4427/AB XXIV. GP
Eingelangt am 02.04.2010
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BM für Inneres
Anfragebeantwortung
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Mag. Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien
Die Abgeordneten zum Nationalrat Steinhauser, Glawischnig, Musiol, Öllinger, Zinggl, Freundinnen und Freunde haben am 3. Februar 2010 unter der Zahl 4453/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend den „unverhältnismäßigen Polizeieinsatz bei einer Versammlung gegen den WKR – Ball am 29.01.2010“ gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Zu Frage 1:
Laut BPD Wien fand eine Einkesslung von Anfang an nicht statt. Bei einer solchen Maßnahme wäre ein Zustrom an Versammlungsteilnehmern gar nicht möglich gewesen. Aufgrund von diversen Aufrufen musste auch angesichts der Vorfälle 2009 von geplanten Gewalttätigkeiten ausgegangen werden. Aus diesem Grund wurden an taktisch günstigen Örtlichkeiten vorsorglich Tretgitter vorbereitet. Zu diesem Zeitpunkt war ein Abströmen möglich, jedoch auch gewährleistet, dass der untersagte, geschlossene Marsch vom „Versammlungsort“ aus unterbunden werden konnte.
Zu Frage 2:
Es gab keine Eskalationsstrategie, sondern der Gesamteinsatz zielte ausschließlich darauf ab, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten.
Zu Frage 3:
Gegenständliche Versammlung war von der Versammlungsbehörde untersagt.
Den Anmeldern der Versammlung wurde angeboten, eine Standkundgebung im Bereich des Christian-Broda-Platzes abzuhalten. Dies wurde jedoch von den Anmeldern nicht angenommen. Die trotz Untersagung stattgefundene Versammlung am Christian-Broda-Platz wurde zum Zeitpunkt des Abmarsches in Richtung Innenstadt beim Auftreffen auf die Polizeisperren vom vor Ort befindlichen Behördenvertreter aufgelöst, da sich bei der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereigneten und die Versammlung einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annahm. Zu diesem Zeitpunkt befand sich ein „schwarzer Block“ an der Spitze des Demonstrationszuges. Dieser umfasste ca. 100 vermummte und mit Transparenten abgeschirmte Personen, welche sogleich versuchten, die polizeiliche Absperrung zu entfernen und zahlreiche Wurfgegenstände und Knallkörper gegen die eingesetzten Polizeikräfte schleuderten. Von diesen Personen wurden folgende gerichtlich strafbare Tatbestände verwirklicht: Widerstand gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) und Mitführen von funktionalen Waffen bei einer Versammlung durch Vermummte (§ 19a Versammlungsgesetz 1953). Zusätzlich wurden folgende schwerwiegende Verwaltungsstraftatbestände gesetzt: Verstoß gegen das Vermummungsverbot (§ 9 Abs.1 Versammlungsgesetz 1953), Übertretung des Pyrotechnikgesetzes 2010 (§ 39 Abs.1 PyroTG 2010) und in weiterer Folge Weigerung des Verlassens des Versammlungsorts nach behördlicher Auflösung der Versammlung (§ 14 Abs.1 Versammlungsgesetz 1953).
Zu Frage 4:
Ab 18.20 Uhr wurden zwei Aufgänge aus der Station der U-Bahnlinie 3 zur Inneren Mariahilfer Straße gesperrt. Ab 18.49 Uhr wurden aufgrund der Ausschreitungen im Bereich der Inneren Mariahilfer Straße Höhe Kaiserstraße/Stumpergasse die dortigen Sperren aktiviert, als Personen versuchten, diese mit Gewalt zu durchbrechen. Unbeteiligte Passanten wichen grundsätzlich bereits vorher dem „Versammlungsort“ aus. Zusätzlich konnten Personen jederzeit in Richtung Gürtel abströmen. Diese Möglichkeit wurde auch während der bereits angeführten Ausschreitungen von Unbeteiligten genutzt. Nach Auflösung der Versammlung um 18.51 Uhr hatten die Versammlungsteilnehmer 10 Minuten Zeit, sich gesetzeskonform zu verhalten, den Versammlungsort über die Stumpergasse zu verlassen und auseinanderzugehen. Um 19.01 Uhr wurden sämtliche Sperren aktiviert und war das Verlassen des Versammlungsortes für die noch verweilenden Verwaltungsübertreter (§ 14 Abs. 1 VersG) nur nach Identitätsfeststellung möglich. Ab 19.01 Uhr war jedenfalls ein Zustrom endgültig nicht mehr möglich.
Zu den Fragen 5 und 8:
Die Aufforderungen an die Versammlungsteilnehmer, den Versammlungsort in Richtung Stumpergasse zu verlassen, sowie die weiteren Durchsagen des Behördenvertreters erfolgten mittels Lautsprecherwagen.
Zu den Fragen 6, 7 und 13:
Um 18:45 Uhr wurde vom Behördenvertreter durchgesagt, dass die Versammlung untersagt wurde und die Versammlungsteilnehmer daher aufgefordert werden, in Richtung Stumpergasse abzuströmen. Um 18:51 Uhr wurde vom Behördenvertreter durchgesagt, dass die Versammlung aufgelöst wird und die Versammlungsteilnehmer zehn Minuten Zeit haben, die Örtlichkeit in Richtung Stumpergasse zu verlassen. Um 18:54 Uhr wurde vom Behördenvertreter nochmals durchgesagt, dass die Versammlung aufgelöst ist und die Teilnehmer noch sieben Minuten Zeit haben, in Richtung Stumpergasse abzuströmen.
Zu Frage 9:
Die genaue Formulierung um 18:45 Uhr lautete: „Achtung, Achtung! Hier spricht der Behördenvertreter der Bundespolizeidirektion Wien. Diese Versammlung wurde untersagt. Ich fordere Sie auf, in Richtung Stumpergasse abzuströmen. Ich wiederhole: Hier spricht der Behördenvertreter der Bundespolizeidirektion Wien. Diese Versammlung ist untersagt. Ich fordere Sie auf, in Richtung Stumpergasse abzuströmen.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Demonstrationszug in Richtung Mariahilferstraße/Innere Stadt in Bewegung gesetzt, obwohl die Versammlung untersagt worden war (siehe Frage 3).
Die genaue Formulierung um 18:51 Uhr lautete: „Achtung, Achtung! Hier spricht der Behördenvertreter der Bundespolizeidirektion Wien. Diese Versammlung wurde aus Gründen der öffentlichen Sicherheit untersagt und wird daher aufgelöst. Alle Anwesenden sind verpflichtet sofort in Richtung Stumpergasse auseinander zu gehen. Ich wiederhole: Diese Versammlung wird aufgelöst. Entfernen Sie sich Richtung Stumpergasse. Sie haben nun 10 Minuten Zeit diese Örtlichkeit zu verlassen. Ich wiederhole: Sie haben 10 Minuten Zeit diese Örtlichkeit zu verlassen.“
Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zahlreiche Wurfgegenstände und Knallkörper gegen die eingesetzten Polizeikräfte geschleudert worden.
Die genaue Formulierung um 18:54 Uhr lautete: „Achtung, Achtung! Hier spricht der Behördenvertreter der Bundespolizeidirektion Wien. Diese Versammlung ist untersagt und aufgelöst. Sie haben jetzt noch sieben Minuten Zeit, diese Örtlichkeit in Richtung Stumpergasse zu verlassen. Ich wiederhole: Diese Versammlung ist aufgelöst. Verlassen Sie die Örtlichkeit in Richtung Stumpergasse.“
Zu diesem Zeitpunkt versuchten Personen aus dem „schwarzen Block“ bereits die Polizeisperren zu überwinden.
Zu Frage 10:
Es wurde von Anfang an ein Lautsprecherwagen und nicht bloß ein Megafon eingesetzt.
Zu Frage 11:
Die Versammlungsteilnehmerinnen und Teilnehmer hatten nach der ersten Aufforderung genau 16 Minuten Zeit, den Versammlungsort ohne Identitätsfeststellung zu verlassen. Danach war das Verlassen weiterhin, jedoch nur nach Identitätsfeststellung möglich. Zu den Passantinnen und Passanten siehe Frage 15.
Zu Frage 12:
Die Frist zum Verlassen des Kundgebungsortes ohne Identitätsfeststellung endete um 19:01 Uhr.
Zu Frage 14:
Während des Zeitraums von 18:45 Uhr bis 19:01 Uhr fanden keine Identitätsfeststellungen aufgrund der Übertretungen nach dem Versammlungsgesetz und gemäß § 35 SPG statt. In zwei Fällen wurden Identitätsfeststellungen im Rahmen von Festnahmen auf Rechtsgrundlage des § 118 Abs.1 StPO vorgenommen (versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt).
Zu Frage 15:
Augenscheinlich unbeteiligte Personen konnten den Versammlungsort ohne Kontrolle verlassen. Im Zweifelsfall wurde mit den Betroffenen Kontakt aufgenommen.
Zu Frage 16:
Aus der untersagten und aufgelösten Versammlung heraus ereigneten sich laufend gefährliche Angriffe (Pflastersteinwürfe). Um einem zu erwartenden Gewaltexzess begegnen zu können, wurden Wasserwerfer vorbereitet.
Zu Frage 17:
Im Hinblick auf die Ausschreitungen des Jahres 2009, die Strafverfahren wegen Sachbeschädigung, schwerer Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch nach sich zogen, war es erforderlich, den neuerlich gewaltbereiten Versammlungsteilnehmerinnen und Teilnehmer Entschlossenheit zu zeigen.
Zu Frage 18:
Pfefferspray kam zum Einsatz.
Zu Frage 19:
In zwei Fällen zur Festnahme wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Zu Frage 20:
Nein.
Zu Frage 21:
Es wurden Verletzungen von fünf Personen behauptet.
Zu Frage 22:
Am Versammlungsort ersuchten zwei Frauen um die Intervention des Rettungsdienstes aufgrund Reizung der Augen durch Pfeffersprayeinwirkung, eine weitere Frau erhob am 30. Jänner 2010 in einem Spital einen Misshandlungsvorwurf gegen Polizeibeamte. Zwei Misshandlungsvorwürfe wurden von Festgenommenen im Polizeianhaltezentrum erhoben. Es wurden Abschürfungen festgestellt.
Zu Frage 23:
Insgesamt erfolgten bis 22.40 Uhr 774 Identitätsfeststellungen. Zum Zwecke der Identitätsfeststellungen wurde ab 19.01 Uhr in der Stumpergasse eine „Identitätsfeststellungstrasse“ geschaffen, später wurden zwei weitere in der Kaiserstraße eröffnet. Die Dauer der Identitätsfeststellungen wurde durch die Weigerung der Versammlungsteilnehmer, zur Identitätsfeststellung zu gehen, verlängert.
Zu Frage 24:
In der angefragten Genauigkeit können die Fragen nicht beantwortet werden. Bis 22.40 Uhr waren insgesamt bis zu 20 Einsatzbeamte mit Identitätsfeststellungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der untersagten und aufgelösten Versammlung beschäftigt.
Zu Frage 25:
In Wien ist kein vergleichbares Ereignis bekannt.
Zu den Fragen 26 bis 29:
Gemäß der Richtlinie für das Führungssystem der Sicherheitsexekutive in besonderen Lagen (RfBL), Geschäftszahl BMI-EE 1000/0019-II/2/a/2007, war an jenem Tag eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) eingerichtet. Einsatzleiter war Polizeipräsident Dr. Gerhard Pürstl; Einsatzkommandant war Brigadier Franz Semper.
Zu den Fragen 30 und 31:
Mit Ausnahme von Anfragen der Abgeordneten zum Nationalrat Öllinger und Musiol sind bei der BPD Wien keine politischen Interventionen bekannt.
Zu den Fragen 32 und 33:
Nein.
Zu den Fragen 34 und 35:
Nein.