4598/AB XXIV. GP

Eingelangt am 23.04.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0052-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4561/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „der kontinuierlichen Verschiebung von Vereinssachwaltern zum Juristenstand“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2:

Die Annahme, dass ein unverhältnismäßig starker Anstieg bei Sachwaltern aus den Rechtsberufen zu verzeichnen sei, deckt sich nicht mit dem mir zur Verfügung stehenden Zahlenmaterial.


Die Entwicklung der Sachwalterschafts-Anregungen, Sachwalter-Bestellungen und Beendigungen von SW-Verfahren stellt sich dar wie folgt:

 

2006

2007

2008

2009

Anregungen

16.240

16.470

16.715

16.702

Bestellungen (einstw. und ständiger SW)

8.537

8.269

8.226

8.443

Beendigungen

n.V.

8.557

8.481

8.457

 

Ein Ziel des am 1.7.2007 in Kraft getretenen Sachwalterrechts-Änderungsgesetzes 2006 (SWRÄG 2006), Sachwalterbestellungen nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß vorzunehmen, konnte somit erreicht werden. In den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten war nämlich ein signifikanter Anstieg der unter Sachwalterschaft stehenden Personen zu verzeichnen. Durch das SWRÄG 2006 konnte eine Stabilisierung erreicht werden; die Zahl der Neubestellungen entspricht etwa der Zahl der Beendigungen, sodass es zu keinem weiteren erheblichen Anstieg der Gesamtzahl der unter Sachwalterschaft stehenden Personen gekommen ist. 

Die Entwicklung der Bestellungen zu ständigen Sachwaltern stellt sich (gegliedert nach Bestellungsumfang) wie folgt dar:

 

2006

2007

2008

2009

SW für alle Angelegenheiten / nahestehende Person

3.858

3.531

3.331

3.186

SW für einzelne Angelegenheiten / nahestehende Person

197

185

232

220

SW für Kreis von Angelegenheiten / nahestehende Person

1.323

1.401

1.216

1.114

SW für alle Angelegenheiten / Rechtsberuf

698

669

738

709

SW für einzelne Angelegenheiten / Rechtsberuf

181

207

202

188

SW für Kreis von Angelegenheiten / Rechtsberuf

1.038

1.094

1.186

1.171

SW für alle Angelegenheiten / Verein

213

201

240

234

SW für einzelne Angelegenheiten / Verein

52

59

59

71

SW für Kreis von Angelegenheiten / Verein

404

403

446

519

SW für alle Angelegenheiten / andere geeignete Person

0

0

27

315

SW für alle Angelegenheiten / andere geeignete Person

0

0

4

37

SW für alle Angelegenheiten / andere geeignete Person

0

0

6

153

 

An den vorliegenden Daten ist zu erkennen, dass es seit dem Inkrafttreten des SWRÄG 2006 zu keinem unverhältnismäßig starken Anstieg bei der Bestellung von Vertretern der Rechtsberufe als Sachwalter gekommen ist. Wie die oben dargelegten Zahlen deutlich zeigen, wurden in den Jahren 2006 bis 2009 jährlich in etwa eine gleich große Zahl von Vertretern der Rechtsberufe als Sachwalter neu bestellt (2006: 1.917; 2009: 2.068). Eine ähnliche Entwicklung ist bei der Bestellung von Vereinen zu Sachwaltern festzustellen; auch bei Vereinen kam es zu einem Anstieg an Bestellungen (2006: 669; 2009: 824). Im Jahr 2009 war im Vergleich zu 2006 bei der Neubestellung von Vertretern der Rechtsberufe ein Plus von 7,87%, bei der Neubestellung von Sachwaltervereinen ein Plus von 23,16% zu verzeichnen. Eine kontinuierliche Verschiebung von Vereinssachwaltern zum Juristenstand liegt daher nicht vor.

Zu 3:

Das geltende Gesetz (§ 279 Abs. 5 ABGB idF BBG 2009, BGBl. I Nr. 52/2009) enthält keine starre Obergrenze für die Anzahl der Sachwalterschaften, die ein Angehöriger eines Rechtsberufes übernehmen darf. Schon das SWRÄG 2006 sah mit Art. X § 4 Abs. 2 eine bis 1.7.2010 geltende Übergangsfrist vor. Mit Art. 16 Abs.  1 BBG 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, wurde die Übergangsfrist bis 1.7.2012 verlängert. Statistisches Material darüber, ob und wie viele Rechtsanwälte oder Notare derzeit mehr als 25 Sachwalterschaften betreuen, liegt nicht vor.

Zu 4 bis 6:

In der Zeit vor der Ausarbeitung des SWRÄG 2006 wurde in der Öffentlichkeit wiederholt auf angebliche Unzukömmlichkeiten im Zusammenhang mit der Betreuung betroffener Personen durch Rechtsanwälte hingewiesen. Dadurch entstand (auch politischer) Druck gegen die Besorgung von Sachwalterschaften durch Angehörige von Rechtsberufen, selbst wenn diese durch besonders spezialisierte und entsprechend mit sozialer Kompetenz ausgestattete Rechtsanwälte übernommen wurden. Im Zug der Vorbereitung des SWRÄG 2006 wurde daher einerseits eine im Hinblick auf die Wirtschaftsentwicklung als möglich erachtete Ausweitung der Vereinssachwalterschaft und andererseits die Beschränkung der Besorgung von Sachwalterschaften durch Angehörige von Rechtsberufen ins Auge gefasst. Eine für Angehörige von Rechtsberufen geltende starre Höchstgrenze sah der Vorschlag der Bundesregierung allerdings nicht vor (RV 1420 BlgNR XXII. GP); sie wurde erst im Zug der parlamentarischen Behandlung in den Gesetzestext aufgenommen.

Trotz der Weltwirtschaftskrise und der damit zusammenhängenden budgetären Situation konnte ein Ziel des SWRÄG 2006, die Stärkung der Vereinssachwalterschaft, in einem gewissen Ausmaß erreicht werden: Seit dem Inkrafttreten des SWRÄG 2006 wurde die Zahl der von Vereinen übernommenen Sachwalterschaften (inklusive Verfahrens- und einstweiligen Sachwalterschaften) von 6.865 (Stichtag 30.6.2007) auf 7.789 (Stichtag 31.12.2009) erhöht. Die Anzahl der Vereinssachwalterschaften konnte zwar somit in den letzten zweieinhalb Jahren um rund 14% gesteigert werden, liegt aber immer noch deutlich unter dem tatsächlichen Bedarf. Das Bestreben, Sachwalterschaften in einem noch größeren Umfang den Sachwaltervereinen zu übertragen, ist aufgrund der Wirtschafts- und Budgetlage derzeit nicht zu erreichen. Die Vereine arbeiten an ihrer Kapazitätsgrenze und ohne die Zuschießung weiterer finanzieller Mittel ist an eine Ausweitung ihrer Tätigkeit nicht zu denken.

Die verschiedentlich geforderte Einführung einer starren Höchstzahl hat in der Praxis dazu geführt, dass spezialisierten Kanzleien ein Betätigungsfeld entzogen wurde. Zwar wurde die starre Höchstzahl durch das Budget-Begleitgesetz 2009 durch eine flexiblere Lösung ersetzt, die den Zugang der Rechtsanwaltschaft zur Bestellung als Sachwalter erleichtert. Bei entsprechender Kanzleiinfrastruktur – die es u.a. ermöglicht, auch bei einem größeren Kreis an betreuten Sachwalterschaften die Aufgaben der Personensorge zu erfüllen – können nach der neuen Regelung auch mehr als 25 Sachwalterschaften übernommen werden. In der Zwischenzeit haben allerdings einige der auf Sachwalterschaften spezialisierten Kanzleien ihre Infrastruktur teilweise bereits aufgegeben, sodass deren Potential verloren ist. Der Bedarf an Sachwaltern ist jedoch weiter hoch und es musste Vorsorge für jene Fälle getroffen werden, in denen weder eine nahestehende Person noch ein Sachwalterverein zur Verfügung stehen. Als Folge dieser Entwicklung mussten seit dem SWRÄG 2006 auch Rechtsanwälte als Sachwalter bestellt werden, die einer Übernahme ablehnend gegenüberstehen. Bereits vor dem SWRÄG 2006 war anerkannt, dass die Übernahme von Sachwalterschaften eine bürgerliche Ehrenpflicht ist (OGH JBl. 2003, 306). Auch ein Rechtsanwalt oder Notar muss  (aufgrund der Regelung des § 274 Abs. 2 ABGB) nicht mehr als fünf Sachwalterschaften übernehmen.

§ 279 ABGB stellt einen „Stufenbau“ der als Sachwalter zu bestellenden Person auf. Zunächst soll demnach der behinderten Person eine geeignete, ihr nahestehende Person zum Sachwalter bestellt werden. Nur für den Fall, dass eine derartige Person nicht verfügbar ist, ist ein geeigneter Verein, kommt auch ein Verein nicht in Betracht, ein Rechtsanwalt oder Notar zu bestellen. Die Bestellung eines Rechtsanwalts oder Notars erfolgt daher nur subsidiär. Darauf hinzuweisen ist, dass Rechtsanwälte und Notare jedenfalls nicht mehr Sachwalterschaften übernehmen müssen, als ihnen zumutbar ist. Die Kriterien der Unzumutbarkeit werden in § 274 Abs. 2 ABGB präzisiert. Die Unzumutbarkeit der Übernahme kann auf persönlichen, familiären, beruflichen oder sonstigen Verhältnissen gegründet sein. Weiters wird nach der Bestimmung die Unzumutbarkeit bei mehr als fünf Sachwalterschaften vermutet, sodass davon auszugehen ist, dass ein Rechtsanwalt oder Notar nicht mehr als fünf Sachwalterschaften übernehmen muss.

Mir ist bekannt, dass ein Rechtsanwalt gegen die §§ 274 und 279 ABGB idF SWRÄG 2006 einen letztlich als unzulässig zurückgewiesenen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof eingebracht hat (VfGH 14.12.2009, G 216/09) und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu 31950/06 eine Beschwerde eines österreichischen Rechtsanwalts wegen einer Entscheidung eines Gerichtes auf der Rechtslage vor Inkrafttreten des SWRÄG 2006 anhängig ist.

Zu 7:

Fortbildungsveranstaltungen zum Themenbereich Außerstreitrecht im Allgemeinen und dem Sachwalterschaftsverfahren im Besonderen werden in regelmäßigen Abständen angeboten und bilden einen fixen Bestandteil der Fortbildung von RichterInnen und StaatsanwältInnen. Gesetzlichen Änderungen wird dabei durch die Abhaltung von speziellen Seminarreihen besonders Rechnung getragen. So hat beispielsweise das Bundesministerium für Justiz unter anderem in Kooperation mit den vier in Österreich tätigen Sachwaltervereinen vor Inkrafttreten des Sachwalterrechts-Änderungsgesetzes 2006 in einem Zeitraum von acht Wochen zu 12 Fachtagungen eingeladen. Dieses Jahr wird die nächste Veranstaltung zum Thema Sachwalterschaftsverfahren von 14. bis 16. Juni 2010 im Justiz-Bildungszentrum Kitzbühel unter dem Titel „Heimaufenthaltsrecht, Unterbringungsgesetz, Sachwalterschaftsrecht“ stattfinden.

 

April 2010

 

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)