535/AB XXIV. GP

Eingelangt am 20.02.2009
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 
Anfragebeantwortung

 

 

 

 

NIKOLAUS BERLAKOVICH

Bundesminister

 

 

 

 

 

An die                                                                                    Zl. LE.4.2.4/0177 -I 3/2008

Frau Präsidentin

des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

 

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 19. FEB. 2009

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl. parl. Anfr. d. Abg. z. NR Werner Neubauer, Kolleginnen

                        und Kollegen vom 22. Dezember 2008, Nr. 526/J, betreffend

                        Nichtdurchführung eines ordentlichen UVP-Verfahrens im Zuge

                        der Erweiterung des AKW Temelin

 

 

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen vom 22. Dezember 2008, Nr. 526/J, teile ich Folgendes mit:

 

Einleitend darf auf das Regierungsprogramm 2007-2010 verwiesen werden, in dem ausgeführt wird, dass die Österreichische Bundesregierung weiterhin festhält, „dass die Kernenergie weder eine nachhaltige Form der Energieversorgung noch eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels darstellt. Diese Überzeugung impliziert auch das Eintreten gegen jede Art der Förderung der Kernenergie sowie gegen den Bau neuer Kernkraftwerke generell.

Oberste Maxime ist der optimale Schutz der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt.

In allen Fällen von kerntechnischen Anlagen, die negative Auswirkungen auf Österreich haben oder haben könnten, wird die Bundesregierung alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung österreichischer Sicherheitsinteressen nutzen. Dies bedeutet auch für maximale Transparenz und Partizipation einzutreten.

Beim Kernkraftwerk Temelín wird der Sicherheitsdialog intensiv fortgesetzt. Die Bundesre­gierung verfolgt weiter das Ziel, dass die im Anhang 1 der „Vereinbarung von Brüssel“ fest­gelegten Sicherheitsmaßnahmen vollständig realisiert werden. Dazu ist es auch erforderlich, die notwendigen Ressourcen – einschließlich der Finanzierung der vereinbarten seismischen Forschungsprojekte – zur Verfügung zu stellen.“

Diesem Regierungsprogramm fühle ich mich voll und ganz verpflichtet.

 

Die einzelnen Fragen beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 und 2:

 

Zunächst sei daran erinnert, dass bereits zu Beginn der Planungsarbeiten für das KKW Temelín in den 1980er Jahren vier Reaktorblöcke für diesen Standort vorgesehen waren. Seit Wiederaufnahme der Bauarbeiten an den Blöcken 1 und 2 Mitte der 1990er Jahre wurde auch immer wieder die Fertigstellung der Blöcke 3 und 4 thematisiert. Konkrete Aktivitäten konzen­trierten sich allerdings auf die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Blöcke 1 und 2. Im Juli 2008 gelangten dann erste Ergebnisse der sogenannten PACES-Kommission an die Öffent­lichkeit, denen zu Folge diese Kommission bereits in ihrem Rohbericht die Vorbereitung des Ausbaus von Kernkraftwerken in der Tschechischen Republik empfohlen habe.

 

Das UVP-Verfahren für die geplanten Blöcke 3 und 4 des KKW Temelín wurde dann mit Schreiben des Umweltministeriums der Tschechischen Republik (MZP) vom 6. August 2008, im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) eingelangt am 13. August 2008, notifiziert. Mit Antwortschreiben vom 18. August 2008 wurde dem MZP formell mitgeteilt, dass Österreich am gegenständlichen UVP-Verfahren teilnehmen wird.

 

Zu Frage 3:

 

Die Position der Bundesregierung ergibt sich aus dem eingangs zitierten Regierungs­programm, dem zu Folge Österreich generell gegen den Bau neuer Kernkraftwerke eintritt. Im Einklang mit internationalem Recht muss Österreich allerdings die nationale Souveränität anderer Staaten hinsichtlich der Auswahl der Energieträger grundsätzlich respektieren. Dort jedoch, wo es um legitime Schutzbedürfnisse der österreichischen Bevölkerung, bzw. um den Schutz der Umwelt geht, ist Österreich berechtigt und verpflichtet, seine Stimme zu erheben. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung in allen Fällen von kerntechnischen Anlagen, die negative Auswirkungen auf Österreich haben oder haben könnten, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung der österreichischen Sicherheitsinteressen nutzen wird. Dies gilt insbesondere für grenzüberschreitende UVP-Verfahren, aber auch für die Konsultations­mechanismen, die in den bilateralen „Nuklearinformationsabkommen“ vorgesehen sind. Diese Haltung ist nicht nur den Regierungen unserer Nachbarstaaten bekannt, sie gilt auch im konkreten Fall der geplanten Errichtung zweier neuer Kernkraftwerksblöcke am Standort des KKW Temelín.

 

Zu Frage 4:

 

Auf Vorhaben dieses Typs sind zunächst die UN-ECE-Konventionen über die Umweltver­träglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen, BGBl. III Nr. 201/1997 (Espoo-Kon­vention) und über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entschei­dungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, BGBl III Nr. 88/2005 (Aarhus-Konvention) anzuwenden, die durch die Umweltinformationsrichtlinie 2003/4/EG sowie durch die UVP-Richtlinie 85/337/EWG idF der Öffentlichkeitsbeteiligungs­richtlinie 2003/35/EG in europäisches Recht umgesetzt wurden. Hinsichtlich europäischer Rechtsnormen sei weiters auf den EURATOM-Vertrag verwiesen, insbesondere auf die Artikel 35, 37 und 41 ff. Hinsichtlich bilateralen Rechts ist auf das Vorhaben das Abkommen zwi­schen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammen­hang mit der nuklearen Sicherheit und dem Strahlenschutz, zuletzt geändert durch das Protokoll BGBl. III Nr. 71/2008, zu verweisen.

 

Zu den innerstaatlichen Rechtsvorschriften ist auf das geltende tschechische UVP-Gesetz Nr. 100/2001 Sb. idgF. und die materienrechtlichen Vorschriften zu den an das UVP-Verfahren anschließenden Genehmigungsverfahren zu verweisen, durch die insgesamt die Umsetzung der genannten Konventionen und Richtlinien in tschechisches Recht erfolgt.

 

Zu den Fragen 5 und 6:

 

In der Tschechischen Republik sowie grenzüberschreitend wird zunächst ein Vorverfahren nach dem tschechischen UVP-Gesetz durchgeführt, in dem der Umfang der vorzulegenden Umweltverträglichkeitserklärung festzusetzen ist. Diese Festlegung erfolgt durch eine Ent­scheidung der UVP-Behörde, die bezüglich der Erweiterung des KKW Temelín bisher noch nicht ergangen ist. In der Folge hat die Projektwerberin eine Umweltverträglichkeitserklärung vorzulegen, die öffentlich aufzulegen ist und zu der die Öffentlichkeit sowie die betroffenen Behörden Stellung nehmen können.

 

Zu Frage 7:

 

Diese Frage betrifft keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Die Tschechische Republik ist bezüglich des UVP-Verfahrens an die europäischen Rechtsstandards gebunden, deren Einhaltung durch die Europäische Kommission geprüft wird. Im Übrigen darf auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 529/J durch den Bundeskanzler verwiesen werden.

 

Zu den Fragen 8 und 9:

 

Die Vorgangsweise der Tschechischen Republik wird genau beobachtet und gegebenenfalls werden Schritte gesetzt, um die Einhaltung von Verpflichtungen einzumahnen. Im Übrigen darf auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 529/J durch den Bundeskanzler verwiesen werden.

 

Zu den Fragen 10 und 11:

 

Eine Auflistung aller Gespräche, deren Inhalt und Ergebnisse, würde einen unverhältnis­mäßig hohen Verwaltungsaufwand implizieren. Ich versichere aber, dass ich mit meinem tschechischen Amtskollegen das KKW Temelin zur Sprache und die Position der öster­reichischen Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht habe. Die Haltung der öster­reichischen Bundesregierung zur Kernenergie im Allgemeinen und zum KKW Temelín im Speziellen wurde auch von meinem Amtsvorgänger konsequent und mit dem notwendigen Nachdruck vertreten.

 

Zu Frage 12:

 

Der bisherige Verlauf des UVP-Verfahrens entsprach aus Sicht des BMLFUW als Kontaktstelle nach der Espoo-Konvention den in Beantwortung der Frage 4 angeführten völker- und europarechtlichen Vorgaben.

Im Übrigen darf auf die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 529/J durch den Bundeskanzler verwiesen werden.


Zu Frage 13:

 

Es darf auf die Einleitung sowie auf die Beantwortung der Fragen 3 und 4 verwiesen werden.

 

Zu Frage 14:

 

Die Analyse und Bewertung des Risikos, das von einer kerntechnischen Anlage ausgeht, ist eine komplexe wissenschaftlich-technische Fragestellung, für die es nach wie vor keine allgemein gültige und anerkannte Methode gibt. In eine derartige Bewertung fließen nicht nur Aspekte der Auslegungssicherheit einer kerntechnischen Anlage, sondern auch das Alter der Anlage, Betriebserfahrungen und die Betriebsführung sowie die Sicherheitskultur, aber auch die Entfernung der Anlage von einem bestimmten Ort, die Wahrscheinlichkeit bestimmter Wetter­lagen, etc. ein. Unbestreitbar ist aber, dass jedes zusätzliche Kernkraftwerk grund­sätzlich das Risiko erhöht.

 

Zu Frage 15:

 

Die Ergebnisse der bilateralen parlamentarischen Kommission „Temelín“, die ihre Arbeit im Juni 2008 abgeschlossen hat, wurden mit Sorgfalt ausgewertet. Diese Auswertung ergibt, dass die Kommission ganz wesentliche Fortschritte erzielt hat. Andererseits sind noch immer wichtige Fragen offen, deren Klärung weiterhin mit Nachdruck betrieben werden muss. Die Kommission kam aber zu dem Schluss, dass diese Fragen im Rahmen des bilateralen „Nuklearinformationsabkommens“ weiter verfolgt werden sollten und kein weiterer Bedarf mehr besteht, die in Annex I der „Vereinbarung von Brüssel“ angeführten Themen auf parlamentarisch-politischer Ebene zu behandeln.

 

Die Kommission hat beide Regierungen aufgefordert, alle Bemühungen zu unternehmen, um die für das „Follow-Up“ notwendigen Ressourcen sicher zu stellen, insbesondere durch die Finanzierung der Forschungsprojekte, die zur Harmonisierung der wissenschaftlichen Basis für die Evaluierung der Erdbebengefährdung für den Standort Temelín beitragen können. Das Regierungsprogramm 2007-2010 führt dazu aus: „Beim Kernkraftwerk Temelín wird der Sicherheitsdialog intensiv fortgesetzt. Die Bundesregierung verfolgt weiter das Ziel, dass die im Anhang 1 der „Vereinbarung von Brüssel“ festgelegten Sicherheitsmaßnahmen vollständig realisiert werden. Dazu ist es auch erforderlich, die notwendigen Ressourcen – einschließlich der Finanzierung der vereinbarten seismischen Forschungsprojekte – zur Verfügung zu stellen.“


Das BMLFUW wird alle in seinen Wirkungsbereich fallenden Maßnahmen ergreifen, um diesem Auftrag zu entsprechen.

 

Zu den Fragen 16 und 17:

 

Österreich hat von Beginn seiner EU-Mitgliedschaft an Reformbemühungen unterstützt und wiederholt selbst Initiativen zur Reform des EURATOM-Vertrags gestartet, insbesondere um den Förderzweck zu eliminieren, den Schutzzweck auszubauen, einen fairen Wettbewerb herzustellen und die Entscheidungsprozesse zu demokratisieren.

 

Nach intensivstem Lobbying Österreichs haben im Jahr 2004 fünf der damals 25 Mitglied­staaten eine Erklärung zum Verfassungsvertrag, welche eine Revisionskonferenz fordert, unterstützt. Diese Erklärung wurde in den Vertrag von Lissabon übernommen. Dies hat einerseits gezeigt, dass Österreich mit diesem Bestreben nicht alleine ist, zeigte aber an­dererseits ganz deutlich, dass die für die Einsetzung einer Regierungskonferenz erforderli­che Mehrheit, insbesondere aber die für eine Änderung des Euratom-Vertrages erforderliche Einstimmigkeit, noch nicht gegeben ist.

 

Betreffend einen Austritt aus dem Euratom-Vertrag sei darauf verwiesen, dass – auch wenn verschiedene Rechtsgutachten zu einer gegenteiligen Auffassung kommen – nach über­wiegender Auffassung aus rechtlicher Sicht keine Möglichkeit eines isolierten Austritts aus dem Euratom-Vertrag besteht. Dies wird aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht mit der aus­drücklich normierten unbegrenzten Geltungsdauer des Vertrags und dem Mangel einer aus­drücklichen Austrittsmöglichkeit begründet.

 

Unbeschadet der Frage der rechtlichen Möglichkeit eines Ausstiegs aus dem Euratom-Vertrag würde ein einseitiger Ausstieg jedenfalls bedeuten, dass Österreich sein Mitspra­cherecht in diesem Bereich vollkommen verlieren würde. Vor allem aber wäre – sollten auch noch andere Länder diesem Beispiel folgen – ein nukleares Kerneuropa die Folge.

 

Zu den Fragen 18 bis 20:

 

Da der Begriff „Atom-Rest-Müll-Lager“ etwas ungenau ist, sei zunächst klargestellt, dass hin­sichtlich der Entsorgung radioaktiver Abfälle zumindest zwischen schwach- und mittelaktiven Abfällen, wie sie auch in Österreich in Forschung, Medizin und Industrie anfallen, und hoch­aktiven Abfällen sowie abgebrannten Brennelementen zu unterscheiden ist.


In der Schweiz sind sowohl schwach- und mittelaktive Abfälle, als auch abgebrannte Brenn­elemente in verschiedenen Einrichtungen zwischengelagert. Seit dem Jahre 2001 läuft ein umfassender Prozess mit zahlreichen Verfahren und Verfahrensschritten, an dessen Ende Errichtung und Betrieb von einem oder mehreren geologischen Tiefenlagern stehen soll. In die diesbezüglichen Verfahren ist Österreich in vielfältiger Weise eingebunden. Eine der vor­geschlagenen Standortregionen ist das Zürcher Weinland, das jedoch rund 100 km von der österreichischen Grenze entfernt ist. Mit der Bewilligung konkreter Standorte ist nicht vor 2015 zu rechnen.

 

In der Tschechischen Republik werden bereits Endlager für schwach- und mittelaktive Abfälle betrieben. Zwar hat die Tschechische Republik bereits vor einigen Jahren mit der Standort­suche für ein geologisches Tiefenlager für abgebrannte Brennelemente begonnen, dieses Verfahren ist derzeit jedoch suspendiert. Im Zuge dieses Prozesses waren auch Standorte im Raum Südböhmen im Gespräch. Nach Angaben der zuständigen tschechischen Behörden ist angesichts der Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente an den Kraftwerksstandorten eine endgültige Lösung erst nach Mitte dieses Jahrhunderts erforderlich. Derzeit hält sich die Tschechische Republik alle Optionen wie direkte Endlagerung, Wiederaufarbeitung oder mög­licherweise in der Zukunft großtechnisch realisierbare Verfahren zur Reduktion von Volumen und Aktivität offen.

 

Auch für die Lagerung und Entsorgung radioaktiver Abfälle gilt, was für alle anderen kerntech­nischen Anlagen auch gilt: Soferne negative Auswirkungen auf Österreich nicht ausgeschlos­sen werden können, wird die Bundesregierung alle rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung der österreichischen Sicherheitsinteressen nutzen.

 

 

Der Bundesminister: