427/AB XXIV. GP
Eingelangt am 04.02.2009
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Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
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An die Präsidentin des Nationalrats Maga Barbara PRAMMER Parlament 1017 Wien |
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GZ: BKA-353.110/0024-I/4/2009 |
Wien, am 3. Februar 2009 |
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen haben am 12. Dezember 2008 unter der Nr. 472/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Erhebungskriterien für die Feststellung der Volksgruppenzugehörigkeit gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 und 2:
Ø Wie stehen Sie zum Verstoß gegen Abschnitt I, Artikel 3, Ziffer (1) des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten samt Erklärung (BGBl. III, Nr.120/1998), der sich durch die automatische Zuordnung einer Volksgruppenzugehörigkeit entsprechend den Angaben bei Volkszählungen der Befragten zur verwendeten Umgangssprache ergab, und durch den der Befragte seines Rechts beraubt wurde, sich nach eigener, freier Entscheidung zur Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit zu bekennen oder nicht?
Ø Wie können Sie künftig gewährleisten, dass Personen, die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten, vom Anwendungsbereich des Volksgruppengesetzes (BGBl. Nr. 396/1976) erfassten, Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum, die sich jedoch gemäß ihrer freien Entscheidung nicht als Angehörige einer nationalen Minderheit, sondern der Mehrheitsbevölkerung betrachten, künftig nicht mehr zwangsweise der nämlichen nationalen Minderheit zugeordnet werden?
Art. 3 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten, BGBl. III Nr. 120/1998, hält fest, dass jede Person, die einer nationalen Minderheit angehört, das Recht hat, frei zu entscheiden, ob sie als solche behandelt werden möchte oder nicht, und dass ihr aus dieser Entscheidung oder der Ausübung der mit dieser Entscheidung verbundenen Rechte keine Nachteile erwachsen dürfen.
Bei den in den Jahren 1880 bis 1910 und seit 1951 durchgeführten Volkszählungen ist nicht die Volksgruppenangehörigkeit, sondern die „Umgangssprache“ erhoben worden.
Zu den Fragen 3 sowie 5 bis 10:
Ø Wie äußern Sie sich zur Gesetzeslücke, die sich durch den Wegfall des letzten Erhebungskriteriums, „Umgangssprache“, bedingt durch den Übergang vom Volkszählungsgesetz (BGBl. 159/1950 und BGBl. 199/1980) zum Registerzählungsgesetz (BGBl. I Nr. 33-2006) ergeben hat, und durch welche die letzte Möglichkeit zur Feststellung nationaler Minderheiten weggefallen ist?
Ø Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das mit dem Übergang vom Volkszählungsgesetz (BGBl. 159/1950 und BGBl. 199/1980) zum Registerzählungsgesetz (BGBl. I Nr. 33/2006) weggefallene bisherige Kriterium zur Feststellung nationaler Minderheiten, „Umgangssprache“, entstandene Manko zu beheben?
Ø Welche geeigneteren Kriterien werden Sie anstatt des bisherigen Kriteriums zur Feststellung nationaler Minderheiten, „Umgangssprache“, i. S. d. Volksgruppengesetzes (BGBl. 396/1976) wählen, sodass künftig auch nicht mehr infolge einer automatischen Zuordnung der Befragten je nach angegebener Umgangssprache, die Befragten an einer freien Entscheidung für die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit gehindert, und somit in ihren Rechte beschnitten werden?
Ø Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um Personen, die als Umgangssprache eine andere als die deutsche Sprache haben und sich selbst aus freier Entscheidung als Angehörige der Mehrheitsbevölkerung betrachten, künftig nicht mehr mit Personen zu vermischen, die als Umgangssprache eine andere, als die deutsche Sprache haben und sich selbst als Angehörige einer nationalen Minderheit betrachten?
Ø In welchem Zeitraum planen Sie, Maßnahmen umzusetzen, die dazu geeignet sind, Personen, die als Umgangssprache eine andere als die deutsche Sprache angegeben haben, von solchen Personen unterscheiden zu können, die gemäß ihrer freien Entscheidung dennoch keiner nationalen Minderheit, sondern der Mehrheit angehören?
Ø Ist geplant, diese Maßnahmen im Zuge der geplanten Staats- und Verfassungsreform zu implementieren?
Ø Falls nein, warum nicht?
Gemäß § 1 Abs. 3 des Volksgruppengesetzes, BGBl. Nr. 396/1976, ist das Bekenntnis zu einer Volksgruppe frei. Keinem Volksgruppenangehörigen darf durch die Ausübung oder Nichtausübung der ihm als solchem zustehenden Rechte ein Nachteil erwachsen. Keine Person ist verpflichtet, ihre Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe nachzuweisen. § 1 Abs. 3 des Registerzählungsgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2006, steht dazu in keinem Spannungsverhältnis. Diese Bestimmung ermöglicht es dem zuständigen Bundesminister, durch Verordnung die personenbezogene Vollerhebung der Umgangssprache in der Form der Befragung der Bürger, die zum Stichtag in Österreich einen Hauptwohnsitz gemäß § 1 Abs. 7 MeldeG haben, anzuordnen, wenn es zur Erfüllung von Bundesaufgaben unbedingt erforderlich ist. Sind lediglich Teilergebnisse für die Wahrnehmung von Bundesaufgaben notwendig, kann die Erhebung auch nur in Teilen des Bundesgebietes durchgeführt werden. Für die in der Parlamentarischen Anfrage angesprochene Feststellung nationaler Minderheitenangehörigkeit besteht weder eine gesetzliche Grundlage noch eine Notwendigkeit, da der Ausübung individueller Rechte nichts entgegen steht.
Zu Frage 4:
Ø Wie wollen Sie die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen nationaler Minderheiten und Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens gewährleisten und erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen ergreifen können, ohne über geeignete Erhebungsinstrumente zu verfügen, die eine Identifizierung i. S. d. Volksgruppengesetzes (BGBl. 396/1976) von Angehörigen nationaler Minderheiten ermöglichen?
Gemäß der Staatszielbestimmung des Art. 8 Abs. 2 B-VG bekennt sich die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt; Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Dass dafür die Identifizierung einzelner Volksgruppenangehöriger erforderlich wäre, kann nicht nachvollzogen werden.