419/AB XXIV. GP

Eingelangt am 03.02.2009
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Bundeskanzler

Anfragebeantwortung

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017 Wien

 

GZ: BKA-353.110/0013-I/4/2009

Wien, am 30. Jänner 2009

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Rainer Widmann, Kolleginnen und Kollegen haben am 10. Dezember 2008 unter der Nr. 421/J an mich eine schriftliche parla­mentarische Anfrage betreffend Bemühungen seitens der österreichischen Bundes­regierung um eine Reform des EURATOM-Vertrags gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 3 und 5 bis 7:

Ø     Gab es 2007 konkrete Schritte, die seitens der Bundesregierung unternommen wurden, um eine Reform des EURATOM-Vertrags herbeizuführen? Wenn ja, welche, und mit welchem Ergebnis? (Bitte um jeweilige Auflistung des Datums und der handelnden Personen).

Ø     Gab es 2008 konkrete Schritte, die seitens der Bundesregierung unternommen wurden, um eine Reform des EURATOM-Vertrags herbeizuführen? Wenn ja, welche, und mit welchem Ergebnis? (Bitte um jeweilige Auflistung des Datums und handelnden Personen).

Ø     Welche Schritte in Richtung eines Vertragsausstiegs oder einer Reform haben Sie bzw. die jeweiligen Mitglieder der Bundesregierung in naher Zukunft geplant?

Ø     Welche Teile des EURATOM-Vertrags beabsichtigen Sie zu reformieren?

Ø     Halten Sie es für realistisch, dass Atommächte wie Frankreich und Tschechien, in Anlehnung an das Einigkeitsprinzip einer Reform zustimmen würden?

Ø     Wenn nein, wie wird sich dies auf Ihre Bemühungsbestrebungen auswirken?


 

Die Bundesregierung hat in ihrem Programm für die XXIV. Gesetzgebungsperiode (2008 bis 2013) festgelegt, die Bemühungen für eine Reform des EURATOM-Ver­trags fortzusetzen (Seiten 80 und 225 des Regierungsprogramms). Im Rahmen der Regierungskonferenzen 2003/2004 und 2007 konnte Österreich gemeinsam mit Deutschland, Irland, Schweden und Ungarn durchsetzen, dass im Rahmen einer Er­klärung (Nr. 54) zum Vertrag von Lissabon festgehalten wurde, dass der EURATOM-Vertrag seit seinem Inkrafttreten in seiner Substanz kaum verändert wurde und er daher einer Aktualisierung unterworfen werden muss. Eine Konferenz der Vertreter der Regierungen sollte daher so rasch wie möglich einberufen werden.

 

Von den derzeit 27 Mitgliedstaaten nutzen 15 aktiv die Nuklearenergie als Energie­quelle. Im Hinblick auf die von der EU festgelegten Klimaziele (deren Erreichung er­hebliche Einschränkungen der CO2-Emissionen erfordern) bestehen in einigen Mit­gliedstaaten klare Bestrebungen, diese Ziele u. a. auch durch den verstärkten Ein­satz von Kernenergie zu erreichen. Österreich hat demgegenüber bei allen bezugha­benden Anlässen immer wieder betont, dass Kernenergie keine umweltfreundliche und nachhaltige Energieform ist und daher auch kein geeignetes Mittel zur Bekäm­pfung des Klimawandels darstellt.

 

Bereits am 26. März 2007 haben sich die Umweltminister aus Irland, Österreich (da­mals Bundesminister Dr. Josef PRÖLL), Deutschland und den beiden EWR-Staaten Norwegen und Island in Dublin eingefunden, um der Debatte über die Zukunft der Nuklearenergie eine bessere Balance zu geben. Man war sich damals einig, dass die einseitige Darstellung der Kernenergie als „saubere“ Alternative im Kampf gegen den Klimawandel durch einige Mitgliedstaaten der EU die vielen ungelösten Probleme der Nutzung der Nuklearenergie unberücksichtigt lässt (z. B. die Fragen der Lagerung des atomaren Abfalls, die Probleme der Wiederaufbereitung und die Sicherheitsas­pekte).

 

Am 1. Oktober 2007 fand ein Nachfolgetreffen in Wien statt, an dem die Umweltmi­nisterInnen Irlands, Italiens, Norwegens und Österreichs sowie hohe Vertreter Deutschlands, Lettlands und Luxemburgs teilgenommen haben. Thema dieses Tref­fens waren vor allem positive Alternativen zur Kernenergienutzung sowie der Aspekt der Transparenz im Zusammenhang mit kerntechnischen Anlagen.

 

Die erwähnte Erklärung (Nr. 54) zum Vertrag von Lissabon hat einerseits gezeigt, dass Österreich mit seinem Bestreben, den EURATOM-Vertrag zu reformieren, nicht alleine ist, zeigt aber andererseits ganz deutlich, dass die gemäß Art. 48 EUV für die Einsetzung einer Regierungskonferenz erforderliche einfache Mehrheit (das sind der­zeit 14 Mitgliedstaaten), insbesondere aber die für eine Änderung des EURATOM-Vertrags erforderliche Einstimmigkeit, noch nicht gegeben ist. Darüber hinaus wäre es – ohne entsprechende Vorabsprachen – offen, in welche inhaltliche Richtung sich eine derartige Revision des EURATOM-Vertrags im derzeit tendenziell atomfreund­lichen politischen Klima entwickeln würde. Daher müssen die Anstrengungen weiter­hin darauf konzentriert werden, die Unterstützerbasis für eine Reform zu erweitern und zu festigen.

 

Aus österreichischer Sicht sollten die Themenschwerpunkte einer solchen Revisions­konferenz Fragen der Sicherheitsstandards kerntechnischer Anlagen, der Endlage­rung nuklearen Abfalls, der Anwendung der Wettbewerbs- und Beihilfenregelungen des Binnenmarktes auf die Kernenergiewirtschaft, der Mitentscheidung des Europäi­schen Parlamentes bei der Erlassung von Rechtsakten im Bereich der Nuklearpolitik und die Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Rat sein.

 

Zur immer wieder aufgeworfenen Frage eines einseitigen Austritts Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag kann aus politischer Sicht auf folgende Überlegungen hin­gewiesen werden: Durch einen Austritt aus dem EURATOM-Vertrag würde man sich letztlich aller Einflussmöglichkeiten auf die europäische Nuklearpolitik begeben. In absehbarer Zeit ein völlig nuklearfreies Europa zu erreichen, ist – offen gesprochen – nicht realistisch. Vielmehr gilt es, einerseits Fragen der Reaktorsicherheit und Entsor­gung nuklearer Rückstände auf allerhöchstem Sicherheitsniveau zu lösen und ande­rerseits glaubwürdige Alternativen, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Ener­gieformen zur Kernenergie zu schaffen. Es darf daher gezweifelt werden, ob zur Er­reichung dieser Ziele der Austritt aus dem EURATOM-Vertrag tatsächlich ein brauch­bares Mittel darstellt.

 


Die Bundesregierung wird daher in der laufenden Legislaturperiode bestrebt sein, nicht nur sich bei jedem passenden Anlass für die Durchführung der in der Erklärung Nr. 54 des Vertrages von Lissabon erwähnten Revisionskonferenz einzusetzen, son­dern insbesondere die von der Europäischen Kommission auf der Ebene des Sekun­därrechtes angestrebte Verabschiedung des „Nuclear safety Packages“ voranzubrin­gen. Zentraler Gegenstand dieses Pakets ist die Frage der Sicherheit kerntechni­scher Anlagen.

 

Zu Frage 4:

Ø     Wie beurteilen Sie die Rechtslage bezüglich einer Reformmöglichkeit des EURA­TOM-Vertrags?

 

Für eine Änderung des EURATOM-Vertrags ist Einstimmigkeit unter allen 27 Mit­gliedstaaten erforderlich. Eine solche ist, wie die Bemühungen im Lauf der vergan­genen Jahre gezeigt haben, derzeit nicht gegeben.

 

Zu den Fragen 8 und 9:

Ø     Wie beurteilen Sie die Rechtslage bezüglich einer Ausstiegsmöglichkeit aus dem EURATOM-Vertrag?

Ø     Welche Gründe sprechen aus Ihrer Sicht gegen den Ausstieg aus dem EURA­TOM-Vertrag?

 

Österreich wurde am 1. Jänner 1995 Mitglied der Europäischen Union und Vertrags­partner der die Union begründenden Verträge, nämlich des EG-Vertrags, des (da­maligen) EGKS-Vertrags und des EURATOM-Vertrags. Damals wie heute konnte ein Beitritt nur als gemeinsamer Beitritt zu allen Gemeinschaften erfolgen; so enthält der EU-Vertrag nur einen einzigen Artikel über den Beitritt zur Europäischen Union, die in ihrer gesamten Struktur eine administrative Einheit mit einheitlichem institutionellen Rahmen und gemeinsamem Budget bildet.

 

Nach überwiegender Auffassung besteht aus rechtlicher Sicht keine Möglichkeit eines einseitigen, isolierten Austritts nur aus dem EURATOM-Vertrag. Dies ergibt sich – ne­ben den institutionellen Verflechtungen zwischen den Gründungsverträgen, die sich insbesondere in gemeinsamen Organen manifestieren, – aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht aus der ausdrücklich normierten unbegrenzten Geltungsdauer des Vertrags und dem Mangel einer ausdrücklichen Austrittsmöglichkeit. Daneben bietet auch das all­gemeine Völkerrecht keine Handhabe für einen einseitigen Austritt; insbesondere er­wächst aus Art. 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention kein beliebiges Austrittsrecht. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 56 Abs. 1 der Wiener Vertrags­rechtskonvention, dass ein allgemeines Kündigungsrecht nur besteht, sofern „fest­steht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigten“ oder sich ein Austrittsrecht aus der „Natur des Vertrags“ herleiten lässt. Nach herrschender Auffassung kann weder aus der Absicht der Ver­tragspartner des EURATOM-Vertrags noch aus der Natur des EURATOM-Vertrags ein solches Austrittsrecht geschlossen werden.

 

Neben den rechtlichen Argumenten, die gegen die Möglichkeit eines einseitigen Aus­tritts sprechen, wäre auch aus politischer Sicht eingehend zu prüfen, ob man sich durch einen Austritt aus dem EURATOM-Vertrag wirklich aller Einflussmöglichkeiten auf die europäische Nuklearpolitik entledigen sollte. Langfristig ist Österreichs Ziel, eine nuklearfreie EU zu erreichen. Ob zur Erreichung dieses Zieles der Austritt aus dem EURATOM-Vertrag tatsächlich ein geeignetes Mittel wäre, bedarf sehr sorgfäl­tiger Überlegungen.