4122/AB XXIV. GP

Eingelangt am 19.02.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0295-Pr 1/2009

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4175/J-NR/2009

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Modellversuch „elektronische Fußfessel““ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

In dem im Jahr 2008 durchgeführten Modellprojekt „Elektronische Aufsicht/Überwachter Hausarrest im Rahmen des § 126 StVG“ kam Festnetztechnologie zum Einsatz.

Dabei besteht eine Ausrüstungseinheit aus einem Basisgerät (RF Patrol), das im Quartier ähnlich einem Festnetztelefongerät aufgestellt und mit Strom versorgt wird, sowie einem Fußgelenksband, das dem Strafgefangenen angelegt wird und über eine batteriebetriebene RF-Verbindung (Radio Frequency) mit dem Basisgerät kommuniziert.

Zu 2:

Für zwei Projekt-Justizanstalten standen 15 Geräte zur Verfügung. Der Laufzeit des Modellversuchs gemäß und zufolge einer drei- bis viermonatigen durchschnittlichen Teilnahmedauer befanden sich insgesamt 36 Teilnehmer im Projekt.

Zu 3:

Der Modellversuch war als eine alternative Form des Vollzugs einer Freiheitsstrafe (bzw. eines Teils einer Freiheitsstrafe) ausgelegt. Zielgruppen waren einerseits Personen mit kurzen Freiheitsstrafen, deren Strafe im überwachten Hausarrest vollzogen werden sollte (Front-door Modell) und andererseits Insassen, die im Entlassungsvollzug den letzten Teil ihrer Freiheitsstrafe im überwachten Hausarrest verbüßten (Back-door Modell). Abgesehen von der grundsätzlichen Eignung der Personen waren eine geeignete Wohnung und ein Beschäftigungsverhältnis im Ausmaß von mindestens 30 Wochenstunden Voraussetzung für eine Teilnahme. Die Zustimmung der Klienten und der im gleichen Haushalt lebenden erwachsenen Personen war ebenfalls Voraussetzung.

Zu 4 bis 6:

Es gab drei schwere Verstöße im Zusammenhang mit Alkoholisierung, Drogenmissbrauch und Zeitüberschreitung des Wochenplanes, die zum Abbruch der  elektronischen Aufsicht führten.

Weiters wurden in drei Fällen Ermahnungen wegen leichterer Verstöße (z.B. geringfügige Zeitüberschreitungen) ausgesprochen.

Zu 7:

Technische Probleme traten während des gesamten Projektlaufes auf.

Zu 8:

Die Teilnehmer erlebten die Zeit in der elektronischen Aufsicht durchwegs als Einschränkung, mitunter auch als Belastung. Alle Teilnehmer erklärten, dass sie die elektronische Aufsicht gegenüber dem Strafvollzug in der Justizanstalt bevorzugten und sich daher mit den Anforderungen der elektronischen Aufsicht arrangierten. Die psychischen Belastungen durch das Zeitkorsett wurden großteils als gering beschrieben. Das Ausmaß der Stigmatisierung und der Belastung wurde sehr unterschiedlich empfunden von den meisten zwar gering, von Einzelnen aber auch beträchtlich.

Zu 9:

Eine seriöse Hochrechnung der Kosten für einen Regelbetrieb auf Basis der im Modellprojekt erhobenen Kosten ist nicht möglich. Dies auch deshalb, weil viele Leistungen der beteiligten Beamten freiwillig bzw. unentgeltlich erfolgten. Studien in anderen europäischen Ländern deuten auf eine Kostenersparnis hin.

Zu 10:

Die durchschnittlichen (Voll-)Kosten eines Hafttages pro Person beliefen sich im Jahr 2008 auf 100,65 Euro.

Zu 11 und 13:

Die stufenweise, fließende Rückführung von geeigneten Back-door Klienten über Freigang und anschließendem Hausarrest in die Freiheit auf Grundlage der Ergebnisse im Modellversuch erscheint erfolgversprechend. Das gilt auch für das Front-door Modell, weil es die Integration weitgehend erhält und dadurch zur Stabilisierung von Lebensumständen beiträgt. Die Probanden werden nicht aus ihrem sozialen Umfeld gerissen und hafttypische Probleme (wie etwa Arbeitsverlust und damit verbundene finanzielle Probleme, Verlust der Einbindung in einen Betrieb, Wohnungsverlust, Nachteile im sozialen Umfeld) können damit verringert werden. Die elektronische Aufsicht bietet gegenüber dem Freigang zusätzliche Möglichkeiten, das künftige Leben vorzubereiten und stärkt die Chance, das soziale Umfeld zu behalten und allfälligen Unterhaltspflichten nachzukommen.

Zu 12 und 14:

Derzeit werden mehrere Varianten der Überführung eines Modells der „elektronischen Aufsicht“ in Form eines überwachten Hausarrestes auf Basis der Erfahrungen aus den in den Jahren 2006 und 2008 durchgeführten Modellprojekten geprüft. Die Ergebnisse dieser ergänzenden Erhebungen werden Grundlage für eine abschließende Entscheidung über eine österreichweite Einführung der elektronischen Aufsicht und ihre organisatorischen, administrativen und rechtlichen Rahmenbedingungen sein. Die genaue Einschätzung des Haftentlastungspotentials ist derzeit deshalb nicht möglich, weil dies von den festzulegenden rechtlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen, insbesondere von der Zielgruppendefinition und der Formulierung der Ausschlusskriterien abhängig ist.

Zu 15 und 16:

Die elektronische Aufsicht wird weltweit bereits in vielen Ländern eingesetzt oder befindet sich im Erprobungsstadium. Seit den 1980er-Jahren wird die elektronische Fußfessel und der damit überwachte Hausarrest in Nordamerika und Australien eingesetzt, seit Mitte der 1990er-Jahre zunehmend auch in Europa. Nach Schweden, Holland, Belgien, England/Wales und Schottland gibt es seit kurzem auch Projekte in Deutschland und der Schweiz.

Europaweit gibt es die meisten Einsätze in England und Frankreich mit mehr als 60.000 Personen pro Jahr. Von unseren Nachbarländern haben sowohl die Schweiz wie das deutsche Bundesland Baden-Württemberg einen Modellversuch zur elektronischen Aufsicht laufen.

Studien zur elektronischen Aufsicht kamen grundsätzlich zu positiven Bewertungen. Die Probleme und Risken wurden in den oben genannten Modellversuchen vor allem bei der Gestaltung und Kontrolle der Beschäftigungszeiten sowie bei einer negativen Kosten-Nutzen-Rechnung bei verschiedensten Teilnehmergruppen gesehen.

. Februar 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)