2969/AB XXIV. GP
Eingelangt am 11.11.2009
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möglich.
BM für Unterricht, Kunst und Kultur
Anfragebeantwortung
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Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
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Frau Präsidentin des Nationalrates Mag. Barbara Prammer Parlament 1017 Wien
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Geschäftszahl: |
BMUKK-10.000/0278-III/4a/2009 |
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Wien, 9. November 2009
Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 3041/J-NR/2009 betreffend „Demokratie und die Zeugen Jehovas“, die die Abg. Mag. Josef Auer, Kolleginnen und Kollegen am 18. September 2009 an mich richteten, wird wie folgt beantwortet:
Vorweg ist zu bemerken, dass über einen Antrag auf Anerkennung als gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), somit spätestens nach sechs Monaten, auf der Grundlage der Materiengesetze, Anerkennungsgesetz (AnerkG 1874) und Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (BekGG 1998), bei sonstigem Eintritt der Säumnisfolgen zu entscheiden ist. Im Falle der Ablehnung eines Antrages auf Anerkennung hat dies mit einem begründeten Bescheid zu erfolgen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fällt seine Entscheidungen auf der Grundlage der, in Österreich im Verfassungsrang stehenden, europäischen Menschenrechtskonvention. Diese sieht in Art. 9 EMRK Gründe vor, aus welchen die Religionsfreiheit beschränkt werden darf. Dies ist nur dann zulässig, wenn diese Beschränkung des Grundrechtes in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, und zwar im Interesse des Schutzes der öffentlichen Sicherheit, öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Die Anerkennung erfolgt daher nicht, wie ein Leser der Anfrage ohne Kenntnis der Vorgeschichte vermeinen könnte, aufgrund von Kriterien des Europäischen Gerichtshofes, sondern ist die Prüfung, ob die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, bzw. Tatbestände verwirklicht sind, die eine Versagung der Anerkennung als Rechtsfolge vorsehen, aufgrund der anzuwendenden innerstaatlichen Regelungen, insbesondere § 11 BekGG 1998, der sich an der europäischen Menschenrechtskonvention orientiert, die seit 1958 in Österreich im Verfassungsrang steht, vorzunehmen.
Zu Fragen 1 bis 4:
Hier darf zunächst auf die Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf der Verordnung über die Anerkennung von Jehovas Zeugen in Österreich hingewiesen werden: In einer Novelle zur innerkonfessionellen Verfassung vom 12. September 2008 haben Jehovas Zeugen in diese folgende Formulierung aufgenommen:
„Jehovas Zeugen haben eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat. Sie anerkennen den Rechtsstaat und auch das Demokratieprinzip in vollem Umfang.“
Zur Frage der Sachverhaltsfeststellung in einem Verwaltungsverfahren darf darauf hingewiesen werden, dass die Behörde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die materielle Wahrheit zu erforschen hat. Für eine Ablehnung mangels positiver Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 BekGG 1998 wäre durch die Behörde der Beweis zu erbringen gewesen, dass eine solche z. B. wegen der Verweigerung bzw. der Aufforderung an die Mitglieder zur Verweigerung der Teilnahme an Wahlen, nicht gegeben sei.
Das Ermittlungsverfahren hat auf Grundlage der Erhebungen, insbesondere der Analyse der Lehre und der von der Gemeinschaft erstellen Schriften, ergeben, dass Jehovas Zeugen den demokratischen Rechtsstaat als gesellschaftliches Organisationsmodell anerkennen und mit diesem auch zusammenarbeiten. Ihrer Lehre zu Folge sind Jehovas Zeugen zu Neutralität gegenüber der Politik verpflichtet. Jehovas Zeugen stellen die Entscheidung jedem einzelnen Mitglied frei, der diese nach seinem eigenen Gewissen zu treffen hat, wobei abzuwägen ist, ob die Teilnahme am demokratischen Entscheidungsfindungsverfahren sich mit dem Gebot der Neutralität gegenüber der Politik im Einzelfall vereinbaren lässt.
Die staatliche Rechtsordnung sieht keine Wahlpflicht vor, so dass es jedem Bürger frei gestellt ist, daran teilzunehmen. Bei verschiedenen Wahlen waren unterschiedliche Initiativen tätig, die teilweise zur Nichteilnahme oder auch zur Abgabe ungültiger Stimmen aufgerufen haben.
Zu Fragen 5 bis 9:
Zum Religionsunterricht ist allgemein anzumerken, dass Art. 14 Abs. 5a B-VG der österreichischen Schule den Auftrag erteilt die Kinder zu befähigen an religiösen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und kommende Generationen zu übernehmen. Die religiöse Unterweisung ist eine innere Angelegenheit der Kirchen und Religionsgesellschaften und kann dieser Auftrag im Zusammenhang mit Art. 17 StGG 1867 nur durch die Kirchen und Religionsgesellschaften mit Leben erfüllt werden. Die Erteilung von Religionsunterricht ist nicht nur ein Recht der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, sondern wie die Regelungen des AnerkG 1874 schon zeigen, auch eine Pflicht.
Wie in der innerkonfessionellen Verfassung ausgeführt, sehen Jehovas Zeugen die religiöse Erziehung grundsätzlich im Verantwortungsbereich der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten (Verfassung von Jehovas Zeugen in Österreich § 18 Abs. 1). Zusätzlich erfolgt Religionsunterricht in Form allgemeiner religiöser Belehrung im Rahmen der ordentlichen Zusammenkünfte der Versammlung (Verfassung von Jehovas Zeugen in Österreich § 18 Abs. 2). Gemäß § 18 Abs. 3 der Verfassung schließen sie die Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nicht aus, aber es bestehen derzeit keine Pläne, einen solchen einzurichten.
Zu Fragen 10 und 11:
Das Begutachtungsverfahren wurde in der vorgesehenen Weise, d. h. allgemeine Bekanntmachung im elektronischen Weg und Einladung an einen großen Kreis von Einrichtungen durch direktes Anschreiben, eingeleitet. Der Kreis umfasste die Bundesministerien und Staatssekretariate, die Ämter der Landesregierungen, die Landesschulräte, Einrichtungen der Sozialpartnerschaft, die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sowie eine Reihe anderer Einrichtungen. Im Zuge des Begutachtungsverfahrens sind zahlreiche Stellungnahmen eingelangt, teilweise auch von Stellen, die nicht explizit eingeladen wurden. In einigen Fällen wünschten Einzelpersonen auch eine Stellungnahme mündlich einzubringen, was diesen durch persönliche Gespräche ermöglicht wurde.
Alle eingegangenen Stellungnahmen wurden, unabhängig davon ob es sich um eingeladene Stellen oder um Äußerungen aus Eigeninitiative handelte, in das Verfahren mit einbezogen. Die Stellungnahmen, die gegenüber der Behörde abgegeben wurden und daher aus Gründen des Datenschutzes nicht zur Verfügung gestellt werden können, waren überwiegend positiv oder neutral und einige waren kritisch.
Die positiven Stellungnahmen stellten vor allem darauf ab, dass durch die Anerkennung von Jehovas Zeugen dem Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Rechnung getragen würde. Die kritischen Stellungnahmen befassten sich insbesondere mit den Fragen der Bluttransfusion und dem Umgang mit ehemaligen Mitgliedern von Jehovas Zeugen.
Da im Begutachtungsverfahren keine ausreichenden sachlichen Einwände vorgebracht wurden, die einen ablehnenden Bescheid zu begründen vermocht hätten, war im Sinne der Entscheidungspflicht der Behörde daher das Verwaltungsverfahren durch Anerkennung mit Verordnung zu erledigen.
Die Bundesministerin:
Dr. Claudia Schmied eh.