2608/AB XXIV. GP
Eingelangt am 28.08.2009
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung

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Frau Präsidentin des Nationalrates Maga. Barbara Prammer Parlament 1017 Wien |
Alois Stöger diplômé Bundesminister
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Wien, am 27. August 2009
GZ: BMG-11001/0231-I/5/2009
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 2788/J der Abgeordneten Ing. Christian Höbart, Mario Kunasek und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Vor Beantwortung der einzelnen Fragen halte ich fest, dass die seinerzeitige Beantwortung der an mich gerichteten schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 442/J der Abgeordneten Ing. Christian Höbart, Mario Kunasek und weiterer Abgeordneter auf Basis der mir vorliegenden Informationen nach bestem Wissen und Gewissen erfolgt ist. Ich weise daher jedwede Unterstellung im Hinblick auf eine beabsichtigte Täuschung des Nationalrates über tatsächliche Vorgänge zurück.
Frage 1:
Die, in der genannten Publikation des Herrn Prof. Dr. Hauptmann aus dem Bericht des Bundesministeriums für Inneres zur Suchtmittelkriminalität 2004 zitierte Passage, nämlich
„In der Landeshauptstadt Klagenfurt haben Ermittlungen gezeigt, dass in Schulen Cannabis von bis zu 80% der Schüler konsumiert wird“
bezieht sich auf segmentielle Ermittlungsergebnisse der Exekutive. Deren Beurteilung liegt nicht im Zuständigkeitsbereich meines Ressorts. Eine unreflektierte Verallgemeinerung von Umständen, die in Einzelfallbeispielen durchaus gegeben sein mögen, ist weder seriös noch aussagekräftig.
Fragen 2 und 3:
Ich weise darauf hin, dass, wie bereits in der Beantwortung der an mich gerichteten schriftlichen Parlamentarischen Anfrage Nr. 442/J ausgeführt und begründet, von einer Veröffentlichung der genannten Arbeit des Herrn Prof. Dr. Hauptmann seitens des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen Abstand genommen worden ist. Von einer unreflektierten Weitergabe des Inhaltes ist also Abstand zu nehmen. Auch die, im Rahmen der seinerzeitigen Beurteilung mitbefassten, Bundesministerien für Inneres und für Justiz haben eine Orientierung an den darin enthaltenen Behauptungen und Vorschlägen, unter Hinweis auf die qualitativen Mängel, als unzweckmäßig dargestellt bzw. davon abgeraten.
Fragen 4, 5 und 6:
Eine Reihe international renommierter Experten (Pierre Kopp, Eric Single, David J. Collins, Helen M. Lapsley, Brian Easton, Philippe Fenoglio, Jürgen Rehm, Alfred Uhl) geht in ähnlich gelagerten Kostenanalysen davon aus, dass die sozialen Kosten im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch deutlich unter bzw. knapp über 1% des BIP liegen. Im Unterschied dazu weist Herr Prof. Dr. Hauptmann in seiner diesbezüglichen Arbeit für das Jahr 2002 soziale Kosten in Höhe von 6, 7% des BIP aus. In Fortschreibung seiner Berechnungsmethode wären dies derzeit schon ca. 11%. Die bei der Kostenanalyse des Autors zur Anwendung gelangende Methodik ist daher kritisch zu hinterfragen.
Die unter Berufung auf den genannten Autor kritisierten Experten sind hingegen durchwegs international anerkannte Wissenschafter, haben akademische Studien absolviert und lehren an Universitäten.
Frage 7:
Von einer ausgewogenen und auf breitem politischem Konsens basierenden österreichischen Drogenpolitik profitiert die gesamte österreichische Bevölkerung – Suchtkranke, deren Umfeld sowie unbeteiligte Dritte, somit indirekt auch alle Experten auf nationaler Ebene.
Frage 8:
Wie bereits in der Beantwortung der an mich gerichteten schriftlichen Parlamentarischen Anfrage Nr. 442/J eingehend erläutert, werden im Auftrag meines Ressorts Schätzungen zur Prävalenz des sog. problematischen Drogenkonsums durchgeführt. In diesem Zusammenhang spielt polytoxikomaner Drogenkonsum mit Beteiligung von Opiaten eine zentrale Rolle. Zwar haben sich die Substanzmuster im Rahmen des polytoxikomanen Konsums während des letzten Jahrzehnts verbreitert, doch zeigen Analysen, dass Opiate als Leitdroge weiterhin dominieren. Wissenschaftliche Schätzungen zur Prävalenz bei problematischem Drogenkonsum liegen daher gegenwärtig in Österreich nur für Opiate bzw. für den polytoxikomanen Konsum mit Beteiligung von Opiaten vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Prävalenzschätzungen des problematischen Drogenkonsums auf Grund ihrer Komplexität mit einer Reihe von methodischen Problemen verbunden sind, die ihre Aussagekraft stark einschränken. Die Ergebnisse stellen daher immer nur eine grobe Annäherung dar.
Frage 9:
Nein. Die Prävalenzschätzung erfolgt auf Basis international anerkannter Methoden.
Frage 10:
Die aus dem einheitlichen Dokumentationssystem der Drogenhilfeeinrichtungen gewonnenen Daten (vgl. Download DOKLI-Auswertungsberichte zu den Klient/innen-Jahrgang 2006 und 2007) zeigen, dass auch im klassischen Behandlungsbereich (längerfristig ambulant bzw. stationär) Opiate als vorrangige Problemdroge („Leitdroge“) dominieren, während Kokain als Leitdroge eine nur sehr untergeordnete Rolle spielt. Cannabis kommt insbesondere im ambulanten Setting eine gewisse Relevanz zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich bei den davon betroffenen Personen sehr häufig eine Therapieauflage, d.h. ein Zusammenhang mit einer Anzeige nach dem Suchtmittelgesetz findet.

Quelle: GÖG/ÖBIG, DOKLI-Auswertung Klientenjahrgang 2006; GÖG/ÖBIG-eigene Darstellung
Frage 11:
Sucht- und Drogenprävention, aber auch eine Vielzahl anderer Bereiche (z.B. medizinische Praktiken, Psychotherapie, Schulunterricht, Sicherheitspolitik, wirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen etc.), steht in komplexen Zusammenhängen. Dabei lassen sich Effekte einzelner Maßnahmen in der Anwendung nicht eindeutig belegen. Ob und wie bestimmte Maßnahmen wirken, ist bereits seit langem immer wieder Gegenstand systematisch wissenschaftlicher Untersuchungen und Diskussionen auf Expertenebene. Formale Evaluierungen in diesem Bereich und deren Bewertung stellen immer eine Herausforderung dar.
Frage 12:
Es gibt eine sehr große Zahl an empirischen Untersuchungen, die Aspekte der Sucht- und Drogenprävention wissenschaftlich untersuchen und bestimmte Vorgehensweisen nahelegen. Diese werden in unterschiedlichen Expertisen zusammengefasst und diskutiert. Dabei ist der eindeutige wissenschaftliche Beweis, dass bestimmte Strategien bestimmte Effekte bringen, nur selten möglich. Als Beispiele für zusammenfassende Expertisen dieser Art seien genannt:
• Botvin, G.J.; Schinke, S.P.; Epstein, J.A.; Diaz, T.; Botvin, E.M. (1995): Effectiveness of Culturally Focused and Generic Skills Training Approaches to Alcohol and Drug Abuse Prevention Among Minority Adolescents: Two-Year Follow -Up Results. Psychology of Addictive Behaviors. 9, 3, 183-194;
· Bühler, A.; Kröger, C. (2006). Expert Report on Prevention of Drug Misuse. German Center for Health Information (Expertise zur Prävention des Substanzmissbrauchs.), BZgA: Köln.
• Cuijpers, P. (2002): Effective Ingredients of School-Based Drug Prevention Programs A systematic Review. Addictive Behaviors, 27,1009-1023;
• Foxcroft, D.R.; Ireland, D.; Lister-Sharp, D.J.; Lowe, G.; Breen, R. (2002): Longer-term primary prevention for alcohol misuse in young people: a systematic review. Addiction, 98, 397-411;
· Franke, A. (Hrsg.) (2002). Statement of the Commission on Drugs and Addiciton at the Ministry of Health on the Improvement of Drug Prevention (Stellungnahme der Drogen- und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit zur Verbesserung der Suchtprävention). BMG: Berlin.
• Hansen, W.B. (1992): School-Based Substance Abuse Prevention: A Review of the State of the Art in Curriculum, 1980-1990. Health Education Research, 7, 3, 403-430;
• Holder, H. (2001): The Effects of Substance Abuse Prevention: Results from International Research. Prevention of Drugs and Addiction Expert Hearing, German Ministry of Health, 5-6 July, Berlin;
• Künzel-Böhmer, J.; Bühringer, G.; Janik-Konecny, T. (1994): Expert Report on Primary Prevention of Substance Abuse. IFT Research Report Series, Vol. 60e, Munich;
• Morgan, M. (2001): Drug Use Prevention An Overview of Research. National Advisory Committee on Drugs, Dublin;
• Tobler, N.S.; Stratton, H.H. (1997): Effectiveness of School-Based Drug Prevention Programs: A Meta-Analysis of the Research. The Journal of Primary Prevention, 18, 1, 71-128
Frage 13:
Die ins Treffen geführte Äußerung der beiden genannten Experten entspricht dem aktuellen Stand der modernen Wissenschaftstheorie und gilt für viele andere Bereiche ebenso (siehe dazu die Beantwortung der Frage 11). Das bedeutet aber keinesfalls, dass sinnvolle Forschung nicht möglich wäre. Die Autoren wenden sich lediglich gegen Scheinevaluationen, die Schlussfolgerungen ziehen, welche die gewonnenen Daten nicht zulassen.
Frage 14:
Die erwähnten Experten beziehen sich im gegebenen Zusammenhang auf die internationalen Standards für Evaluationen des „Joint Committee on Standards for Educational Evaluation (2000)“ in den USA, welche im Übrigen auch von der deutschen Gesellschaft für Evaluation (DeGeVal) analog übernommen wurden und vier Standards festlegen:
• Korrektheit: Die Korrektheitsstandards sollen sicherstellen, dass eine Evaluation rechtlich und ethisch korrekt durchgeführt wird und dem Wohlergehen der in die Evaluation einbezogenen und auch der durch die Ergebnisse betroffenen Personen gebührende Aufmerksamkeit widmet.
• Nützlichkeit: Die Nützlichkeitsstandards sollen sicherstellen, dass eine Evaluation sich an den Informationsbedürfnissen der vorgesehenen EvaluationsnutzerInnen ausrichtet.
• Durchführbarkeit: Die Durchführbarkeitsstandards sollen sicherstellen, dass eine Evaluation realistisch, logisch aufgebaut, gut durchdacht und strukturiert, transparent bezogen auf die Zielvorstellungen, diplomatisch und kostenbewusst ausgeführt wird.
• Genauigkeit: Die Genauigkeitsstandards sollen sicherstellen, dass eine Evaluation über die Güte und/oder die Verwendbarkeit des evaluierten Programms fachlich angemessene Informationen hervorbringen und vermitteln wird.
Frage 15:
Ja, da jede noch so kleine Verringerung der Anzahl an suchtgiftbezogenen Todesfällen einen Erfolg, sowohl für den Einzelnen, als auch für die Gesellschaft, darstellt.