2470/AB XXIV. GP
Eingelangt am 13.08.2009
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0171-Pr 1/2009
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 2455/J-NR/2009
Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Harald Stefan und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „des Internetprojektes Google Street View“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 6:
Mir sind keine Ansuchen des Unternehmens Google bekannt, Gebäude und Anlagen meines Ressorts zu fotografieren.
Zu 7:
Das Bundesministerium für Justiz wurde ebenso wie die Bezirks-, Landes- und Oberlandesgerichte sowie der Strafvollzug weder von Google selbst noch von einem beauftragten Unternehmen über das Vorhaben, Justizgebäude zu fotografieren, informiert.
Zu 8:
Die Beurteilung von Fragen der inneren und äußeren Sicherheit der Republik Österreich obliegen dem Herrn Bundesminister für Landesverteidigung und Sport und der Frau Bundesministerin für Inneres.
Zu 9 und 10:
In meinem Vollziehungsbereich sehe ich Fragen des Persönlichkeitsrechts berührt, in erster Linie also jene Persönlichkeitsrechte, die aus § 16 ABGB („Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte“) abgeleitet werden, nämlich insbesondere das in § 78 UrhG positivierte Recht am eigenen Bild sowie das Recht auf Wahrung der Geheimsphäre. In wesentlichen Teilaspekten ist der Persönlichkeitsschutz grundrechtlich ausgeformt (Art. 3, 6 Abs. 2, 8 MRK aber auch Art. 13 StGG, Art. 10 MRK), weshalb diese Persönlichkeitsrechte durch Güter- und Interessenabwägung zwischen den Rechten des Betroffenen und des Eingreifenden zu gewinnen sind.
Insoweit Normen des Datenschutzgesetzes 2000 betroffen sind, darf ich auf die Abfragebeantwortung des Herrn Bundeskanzlers zur Zl. 1818/J-NR/2009 verweisen.
Zu 11:
Ich beziehe die Frage nach dem Bildnisschutz ausschließlich auf das in der Anfrage genannte Projekt „Google Street View“.
Gemäß § 78 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz dürfen Bildnisse von Personen weder öffentlich ausgestellt noch auf andere Art der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten (bzw. eines nahen Angehörigen, falls der Abgebildete bereits verstorben ist) verletzt würden.
Soweit auf Google Street View im Internet Personen zu sehen sind, sind die Tatbestandselemente „Bildnis einer Person“ und „Zugänglichmachen an die Öffentlichkeit“ erfüllt. Es stellt sich daher die Frage, ob dadurch „berechtigte Interessen des Abgebildeten“ verletzt werden.
Die Auslegung des Gesetzesbegriffs „berechtigte Interessen“ im Einzelfall obliegt der unabhängigen Rechtsprechung, der ich als Justizministerin weder vorgreifen kann noch will. Ich weise allerdings in diesem Zusammenhang auf die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofs hin, die eine Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten insbesondere dann verneint, wenn dieser nicht erkennbar ist.
Soweit bekannt, werden bei Google Street View die Gesichter der fotografierten Passanten durch die Software automatisch unkenntlich gemacht (= „verpixelt“), bevor die Bilder im Internet zugänglich gemacht werden. Unter der Voraussetzung, dass diese Software fehlerfrei arbeitet, sind die entsprechenden Personen im Internet nicht erkennbar, womit eine Verletzung von berechtigten Interessen zu verneinen wäre. Kommt es hingegen (etwa aufgrund einer Fehlfunktion der Software oder einer technischen Rekonstruktionsmöglichkeit) zu keiner ausreichenden Unkenntlichmachung, könnte – sofern eine Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten nicht aus anderen Gründen (z.B. wegen erteilter Zustimmung) zu verneinen ist – ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz vorliegen. Die abgebildete Person könnte dann – je nach den Umständen des konkreten Falles – Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz begehren und diese Ansprüche letztlich mit einer zivilrechtlichen Klage geltend machen.
Zu 12:
Da keine gerichtlichen Entscheidungen vorliegen, die Google Street View oder Google Earth betreffen, kann (auch hier) nur eine Analyse anhand der von der Judikatur aufgestellten Kriterien zur Wahrung der Privat- bzw. Geheimsphäre durchgeführt werden.
Das Recht auf Wahrung der Geheimsphäre schützt sowohl gegen das Eindringen in die Privatsphäre einer Person als auch gegen die Verbreitung rechtmäßig erlangter Informationen über die Geheimsphäre. Schutzgegenstand ist die Privatheit einer Person und ihrer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen. Der stärkste Eingriff, welcher immer eine Verletzung der Geheimsphäre darstellt, ist die systematische, verdeckte, identifizierende Videoüberwachung mit abrufbarer Bildaufzeichnung. Dies liegt im Fall von Google Street View nicht vor, weil die Aufnahme weder über einen längeren Zeitraum verläuft (systematisch), die Gesichter unkenntlich gemacht werden (nicht identifizierend) und keine geheimen Aufnahmen gemacht werden (verdeckt). Ob der Umstand, dass eine Person aufgrund ihrer Statur, Haltung oder Kleidung erkennbar und dadurch eine Identifikation möglich sein kann, bereits als Eingriff in die Geheimsphäre zu werten ist, bleibt der abschließenden Prüfung durch die Rechtsprechung vorbehalten. Zu berücksichtigen wird auch sein, welche technischen Möglichkeiten bestehen, um die Unkenntlichmachung wieder aufzuheben.
Der Eingriff durch Google Street View bzw. Google Earth in die Geheimsphäre von Personen ist daher – verglichen mit Fällen, in denen bislang eine Verletzung der Geheimsphäre durch die Rechtsprechung festgestellt wurde – ein signifikant geringerer.
Zu 13 bis 21:
Allgemeine Fragen zu allfälligen Grundrechtsverletzungen fallen nicht in meinen Vollziehungsbereich. Ich darf auf die Abfragebeantwortung des Herrn Bundeskanzlers zur Zl. 1818/J-NR/2009 verweisen.
Zu 22 und 24:
Ansprüche gegen Auftraggeber des privaten Bereichs wegen Verletzung der Rechte des Betroffenen etwa auf Löschung sind vom Betroffenen auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen. Näheres bestimmt § 32 Datenschutzgesetz 2000. Zivilrechtliche Maßnahmen, die bei Verletzung der Persönlichkeitsrechte ergriffen werden können, sind Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche. Weiters ist in § 1328a ABGB vorgesehen, dass eine Person, in deren Privatsphäre rechtswidrig und schuldhaft eingegriffen wird, einen Anspruch auf Schadenersatz hat.
Zu 23, 25 bis 27:
Diese Fragen betreffen nicht den Zuständigkeitsbereich des Justizressorts.
Zu 28:
Ob ein vertraglicher Anspruch auf eine solche Kontrolle besteht, etwa auf Auskunft, bestimmt das auf den Vertrag maßgebende Recht. Das Recht welchen Staates dies ist, ist im internationalen Privatrecht des Gerichtsortes geregelt. Aus österreichischer Sicht ist primär das gewählte Recht maßgebend, mangels Rechtswahl das Recht des Staates, in dem die Vertragspartei ihre Niederlassung hat, die die charakteristische Leistung erbringt. Für Verbraucherverträge gilt Abweichendes.
Eine solche Kontrollmöglichkeit könnte sich auch aus einem außervertraglichen Schuldverhältnis ergeben, etwa, wenn die Datenspeicherung rechtswidrig ist und einen Schaden verursacht hat. Auf das außervertragliche Schuldverhältnis ist aus österreichischer Sicht nach der Rom II-Verordnung das Recht des Erfolgsortes, also das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden entstanden ist.
Wenn eine Rechtsordnung eine gesetzliche Kontrollmöglichkeit eröffnet, die vom Bestehen eines Vertrages, eines Schadenersatzanspruches oder sonstigen außervertraglichen Schuldverhältnisses unabhängig ist, ist dies nicht als zivilrechtlicher Anspruch anzusehen, sondern im Verwaltungsrecht begründet. In diesem Bereich gilt das Territorialprinzip. Ein solcher Anspruch wird nicht bei einem Gericht geltend gemacht werden können.
Soweit die Fragestellung die Kontrolle im Rahmen einer Zwangsvollstreckung eines zivilgerichtlichen Urteils (das etwa einem Unterlassungsbegehren stattgegeben hat oder der Verurteilung zur Löschung von Daten) betrifft, stehen nur die Möglichkeiten offen, die das Recht des Vollstreckungsstaates in solchen Fällen einräumt.
Zu 29:
Wenn die Löschung der Daten durch eine österreichische zivilgerichtliche Entscheidung angeordnet ist, kann diese Entscheidung in anderen Staaten nach Maßgabe von internationalen Verträgen, mit EU-Staaten auf der Grundlage von EU-Recht anerkennt und vollstreckt werden; in anderen Fällen nur dann, wenn der betreffende andere Staat nach seinem internen Recht die Anerkennung und Vollstreckung vorsieht.
Die Grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der EU ist die Brüssel I-Verordnung. Man wird den Anspruch des Einzelnen gegen den Betreiber der Datenbank auf Löschung als einen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfließenden Anspruch zu qualifizieren haben. Damit fällt er in den Anwendungsbereich der Verordnung.
Unter den EU- und den EWR-Staaten gilt das Übereinkommen von Lugano, mit gleichem sachlichen Anwendungsbereich wie die genannte Verordnung; in den Vertragsstaaten des Übereinkommens würde die Entscheidung ebenfalls vollstreckt (wenn die übrigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind).
Mit einigen Drittstaaten bestehen bilaterale Vollstreckungsverträge, die solche Ansprüche erfassen. Dies ist etwa mit der Türkei oder Tunesien der Fall.
Mit den USA und zahlreichen anderen Staaten steht kein solcher Vollstreckungsvertrag in Kraft, daher wird die Anerkennung einer Entscheidung eines österreichischen Gerichts nur in den US-Bundesstaaten bzw. Staaten in Frage kommen, die für die Anerkennung nicht die Gegenseitigkeit voraussetzen – das ist international die Ausnahme.
Wenn ein Schiedsspruch zur Löschung verpflichtet, ist die internationale Durchsetzung der Entscheidung günstiger. Ihre Rechtsgrundlage ist das New Yorker Schiedsübereinkommen, das in 144 Staaten in Kraft steht. Da aber ein Schiedsspruch eine Schiedsvereinbarung der Parteien voraussetzt, wird es in den hier besprochenen Fällen nur selten zu einer Schiedsentscheidung kommen.
Die tatsächliche Vollstreckung richtet sich nach dem Recht des jeweiligen Staates, in dem die Vollstreckungshandlungen vorzunehmen sind.
Zu 30 bis 45 und 47 bis 51:
Ich verweise zum einen darauf, dass – soweit überblickbar – zu den mit einem materiellrechtlichen Löschungsanspruch verbundenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Projekt Google Street View bisher noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorliegt, zum anderen darauf, dass die von der Fragestellung umfassten Maßnahmen nicht in den Vollziehungsbereich der Bundesministerin für Justiz fallen.
Zu 46:
Ja.
. August 2009
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)