4373/AB XXIV. GP

Eingelangt am 29.03.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0026-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4362/J-NR/2010

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Harald Stefan und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „des Internetprojektes Google Street View“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 9:

Soweit politische Einflussnahmemöglichkeiten und arbeitgeberische Datenschutzkonzepte angesprochen sind, so erlaube ich mir, auf die Beantwortung der diesbezüglich gleichlautenden Parlamentarischen Anfrage zur Zahl 4356/J-NR/2010 durch den für Angelegenheiten des Datenschutzes primär zuständigen Herrn Bundeskanzler zu verweisen. Was den Vollziehungsbereich der Bundesministerin für Justiz betrifft, so bietet meines Erachtens das Justizrecht ausreichend Handhabe gegen unzulässige Eingriffe in Persönlichkeitsrechte.

Denkbar wäre ein Eingriff in die in § 16 ABGB verankerten Persönlichkeitsrechte, wobei insbesondere das Recht auf Schutz der Geheimsphäre und das Recht auf Namensanonymität betroffen sein könnten.

Schutzgegenstand des Rechts auf Geheimsphäre ist die Privatheit der Person und ihrer nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen. Geschützt sind insbesondere Informationen, die den höchstpersönlichen Lebensbereich (Familienleben, Gesundheit etc.) betreffen (Kernbereich der Privatsphäre).  Grundsätzlich werden von § 16 ABGB auch das Berufs- und Geschäftsleben erfasst (mit Ausnahme von Berufs- und Geschäftsgeheimnissen); allerdings ist dieser Bereich einer rechtfertigenden Interessenabwägung zugänglich. Das Recht auf Geheimsphäre wird etwa durch Veröffentlichen von Einzelheiten über das Privatleben und über eine sich ihrer Natur nach nicht in der Öffentlichkeit abspielende berufliche Tätigkeit verletzt, ebenso durch Preisgabe von Gesundheitszeugnissen an unberechtigte Dritte (Aicher in Rummel, ABGB3, Rz 23f zu § 16).

Eine besondere Ausprägung erhält der Schutz der Geheimsphäre durch das Datenschutzgesetz 2000 (DSG) bei Verwendung personenbezogener Daten aus einer automationsunterstützten Datenanwendung. Das DSG regelt die Voraussetzungen, unter denen im öffentlichen und privaten Bereich das Verarbeiten und Übermitteln derartiger Daten zulässig ist (Aicher in Rummel, ABGB3, Rz 24a zu § 16).

Ein Eingriff in das Recht auf Namensanonymität ist möglich, wenn der Name in Zusammenhängen genannt wird, die für die Nennung keinen sachlichen Anlass bieten.

Aus § 16 ABGB wird in der Regel ein verschuldensunabhängiger Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch sowie ein verschuldensabhängiger Schadenersatzanspruch der in ihren Rechten beeinträchtigten Personen abgeleitet.

Sollte im Fall der „unerlaubten Verwendung von Daten“ auch ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz vorliegen (hinsichtlich näherer Ausführungen hiezu wird auf die Antwort zu Frage 11 der Anfrage zur Zahl 2455/J-NR/2009 verwiesen), so könnte die abgebildete Person – je nach den Umständen des konkreten Falles – Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz begehren und diese Ansprüche letztlich mit einer zivilrechtlichen Klage geltend machen.


Ob und unter welchen Voraussetzungen das Verhalten von Google einen zivilrechtlichen Beseitigungs-, Unterlassungs- oder Schadenersatzanspruch begründet, ist nach dem Recht zu beurteilen, das nach den Regeln des IPR maßgebend ist. Solche Ansprüche gründen auf außervertraglichen Schuldverhältnissen, daher ist das maßgebende Recht nach der EU-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) zu ermitteln; danach ist das Recht des Erfolgsortes, also das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden entstanden ist. Die Verordnung nimmt jedoch außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte von ihrem Anwendungsbereich aus. Ansprüche aus solchen Schuldverhältnissen sind nach § 48 IPRG und mangels einer Rechtswahl der Parteien nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist. Besteht für die Beteiligten jedoch eine stärkere Beziehung zum Recht ein und desselben Staates, so ist dieses Recht maßgebend.

Eine österreichische zivilgerichtliche Entscheidung, die einen solchen Anspruch zuerkennt, kann in anderen Staaten nach Maßgabe von internationalen Verträgen, mit EU-Staaten auf der Grundlage von EU-Recht, anerkannt und vollstreckt werden; in anderen Fällen nur dann, wenn der betreffende andere Staat nach seinem internen Recht die Anerkennung und Vollstreckung vorsieht.

Die Grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der EU ist die Brüssel I-Verordnung. Unter den EU- und den EWR-Staaten gilt das Übereinkommen von Lugano, mit gleichem sachlichen Anwendungsbereich wie die genannte Verordnung; in den Vertragsstaaten des Übereinkommens würde die Entscheidung ebenfalls vollstreckt (wenn die übrigen Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind).

Mit einigen Drittstaaten bestehen bilaterale Vollstreckungsverträge, die solche Ansprüche erfassen. Dies ist etwa mit der Türkei oder Tunesien der Fall.

Mit den USA und zahlreichen anderen Staaten steht kein solcher Vollstreckungsvertrag in Kraft, daher wird die Anerkennung einer Entscheidung eines österreichischen Gerichts nur in den US-Bundesstaaten bzw. Staaten in Frage kommen, die für die Anerkennung nicht die Gegenseitigkeit voraussetzen – das ist international die Ausnahme.


Wenn ein Schiedsspruch zur Löschung verpflichtet, ist die internationale Durchsetzung der Entscheidung günstiger. Ihre Rechtsgrundlage ist das New Yorker Schiedsübereinkommen, das in 144 Staaten in Kraft steht. Da aber ein Schiedsspruch eine Schiedsvereinbarung der Parteien voraussetzt, wird es in den hier besprochenen Fällen nur selten zu einer Schiedsentscheidung kommen.

 

. März 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)