4860/AB XXIV. GP
Eingelangt am 21.05.2010
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BM für Finanzen
Anfragebeantwortung
Frau Präsidentin
des Nationalrates
Mag. Barbara Prammer Wien, am Mai 2010
Parlament
1017 Wien GZ: BMF-310205/0074-I/4/2010
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 4929/J vom 24. März 2010 der Abgeordneten Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Kolleginnen und Kollegen beehre ich mich Folgendes mitzuteilen:
Zu 1.:
Die Lohnquote definiert sich als Verhältnis von Einkommen aus unselbstständiger Arbeit zum Volkseinkommen oder Bruttoinlandsprodukt. Ihre Entwicklung ist von einer Reihe von wirtschaftlichen Faktoren (insbesondere Lohnentwicklung, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit, Standortattraktivität) abhängig und entzieht sich vielfach der unmittelbaren Gestaltung eines Finanzministers.
Die Lohnquote hängt zum einen vom Anteil der unselbstständig Beschäftigten an den Erwerbstätigen ab. Der Anstieg der unselbstständig Beschäftigten von 60% Mitte der 1950er Jahre auf mehr als 80% erklärt einen Gutteil des Anstiegs der Lohnquote in der Nachkriegszeit. Darüber hinaus verlief die wirtschaftliche Entwicklung binnenorientiert: steigende Löhne und Beschäftigung gingen mit stetig steigender heimischer Nachfrage einher, während dem Außenhandel eine vergleichsweise geringe Bedeutung zukam. In den 1970er Jahren geriet dieses Modell in die Krise. Der Anstieg der Lohnquote führte zur Reduktion des Gewinnniveaus, sodass die Unternehmer letztendlich nicht mehr bereit waren, in den Standort zu investieren. Die Antwort der Wirtschaftspolitik bestand in der „Globalisierung“ der Wirtschaft, um neue Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und die Produktivität zu erhöhen.
Seit etwa Ende der Neunziger Jahre steigt die Selbstständigenquote wieder an und die Freien Berufe entwickeln sich dynamisch. Gepaart mit einem im Vergleich zu den 1970er Jahren höheren Arbeitslosigkeit führt dies auch zu einer relativ niedrigeren Lohnquote.
Im Hinblick auf Wohlstand und Verteilung innerhalb einer Volkswirtschaft ist zu berücksichtigen, dass die Lohnquote lediglich direkte monetäre Einkommen von ArbeitnehmerInnen erfasst. Für die Höhe des verfügbaren Haushalts- oder Individualeinkommens sind jedoch auch andere Faktoren z.B. Pensionen, Arbeitslosengeld, Transfer- und Familienleistungen sowie Kapitaleinkommen (z.B. Zinseinkünfte, Bausparen oder Ansprüche aus Pensions- und Abfertigungskassen) relevant.
Es wäre daher unklug, die Anhebung der Lohnquote auf das Niveau der 1970er Jahre zum wirtschaftspolitischen Ziel zu erklären. Stattdessen müssen Löhne und Gewinne in einem Verhältnis stehen, das sowohl ein angemessenes Beschäftigungs- und ein ausreichendes Konsumniveau als auch Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität sichert. Ein Missverhältnis zwischen diesen Größen führt zur Krise, zu deren Bewältigung Reformen zur Wiederherstellung der Balance zwischen Löhnen und Gewinnen notwendig sind.
Zu 2.:
Wie bereits zur Frage 1. ausgeführt, wird die Entwicklung der Lohnquote von einer Reihe von ökonomischen Faktoren bestimmt. Zwischen den Jahren 1997 und 2003 fiel die bereinigte Lohnquote von gut 70% auf etwa 66%. Ab dem Jahr 2003 fiel die bereinigte Lohnquote von etwa 66% auf 62% im Jahr 2007.
Auch das Aufkommen aus Kapitalertragsteuern – das Budget unterscheidet dabei zwischen der Kapitalertragsteuer I auf „Gewinnausschüttungen“, der Kapitalertragsteuer II auf „Zinsen“ und der Kapitalertragsteuer III auf „EU-Quellensteuer“ – wird natürlich von einer Reihe von ökonomischen Faktoren bestimmt, u.a. von der Entwicklung der Gewinnausschüttungen und der Zinsentwicklung, aber vor allem auch vom Besteuerungsregime, welches auf Kapitalerträge angewandt wird. Der Vergleich der Lohnquote (ökonomische Größe) mit dem Aufkommen der Kapitalertragsteuer ist somit wenig aussagekräftig.
Die Entwicklung der Kapitalertragsteuern stellt sich wie folgt dar (Mio. €):
|
|
KESt I |
KESt II |
KESt III |
|
2000 |
472 |
1474 |
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2001 |
432 |
1616 |
|
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2002 |
461 |
1663 |
|
|
2003 |
484 |
1410 |
|
|
2004 |
566 |
1318 |
|
|
2005 |
792 |
1280 |
|
|
2006 |
863 |
1376 |
15 |
|
2007 |
1294 |
1879 |
67 |
|
2008 |
1573 |
2177 |
91 |
|
2009 |
1144 |
1871 |
110 |
Zu 3.:
Durch die Globalisierung der österreichischen Wirtschaft haben der Außenhandel und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Handelspartnern (vorwiegend Deutschland und seit den 1990er Jahren die Länder Mittel- und Osteuropas) an Bedeutung gewonnen. Technischer Fortschritt, die zunehmende Automatisierung der Produktion und die durch die Globalisierung möglich gewordene Zersplitterung der Produktionsketten und Verlagerung von Teilen der Produktion ins Ausland haben zur Reduktion der Beschäftigung im Industriesektor geführt. Viele der neu entstandenen Jobs im Dienstleistungssektor sind aufgrund der im Durchschnitt geringeren Produktivität dieses Sektors schlechter bezahlt als die „alten“ Industriejobs. Weiters haben sektorale Verschiebungen der Produktionsstruktur zum Rückgang der Lohnquote beigetragen, indem Sektoren mit niedrigerer Lohnquote an Bedeutung gewonnen (z.B. trotz überdurchschnittlicher Löhne der Finanzsektor) und solche mit höherer Lohnquote an Bedeutung verloren haben (z.B. verarbeitendes Gewerbe). Österreich ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Der Rückgang der Lohnquote seit den 1970er Jahren ist ein globales Phänomen, das mit dem verstärkten Wettbewerbsdruck auf dem Weltmarkt, der zunehmenden Mobilität des Kapitals (Standortwettbewerb), technologischen Faktoren und dem Strukturwandel der Wirtschaft zusammenhängt.
Zu 4. bis 6.:
Da es sich beim Rückgang der Lohnquote um ein globales Phänomen handelt, sind die Möglichkeiten der direkten Beeinflussung durch die Wirtschaftspolitik beschränkt. Indirekt wird jedoch sehr wohl durch Maßnahmen auf nationaler und EU-Ebene gegengesteuert. Zu nennen sind insbesondere Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und Abfederung der Auswirkungen des Strukturwandels. Außerdem dienen Qualifikations- und Weiterbildungsmaßnahmen, steuerliche Maßnahmen (Körperschaftssteuersenkung 2004) und die Senkung der Verwaltungskosten für Unternehmen der Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich, wodurch ein hohes Lohnniveau gesichert und die Abwanderung von Unternehmen und Arbeitsplätzen vermieden werden soll. Darüber hinaus werden die Auswirkungen der fallenden Lohnquote durch die staatlichen Umverteilungsmaßnahmen, die Arbeitslosenversicherung und die jüngste Steuerreform, die die ArbeitnehmerInnen um 2,3 Mrd. € entlastet hat, stark abgeschwächt. Letztendlich ist es das verfügbare Einkommen, das für den Wohlstand der ArbeitnehmerInnen entscheidend ist, nicht die Lohnquote.
Zu 7.:
Im Jahr 2007 lag die Lohnquote bei 62% des BIP (bereinigt um Verschiebungen in der Erwerbsstruktur). In der jüngsten Vergangenheit dürfte sie merklich angestiegen sein, da die Lohnquote in entwickelten Volkswirtschaften mit Lohnrigiditäten und stark ausgeprägtem Kündigungsschutz in Krisenzeiten antizyklisch reagiert.
Zu 8.:
Steigende Arbeitslosigkeit, höherer Wettbewerbsdruck sowie Lohnanpassungen bei wichtigen Handelspartnern Österreichs könnten Gründe für ein weiteres Absinken der Lohnquote in Österreich sein. Aus heutiger Sicht sind jedoch in den nächsten Jahren keine großen Rückgänge der Lohnquote zu erwarten.
Zu 9.:
Ein weiteres Absinken der Lohnquote könnte sich negativ auf die heimische Konsumnachfrage auswirken, wenn die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte nicht durch andere Faktoren (Umverteilung, Kapitaleinkommen) steigen. Niedrigere Arbeitskosten könnten allerdings zu einem Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Handelspartnern und einem Wachstum der Exporte und bei Investitionen führen. Dadurch könnte der Rückgang des heimischen Konsums kompensiert werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Binnennachfrage in den Handelspartnerländern nicht ebenso sinkt.
Mit freundlichen Grüßen