345/AB XXIV. GP
Eingelangt am 27.01.2009
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BM fürJustiz
Anfragebeantwortung

DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0213-Pr 1/2008
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 303/J-NR/2008
Der Abgeordnete zum Nationalrat Harald Vilimsky und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Drogenersatz in Haft“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Die durchschnittlichen Kosten der Substitutionsbehandlung pro Patient(in) im österreichischen Strafvollzug betrugen im Jahr 2007 1.951,26 Euro und gliedern sich auf den einzelnen Patient im Jahr 2007 umgelegt wie folgt auf:
Methadon: 960,87 Euro
Substitol: 3.111,32 Euro
Subutex: 2.406,19 Euro
Andere: 1.321,40 Euro .
Für 2008 liegen noch keine Zahlen vor.
Die Gesamtkosten für die Substitutionsmittel aller österreichischen Justizanstalten im Jahr 2007 betrugen 1,381.489,15 Euro. Für das Jahr 2008 liegen noch keine Zahlen vor.
Eine Aufgliederung nach einzelnen Justizanstalten und Trennung nach einzelnen Medikamenten wird erst mit der Inbetriebnahme des zentralen EDV-Apothekenprogramm möglich sein, die für 2010 vorgesehen ist.
Zu 4:
Zum Stichtag 1. Oktober 2008 standen 740 Insassen unter Substitutions-Medikation.
Zu 5:
Die Substitutionsbehandlung erfolgt in den Justizanstalten primär mit Methadon, Substitol und Subutex (in dieser Reihenfolge). Vereinzelt werden noch Compensan, Morapide, Mundidol, Concerta und Codidol verschrieben.
Zu 6:
Die Gesamtkosten aller Medikamente in den österreichischen Justizanstalten im Jahr 2007 betrugen 7,867.799,96 Euro; für das Jahr 2008 werden rund 9 Mio. Euro prognostiziert.
Zu 7:
Dazu liegen dem Strafvollzug keine Daten vor.
Zu 8:
Entzug wird nicht angeordnet, sondern bewegt sich im Behandlungsverhältnis Arzt-Patient.
Zu 9:
In der Behandlung von Drogenabhängigkeit versteht man unter Substitutionstherapie (eigentlich Erhaltungstherapie) die legalisierte, – und daher geregelte und kontrollierte – ärztliche Verordnung von Opioiden an opioidabhängige PatientInnen. Ein solches Behandlungskonzept wurde erstmals in Kanada Ende der 50er Jahre, 1965 auch in den USA unter Verwendung von Methadon als verordnete Substanz publiziert und praktiziert. In Österreich wurde der legale Rahmen 1987 durch das 1998 novellierte Suchtmittelgesetz und die zuletzt 2007 novellierte Suchtgiftverordnung geschaffen.
Für jegliche medizinische Behandlungsangebote in den Justizanstalten gilt das Äquivalenzprinzip, das heißt, dass dieselbe medizinische Behandlung, die in Freiheit gängig und üblich ist, auch in Haft möglich sein muss.
Folgende Programme werden im Strafvollzug angeboten:
- Drogenfreie Zonen
- Ärztlich überwachte Substitutionsprogramme
- Medizinische, psychologische und psychotherapeutische Programme mit Abstinenzorientierung
- Behandlung drogeninduzierter Infektions-Krankheiten
Dabei gilt, dass alle drogenabhängigen InsassInnen freiwillig an dem für sie individuell passenden Programm teilnehmen.
Zu 10:
Ja. Entzugsprogramme werden Insassen im Rahmen der Zugangsuntersuchung angeboten.
Zu 11 und 12:
Generell kann gesagt werden, dass alle Justizanstalten über Betreuungsangebote für Drogenkonsumenten verfügen, wobei sich das Spektrum von Kurzinterventionen über abstinenzorientierte Behandlungsangebote, Aufnahme in „Drogenfreie Abteilungen“ bis hin zur Substitutionsbehandlung erstreckt.
Zu 13:
Innerhalb des Strafvollzugs bestehen mehrere Möglichkeiten der Behandlung und Betreuung für suchterkrankte Insassen, die den Insassen im Gespräch zwischen Arzt/Therapeut und Patient angeboten werden. Es gibt keinen „Automatismus“.
Im Rahmen der Substitutionstherapie (Drogenersatztherapie) werden regelmäßig ärztlich verordnete, opioidhaltige Medikamente (Methadon, retardierte Morphine/Substitol, Buprenorphin/Subutex) verabreicht, die eine den Opiaten ähnliche Wirkung entfalten. Damit werden eine Linderung der Entzugssymptome und eine Milderung des Suchtverlangens gewährleistet. Eine euphorisierende Wirkung wie beim Konsum von Opiaten tritt nicht auf.
Die Substitutionstherapie steht neben folgenden sog. abstinenzorientierten Behandlungs- und Therapieformen:
Entzugsbehandlung (körperliche Entgiftung): Im Rahmen der Entzugsbehandlung wird eine körperliche Entgiftung und damit eine körperliche Abstinenz des Patienten angestrebt. Auf die Zufuhr von Drogenersatzstoffen wird verzichtet, mittels einer speziell abgestimmten Medikation wird versucht, auftretende Entzugserscheinungen zu lindern. Psychische Abhängigkeitsmechanismen werden nicht analysiert und behandelt, damit ist die Entgiftung immer nur ein erster Schritt in der Behandlung von Suchterkrankungen. Ohne anschließende umfassende Entwöhnung (unter Berücksichtigung psychischer Abhängigkeitsmechanismen) gilt ein neuerlicher Drogenkonsum als sehr wahrscheinlich.
Entwöhnungsbehandlung: Die Entwöhnungsbehandlung schließt sich an die Entzugsbehandlung an. Ziel einer umfassenden Entwöhnung ist die Analyse und Aufarbeitung von Aspekten der psychischen Abhängigkeit. Die psychosozialen und psychodynamischen Hintergründe der Abhängigkeit werden aufgearbeitet, Alternativen erprobt und eine Neuordnung des sozialen Empfangsraums (Arbeit, Wohnen, Finanzen, soziale Beziehungen) angestrebt. Es erfolgen umfassende medizinische, psychologische und psychotherapeutische Behandlungsangebote.
Zu 14:
Süchtige sind schwer chronisch und psychiatrisch Kranke, die Therapie und Hilfe benötigen. Primäres Ziel der Therapie ist die Verhinderung von weiteren sozialen und gesundheitlichen Schäden. Es geht darum, die soziale Integration zu erhalten bzw. wieder zu erreichen. Damit soll verhindert werden, dass die Kranken in den Teufelskreis von sozialer Ausgrenzung, kriminellem Verhalten, Gefängnis und sozialer Perspektivenlosigkeit geraten und vor allem durch die intravenöse Verabreichung illegaler Drogen schwere gesundheitliche Schäden (zB. HIV oder Hepatitis) erleiden.
Zu 15:
Ja. Es wird bei jedem Zugangsgespräch ein ausführlicher Behandlungsplan erstellt.
Zu 16:
Eine Indikationsstellung zur Substitution erfolgt keineswegs wahllos, sondern unterliegt zunächst gesetzlichen Rahmenbedingungen des Suchtmittelgesetzes (SMG), BGBI I Nr. 112/1997 idF BGBl. I Nr. 143/2008, der Suchtgiftverordnung (SV), BGBI II Nr. 374/1997, der Änderung der Suchtgiftverordnung BGBl. II Nr. 451/2006, Orale Substitutionsbehandlung von Suchtkranken, sowie dem Erlass des Bundesministers für Soziales und Gesundheit zu GZ 21.5516-VIII/B/12/98 vom 9. Juni 1998. Zudem ist sie der professionellen ärztlichen Einschätzung vorbehalten. Im Rahmen der Indikationsstellung werden die Voraussetzungen zur Substitution geprüft und – wie bereits dargestellt – die im Einzelfall günstigste Behandlungsmethode ausgewählt.
Substituiert wird folglich nur bei Vorliegen nachstehender Voraussetzungen:
· Vorliegen einer Opioidabhängigkeit
· länger bestehendes, fortgesetztes, verfestigtes Konsummuster
· Alter des Patienten; bei Personen unter 18 Jahren ist in jedem Fall die Einholung der Fachmeinung eines gemäß der Weiterbildungsverordnung zur Substitutionsbehandlung qualifizierten Facharztes für Psychiatrie verpflichtend; bei Personen unter 20 Jahren sowie bei kürzer als zwei Jahre bestehenden Opioidabhängigkeit ist die Indikationsbehandlung in gebotener Sorgfalt zu stellen, falls es geboten erscheint, ist die Fachmeinung eines gemäß der Weiterbildungsverordnung zur Substitutionsbehandlung qualifizierten Facharztes für Psychiatrie einzuholen;
· professionelle Einschätzung einer prognostizierbaren geringen Effektivität anderer Therapieformen; auch unter Berücksichtigung anamnestischer Abstinenzversuche bzw. Therapieversuche;
· spezifische Indikation aufgrund von Schwangerschaft bzw. Vorliegen bestimmter Infektionserkrankungen (HIV)
· hinreichende Befolgung der Rahmenbedingungen der Substitutionsbehandlung durch den Patienten: Einhaltung der Einnahmemodalitäten, regelmäßige Harnkontrollen zwecks Feststellung allfälligen Beikonsums, Behandlung des Beikonsums von Substanzen, die die Substitutionsbehandlung oder den Gesundheitszustand des Patienten gefährden, Einhaltung begleitender psychosozialer Maßnahmen, Unterlassung der Weitergabe des Substitutionsmittels, Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht gegenüber anderen in die Behandlung eingebundenen Stellen, Meldung des Beginns und des Endes der Substitutionsbehandlung beim Amtsarzt sowie beim BMG, Information über und Akzeptanz der Abbruchkriterien (Weitergabe oder i.v.-Anwendung, fortgesetzter Beikonsum (illegale Drogen, nicht ärztlich verschrieben Medikamente), unentschuldigtes Fernbleiben von Terminen, Suchtgifthandel, Gewaltausübung/androhung, Missbrauch von Rezepten)
Den Substitutions-Richtlinien für Justizanstalten (Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 26. Jänner 2005, zu BMJ-E52203/0001-V 1/2005) sowie den aktuellen Untersuchungsergebnissen zur Substitutionsbehandlung im österreichischen Strafvollzug (Schweizerhaus Hadersdorf, AGIS-Substitutionsbehandlung, 2008) folgend sollte eine vor Inhaftierung begonnene Substitution unbedingt weitergeführt werden.
Dies erscheint insofern sinnvoll, als gesichert anzunehmen ist, dass eine Indikation zur Substitution vor Inhaftierung nicht rein durch die Überstellung in den Vollzug ihre Gültigkeit verlieren soll und kann. Zwar verändern sich die Umgebungsbedingungen (beispielsweise nimmt die Verfügbarkeit der illegalen Substanz ab), zugleich aber steigen andere Belastungsfaktoren an (zB. freiheitsbeschränkende Maßnahmen, Verlust sozialer Kontakte, ungewisser Prozessausgang in U-Haft etc.) bzw. bleiben anamnestische Hintergründe der Wahl der Substitutionstherapie unverändert (Schwere der Erkrankung, Persönlichkeit und Motivationslage des Betroffenen etc.).
Zudem wird, je nach Justizanstalt variierend, auch neu substituiert. Dies dann, wenn der Insasse vor der Inhaftierung opiatabhängig war und eine Abstinenz in Haft sowie – besonders – nach Enthaftung als höchst unwahrscheinlich gilt und damit ein neuerlicher Rückfall bzw. eine neuerliche Delinquenz vorprogrammiert scheint.
Zu 17:
Medizinische Behandlungen gegen den Willen eines Patienten (Zwangsbehandlungen) sind in Österreich im Unterbringungsgesetz (UbG) geregelt. Das UbG dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker im geschlossenen Bereich von Psychiatrischen Anstalten. Untergebracht werden darf nur, wer an einer psychischen Krankheit leidet und dadurch eine Gefahr für Leben und Gesundheit seiner selbst oder anderen Personen darstellt und nicht in anderer Weise ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Eine Zwangsbehandlung für Strafgefangene iS des § 69 StVG kommt im Zusammenhang mit Suchtmittelbehandlung nicht in Betracht, weil damit maximal eine Medikamentenaufnahme, nicht jedoch eine umfangreiche psychisch-soziale Behandlung und Betreuung gegen den Willen des Betroffenen erreicht werden könnte.
Zu 18:
Etwa zwei Jahrzehnte lang galt die abstinenzorientierte Therapie als Königsweg in der Behandlung von Drogenabhängigen und wurde demnach auch als einzige Therapieform den „motivierten“ PatientInnen angeboten. Therapieziel war die Abstinenz, die zunächst vor allem über pädagogische Maßnahmen (Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Arbeitsleistung), später dann auch mittels psychotherapeutischer Angebote erreicht werden sollte. Voraussetzung für die Aufnahme in eine Behandlung war eine ausreichende Motivation, die als stabile Eigenschaft gesehen wurde und für die sich die Behandler nicht verantwortlich fühlten (Motivationsprüfung vor Behandlungsbeginn). Mit diesem Therapieverständnis war stillschweigend akzeptiert, dass der Großteil der Opiatabhängigen von den therapeutischen Angeboten ausgeschlossen blieb.
Gegen Ende der 80er Jahre wurde mit dem Aufkommen von AIDS, einer erhöhten Sterberate, einer zunehmenden Verelendung der Drogenszene und der Bedrohung der Volksgesundheit ein Umdenken notwendig.
Als Gegenmodell wurde die „akzeptierende Drogenarbeit“ entwickelt, die neben der Substitutionsbehandlung auch Maßnahmen zur Schadenverminderung, zur medizinischen Elementarversorgung und zur psychosozialen Hilfe zum Inhalt hatte. Sie war nicht an die Bedingung einer Abstinenz gebunden. Die Abkehr von der Abstinenz als einziges, mögliches Therapieziel hat zu weitreichenden, qualitativen Verbesserungen in der Suchtbehandlung geführt und eine Vielzahl neuer Behandlungsmethoden für einen großen Anteil von Drogenabhängigen eröffnet.
Das wichtigste Anliegen der Suchttherapie muss es sein, ein Spektrum unterschiedlicher Ansätze und Optionen bereitzustellen, worin jeder das geeignete für ihn finden kann.
Zu 19:
Nein, die Erhaltungstherapie als solche ist nicht kontraproduktiv. Die Substitutionstherapie gilt als eine von mehreren „state of the art“ Behandlungen bei Opioidabhängigkeit. Ihre Effektivität wurde mehrfach empirisch bestätigt.
Die Erhaltungstherapie gewährleistet zuverlässig eine Reduktion von illegalem Drogenkonsum und damit in der Folge
- Abbau der Beschaffungskriminalität, damit wiederum eine eindeutige Verbesserung der Legalprognose,
- Verbesserung der physischen und psychischen Verfassung, inkl. einer Abnahme der Mortalitätsrate und einer Abnahme der Neuinfektionen mit HIV, Hepatitis o.ä.,
- Erleichterung der Reintegration.
Zudem ist auf die empirisch gesicherte Minderung autoaggressiver und fremdaggressiver Verhaltensweisen unter Haftbedingungen, die geringere Zahl von Absonderungen und Konflikten, damit letztlich den Zuwachs an Sicherheit in den Gefängnissen und die Verbesserung des Anstaltsklimas zu verweisen.
Bei der Substitutionsbehandlung handelt es sich um eine etablierte medizinische Therapie, über die ausschließlich fachkundige Mediziner zu entscheiden haben. Sie muss zur Stabilisierung des Patienten dienen, und es darf zu keiner Gefährdung der Volksgesundheit kommen.
Zu 20:
Wenn in Justizanstalten (z.B. bei Visitierungen von Räumen oder Insassen) Drogen gefunden werden, so werden diese, analog zu den geltenden Vorschriften mit einer entsprechenden Meldung dem zuständigen Gericht zu weiteren Bearbeitung bzw. Verfolgung übergeben.
In den Justizanstalten existieren deshalb keine Statistiken über Mengen und detaillierte Klassifizierung von sichergestellten verbotenen Substanzen.
. Jänner 2009
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)