2875/AB XXIV. GP

Eingelangt am 11.09.2009
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0202-Pr 1/2009

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2846/J-NR/2009

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Umgang mit dem mutmaßlichen NS-Täter Kumpf und anderen NS-Kriegsverbrechern“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 12:

Das Bundesministerium für Justiz hatte keinerlei Kontakte, welcher Art auch immer, zu J.K und kannte auch dessen Aufenthaltsort in Österreich nicht. Das Justizressort hat weder Unterstützungsleistungen für ihn noch sonstige Ausgaben zu dessen Gunsten getätigt.

Von den angefragten Behörden ist mir nicht bekannt, ob sie in die Betreuung von J.K. involviert gewesen sind.

Zu 13 und 14:

Die Republik Österreich hat im Rahmen der Konsultationen zur Rückübernahme des J.K. gegenüber der amerikanischen Seite bereits angeregt, an Polen als Tatortstaat im Interesse der Prüfung einer allfälligen Strafverfolgung durch die polnischen Behörden heranzutreten. Am 2. März 2009 informierte das polnische Justizministerium, dass die dortigen Strafverfolgungsbehörden keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen J.K. hätten.

Dem Bundesministerium für Justiz ist bekannt geworden, dass auch Spanien ein Strafverfahren gegen J.K. auf der Basis des Weltrechtsprinzips eingeleitet hat.

Zu 15, 16, 26 und 27:

Auf Basis der derzeitigen Rechtslage ist eine Strafverfolgung gegen J.K. geboren am 7. April 1925, nicht möglich, weil im Hinblick auf das Lebensalter des Genannten im Zeitpunkt der der in der Einleitung der Anfrage dargestellten, im November 1943 begangenen NS-Verbrechen Verjährung der Strafbarkeit eingetreten ist. Dies auf Grund folgender Tatsachen:

Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1965, BGBl. Nr. 79, wurde die Verjährung für alle strafbaren Handlungen ausgeschlossen, die im Zeitpunkt ihrer Begehung mit dem Tode oder – nach Aufhebung der Todesstrafe am 1.7.1950 mit Bundesgesetz vom 21. Juni 1950, BGBl. Nr. 130 - mit lebenslangem Kerker bedroht waren.

§ 232 des auf den aktuellen Fall anzuwendenden (österreichischen) StG lautete: „Bei einem Verbrechen, worauf im Gesetze Todesstrafe oder lebenslange Kerkerstrafe verhängt ist, gilt hinsichtlich derjenigen Personen, welche zur Zeit, als sie daran teilgenommen haben, noch nicht das zwanzigste Lebensjahr zurückgelegt hatten, nur die Strafdauer von zehn bis zwanzig Jahren als Maßstab der Verjährung“.

Gemäß § 228 Abs. 1 lit b. betrug die Verjährungsfrist bei Verbrechen, die nach dem Gesetze mit einer Strafe von zehn bis zwanzig Jahren belegt werden sollten, zehn Jahre.

Zu beachten sind überdies die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 10. Juli 1963, BGBl. Nr. 180 über Verlängerung der Ver­jährungsfristen für nationalsozialistisch motivierte Straftaten,  die aber auf jene Fälle beschränkt blieben, in denen im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch keine Verjährung eingetreten war. Nach diesem Regelwerk wurde   der Beginn der Verjährungsfrist einheitlich mit dem 29. Juni 1945 festgelegt.

Hieraus folgt, dass die Strafbarkeit des aktuell zu beurteilenden Sachverhalts bereits seit dem 29. Juni 1955 verjährt ist.

Daran würden auch legistische Maßnahmen im Sinne einer Änderung der geltenden Rechtslage nichts ändern. Das in § 1 StGB und Art. 7 EMRK verankerte Prinzip des Rückwirkungsverbots besagt, dass eine Rückwirkung von Strafgesetzen bzw. nachträgliche Strafverschärfungen ausgeschlossen sind. Daher würde eine Änderung der Rechtslage, um die Strafverfolgung im Anlassfall zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 57 und 58 StGB über die Verjährung der Strafbarkeit diesem verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Prinzip („nulla poena sine lege“) widersprechen.

Zu 17 und 19:

Weil die Taten, die J.K. bislang zur Last gelegt werden, nach österreichischem Recht verjährt sind (siehe dazu ausführlich die Beantwortung des Fragepunktes 25), kommt eine Auslieferung nur in Frage, wenn zusätzlich zu den bisher vorgeworfenen Fakten weitere hinzutreten, deren Strafverfolgung noch nicht durch Verjährung gehindert wäre. Der Verjährung liegt im Übrigen nicht der Gedanke zu Grunde, dass begangenes Unrecht zu Recht wird.

Zu 18:

Die J.K vorgeworfenen Taten unterliegen grundsätzlich der österreichischen Gerichtsbarkeit. J.K., dessen Staatsbürgerschaft nicht geklärt ist, wurde auf Bundesgebiet betreten und kann aus einem anderem Grund als wegen der Art oder Eigenschaft seiner Tat nicht ausgeliefert werden (§ 65 Abs. 1 Z 2 StGB).

Zu 20 und 21:

Als Bundesministerin für Justiz obliegt es mir nicht, einen etwaigen außenpolitischen Schaden zu beurteilen. Auch die Beurteilung des Verhaltens ausländischer Behörden kommt mir nicht zu.

Zu 22:

Den von amerikanischer Seite zur Verfügung gestellten Unterlagen lässt sich entnehmen, dass sich J.K. am 15. Oktober 1942 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet und zunächst Dienst als Wache im Konzentrationslager Sachsenhausen versehen habe. Am 29. Oktober 1943 - nach Auflösung des SS-Arbeitslagers Dorohuzca - sei er in das Ausbildungslager Trawniki bei Lublin/Polen versetzt worden, wo es Anfang November 1943 zur Erschießung von etwa 6000 Juden gekommen ist. J.K. habe eingeräumt, dort als Wache mit dem Auftrag eingesetzt worden zu sein, das Entkommen allfälliger Überlebender des Massakers zu verhindern. Da aber bereits alle Opfer tot gewesen seien, als er zum Ort des Verbrechens hinzugekommen sei, habe er selbst keine Tötungshandlungen gesetzt.

Zu 23 und 24:

Die Frage, ob J.K. in Deutschland der Prozess gemacht werden könnte, betrifft nicht meinen Vollziehungsbereich. Im Übrigen verweise ich auf meine Rechtsausführungen zu den Fragepunkten 15, 16 sowie 25 bis 27.

Zu 25:

Nach heutigem österreichischem Recht verjährt die Strafbarkeit bei Mord – begangen von einem Erwachsenen – nicht.

Die Verjährung der Strafbarkeit in Österreich ist im geltenden Recht in den §§ 57 und 58 StGB geregelt. Für die Verfolgungsverjährung sind die gesetzlichen Strafdrohungen ausschlaggebend. Strafbare Handlungen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind oder die mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, verjähren nicht. Nach Ablauf einer Frist von zwanzig Jahren tritt jedoch an die Stelle der angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren. Die Strafbarkeit anderer Taten erlischt durch Verjährung. Dafür sind die in § 57 Abs. 3 StGB angeführten Strafdrohungen und Fristen maßgeblich. Nach diesen Bestimmungen ist gewährleistet, dass die Strafbarkeit bei Mord gemäß § 75 StGB nicht verjährt, weil  Mord mit einer Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist.

Die genannten Bestimmungen über die Verjährung der Strafbarkeit sind auch auf Jugendstraftaten anzuwenden, allerdings ist von den durch § 5 JGG bei der Ahndung von Jugendstraftaten herabgesetzten Strafdrohungen auszugehen. Ist nach allgemeinem Strafrecht eine lebenslange Freiheitsstrafe oder eine Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe angedroht, tritt, wenn ein Jugendlicher die Tat nach Vollendung des 16. Lebensjahres begangen hat, die Androhung einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünfzehn Jahren (§ 5 Abs. 2 lit a JGG), hat er hingegen bei Begehung der Tat das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, eine solche von einem bis zu zehn Jahren (§ 5 Abs. 2 lit b JGG). Im ersten Fall (nach Vollendung des 16. Lebensjahres) verjährt die Strafbarkeit daher nach 20 Jahren, im zweiten Fall (vor Vollendung des 16. Lebensjahres) nach 10 Jahren.

Die Strafbarkeitsverjährung bei Mord, begangen von Jugendlichen und Heranwachsenden, nicht auszuschließen ist nicht erst eine Maßnahme des JGG 1988, sondern entspricht der österreichischen Strafrechtstradition.

Im Übrigen verweise ich auf meine Ausführungen zum absoluten Rückwirkungsverbot im materiellen Strafrecht (Fragepunkt 15), wonach später eingeführte, strengere Strafrechtsbestimmungen, die zum Zeitpunkt der Straftat noch nicht gegolten haben, nicht rückwirkend angewendet werden dürfen.

Zu 28 bis 31:

In den vergangenen Jahren wurden Verdachtsfälle hauptsächlich vom Simon-Wiesenthal-Center gemeldet. Diesen Informationen wurde seitens des Bundesministeriums für Justiz nachgegangen, wobei im Einzelnen auf die Anfragebeantwortung zur Zahl 22/J-NR/2006 verwiesen werden darf. Die zuletzt eingeleiteten Verfahren mussten aber wegen Todes der Beschuldigten beendet oder wegen gutachterlich attestierter Verhandlungsunfähigkeit abgebrochen werden.

 

. September 2009

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)