4034/AB XXIV. GP
Eingelangt am 11.02.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für europäische und internationale Angelegenheiten
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum
Nationalrat Dr. Johannes Hübner, Kolleginnen und Kollegen haben
am
11. Dezember 2009 unter der Zl. 4003/J-NR/2009 an mich eine schriftliche
parlamentarische
Anfrage betreffend „Unrechtsgehalt einzelner Benesch-Dekrete im Lichte
des
Stockholm-Programms und der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union“
gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 4:
Es
ist mir ein besonderes Anliegen, im Rahmen unserer bilateralen Kontakte mit der
Tschechischen
Republik immer wieder darauf hinzuweisen,
dass die Folgen der
Beneš-Dekrete im Geiste einer
europäischen Nachbar- und Partnerschaft so weit wie möglich
überwunden werden müssen.
Bei Treffen mit meinem tschechischen Amtskollegen Jan
Kohout spreche ich regelmäßig unsere Forderung nach Anerkenntnis des geschehenen
Unrechts und einer finanziellen Geste an. Im Jahr 2009 habe ich gemeinsam mit dem
tschechischen
Außenminister die ständige österreichisch-tschechische Historikerkonferenz
ins
Leben gerufen, die Beiträge zu einer objektiven Aufarbeitung der
Geschichte leisten soll.
Die umfangreichen Aktivitäten meines Ressorts im Zusammenhang mit dem
Gedenkjahr
1989-2009 standen im Zeichen der Auseinandersetzung mit der Geschichte unserer
Beziehungen und waren vom Wunsch nach Dialog und Versöhnung getragen.
Von tschechischer
Seite wurde 2003 ausdrücklich klargestellt, dass die deutsch-tschechische
Erklärung
von 1997 auch für in Österreich lebende Vertriebene gilt. In dieser
Erklärung hat
die tschechische Seite u. a. bedauert, „dass durch die nach dem
Kriegsende erfolgte
Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der
damaligen
Tschechoslowakei
und durch die Enteignung und Ausbürgerung unschuldiger Menschen viel
Leid
und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven
Charakters der
Schuldzuweisung“.
Zu den Fragen 5 und 10:
Ich habe die
Vertreter der Vertriebenen und deren Nachfahren sowohl in direkten Kontakten
als auch auf parlamentarischer Ebene regelmäßig über den Stand
meiner Gespräche mit den
Vertretern
der Tschechischen Republik informiert. Daneben gab es schon immer Kontakte
zwischen Angehörigen meines Ressorts und den Vertriebenenverbänden.
Zu den Fragen 6 bis 9 und 11:
Im
Zuge der Vorbereitungen des tschechischen EU-Beitritts war für
Österreich die Frage der
Vereinbarkeit dieser Dekrete und der tschechischen Restitutionsgesetze mit den
politischen
Beitrittskriterien
(sog. „Kopenhagener Kriterien“) und dem EU-Recht von großer
Bedeutung.
Österreich
hat sich damals für die Ausarbeitung eines Rechtsgutachtens ausgesprochen,
das
vom Europäischen Parlament (EP) in Auftrag gegeben wurde. Dieses Gutachten
vom Oktober
2002 sah jedoch in den Dekreten aus Sicht des EU-Rechts kein Hindernis für
den Beitritt
Tschechiens. In einer Resolution vom 20. November 2002 betonte das EP
allerdings, dass
eine
politische Geste der tschechischen Seite wünschenswert wäre,
wofür Österreich nach wie
vor
eintritt.
Strafrechtliche
Zusammenarbeit innerhalb der EU fällt nicht in den
Zuständigkeitsbereich des
Bundesministeriums
für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA).
Informationshalber
darf aber mitgeteilt werden, dass einschlägige Regelungen (z.B. über
die
strafrechtliche Verfolgung der Leugnung von
Völkermord) getroffen wurden.
Käme es
in einem Mitgliedstaat der EU zu Fällen von Völkermord und Vertreibung,
wäre dies
als schwerwiegender Verstoß gegen die Grundwerte der EU zu qualifizieren,
so dass dann das
Sanktionssystem
des Art. 7 EUV herangezogen werden könnte. Europarechtliche
Verpflichtungen werden erst ab dem Zeitpunkt des Beitritts eines Staats zur
Europäischen
Union für diesen wirksam.
Zu den Fragen 12 bis 17:
Gemäß
Art. 24 der Satzung der Vereinten Nationen hat der Sicherheitsrat die
Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit.
Die
Vertreibung der Deutschen und Ungarn durch die Tschechoslowakei fallt nicht
unter das
Mandat
des Sicherheitsrats, eine Thematisierung hätte daher keine Aussicht auf
Resultate.
Zu den Fragen 18 bis 22:
Wenn
gemäß tschechischer Gesetzgebung ein Antrag gestellt wurde, kann -
nach
Ausschöpfung des Instanzenzuges in der Tschechischen Republik und bei
Erfüllung aller
anderen
gesetzlichen Voraussetzungen - eine Beschwerde beim Europäischen
Gerichtshof für
Menschenrechte eingebracht werden. Die Charta der Grundrechte der
Europäischen Union ist
jedenfalls
nur bei der Durchführung von Unionsrecht anwendbar.
Zu Fragen 23 und 24:
Die
österreichischen Vertretungsbehörden in der Tschechischen Republik
stehen
österreichischen Restitutionswerbern zur Seite und sind z.B. bei der Suche
nach
deutschsprachigen
Rechtsvertretern behilflich. Die Republik Österreich kann in einem
Restitutionsverfahren
keine (rechtliche) Vertretung einer Partei übernehmen.
Zu Fragen 25 bis 27:
Österreich
unterstützt die im Stockholmer Programm festgehaltenen Werte, die
unvereinbar
mit
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen,
einschließlich
Verbrechen
von totalitären Regimes, sind. Ich bin überzeugt, dass es im Geiste
gut
nachbarlicher Beziehungen und im Hinblick auf die vielen Dinge, die die
Länder
Mitteleuropas verbinden, möglich sein muss, einen offenen Dialog über
alle Fragen der
Vergangenheit
zu führen, auch wenn dieser für die eine oder andere Seite mit
schmerzhaften
Erinnerungen verbunden ist. Hier erwarte ich von der kürzlich
eingerichteten österreichisch-
tschechischen
Historikerkommission entsprechende Beiträge.