurück (1987 bis 1994). Der Bescheid wurde nicht angefochten.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass immer dann, wenn Scheinselbständigkeit in bestimmten Berufssparten zur „beliebten Methode“ wurde, nur eine klare höchstgerichtliche Entscheidung über einen einschlägigen Sachverhalt dem nachhaltig entgegenwirken konnte.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass es bereits einschlägige Judikatur aus dem Bereich der VersicherungsmaklerInnen und HandelsvertreterInnen gibt, die die Entscheidung über Beschäftigungen im Finanzberatungssektor voraussichtlich erleichtern wird.

Seitens des Hauptverbandes wurde zu diesen Fragen ergänzend darauf hingewiesen, dass seitens der Krankenversicherungsträger Finanzberatungsunternehmen im Rahmen der standardmäßig vorgesehenen GPLA (Gemeinsame Prüfung aller lohnabhängiger Abgaben) bzw. schwerpunktmäßig im Einzelfall bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente kontrolliert werden. Dadurch können derartige Umgehungskonstruktionen unterbunden bzw. zumindest eingedämmt werden.

Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern, die um Auskunft über ihnen zustehende Ansprüche bitten (etwa in Zusammenhang mit bezahltem Urlaub, Krankheit oder Schwangerschaft), werden, wenn aus diesen eine mögliche Umgehung der ASVG-Sozialversicherungspflicht hervorgeht, an die zuständige Gebietskrankenkasse weitergeleitet.

Frage 4:

Weder von meinem Ressort, noch seitens der Krankenversicherungsträger wurde in den genannten Fällen bis dato ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet.

Im Bereich des Arbeitsrechts im engeren Sinn stehen Verwaltungsstrafverfahren in Bezug auf Scheinselbständigkeit nicht zur Verfügung. Aus arbeitsvertragsrechtlicher Sicht ist die Frage, ob trotz formaler Selbständigkeit nicht doch ein Arbeitsverhältnis vorliegt, beim Arbeits- und Sozialgericht im Zivilrechtsweg zu relevieren.

Frage 5:

Weder von meinem Ressort, noch seitens der Krankenversicherungsträger wurden Sachverhaltsfeststellungen an die Staatsanwaltschaft übermittelt.

Frage 6:

Gerichtliche Verfahren zur Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Arbeitsvertrag sind von den Betroffenen selbst zu führen, sodass diesbezüglich keine Daten vorliegen.

Seitens des Hauptverbandes wurde hiezu mitgeteilt, dass von den Krankenversicherungsträgern keine derartigen zivilrechtlichen Klagen eingebracht wurden.

Frage 7:

Durch die von den Finanzbehörden und/oder den Krankenkassen regelmäßig durchgeführten GPLA - Prüfungen wird versucht, die Phänomene der Scheinselbständigkeit bereits von vornherein einzudämmen. Ziel des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz als Berufungsbehörde muss es in diesem Zusammenhang sein, ohne Verzug durch qualitativ hochwertige Berufungsbescheide, die auf einwandfrei geführten Verfahren beruhen müssen, klare höchstgerichtliche Entscheidungen über einschlägige Sachverhalte möglich zu machen.

Abgesehen davon, kann ein Umgehen des Arbeitsrechts durch „Scheinselbständigkeit“ nur durch eine effektivere Durchsetzung der bereits vorhandenen arbeitsrechtlichen Normen zurück gedrängt werden. Die Frage der Rechtsdurchsetzung wird im Mittelpunkt der Umsetzung der im Regierungsprogramm vorgesehenen Kodifikation des Arbeitsrechts stehen.

 

Mit freundlichen Grüßen