4798/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.05.2010
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BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(5-fach)

 

 

 

RUDOLF HUNDSTORFER

Bundesminister

 

Stubenring 1, 1010 Wien

Tel: +43 1 711 00 - 0

Fax:   +43 1 711 00 - 2156

rudolf.hundstorfer@bmask.gv.at

www.bmask.gv.at

DVR: 001 7001

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Parlament

1010 Wien

 

 

 

GZ: BMASK-10001/0121-I/A/4/2010

 

Wien,

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 4884/J der Abgeordneten Mag.a Schatz, Freundinnen und Freunde wie folgt:

Fragen 1 bis 3:

Der um diesbezügliche Stellungnahme ersuchte Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger teilte zu den in der Anfrage erwähnten Beschäftigungsbedingungen in der Branche Marktkommunikation mit, dass diesem von einem Berater eines in Österreich tätigen Marktkommunikationsunternehmens eine Liste von Agenturen (inklusive der aus dem Internet verfügbaren Informationen) vorgelegt wurde, welche die angeführten Vorgehensweisen (unrechtmäßiger Abschluss von Werk- bzw. freien Dienstverträgen sowie geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen) angeblich praktizieren. Ebenso wurde diesbezüglich eine von einer Rechtsanwaltskanzlei formulierte Sachverhaltsdarstellung samt rechtlicher Beurteilung zur Verfügung gestellt.

Der Hauptverband teilte weiters mit, dass er die Gebietskrankenkassen davon in Kenntnis gesetzt und die vorliegenden Unterlagen weitergeleitet hat. Die aufgelisteten Unternehmen werden nunmehr von den zuständigen Gebietskrankenkassen einer GPLA (Gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben) unterzogen. Entsprechende Veranlassungen wurden bereits in die Wege geleitet.

Inwieweit die vorgebrachten Anschuldigungen tatsächlich bestehen, wird im Zuge der Sachverhaltsermittlungen zu prüfen sein. Eine aussagekräftige abschließende Beurteilung ist derzeit noch nicht möglich.

Allgemein wurde zur vorliegenden Thematik seitens des Hauptverbandes Folgendes ausgeführt:

Vertragskonstruktionen, wie in der gegenständlichen parlamentarischen Anfrage beschrieben, werden den Gebietskrankenkassen sowohl im Zuge von routinemäßig vorgenommenen Prüfungen als auch durch Anzeigen bzw. Mitteilungen unmittelbar und mittelbar Betroffener immer wieder bekannt.

Die beschriebene Problemlage ist keine branchenspezifische. Diese Vertragsformen werden nahezu in allen Branchen, insbesondere in der Baubranche, im Transportgewerbe, in der Medienbranche bzw. im Bereich der Marktkommunikation registriert. Auch im Gesundheitsbereich (Beschäftigte bei ÄrztInnen) sowie im Rahmen alljährlicher Kulturveranstaltungen sind derartige Vertragskonstruktionen feststellbar.

Eine massive Ausweitung der atypischen Beschäftigungsverhältnisse kann nicht generell bestätigt werden. Die Zahl der freien Dienstverträge wie auch der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse war in den letzten zehn Jahren annähernd gleichbleibend bzw. konnte eine Steigerung nur bei einzelnen TrägerInnen festgestellt werden.

Bei Vorliegen von Hinweisen, die auf eine Umgehung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen bzw. auf Scheinwerkverträge schließen lassen, werden im Rahmen der GPLA oder durch den bei einigen Trägern primär hierfür geschaffenen „Erhebungsdienst Sachverhaltsermittlungen“ Erhebungen vorgenommen, welche sich zum Teil äußerst schwierig gestalten.

Häufig sind die Prüforgane mit der Tatsache konfrontiert, dass vor allem ausländische Beschäftigte an der Sachverhaltsermittlung nicht mitwirken oder ihre Aussagen mit jenen des/der „Dienstgebers/Dienstgeberin“ abstimmen. Anzumerken ist, dass gerade im Bereich Marktkommunikation junge Menschen (vor allem StudentInnen) eingesetzt werden, denen die mit dem abgeschlossenen Vertrag verbundenen arbeits- und sozialrechtlichen Nachteile nicht bewusst sind bzw. von denen diese Nachteile mangels Alternativen in Kauf genommen werden. Zum Teil erachten auch die Betroffenen selbst derartige Vertragskonstruktionen als vorteilhaft, da dies meist auch für sie mit einem höheren Einkommen verbunden ist.

Oftmals werden solche Vertragskonstellationen durchaus auch im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten abgewickelt. Vielfach ist aber festzustellen, dass sehr wohl Umgehungsgeschäfte bzw. Scheinselbständigkeiten bestehen bzw. bestanden haben, da die agierenden Personen auf Grund ihrer Arbeitsaufgaben, ihrer Bindung an Arbeitsort und Arbeitszeit, ihrer persönlichen Leistungspflicht und Weisungsgebundenheit sowie ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Einordnung in den Betrieb offensichtlich als DienstnehmerInnen zur Pflichtversicherung nach dem ASVG anzumelden gewesen wären.

Gegebenenfalls kommt es im Nachhinein zu einer „Richtigstellung“ der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung sowie zu einer Nachversicherung und Nachverrechnung von Beiträgen, Umlagen und Verzugszinsen. Ebenso ist die Sachlage bei Vorliegen höherer (über der Geringfügigkeitsgrenze liegender) als durch den/die Dienstgeber/Dienstgeberin bekannt gegebener Entgelte. Sofern Umgehung bzw. Scheinselbstständigkeit nachgewiesen werden kann, UnternehmerInnen sich jedoch nicht kooperativ verhalten, werden auch Verwaltungsverfahren geführt, die in der Vergangenheit großteils erfolgreich ‑ im Instanzenzug teilweise bis zum Verwaltungsgerichtshof ‑ abgeschlossen werden konnten.

Über die Motive, welche UnternehmerInnen zu dieser Vorgehensweise veranlassen, liegen dem Hauptverband keine beweiskräftigen Informationen vor. Sofern eine bewusste Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften gewählt wird, stehen vermutlich finanzielle Überlegungen im Vordergrund.

Aus rechtlicher Sicht ist Folgendes festzuhalten:

Nach der arbeitsrechtlichen Judikatur ist im konkreten Einzelfall anhand der Vertragsgestaltung und der tatsächlich gelebten Vertragspraxis zu prüfen, welcher Vertragstyp tatsächlich vorliegt. So kann im Zuge eines Verfahrens das zuständige Arbeits- und Sozialgericht zum Schluss kommen, dass in Wahrheit kein freier Dienstvertrag oder Werkvertrag vorliegt, sondern ein Arbeitsvertrag. Die Beurteilung hat anhand des wahren wirtschaftlichen Gehalts des Vertrags bzw. der gelebten Vertragspraxis zu erfolgen.

Im Sozialversicherungsrecht stellt § 539a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) ein Mittel dar, der Umgehung der Sozialversicherungspflicht nach dem ASVG entgegen zu wirken. Gemäß § 539a Abs. 1 ASVG ist für die Beurteilung von Sachverhalten in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgeblich. § 539a Abs. 2 ASVG normiert das Verbot, durch Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts die Verpflichtung des Gesetzes, insbesondere die Versicherungspflicht, zu umgehen. Nach § 539a Abs. 3 ASVG ist ein Sachverhalt so zu beurteilen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen gewesen wäre.

Beitragsprüfungen der Gebietskrankenkassen bewirken gegebenenfalls – wenn z.B. festgestellt wird, dass es sich bei einem Werkvertragsverhältnis in Wahrheit um ein Arbeitsverhältnis handelt – „nur“ eine Nachverrechnung der Sozialversicherungsbeiträge; die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin werden damit nicht festgestellt, sondern sind vom/von der Betroffenen selbst geltend zu machen.

Frage 4:

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das bereits derzeit bestehende gesetzliche Instrumentarium weitgehende Möglichkeiten bietet, im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung der angesprochenen Problemlage entsprechend zu begegnen:

Im ASVG ist die Anmeldung vor Arbeitsantritt verpflichtend normiert; Verstöße dagegen gelten als Verwaltungsübertretungen, die gemäß § 111 ASVG zu ahnden sind. Weiters sind in § 113 Abs. 1 und 2 ASVG Beitragszuschläge vorgesehen, sofern die (vollständige) Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde bzw. das Entgelt nicht oder verspätet oder ein zu niedriges Entgelt gemeldet wurde.

Weiters ist auf die im ASVG verankerte AuftraggeberInnen-Haftung zu verweisen. Ich habe mit Verordnung, BGBl. II Nr. 216/2009 die Bestimmungen über die AuftraggeberInnen-Haftung mit 1.9.2009 in Kraft gesetzt. Damit wurde ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung des Betruges in der Baubranche gesetzt.

Die Lohnsteuer-, Sozialversicherungs- und Kommunalsteuerprüfung erfolgt durch die gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben. § 41a Abs. 3 ASVG sieht demgemäß vor, dass vom Krankenversicherungsträger gemeinsam mit der Sozialversicherungsprüfung auch die Lohnsteuerprüfung nach § 86 des Einkommenssteuergesetzes 1988 durchzuführen ist. Neben den laufenden Routineprüfungen werden weiters auch noch so genannte Bedarfsprüfungen auf Grund interner (Risikoanalyse) bzw. externer Auslöser (Anzeigen, Insolvenzeröffnungen etc.) durchgeführt. Die Risikoanalyse stellt für die prüfenden Institutionen eine zusätzliche Informationsquelle für die Erstellung der Jahresprüfpläne bzw. für die Auswahl von Bedarfsprüfungen dar. Darüber hinaus bestehen für zeitnahe Überprüfungen gemäß § 42 ASVG weitreichende Auskunfts- und Einsichtsrechte des Versicherungsträgers gegenüber DienstgeberInnen und sonstigen meldepflichtigen Personen.

Zu erwähnen ist weiters, dass im Hinblick auf die bestehende Deckelung der Verwaltungskosten eine Ausnahme in der Höhe von 5 % des Aufwandes für Bedienstete für den Bereich der zeitnahen Erhebung und der GPLA in § 625 Abs. 12 Z 4 ASVG geschaffen wurde, um eine ausreichende Zahl an ErheberInnen bzw. Prüfkräften bereitstellen zu können.

Die Ausschöpfung all dieser bereits vorhandenen Mittel und Möglichkeiten obliegt den Sozialversicherungsträgern bzw. der Selbstverwaltung.

Ein Umgehen des Arbeitsrechts kann nur durch eine effektivere Durchsetzung der bereits vorhandenen arbeitsrechtlichen Normen zurückgedrängt werden. Die Frage der Rechtsdurchsetzung steht im Mittelpunkt der Umsetzung der im Regierungsprogramm vorgesehenen Kodifikation des Arbeitsrechts und der Verbesserung und Systematisierung der Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping. Hier werden bereits Gespräche mit den Sozialpartnern über entsprechende Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping, wie etwa die Möglichkeit einer verwaltungsbehördlichen Kontrolle der Einhaltung von Entgeltregelungen und die Sanktionierung von Lohndumping geführt.

 

Mit freundlichen Grüßen