4926/AB XXIV. GP

Eingelangt am 26.05.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0101-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 4999/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Judith Schwentner, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Reformbedarf hinsichtlich Straftatbestand sexuelle Belästigung“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 4:

Zu der angesprochenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH 18. Juni 2009, 13 Os 62/09f) kann Folgendes ausgeführt werden:

Das zur Beurteilung herangezogene Delikt in der erwähnten Entscheidung war nicht die in § 218 StGB normierte „Sexuelle Belästigung“, sondern der „Sexuelle Missbrauch von Unmündigen“ (§ 207 StGB). Gemäß § 207 Abs. 1 StGB begeht sexuellen Missbrauch von Unmündigen, wer eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vornimmt oder von einer unmündigen Person an sich vornehmen lässt. Der Begriff der „geschlechtlichen Handlung“, der im Übrigen auch ein Tatbestandsmerkmal des angesprochenen Tatbestandes der sexuellen Belästigung (§ 218 StGB) ist, wurde in der Bestimmung des § 207 StGB durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 eingeführt und löste den antiquierten Begriff der „Unzucht“ ab. Eine inhaltliche Änderung ging damit jedoch nicht einher.

Unter einer geschlechtlichen Handlung versteht der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt (OGH 26. März 2009, 12 Os 5/09s). Bei der Beurteilung einer Handlung als geschlechtlich kommt es ausschließlich auf den objektiven Sexualbezug an (RIS-Justiz RS0094989, RS0078135). Ein objektiver Sexualbezug ist dann gegeben, wenn es sich um nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührungen der zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper der jeweils anderen Person handelt (Schick in WK², § 202 Rz 9). Anders gesagt liegt eine geschlechtliche Handlung nur bei einer intensiven Berührung eines primären oder sekundären Geschlechtsorgans vor (Hinterhofer SbgK, § 202 Rz 24). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die geschlechtliche Handlung dem erregten Geschlechtstrieb des Täters entspringt (OGH 26.03.2009, 12 Os 5/09s). Im Unterschied zum Analbereich zählt die Gesäßregion seit jeher nach herrschender Rechtsprechung nicht zur unmittelbaren Geschlechtssphäre eines Menschen (OGH 02.12.1986, 10 Os 136/86; RS0095142).

Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes stellen Akte der unabhängigen Rechtsprechung dar. Dennoch erscheint die von der Rechtsprechung seit jeher gezogene Abgrenzung darüber hinaus bei voller Anerkennung der gestiegenen Sensibilität gegenüber der Schutzbedürftigkeit der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung von Kindern nach wie vor sachgerecht; eine Änderung der Gesetzeslage ist daher nicht indiziert.


Zu 5 bis 7:

In der Vergangenheit wurden bereits massive Änderungen hinsichtlich der Verjährungsfrist bei bestimmten Delikten vorgenommen, sofern das Opfer im Zeitpunkt der Tat minderjährig war.

Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 153, wurde bestimmt, dass die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit (= Vollendung des 18. Lebensjahres) des zur Tatzeit minderjährigen Opfers bei bestimmten Sexualdelikten nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Mit dem zweiten Gewaltschutzgesetz, BGBl. I Nr. 40/2009, wurde die Verjährungsfrist ein weiteres Mal verlängert. Die Zeit von der Tat bis zur Erreichung des 28. Lebensjahres des Opfers wird demnach nicht in die Verjährung eingerechnet; die Verjährungshemmung des § 58 Abs. 3 Z 3 StGB ist zudem nicht auf taxativ aufgezählte Delikte beschränkt, sondern gelangt allgemein bei strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zur Anwendung. Mit BGBl. I Nr. 142/2009, das am 1. Jänner 2010 in Kraft getreten ist, wurde schließlich normiert, dass die Zeit bis zur Vollendung (statt bisher: Erreichung) des 28. Lebensjahres nicht in die Verjährung einzurechnen ist.

Wie lange die Verjährungsfrist beträgt, hängt vom einzelnen Delikt ab. Bei (qualifiziertem) schwerem sexuellem Missbrauch von Unmündigen (§ 206 StGB) beträgt die Frist zwanzig Jahre.

Mit dieser Novellierung wurde den Erfahrungen Rechnung getragen, dass Personen, die als Kinder oder Jugendliche Opfer einer Straftat wurden, oft sehr lange Zeit benötigen, um über das Geschehene hinwegzukommen. In dieser Zeit sind sie meist außer Stande, über das Erlebte zu sprechen oder gar Strafanzeige zu erstatten.

Eine darüber hinausgehende Verlängerung - etwa wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Tat bereits volljährig war - erscheint derzeit nicht sachgerecht.

Zu 8:

Auch Änderungen im Schadenersatzrecht werden in diesem Bereich nicht in Aussicht genommen, weil § 1328 ABGB (Schadenersatz bei Verletzung an der geschlechtlichen Selbstbestimmung) bereits eine umfassende Regelung darstellt, die auch den Ersatz ideeller Schäden für die erlittene Beeinträchtigung vorsieht.  Für den Bereich der Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt wird diese Bestimmung durch § 6 GlBG ergänzt, der speziell auf Diskriminierung durch den Arbeitgeber aufgrund des Geschlechtes durch sexuelle Belästigung abstellt. § 12 Abs. 11 GlBG sieht vor, dass einer betroffenen Person zum Ausgleich der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung Anspruch auf angemessenen, mindestens jedoch auf 720 Euro Schadenersatz zusteht. In Fällen gravierender Eingriffe in die geschlechtliche Sphäre, die eine mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte gerichtlich strafbare Vorsatztat darstellen, ist zudem die 30jährige Verjährungsfrist von Schadenersatzansprüchen gemäß § 1489 zweiter Satz ABGB anwendbar. Dies trifft etwa auf den Straftatbestand des § 212 StGB (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses) zu. Dieser Gesamtkomplex an Regelungen bietet daher einen ausreichenden Rechtsschutz in Fällen von Eingriffen in die sexuelle Integrität, weshalb kein weiterer schadenersatzrechtlicher Handlungsbedarf gesehen wird.

. Mai 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)