2711/AB XXIV. GP

Eingelangt am 08.09.2009
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BM für Wissenschaft und Forschung

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

                             BMWF-10.000/0231-Pers./Org.e/2009

Frau Präsidentin

des Nationalrates

Mag. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

Wien, 8. September 2009

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 2634/J-NR/2009 betreffend CERN-Mitgliedsbeitrag und leistungsorientierte Forschungsfinanzierung, die die Abgeordneten Mag. Rainer Widmann, Kolleginnen und Kollegen am 8. Juli 2009 an mich richteten, wird wie folgt beantwortet:

 

Das CERN wurde im Jahre 1954 von 12 europäischen Staaten gegründet mit dem Ziel, ein Europäisches Forschungslabor im Bereich der physikalischen und ausschließlich friedlichen Grundlagenforschung zu etablieren. Österreich ist seit 1959 Mitglied dieser Organisation. Der Name „CERN“ kommt von der ursprünglichen Bezeichnung „Conseil Européen de la Recherche Nucléaire“. Anfangs beschäftigten sich die Wissenschafter/innen am CERN hauptsächlich mit der Erforschung des Atomkerns, was die Bezeichnung „Recherche Nucléaire“ erklärt. Das CERN hat eine rasante Entwicklung durchgemacht und heute wird am CERN Grundlagen-forschung im Bereich der Teilchenphysik durchgeführt, weshalb die Fachwelt auch die Bezeichnung „Europäisches Laboratorium für Teilchenphysik“ verwendet. Am CERN werden also – laut Auskunft der Österreichischen Vertretung in Genf – keine Nuklearexperimente zur Erforschung der Kernkraft durchgeführt.


Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass beim CERN einige kleine Experimente im Bereich der Kernphysik gemacht werden. ISOLDE untersucht Herstellung und Stabilität von überschweren Elementen, die in der Natur nicht vorkommen. Am Antiproton Decelerator werden Experimente mit Antiprotonen und Antiatomen durchgeführt, die dem Verständnis der Natur von Materie und Antimaterie dienen. N-TOF untersucht die Produktion von Neutronen in ver-schiedenen Elementen unter Beschuss mit energiereichen Protonen, was, abgesehen vom prinzipiellen Verständnis, langfristig für eine Mutation von hochaktivem Kernenergie-Müll zu wenig aktivem Restabfall dienen könnte.

 

Mit dem Large Hadron Collider (LHC) erschließt die Physik einen neuen Energiebereich in der Teilchenphysik. Wesentliche wissenschaftliche Problemstellungen dieses Experimentes sind die Klärung des physikalischen Ursprungs der Masse der Grundbausteine der Materie sowie die Aufklärung der Natur der dunklen Materie im Universum. Diese Fragestellungen sind schon vor mehreren Jahrzehnten formuliert worden, haben aber erst mit dem LHC das Werkzeug für schlüssige Antworten gefunden.

 

 

Ein Bericht der LHC Safety Assessment Group wurde im Wissenschaftsausschuss (Scientific Policy Committee) des CERN, von einer Gruppe anerkannter, internationaler Expert/inn/en geprüft, um sicherzugehen, dass eine unabhängige Beurteilung der Ergebnisse erfolgt. Alle Untersuchungen haben lt. Auskunft der Österreichischen Vertretung in Genf zum Ergebnis, dass auf der Grundlage der eingehenden wissenschaftlichen Analysen die Erde und die Menschheit nicht durch den LHC gefährdet sind.

 

 

Zu Frage 1:

Die Schwankungen des österreichischen Anteils an den Personal- und Materialkosten ergeben sich aus den Schwankungen des Anteils am Gesamtbudget zw. 2,16 bis 2,19 % und beziehen sich auf den entsprechend gewichteten Anteil Österreichs an den Gesamtausgaben. Aus den abgerechneten Zahlen für 2007 ist ersichtlich, dass der CERN-Anteil an den Zahlungen an den Pensionsfonds rund 69 Mio. CHF (Dienstgeberanteil, enthalten im Ansatz Personal inkl. Pen-sionsfonds) beträgt. Grundsätzlich werden vom CERN genaue Zahlen erst 2 Jahre nach dem jeweiligen Budget verbindlich bekannt gegeben. Im Schnitt werden jährlich etwa 250 Mio. CHF vom Pensionsfonds für Pensionen aufgewendet.

 

Zu den Mitgliedsbeiträgen kommen zusätzlich jene Mittel, die für den Bau der LHC-Detektoren (CMS, ATLAS) und die Computerinfrastruktur (GRID) notwendig sind, wofür seitens des BMWF bisher weitere rund 8,6 Mio. CHF getragen wurden. Nur mit diesen Zusatzmitteln ist eine Beteili-gung an den Experimenten möglich (siehe Frage 7).

 

Alle Angaben gemäß CERN-Dokumenten und Angaben der Ständigen Vertretung Genf in Schweizer Franken (CHF).


 

2004

2005

2006

2007

2008

CERN-Einnahmen

980.139.000

991.798.000

997.247.000

1.026.288.000

1.075.863.000

CERN-Ausgaben

1.267.260.000

1.330.560.000

1.217.400.000

956.200.000

863.415.000

Material

816.250.000

850.550.000

727.090.000

451.800.000

370.816.000

Personal inkl. Pensionsfonds

451.010.000

480.010.000

490.310.000

504.400.000

492.599.000

Pensionszahlungen des Fonds

225.710.000

236.715.000

251.900.000

267.000.000

256.094.000

Österr. Anteil (an den Pensionszahlungen)

4.866.000

5.158.000

5.477.000

5.789.000

5.606.000

Mitgliedsbeitrag

21.132.350

21.612.050

21.683.900

22.250.950

23.553.550

Personalkosten inkl. Pensionsfonds

9.724.000

10.460.000

10.661.000

10.936.000

10.784.000

Material

17.599.000

18.534.000

15.810.000

9.795.000

8.118.000

 

Zu Frage 2:

Unter der Annahme von konstanten CERN-Mitgliedsbeiträgen ab 2010 in Höhe von 1.099,4 Mrd. CHF (wie im offiziellen Medium-Term-Plan des CERN vom Juni 2009 enthalten) und einem gleichbleibenden Anteil Österreichs am Budget von 2,24 % ergeben sich folgende Beiträge:

 

[CHF]

2009

2010

2011

2012

Mitgliedsbeitrag

24.661.200

24.626.560

24.626.560

24.626.560

 

Erfahrungsgemäß ist aber zumindest mit der Berücksichtigung der Inflationsrate zu rechnen, sodass der Beitrag wahrscheinlich um etwa 2 bis 3% jährlich höher ausfallen wird. Kurs-schwankungen des Schweizer Franken, wie in der Vergangenheit üblich und durchaus in beträchtlicher Höhe (Differenz 2008/2009 mehr als 1 Mio. €), können ebenfalls hinzukommen und lassen sich aus der Natur der Sache nicht vorhersagen.

 

Da die bestehenden Anlagen wegen der hohen (Strahlen-)Belastung im Betrieb in spätestens etwa 5 Betriebsjahren erneuert werden müssen, ist von weiteren zusätzlichen Mitteln von etwa 7 Mio. CHF auszugehen. Nicht inkludiert sind hier Kosten, die für den geplanten Ausbau der Anlage benötigt werden.

 

Zu Frage 3:

Das Budget wird vom CERN-Management entsprechend seiner Vorstellungen und Gewichtung der Notwendigkeiten zur Erfüllung aller CERN-Aufgaben den CERN-Gremien vorgeschlagen und vom Council, in welchem jeder Mitgliedstaat vertreten ist, beschlossen. Forderungen können nur an spezielle zusätzliche Beiträge eines Landes (sog. voluntary contributions) geknüpft werden. Eine Änderung dieser Situation ist nur im Konsens mit den anderen Mitgliedstaaten möglich, wofür es bei der allgemeinen Einschätzung des CERN als „Erfolgsgeschichte“ keine Anzeichen, bzw. aus Sicht der Vertreter der Mitgliedstaaten in den Gremien auch keine Notwendigkeit gibt.

 

Zu Frage 4:

CERN hat ein “External Audit” Komitee – welches regelmäßig Berichte für das CERN-Council verfasst. Für die Zeitspanne 2003 bis 2007 hat Österreich die Externen Auditor gestellt. Das Mandat der Auditoren umfasste neben der Prüfung des Jahresabschlusses und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung auch die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz der geschäftlichen Prozesse und Abläufe. Die Externen Auditoren sind gemäß der CERN-Statuten unabhängig, keinerlei Weisungen unterworfen und frei in der Festlegung ihres Auditprogramms. CERN verdankt den österreichischen Auditoren die Einführung der „International Public Sector Accounting Standards (IPSAS)“ und die Unterstützung bei der Einführung einer neuen CERN „Governance“, die den Erfolg des CERN an den Ergebnissen der durchgeführten Forschung und der Qualität der angebotenen Services (Unterstützung) der Benutzer knüpft.

 

Zu Frage 5:

Die Beurteilung der Risiken setzt eine Expertise voraus, wie sie – selbst weltweit – nur wenige Expert/inn/en besitzen. Einige Expert/inn/en haben Berichte verfasst und in angesehenen Zeitschriften veröffentlicht. Diese wurden in den Fachzirkeln diskutiert, wie es in der Welt der Wissenschaft üblich ist.

 

Zu Frage 6:

Mit dem österreichischen Mitgliedsbeitrag wurden auch Teile des LHC, insbesondere der Beschleuniger, finanziert: CERN gibt für den LHC-Kostenanteil eine Summe von 6.539,099.000 CHF für die Jahre 1995-2008 an; mit dem durchschnittlichen Anteil Österreichs am CERN-Budget der Jahre 2004-2009 von 2,18 % ergibt sich ein Finanzanteil aus den Mitglieds-beiträgen von rund 142,9 Mio. CHF.

 

Zu Frage 7:

CERN gibt im neuesten Medium-Term-Plan vom Juni 2009 für das „Wissenschaftliche Programm – LHC“ einen Anteil von durchschnittlich 275 Mio. CHF (etwa 23,5 % des Budgets) an. Rechnet man auch in Infrastrukturkosten, Services, etc hinzu, so werden die LHC-Kosten voraussichtlich bei etwa 75 % des Gesamtbudgets liegen, entsprechend der Tatsache, dass LHC das bei weitem größte und wichtigste Experiment ist, welches in den nächsten Jahren am CERN betrieben wird. Für den österreichischen Anteil ergibt sich mit den Zahlen aus Frage 2 daher ein Betrag für LHC von rund 18,51 Mio. CHF pro Jahr.

 

Zu Fragen 8 und 9:

Am CERN findet nach allgemeinem Verständnis keine Forschung im Hinblick auf die energetische Nutzung der Kernenergie statt. Die Frage nach der Vereinbarkeit der CERN-Tätigkeit mit dem „Österreichischen Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich“ stellt sich daher auch aus diesem Grund nicht.

 

Zu Frage 10:

Da nukleare Experimente, also Experimente, die die Manipulation von Atomkernen zum Gegenstand haben, in äußerst unterschiedlichen Facetten auftreten und für die unter-schiedlichsten Wissenschaften von großer Bedeutung sind, ist eine generelle Antwort nicht möglich. Bei der archäologischen Altersbestimmung von Tonscherben oder Höhlenbären-knochen kommen ebenso nukleare Methoden zum Einsatz (z.B. C14 Radiokarbonmethode) wie in der Elementarteilchenphysik oder den zukünftigen Experimenten zur Grundlagenforschung bei MedAustron. Die strikte Haltung der Bundesregierung zu Fragen der Kernspaltung setze ich als bekannt voraus.


Zu Frage 11:

Diskussionen und unterschiedliche Einschätzungen sind Teil einer lebendigen Wissenschafts-kultur. Hinsichtlich eines „hohen Gefahrenpotenzials“ gehen nach meinem derzeitigen Kenntnisstand die anerkannten Expert/inn/en und der CERN davon aus, dass dieses icht existiert (Sicht des CERN inkl. weiterer Verweise und Zitate ist unter http://public.web.cern.ch/public/en/LHC/Safety-en.html). In diesem Zusammenhang gehe ich als Wissenschaftsminister davon aus, dass die Expert/inn/en auch zu einem differenzierten Dialog mit der Öffentlichkeit in der Lage sind und sich in ihren Begründungen klar und verständlich ausdrücken (siehe auch Fragen 12 bis 15). Dieser unverzichtbar öffentliche Diskurs beinhaltet selbstverständlich auch das Eingehen auf Argumente von Andersdenkenden, gegebenenfalls das Aufdecken von Fehlern und Widersprüchen in deren Argumentation, aber auch das Ernst nehmen von Sorgen der Bevölkerung und eine adäquate Reaktion darauf.

 

Zu Fragen 12 bis 15:

Zunächst darf ich grundsätzlich festhalten, dass CERN als Internationale Organisation nicht der Judikatur oder Prüfung durch Österreich unterliegt. Alle Sicherheitsfragen sind daher von den beiden Sitzstaaten Schweiz und Frankreich akribisch auf deren Gesetzesgrundlage zu prüfen und – gegebenenfalls – den anderen Mitgliedstaaten zu kommunizieren. Auch dazu finden sich Hinweise auf der CERN-Page: http://public.web.cern.ch/public/en/LHC/Safety-en.html.

 

Zur Klärung der weiteren, eng mit dem Stand der Forschung verknüpften Fragen habe ich bereits vor einigen Monaten eine österreichische Expert/inn/engruppe unter Leitung von Prof. Fabjan und unter Mitwirkung von Prof. Pietschmann um Ausarbeitung einer detaillierten und für die Öffentlichkeit verständlichen Expertise (in deutscher Sprache) gebeten. Ein erster Entwurf wurde bereits vorgelegt, aber von den Autoren zwecks Verbesserung der Verständlichkeit und Klarheit zur weiteren Bearbeitung zurückgezogen.

 

Ebenso wurde der CERN im Wege der Ständigen Vertretung in Genf um detaillierte Beantwortung dieser wichtigen Fragen gebeten. Da die Weiterleitung dieser Fragen durch die Ständige Vertretung in Genf an den CERN urlaubsbedingt innerhalb der gebotenen Frist nicht erfolgreich war, deren Beantwortung für Österreich aber von grundsätzlicher Bedeutung ist, werde ich – gegebenenfalls direkt oder im Wege des CERN-Council – auf eine Antwort und auch einer Verbesserung der Kommunikation des CERN mit der Öffentlichkeit bestehen.

 

 

Der Bundesminister:

 

Dr. Johannes Hahn e.h.