3140/AB XXIV. GP
Eingelangt am 30.11.2009
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0236-Pr 1/2009
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 3141/J-NR/2009
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Kopierkosten an den österreichischen Gerichten“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Die Einnahmen für Ablichtungen und Abschriften betrugen
im
Jahr 2006: 1,555.809,33 Euro,
im Jahr 2007: 1,661.079,71 Euro und
im Jahr 2008: 1,551.957,87 Euro.
Zu 2 bis 5:
Die Anm 3 lit. h zu TP 15 GGG, wonach Abschriften aus gerichtlichen Akten oder Büchern, die von den Parteien selbst hergestellt werden, gebührenfrei sind, ist erst mit 1.7.2009 aufgehoben worden, sodass keine in dieser Weise differenzierten Daten vorliegen. Nunmehr ist eine Pauschalgebühr für die Nutzung der Gerichtsinfrastruktur und die notwendige gerichtliche Überwachung vorgesehen, wie sie zuvor für die von den Beamten und Beamtinnen hergestellte Kopie bestand.
Über die Gebühren von 0,35 Cent pro Kopie für das Benützen der Infrastruktur der Gerichte sind keine Aufzeichnungen geführt worden.
Für den angefragten Zeitraum gibt es keine flächendeckenden statistischen Aufzeichnungen über die von den Parteien selbst hergestellten Kopien. Eine derart differenzierte Aufzeichnung über die hergestellten Kopien wird auch in absehbarer Zeit nicht möglich sein. Mit der Strafrechtsprozessreform wurde zwar das Abrechnungsformular dahingehend ergänzt, dass eine Zeile für „Herstellung durch die Partei“ aufgenommen wurde. Die Anzahl der durch Parteien im Zuge eines Strafverfahrens hergestellten Kopien wäre somit nur durch äußerst umfangreiche und lange dauernde Erhebungen möglich, die einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand auslösen würden. Es müsste jeder einzelne Einzahlungsbeleg angesehen werden, um auf Grund des eingezahlten Betrages Rückschlüsse auf die Art und Weise der Herstellung ziehen zu können.
Mehreinnahmen aufgrund dieser Pauschalgebühr können daher vorerst nicht beziffert werden.
Zu 6:
Die „realen“ Kosten für eine (Schwarzweiß-)Kopie im Sinne einer Vollkostenrechnung können betragsmäßig nicht exakt angegeben werden, stehen jedoch mit den Gebühren im Zusammenhang. Diese Kosten umfassen Mietaufwand, Wartung, Verbrauchsmaterialien und Papier; teilweise – soweit in Dienststellen Kopiergeräte vom Personal des Geräteherstellers bedient werden – zusätzliche Kosten je Kopie von durchschnittlich 7,2 Cent. Überdies sind die Kosten des mit der Beischaffung und Rückschaffung der Akten sowie mit der Überwachung verbundenen Kosten zu berücksichtigen, wofür ein exakter Betrag nicht angegeben werden kann. Zu berücksichtigen ist, dass Gerichtsakten und deren Bestandteile nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen und den maßgeblichen Verfahrensordnungen öffentliche Urkunden im Eigentum der Republik Österreich (der Gerichte) sind, die der Amtsverschwiegenheit und deren erhöhtem Geheimhaltungsschutz unterliegen. Gerichtsakten dokumentieren bzw. enthalten Hoheitsakte und umfassen Privaturkunden als Beilagen, die einerseits dem erhöhten strafrechtlichen Fälschungs- und Veränderungsschutz unterliegen und andererseits unter Amtshaftungssanktion auch die Gerichte verpflichten, für ausreichenden Schutz der Akten vor unzulässiger Veränderung oder Beschädigung zu sorgen. Die Einsicht bzw. Herstellung von Ablichtungen kann daher nur unter entsprechender Aufsicht durch Gerichtsorgane erfolgen. Gemäß § 170 Abs. 2 Geo ist es demnach unzulässig, Parteien oder ihren Vertretern Akten mitzugeben. Die Gebührenpflicht rechtfertigt sich daher schon durch den notwendigen Überwachungsaufwand (ca. 15 Cent pro Kopie) und die Haftpflicht für etwaige Schäden.
Zu 7 bis 10:
Die im Zuge des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, vorgenommene Anhebung der Gerichtsgebühr verfolgte im Wesentlichen zwei Zielsetzungen:
Erstens erfolgte dadurch eine Anpassung an den Verbraucherpreisindex und zweitens wurde haushaltsrechtlichen Zwängen Rechnung getragen, weil Einsparungen im Personal- und Sachaufwand der Umstand gegenübersteht, dass die Gewährung von Akteneinsicht und deren Kontrolle sowie die Erstellung von Aktenkopien durch Kanzleibedienstete mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden sind.
Zur Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 EMRK ist zu bemerken, dass aus dem Grundsatz der Waffengleichheit ein selbständiges Recht auf Akteneinsicht abgeleitet wird. Die Möglichkeit, vom Akteninhalt rechtzeitig Kenntnis zu erhalten, stellt eine wesentliche Voraussetzung eines fairen Verfahrens dar (vgl. Grabenwarter, in Korinek/Holubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Band III Grundrechte Rz 83 zu Art. 6 EMRK mwN).
In der Strafprozessordnung (StPO) ist das Recht auf Akteneinsicht in den §§ 51 ff einfachgesetzlich geregelt. Nach § 52 Abs. 1 StPO sind dem Beschuldigten – soweit ihm ein Recht auf Akteneinsicht zukommt – auf Antrag und gegen Gebühr Kopien auszufolgen oder müssen für ihn Kopien hergestellt werden. Eine Gebühr für die Aktenkopien ist in den Fällen nicht zu entrichten, wenn und so lange dem Beschuldigten Verfahrenshilfe (§ 52 Abs. 2 Z 1 StPO) gewährt wird, wenn er sich in Haft befindet bis zur ersten Haftverhandlung oder früher stattfindenden Hauptverhandlung hinsichtlich aller Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachtes oder der Haftgründe von Bedeutung sein können (§ 52 Abs. 2 Z 2 StPO), oder für Befunde und Gutachten von Sachverständigen, Behörden, Dienststellen und Anstalten (§ 52 Abs. 2 Z 3 StPO). Nach § 52 Abs. 3 StPO sind dem Verfahrenshilfeverteidiger unverzüglich von Amts wegen Aktenkopien zuzustellen.
Dadurch wird in jenen Fällen, die für den Beschuldigten mit schwerwiegenden Folgen verbunden sind (vor allem Fälle der notwendigen Verteidigung (§ 61 Abs. 1 StPO), Vorsorge getroffen, dass der Beschuldigte – bei Vorliegen der Voraussetzungen der Verfahrenshilfe nach § 61 StPO – unentgeltlich Aktenkopien erhält.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt es für die Frage, ob die Akteneinsicht nur auf Antrag, von Amtswegen oder gar durch Übermittlung des Akteninhaltes zu gewähren ist, auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Grundsätzlich reicht es aus, wenn die Akteneinsicht auf Antrag oder allgemeiner auf Initiative der Partei gewährt wird. Die Möglichkeit, Kopien von den eingesehenen Aktenbeststandteilen anzufertigen, müsse hingegen nicht immer bestehen (vgl. Grabenwarter, in Korinek/Holubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Band III Grundrechte Rz 87 zu Art 6 EMRK mwN). Auch hier müsse auf die konkreten Umstände des Einzelfalles Bedacht genommen werden.
Die Herstellung und Ausfolgung von Aktenkopien stellt – so betrachtet – ein Substitut des Rechts auf Akteneinsicht dar, soweit dem Beschuldigten ausreichende Möglichkeit eröffnet wird, sich über den Inhalt des Aktes im Wege der Akteneinsicht zu informieren und auf diese Weise seine Verteidigung vorzubereiten. Die Anhebung der Gebühren lässt das Recht auf Akteneinsicht jedoch unberührt. Die StPO trägt jedoch durch die Regelungen über die notwendige Verteidigung (§ 61 Abs. 1 StPO) und die Verfahrenshilfe (§ 62 Abs. 2 Z 2 bis 4 StPO) dem Umstand Rechnung, dass Beschuldigte einfach und ohne Kostenbelastung vom Inhalt der gegen sie gerichteten Vorwürfe Kenntnis erlangen. Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass jeder Beschuldigte von Amts wegen über den Inhalt des gegen ihn bestehenden Verdachts und die ihm zustehenden Rechte zu belehren ist (§ 50 StPO).
Zu 11:
Die Strafprozessordnung sieht mehrere Möglichkeiten vor, wie Opfer ihre Rechte im Strafverfahren wahrnehmen können. Nach § 66 Abs. 1 Z 2 StPO haben Opfer das Recht auf Akteneinsicht (§ 68 StPO). Darüber hinaus haben Opfer nach § 65 Z 1 lit. a und b StPO das Recht, dass sie auf deren Verlangen psychosoziale und juristische Prozessbegleitung bekommen, soweit dies zur Wahrung der prozessualen Rechte erforderlich ist. Subsidiär zur juristischen Prozessbegleitung haben Opfer, die sich als Privatbeteiligte dem Strafverfahren angeschlossen haben, das Recht auf Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwaltes (§ 67 Abs. 7 StPO). Dadurch bietet das Gesetz mehrere Möglichkeiten, sich einerseits über den Akteninhalt zu informieren und andererseits seine Rechte durch einen Rechtsanwalt (juristischer Prozessbegleiter, Verfahrenshilfeverteidiger) zu wahren. Die notwendige Erhöhung der Gebühren für Aktenkopien schränkt diese Rechte nicht ein.
Soweit aber Kopien für die weitere Rechtsverfolgung (vor allem zivilrechtliche Ansprüche) notwendig sind, darf darauf hingewiesen werden, dass die Kosten der Aktenkopien als vorprozessuale Kosten in die Kostennote aufgenommen werden können und somit vom Opfer – je nach Prozessausgang – nur vorfinanziert und nicht endgültig getragen werden müssen.
. November 2009
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)