4974/AB XXIV. GP

Eingelangt am 11.06.2010
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BM für Wirtschaft und Forschung

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

 

 

                                                           BMWF-10.000/0084-III/FV/2010

Frau Präsidentin

des Nationalrates

Mag. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

 

 

Wien, 8. Juni 2010

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 5045/J-NR/2010 betreffend Erhöhung der Chancengleichheit beim Uni-Zugang von Frauen und Männern, die die Abgeordneten  Mag. Judith Schwentner, Kolleginnen und Kollegen am 13. April 2010 an mich richteten, verweise ich zunächst auf meine Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 4197/J-NR/2010 (4152/AB). Zu den nunmehr gestellten Fragen wird unter Berücksichtigung der eingelangten Stellungnahmen der Medizinischen Universität Graz und der gemeinsamen Stellungnahme der Medizinischen Universitäten Wien und Innsbruck wie folgt Stellung genommen:

 

Zu Frage 1:

Siehe Beantwortung 4152/AB.

 

Zu Frage 2:

Sowohl bei den Verhandlungen zur Leistungsvereinbarungsperiode 2007-2009 als auch für die Leistungsvereinbarungsperiode 2010-2012 wurde mit den betroffenen Medizinischen Universi-täten vereinbart, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Chancengleichheit für die Studentinnen und Studenten bei der Zulassung zu zahlenmäßig begrenzten Studienrichtungen zu gewährleisten bzw. zu verbessern.

 

Zu Frage 3:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 124b UG 2002 die Entscheidung, bei zugangsbeschränkten Studien den Zugang entweder durch ein Aufnahmeverfahren vor der Zulassung oder durch die Auswahl der Studierenden bis längstens zwei Semester nach der Zulassung zu beschränken, in den autonomen Wirkungsbereich der betreffenden Universität fällt. Diese Entscheidung trifft das Rektorat, der Senat (in dem alle Universitätskurien, somit auch die Studierenden, vertreten sind) und der Universitätsrat werden entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen mit einbezogen.

 

Die drei betroffenen Medizinischen Universitäten haben jeweils die Entscheidung für ein Aufnahmeverfahren vor der Zulassung getroffen und dafür folgende Gründe angeführt:

 

Medizinische Universität Graz:

„Grundsätzlich sei vorangeschickt, dass an der Medizinischen Universität Graz zu keinem Zeitpunkt ein Eignungstest durchgeführt wurde, sondern das Grazer Auswahlverfahren grundsätzlich auf einem kognitiven, naturwissenschaftlich orientierten Kenntnistest basiert.

 

Die Medizinische Universität Graz hat im Rahmen des Studienjahres 2005/06, also unmittelbar nach dem EuGH-Urteil vom Juli 2005, abweichend von den Medizinischen Universitäten in Wien und Innsbruck ein Auswahlverfahren am Ende eines Eingangssemesters – quasi einer Studieneingangsphase – durchgeführt.

 

Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass eine im Rahmen des Auswahlverfahrens durchgeführte Befragung der Teilnehmer/innen des Auswahlverfahrens 2005/06 eine sehr eindeutige Ablehnung eines Eingangssemesters mit abschließender Entscheidungsprüfung und demgemäß eine klare Präferenz für ein Auswahlverfahren VOR der Zulassung erbrachte.“

 

Medizinische Universitäten Innsbruck und Wien:

„Eine Studieneingangsphase ist sicher nicht geeignet, Defizite, die während einer mehrjährigen Schulausbildung entstanden sind (wie im einleitenden Text der gegenständlichen Anfrage festgestellt) innerhalb eines halben Jahres auszugleichen. Gegen Studieneingangsphasen sprechen daneben eine Vielzahl von Argumenten, außerdem müssten für ca. 9000 Bewerber/innen (Innsbruck und Wien gemeinsam im Jahr 2010) die entsprechenden Plätze geschaffen werden, tatsächlich stehen derzeit 1040 Plätze in Innsbruck und Wien zur Verfügung.“

 

Somit spricht eindeutig bei einer derart großen Bewerber/innenzahl das Problem einer hohen Überlastung der Kapazität im ersten Jahr und eine damit verbundene sehr hohe Abbrecher/innenzahl nach dem ersten Jahr auch aus Sicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung als gut nachvollziehbare Begründung für die Entscheidung zu einem Aufnahmeverfahren vor der eigentlichen Zulassung zum Studium.

 

Zu Frage 4:

Die Medizinischen Universitäten Wien und Innsbruck sehen folgende Gründe für das schlechtere Abschneiden der Bewerberinnen bei den Eignungstests:

„Der Grund ist nach unserer Meinung in den auch im Einleitungstext zu dieser Anfrage angeführten und durch die Studien von Spiel et al sowie TIMMS und PISA belegten geschlechtsspezifischen Defiziten in der (insbesondere naturwissenschaftlichen) Grundausbildung in der Primär- und vor allem Sekundärstufe zu finden. Weder bei den deutschen BewerberInnen in Österreich noch bei den SchweizerInnen, die zeitgleich den EMS absolvieren, ist dieser „Gender-Gap“ zu finden. Statistische Daten finden sich für den EMS in den jährlich im web veröffentlichten Berichten unter http://www.eignungstest-medizin.at/cms/.“

 

Die Medizinische Universität Graz legt besonderen Wert darauf, dass zu keinem Zeitpunkt ein Eingangstest durchgeführt wurde, sondern das Grazer Auswahlverfahren grundsätzlich auf  einem kognitiven, naturwissenschaftlich orientierten Kenntnistest basiert:

 

„Bezüglich der Gründe für das schlechtere Abschneiden von Frauen und Männern liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. An der Medizinischen Universität Graz werden derzeit umfangreiche wissenschaftliche Analysen hinsichtlich der Wirkungen des Grazer Auswahlverfahrens auf die Studienerfolgsrate und auf die Dropoutrate durch­geführt. Aus den bisher vorliegenden Daten lassen sich einige Muster erkennen, die möglicherweise Hinweise liefern können:

  • Eine erste Studie, die den dramatischen Anstieg der Studienerfolgsrate, gemessen am erfolgreichen Abschluss des ersten Studienabschnitts zeigt, konnte in einer renommierten Zeit­schrift publiziert werden.
  • Eine eingehende Analyse der Dropoutraten der Studienbeginner/innen im Zeitraum 2002/03 (Einführung des Diplomcurriculums Humanmedizin) bis heute zeigt über­raschenderweise, dass in den Kohorten aus 2002/03 bis 2004/05 (Zulassung im Rahmen des Freien Hochschulzuganges) die Dropoutraten von Frauen statistisch hochsignifikant größer waren als die von Männern; bei den Kohorten seit 2005/06 (Zulassung durch ein Auswahlverfahren) sind die Dropoutraten generell dramatisch kleiner (etwa um den Faktor 10) und ein Geschlechts­unterschied fehlt gänzlich. Wenn man die beobachteten Dropoutraten von Frauen und Männern dieser Jahrgänge von den jeweiligen  Anfängerzahlen subtrahiert und die Prozentsätze der im Studium verbleibenden Frauen und Männer bewertet, so ergibt sich in Summe auch für diese Kohorten OHNE Auswahlverfahren ein Gender Gap von mehreren Prozenten.
  • Eine Analyse der Grazer Auswahlverfahren 2008 und 2009 betreffend den zeitlichen  Abstand zwischen Ablegung der Reifeprüfung und dem Antritt zum Auswahlverfahren zeigt sehr deutlich, dass der zur Diskussion stehende Gender Gap praktisch nur bei den Kandidatinnen und Kandidaten beobachtbar ist, die unmittelbar nach der Reifeprüfung zum Auswahlverfahren antreten. Liegt die Reifeprüfung hingegen ein Jahr oder länger zurück, so verzeichnet man bei beiden Geschlechtern einen deutlichen Leistungsanstieg beim Auswahlverfahren; der Anstieg bei den Frauen ist allerdings wesentlich höher und gleicht den Gender Gap praktisch aus: Sowohl bezogen auf die erreichte Punkteanzahl als auch auf die Erfolgsrate ist kein signifikanter Unterschied zwischen Frauen und  Männern mehr zu beobachten.“

 

Zu Frage 5:

Auch zur Frage der Bewertung sozialer Kompetenz im Rahmen des Medizin-Aufnahmever-fahrens zeigen die Grundkonzeptionen der betroffenen Universitäten, welche – wie bereits oben ausgeführt –  autonom über Inhalt und Durchführung des Auswahlverfahrens entscheiden, unterschiedliche Herangehensweisen:

 

Die Medizinische Universität Graz unternimmt folgende Weiterentwicklung des Auswahl-verfahrens:

„Die bis dato ausschließliche Ausrichtung des Grazer Auswahlverfahrens an naturwissenschaftlichen Inhalten findet ihre Begründung darin, dass langjährige Erfahrungen gezeigt haben, dass sich in der Zeit des freien Hochschulzuganges Medizinstudierende besonders mit den naturwissen­schaftlichen Grundlagenfächern schwer getan haben. Darüber hinaus bedingte die sehr  unter­schied­liche Basisausbildung in diesen Fächern aufgrund der sehr stark diversifizierten Ausprägungen des Sekundarbildungsbereiches, dass das erste Semester im Wesentlichen  dazu verwendet werden musste, einmal ein einigermaßen einheitliches Ausgangsniveau in  diesen Fächern herzustellen. Die bisherigen Ergebnisse des Grazer Auswahlverfahrens zeigen, dass die Zielsetzung, über das Auswahlverfahren ein gleichförmiges und gutes Ausgangsniveau in den naturwissenschaftlichen Fächern zu erzielen und gleichzeitig die Studierfähigkeit der  Studierenden zu erhöhen, bestens erfüllt wurde.

 

Nichtsdestotrotz ist die Medizinische Universität Graz an einer stetigen Verbesserung und  Optimierung des Auswahlverfahrens bemüht. Das generelle Leitbild der Medizinischen Universität Graz, das sich am Biopsychosozialen Modell orientiert, hat seit Einführung des Auswahl-verfahrens immer den Wunsch zur Folge gehabt, neben kognitiv-naturwissenschaftlichen  Leistungen der Studienwerber/innen auch die psychosoziale Dimension in einer geeigneten, das heißt, insbesondere in einer fairen und praktikablen Weise zu erfassen. Mit dem Situational Judgement Test, der in vielen unterschiedlichen Anwendungsfeldern zum Einsatz kommt, ganz spezifisch aber seit Jahren in Belgien in Kombination mit einem naturwissenschaftlich orientierten Kenntnistest für die Auswahl künftiger Medizinstudierender eingesetzt wird, glaubt die Medizinische Universität Graz eine sinnvolle Möglichkeit zur Realisierung dieses Zieles gefunden zu haben.

 

Daher wird das Grazer Auswahlverfahren 2010 neben den bewährten Komponenten Biologie, Chemie, Mathematik, Physik und Textverständnis um einen Testteil Situational Judgement Test erweitert. Dieser Testteil wurde in einem aufwändigen Prozess unter Beteiligung entsprechender Fachkräfte erstellt; ein Probetest verlief sehr erfolgversprechend.

 

Die Einführung dieses neuen Testteiles wird von umfangreichen Analysen der Ergebnisse  begleitet werden; die Resultate dieser Bewertungen werden entscheidenden Einfluss darauf  haben, welche Rolle dieser Testteil zukünftig spielen soll.“

 

Die Medizinischen Universitäten Wien und Innsbruck stehen einer Aufnahme der Bewertung  sozialer Kompetenz in das Aufnahmeverfahren wesentlich kritischer gegenüber:

 

„Soziale Kompetenz ist eine wichtige Eigenschaft für die Ausübung des ärztlichen Berufs. Sie ist allerdings nicht genetisch determiniert, sondern wird im Laufe des Lebens – abhängig von der jeweiligen sozialen Umgebung - erworben. Es ist nicht zuletzt eine ganz wesentliche Aufgabe eines Medizinstudiums, für den ärztlichen Beruf  wesentliche soziale Kompetenzen, die auf der Matura-Ebene tatsächlich nicht vorausgesetzt werden können, zu vermitteln.

 

Vor einer testergebnis-wirksamen Aufnahme von Aufgaben zur Ermittlung sozialer Kompetenzen kann jedenfalls nicht ausdrücklich genug gewarnt werden. Wenn die Testaufgaben alltäg-lichen Erfahrungen entsprechen (und sich die Expert/innen bei der Bewertung der Situationen einig sind), werden automatisch Antworten nach der sozialen Erwünschtheit einer Reaktion  gegeben - unabhängig davon, ob man selbst tatsächlich so reagieren würde.

 

Wenn die Aufgaben aber so gestaltet werden, dass die Antworten undurchschaubarer und  dadurch mehrdeutiger werden, so sind sich auch die Experten nicht mehr einig, was die richtige Antwort ist. Internationale Daten weisen nach, dass minimal 60% der Experten eine Antwort als richtig bewerten. Wenn aber bis zu 40% der Experten eine andere Antwort als richtig ansehen, ist die Forderung nach Willkürfreiheit nicht mehr erfüllbar und die Testergebnisse wären zu Recht anfechtbar. “

 

Ob und wie soziale Kompetenz im Aufnahmeverfahren zum Medizin-Studium abgeprüft werden kann, ist derzeit Inhalt umfassender Gespräche mit den Rektoren der Medizinischen Univer-sitäten und kann daher noch nicht abschließend beantwortet werden.

 

Zu Frage 6:

Die Studie wird sich mit dem Einfluss von individueller Ängstlichkeit, Selbstwirksamkeit,  Leistungsmotivation u.a. von Frauen bei EMS-ähnlichen kognitiven Tests im Vergleich zu Männern auseinandersetzen. Aufgrund des aufwändigen Studiendesigns ist mit ersten Ergebnissen frühestens in einem halben Jahr zu rechnen.

 

 

Die Bundesministerin:

 

 

Dr. Beatrix Karl e.h.