2947/AB XXIV. GP

Eingelangt am 03.11.2009
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Bundeskanzler

Anfragebeantwortung

 

 

 

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017 Wien

GZ: BKA-353.110/0186-I/4/2009

Wien, am 2. November 2009

 

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Widmann, Kolleginnen und Kollegen haben am 1. September 2009 unter der Nr. 2938/J an mich eine schriftliche parlamentari­sche Anfrage betreffend Arbeitsbesuch des tschechischen Premiers Jan Fischer ge­richtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 4:

Ø         Wie lange dauerte das Gespräch zwischen Ihnen und Jan Fischer?

Ø      Welche Personen waren außer Ihnen noch anwesend?

Ø     Welchen Standpunkt bezüglich der Temelin-Debatte haben Sie Ihrem Besuch dargebracht?

Ø     Wurde die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Melker Abkommens thematisiert?
Wenn nein, warum nicht?


In meinem ca. einstündigen Vier-Augen-Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Fischer habe ich dargelegt, dass Kernenergie aus österreichischer Sicht weder eine nachhaltige Form der Energieversorgung noch eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels darstellt.

 

Ich habe nachdrücklich klargestellt, dass im Falle legitimer Schutzbedürfnisse der Bevölkerung sowie der Umwelt Österreich berechtigt und verpflichtet ist, seine Stimme zu erheben, und bei kerntechnischen Anlagen, die – wie das KKW Temelin - negative Auswirkungen auf Österreich haben oder haben könnten, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung österreichischer Sicherheitsinteressen ausschöpfen wird sowie maximale Transparenz und Partizipation fordert.

 

Zur „Vereinbarung von Brüssel“ aus dem Jahr 2001 habe ich festgehalten, dass Ös­terreich von deren Verbindlichkeit überzeugt ist. Dieser Standpunkt wird regelmäßig von allen zuständigen Mitgliedern der Bundesregierung bei Treffen mit unseren tsche­chischen Amtskollegen vertreten. Im Zusammenhang mit dem KKW Temelin war mir wichtig, den Sicherheitsdialog anzusprechen und auf seine intensive und konstruktive Fortsetzung zu drängen. Entsprechend unserem Regierungsprogramm habe ich un­terstrichen, dass die im Anhang 1 der Vereinbarung von Brüssel festgelegten Sicher­heitsmaßnahmen vollständig realisiert werden müssen.

 

Zu den Fragen 5 und 6:

Ø     In wie fern wollen Sie die „Gespräche über auftretende Probleme und mögliche Sicherheitsbedenken“ verbessern? Wurde diesbezüglich ein Arbeitsplan entwik­kelt? Wenn nein, warum nicht?

Ø     Mit welchen Experten auf österreichischer Seite sollen die Gespräche fortgeführt werden (Bitte um Name und Qualifikation)?

 

Mit dem „Melker Protokoll“ aus dem Jahr 2000 konnten unter anderem erstmals kon­krete Abläufe für den Diskurs auf technischer Ebene vereinbart werden. Diese Verein­barung wurde im Wesentlichen binnen eines Jahres umgesetzt. Mit der „Vereinbarung von Brüssel“ haben dann erstmals zwei Staaten Sicherheitsziele für ein KKW in einem bilateralen Vertrag festgelegt und damit nuklearrechtlich Neuland betreten. Die bilate­rale parlamentarische Kommission „Temelin“ hat ihre Arbeit im Juni 2008 abgeschlos­sen. Es wurden ganz wesentliche Fortschritte erzielt. Wichtige Fragen sind aber wei­terhin offen und ihre Klärung muss mit Nachdruck betrieben werden. Auch bedürfen manche Punkte eines Follow-up während der gesamten Betriebsperiode des KKW Temelin.

 

Die parlamentarische Kommission kam zu dem Schluss, dass die offenen Fragen im Rahmen des bilateralen Nuklearinformationsabkommens weiter verfolgt werden soll­ten und kein weiterer Bedarf an der Behandlung der Themen auf parlamentarisch-politischer Ebene besteht. Somit bildet die Zusammenarbeit auf Basis dieses Ab­kommens einen Grundpfeiler der bilateralen österreichisch-tschechischen Zusam­menarbeit zum schwierigen Thema Nuklearpolitik und insbesondere dem KKW Te­melin. Federführend zuständig hierfür ist der Bundesminister für europäische und in­ternationale Angelegenheiten, der in technischer Hinsicht vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft unterstützt wird. Auch das Beiziehen von Fachexperten obliegt diesen Ressorts und steht in deren Ermessen, wobei sie sich sowohl der Expertise aus den Ministerien selbst als auch der externer Fachleute wie zum Beispiel der Österreichischen Energieagentur bedienen.

 

Zu Frage 7:

Ø     Halten Sie das AKW Temelin für potentiell sicherheits- bzw. gesundheitsgefähr­lich? Wenn ja, wie wirken Sie dieser Gefährdung entgegen?

 

Da davon auszugehen ist, dass ein bestimmtes Restrisiko bei jedem KKW bestehen bleibt, nehmen die österreichische Bundesregierung und ich jede Möglichkeit wahr, auf die Problematiken der Nuklearenergie immer wieder hinzuweisen. Da ein weltweiter Ausstieg aus der Atomkraft zwar übergeordnetes Ziel der österreichischen Nuklearpolitik ist, nur aber mit dieser Position in der Minderheit sind, rea­listischerweise aber nicht unmittelbar vollständig verwirklicht werden kann, setzen wir uns intensiv für strikte und umfassende Sicherheitsstandards ein. In diesem Zusam­menhang arbeiten wir seit Jahren intensiv an der Entwicklung einheitlicher EU Nukle­arsicherheitsstandards auf Basis der österreichischen Interessen mit.

 

Nach mehreren Anläufen seit 2003 erzielte der Rat der EU im Juni 2009 Einigung über die Richtlinie zur Festlegung eines Gemeinschaftsrahmens für Nukleare Sicherheit. Vereinbart werden Grundprinzipien für den Rechtsrahmen, für die Aufsichtsbehörden und für Betreiber von kerntechnischen Anlagen sowie die Verpflichtung regelmäßiger Selbstbewertungen mit internationaler Überprüfung, über die allen Mitgliedstaaten und der Kommission Bericht zu erstatten ist. Österreich konnte seine wichtigsten Forderun­gen durchsetzen: Verbesserungen gegenüber dem Status Quo betreffen vor allem die Rechtsverbindlichkeit, den weiten Anwendungsbereich, die Verankerung des Prinzips „Sicherheit zuerst“ für Behörden und Betreiber sowie die Transparenzbestimmungen.

 

Zu Frage 8:

Ø     Wurde in dem Gespräch über die Reparatur des tschechischen UVP-Gesetzes, das EU-rechtswidrig ist, thematisiert? Wenn ja, in wie fern? Wenn nein, warum nicht?

 

Umweltorganisationen und das Land Oberösterreich haben eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission wegen mangelnder Umsetzung der UVP-Richtlinie durch die Tschechische Republik eingebracht. Unabhängig von dieser Beschwerde prüft die Europäische Kommission die behauptete EU-Rechtswidrigkeit - das tschechische UVP-Verfahren schließe nicht mit einem direkt anfechtbaren Bescheid ab - bereits seit dem Jahre 2006. Die Tschechische Republik hat diesbezüglich eine Sanierung angekündigt. Es ist Aufgabe der Kommission zu prüfen, ob damit der Mangel voll­ständig behoben ist.

 

Zu den Fragen 9 und 10:

Ø     Was könnte Tschechien Ihrer Meinung nach veranlassen, nachdem die völker­rechtliche Verbindlichkeit des Melker Abkommens verleugnet wurde und auch ein seit Jahren bestehendes Vertragsverletzungsverfahren bei der EU- Kommission ohne Folgen blieb, eine Kurskorrektur in der Causa Temelin zu vollziehen?

Ø     Weshalb wurde der im Dezember 2006 im Nationalrat beschlossene Antrag be­treffend einer Völkerrechtslage bis dato nicht umgesetzt?
a) Wie bewerten Sie die diesbezügliche Rechtslage?

 

In Ausführung des politischen Auftrages des Entschließungsantrages 24/A (E), XXIII.GP aus 2006, betreffend eine Völkerrechtsklage und um zielgerichtet tätig wer­den und erfolgversprechende Schritte setzen zu können, wurde vorerst die objektive Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten Österreichs in Auftrag gegeben. An dieser ge­meinsamen Expertise des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes und des Völkerrechtsbüros des Bundesministeriums für europäische und internationale Ange­legenheiten, die auf der Homepage des Bundeskanzleramtes (http://www.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=36769) abrufbar ist, orien­tieren die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung die Maßnahmen im Zusam­menhang mit der Causa Temelin. Auf Grundlage dieses Gutachtens ist die öster­reichische Bundesregierung zunächst zu dem Schluss gekommen, dass eine völker­rechtliche Klage gegen Tschechien mangels Erfolgsaussichten nicht angestrebt wird, sondern bilaterale Kontakte mit der Tschechischen Republik zusammen mit der Inter­vention auf europäischer Ebene derzeit geeigneter sind, die Interessen der österrei­chischen Bevölkerung zu wahren.

 

Mit freundlichen Grüßen