3582/AB XXIV. GP
Eingelangt am 07.01.2010
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BM für Frauen und öffentlichen Dienst
Anfragebeantwortung
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An die Präsidentin des Nationalrats Maga Barbara PRAMMER Parlament 1017 W i e n |
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GZ: BKA-353.290/0179-I/4/2009 |
Wien, am 07. Jänner 2010 |
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Die Abgeordneten zum Nationalrat Schenk, Kolleginnen und Kollegen haben am 19. November 2009 unter der Nr. 3746/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Interventionsstelle für von Zwangsheirat Betroffene gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 7:
Ø Wie viele Fälle von Zwangsverheiratung sind Ihnen für 2008 und 2009 bekannt?
Ø Woher entnehmen Sie diese Zahlen?
Ø Wie hoch schätzen Sie die Dunkelziffer?
Ø Wie viele der Ihnen bekannten Fälle von Betroffenen haben die österreichische Staatsbürgerschaft?
Ø Wie viele der Betroffenen von Zwangsheirat stammen aus der Türkei?
Ø Aus welchen anderen Herkunftsländern stammen die Betroffenen?
Ø Wie viele Betroffene haben 2009 ein Frauenhaus aufgesucht?
Derzeit gibt es keine aussagekräftigen Statistiken über Zwangsverheiratung in Österreich. Auch sind die von verschiedenen Hilfseinrichtungen vorgenommenen generellen Datenerfassungen nach Herkunftsländern nicht mit strafrechtlichen Daten verknüpft. Konkrete Zahlen liegen mir lediglich vom Verein Orient Express vor, der im Jahr 2008 insgesamt 426 Beratungen (persönlich und telefonisch) zum Bereich Zwangsheirat durchgeführt hat.
Es gibt mehrere Gründe dafür, warum das Ausmaß von Zwangsverheiratung in Österreich über Statistiken nur unzureichend erfassbar ist: Die Grenze zwischen arrangierter Ehe und Zwangsehe wird - unter anderem abhängig von kulturellen Prägungen - unterschiedlich gezogen. Häufig sind jene Betroffenen, die den Zwangscharakter durchaus als solchen empfinden, nicht in der Lage, sich zur Wehr zu setzen und eine Hilfseinrichtung aufzusuchen - insbesondere dann, wenn sie zur Verheiratung außer Landes gebracht werden.
Zu den Fragen 8 und 9:
Ø Soll die Zwangsheirat rechtlich als Gewaltdelikt, als schwere Nötigung geahndet werden, oder als eigener Straftatbestand gelten?
Ø Wie beurteilen sie den rechtlichen Strafrahmen, sehen Sie diesbezüglich Reformbedarf? Wenn ja, werden Sie diesbezüglich mit der Bundesministerin für Justiz und Inneres Gespräche suchen?
Seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2004 gibt es keinerlei Unterschiede mehr zwischen Vergewaltigung oder geschlechtlicher Nötigung in Ehe oder Lebensgemeinschaft oder außerhalb einer solchen (§§ 201 und 202 StGB). Vergewaltiger oder geschlechtlicher Nötiger ist nicht nur der Ehemann, der seine Frau unter Gewaltanwendung oder gefährlicher Drohung zum Beischlaf mit ihm zwingt, sondern auch derjenige, der das Opfer zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs mit einem Dritten nötigt. Es ist also auch der Vater, der seine Tochter mit Gewalt oder gefährlicher Drohung dazu zwingt, den Beischlaf mit ihrem Ehemann zu erdulden, unmittelbarer Täter der Vergewaltigung oder geschlechtlichen Nötigung. Bis 2006 galt eine Zwangsehe als Privatanklagedelikt, sodass betroffene Frauen oftmals unter großen emotionalen Druck gerieten, da sie selbst die Klage einbringen mussten. Um es den Betroffenen leichter zu machen, sich gegen die Zwangsheirat zu wehren, wurde daher die Ehenötigung mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2006 zum Offizialdelikt (Abschaffung des § 193 "Ehenötigung" und Aufnahme der "Nötigung zur Eheschließung" in § 106 StGB). Somit kann auch ein Dritter, ohne Zustimmung der betroffenen Frauen und Mädchen, gegen die Zwangsehe rechtlich vorgehen.
Ich sehe daher derzeit keinen Reformbedarf auf rechtlicher Ebene.
Zu den Frage 10 bis 12:
Ø Können Sie uns über das Ergebnis der Gespräche mit dem Verein „Orient Express“ berichten?
Ø Haben Sie bezüglich der Errichtung einer Interventionsstelle für Betroffene von Zwangsheirat bereits Gespräche mit der Bundesministerin für Inneres oder dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend geführt? Wenn ja, wann, mit wem und mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?
Ø Planen Sie die Errichtung einer Interventionsstelle oder, wie in bereits zitierter Budgetanfragebeantwortung angegeben, die Schaffung einer Notwohnung?
Der Verein Orient Express leistet vorbildliche Arbeit für Migrantinnen und stellt Expertinnen für die Betreuung von Frauen in Zwangslagen. Meine Gespräche mit dem Orient Express haben die Dringlichkeit untermauert, eine Notwohnung einzurichten, damit Frauen, die von Zwangsheirat betroffen sind, lückenlos betreut werden können.
Die Forderung nach einer Notwohnung ist im Regierungsprogramm verankert; ich habe in meinem Bereich auch budgetär dafür vorgesorgt. Da es sich bei einer derartigen Einrichtung um eine Opferschutzeinrichtung für Frauen und Mädchen handelt, halte ich es für sinnvoll, diese analog zu den anderen, in § 25 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) als Interventionsstellen verankerten Opferschutzeinrichtungen, einzurichten und ich habe auch bereits erste Gespräche mit meinen Regierungskolleginnen bezüglich der notwendigen Ko-Finanzierung geführt. Diesen Weg werde ich weiterführen und mich weiterhin mit aller Kraft für die Umsetzung dieses wichtigen Vorhabens einsetzen.
Zu den Frage 13 und 14:
Ø Wie viele bedrohte oder betroffene Mädchen und Frauen werden in dieser Wohnung unterkommen können?
Ø Was genau soll mit den budgetierten € 310.000,-- für den laufenden Betrieb finanziert werden?
Das Konzept für diese Krisenunterbringungseinrichtung sieht Krisenhilfe rund um die Uhr, psychologische und soziale Begleitung, rechtliche Beratung, sowie Unterkunftsmöglichkeiten für 10 Mädchen und junge Frauen vor.
Die Kostenkalkulation für den laufenden Betrieb erfolgte auf Grund von Erfahrungswerten mit einer bestehenden Interventionsstelle, welche eine Notwohnung betreibt.
Zu Frage 15:
Ø Gemäß Gewaltschutzgesetz ist bei einer Interventionsstelle eine fünfzigprozentige Ko-Finanzierung des Bundesministeriums für Inneres vorgesehen. Wie argumentieren Sie die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend?
Die Zuständigkeit des BMWFJ erklärt sich daraus, dass oftmals Jugendliche von Zwangsheirat betroffen sind und in diesen Fällen der Jugendwohlfahrtsträger einzubinden ist. Auch sollte ein rasches Handeln des Jugendwohlfahrtsträgers gewährleistet sein, um den Betroffenen optimalen Schutz bieten zu können. Es gilt daher, im Vorfeld auszuloten, ob die derzeitigen Instrumentarien der Jugendwohlfahrt dafür ausreichen oder ob Handlungsbedarf besteht.
Mit freundlichen Grüßen