4774/AB XXIV. GP

Eingelangt am 14.05.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0079-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4817/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Judith Schwentner, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Maßnahmen zum Schutz von Frauen gegen Gewalt“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Nein. Die Initiative ging von Spanien aus; anderen Mitgliedstaaten dürfte nur wenig Einfluss auf die Inhalte der Initiative eingeräumt worden sein.


Zu 2:

Die wesentliche Zielrichtung der Initiative wird vom Bundesministerium für Justiz grundsätzlich unterstützt. Allerdings schienen zentrale Fragen ungeklärt; einerseits gab es nur eine unzureichende Folgenabschätzung, andererseits schien das Verhältnis zu anderen, bereits bestehenden Rechtsakten ungeklärt, und zwar sowohl zu zivilrechtlichen (siehe Pkt. 4) als auch zu zwei kürzlich beschlossenen Rahmenbeschlüssen (2008/947/JI vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, ABl 2008 L 337, 102, und 2009/829/JI vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft, ABl L 2009/294, 20).

Zu 3:

Im Hinblick darauf, dass Schutzmaßnahmen nach österreichischem Recht im Wesentlichen zivilrechtlicher Natur sind, hat Österreich in den Verhandlungen zu der Richtlinie zunächst den vom Vorsitz in Aussicht genommenen weiten Anwendungsbereich, der auch zivil- und verwaltungsrechtliche Schutzmaßnahmen umfassen sollte, unter der Voraussetzung begrüßt, dass dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage besteht und das Verhältnis zu der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I) und der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel IIa) im Text hinreichend klargestellt wird.

Nachdem die Kommission allerdings mit guten Gründen die Haltung eingenommen hat, dass hinsichtlich der Einbeziehung zivilrechtlicher Schutzmaßnahmen keine ausreichende Rechtsgrundlage besteht, hat sich Österreich aus Gründen der Rechtssicherheit (Gefahr einer Anfechtung der Richtlinie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)) für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf den Strafrechtsbereich ausgesprochen, die Europäische Kommission jedoch um ehebaldige Vorlage von Vorschlägen zur Anerkennung und Vollstreckung auch zivilrechtlicher Schutzmaßnahmen ersucht.


Zu 4:

Schwierigkeiten bereitet das Zusammenspiel der geplanten Richtlinie mit den Verordnungen Brüssel I und Brüssel IIa. Gewaltschutzanordnungen können in den Anwendungsbereich der Brüssel I und Brüssel IIa Verordnungen fallen (so auch das Gutachten des Rechtsdienstes des Rates); sie würden in diesem Fall nach den Regeln dieser Verordnungen anerkannt und vollstreckt. Grundvoraussetzung ist, dass es sich um gerichtliche Entscheidungen in Zivilsachen handelt. Aus europarechtlicher Sicht werden solche Gewaltschutzanordnungen sogar regelmäßig als zumindest auch zivilrechtliche Maßnahmen anzusehen sein (das österreichische Recht siedelt solche Gewaltschutzanordnungen im Zivilrecht an). Beschränkt man den Anwendungsbereich der Richtlinie auf rein strafrechtliche Maßnahmen und lässt die Regelungen der genannten Verordnungen in dem Sinn unberührt, dass für Maßnahmen, die in den Anwendungsbereich der Verordnungen fallen, eine Europäische Schutzanordnung nicht zulässig ist, muss im Einzelfall eine Abgrenzung zwischen Strafrecht und Zivilrecht getroffen werden. Diese Abgrenzung ist im Bereich des Gewaltschutzes schwierig und nicht geklärt. Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung würde die praktische Anwendung der European Protecton Order stark behindern. Zudem könnte es sein, dass der Richtlinie angesichts des weiten Zivilrechtsbegriffs, den der EuGH den genannten Verordnungen grundsätzlich zugrunde legt, kaum ein Anwendungsbereich bliebe.

Das Ziel müsste sein, ein umfassendes Instrument zur Vollstreckung aller einschlägigen Entscheidungen zu erreichen, unabhängig davon, welcher Art die betreffenden nationalen Entscheidungen sind. Dieses Ziel kann mit dem von Spanien betriebenen Vorschlag aber offensichtlich nicht erreicht werden. Vielmehr bedarf es dazu eines Vorschlags der Europäischen Kommission. Die nun aufgetretenen Schwierigkeiten bestätigen die reservierte Haltung Österreichs zu dem Vorschlag.

Zu 5:

Der spanische Vorsitz strebt die Erzielung einer allgemeinen Ausrichtung über den Text der Richtlinie im Rat für Juni dieses Jahres an. In der Folge werden im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu führen sein.

Ob und wann diese Verhandlungen zu einem Ergebnis führen werden, kann derzeit nicht prognostiziert werden.


Zu 6:

Bei Einsatz elektronischer Fußfesseln nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Zivilrecht im Rahmen einstweiliger Verfügungen zum Schutz vor Gewalt (§§ 382b ff Exekutionsordnung) stünde - abgesehen von Fragen der technischen Machbarkeit - der damit verbundene massive Grundrechteingriff wohl in einem Spannungsverhältnis zur zivilrechtlichen Konzeption einstweiliger Verfügungen. Zunächst werden daher die weiteren Erfahrungen aus dem Strafrechtsbereich abzuwarten sein, ehe eine abschließende Beurteilung vorgenommen werden kann.

 

. Mai 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)