538/AB XXIV. GP

Eingelangt am 23.02.2009
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Bundeskanzler

Anfragebeantwortung

 

 

 

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017 Wien

GZ: BKA-353.110/0028-I/4/2009

Wien, am 19. Februar 2009

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Ing. Hofer, Kolleginnen und Kollegen haben am 22. Dezember 2008 unter der Nr. 529/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Nichtdurchführung eines ordentlichen UVP-Verfahrens im Zuge der Erweiterung des AKW Temelin gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 15 sowie 18 bis 20:

Ø     Inwieweit sind Ihnen die Pläne zur Erweiterung des AKW Temelin bekannt?

Ø     Wer hat Sie zu welchem Zeitpunkt davon in Kenntnis gesetzt?

Ø     Welche Position vertritt die österreichische Bundesregierung zur beabsichtigten Erweiterung des AKW Temelin?

Ø     Welche Rechtsvorschriften (europäische, tschechische, bilaterale) sind bei die­sem Ausbau in Temelin nach aktuellem Rechtsstatus einzuhalten?

Ø     In welchem Umfang und nach welchen rechtlichen Grundlagen wurde bisher sei­tens Tschechiens ein UVP-Verfahren durchgeführt?

Ø     In welchem Umfang und nach welchen rechtlichen Grundlagen wird die nunmehri­ge UVP seitens Tschechiens durchgeführt?

Ø     Entspricht die derzeitige Vorgehensweise Tschechiens den europäischen Rechts­standards?

Ø     Wird die österreichische Bundesregierung auf europäischer Ebene darauf einwir­ken, dass Tschechien alle Rechtsnormen einzuhalten hat?

Ø     Sollte die Bundesregierung vorhaben, dies anzustreben, welche Schritte sind be­absichtigt?

Ø     Mit welchen Stellen, welchem konkreten Inhalt und Ergebnis haben Sie oder Ihr Amtsvorgänger mit der Europäischen Union bislang Gespräche bzgl. der Erwei­terung des AKW Temelin geführt?

Ø     Inwieweit haben Sie oder Ihre Amtsvorgänger bislang mit Tschechien Gespräche zur geplanten Erweiterung tschechischer Atomkraftwerke insgesamt geführt?

Ø     Welche konkreten Schritte planen Sie – nicht zuletzt aufgrund der EU-Präsident­schaft Tschechiens im ersten Halbjahr 2009 – in den kommenden Wochen wegen des bislang in keinster Weise ordentlichen und rechtskonformen AKW-Ausbaus und des damit verbundenen UVP-Verfahrens?

Ø     Welche Schritte werden Sie setzen, um den Ausbau sowie den weiteren Betrieb des extrem störanfälligen Atomkraftwerkes Temelin zu verhindern?

Ø     Inwieweit steigt durch den Bau und die geplante Inbetriebnahme der Blöcke 3 und 4 beim extrem störanfälligen AKW Temelin die gesundheitliche Gefährdung für die österreichische Bevölkerung?

Ø     Welche Schritte werden Sie setzen, um Tschechien zur Einhaltung der im Melker Abkommen verankerten Vereinbarung zu bewegen?

Ø     Welche Pläne sind Ihnen hinsichtlich eines Atom-Rest-Müll-Lagers in Tschechien an der österreichischen Grenze bekannt?

Ø     Welche Pläne sind Ihnen hinsichtlich eines Atom-Rest-Müll-Lagers in der Schweiz an der österreichischen Grenze bekannt?

Ø     Wie werden Sie als Regierungsmitglied auf diese Situierung der ARM-Lager rea­gieren bzw. was werden Sie fordern?

 

Einleitend verweise ich darauf, dass die gegenständlichen Fragen schwerpunktmä­ßig allgemeine Angelegenheiten der Nuklearkoordination betreffen und verweise da­her grundsätzlich auf die Beantwortung der Anfrage 526/J durch den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. In der Sache halte ich Folgendes fest:

 

Wie auch im Regierungsprogramm 2008-2013 festgehalten, wird die Bundesregie­rung an ihrer Anti-Atom-Politik festhalten. Dieser Festlegung fühle ich mich voll und ganz verpflichtet. Kernenergie ist weder eine nachhaltige Form der Energieversor­gung noch eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Bundes­regierung wird insbesondere auch den Sicherheitsdialog mit Tschechien fortsetzen und intensivieren. Ziel ist die vollständige Realisierung der im Anhang 1 der „Verein­barung von Brüssel“ festgelegten Sicherheitsmaßnahmen.

 

Insbesondere nimmt die Bundesregierung alle Gelegenheiten war, um auf diplomati­scher und politischer Ebene das Thema Temelin im Sinne der österreichischen Inter­essen anzusprechen. Die sehr zahlreichen, engen und regelmäßigen Kontakte der österreichischen Regierungsmitglieder mit ihren tschechischen Kolleginnen und Kol­legen werden zur Darlegung der österreichischen Position genutzt. So wurde das Thema selbstverständlich auch bei meinem Antrittbesuch in Prag am 29.1.2009 um­fassend erörtert. Die Bundesregierung wird jedenfalls auf allen Ebenen die Interes­sen der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt weiterhin vertreten.

 

Darüber hinaus kam und kommt es am Rande der Europäischen Räte zu informellen Gesprächen, in denen unter Anderem der Stand der Beratungen der interparlamen­tarischen Kommission diskutiert wurde.

 

Bei der Wahl der Vorgehensweise bezüglich des UVP-Verfahrens ist Tschechien an die europäischen Rechtsstandards gebunden, deren Einhaltung durch die Europäi­sche Kommission beziehungsweise durch den Europäischen Gerichtshof geprüft und sichergestellt wird. Die Bundesregierung wird das tschechische Vorgehen jedenfalls weiterhin genau beobachten und gegebenenfalls alle möglichen und erfolgverspre­chenden Mittel einsetzen, um gegenüber der Tschechischen Republik die Einhaltung dieser Verpflichtungen einzumahnen.

 

Das Abkommen zwischen Österreich und der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow-up, BGBl III Nr. 266/2001 (im Folgenden „Vereinbarung von Brüssel“) stellt nach Ansicht der Bundesregierung einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag dar.

 

Auf Vorschlag meines Amtsvorgängers Dr. Alfred Gusenbauer und Ministerpräsident Topolanek beschäftigte sich die bilaterale parlamentarische Temelin-Kommission mit Fragen der Erfüllung des Melker Abkommens und der Vereinbarung von Brüssel. Am 9. Juni 2008 fand in Melk die 4. und letzte Tagung statt, anlässlich derer der Schluss­bericht der Kommission einstimmig angenommen wurde. Als Ergebnisse der Kom­mission wurden unter anderem festgehalten, dass

-      nicht zu allen in Anhang I der „Vereinbarung von Brüssel“ festgelegten techni­schen Sicherheitspunkten auf Expertenebene Konsens erreicht werden konnte und manche Punkte eines „Follow-up“ während der gesamten Betriebsperiode des KKW Temelín bedürfen;

-      die tschechische Seite von der österreichischen Position informiert wurde, wo­nach offene Punkte der „Vereinbarung von Brüssel“ vor der kommerziellen Inbe­triebnahme des KKW Temelin gelöst hätten werden sollen;


-      über die rechtliche Qualität des „Melker Protokolls“ und der „Vereinbarung von Brüssel“ keine Einigung erzielt werden konnte.

 

Nach Abschluss der Arbeiten dieser interparlamentarischen Kommission fließen de­ren Erfahrungen auch in die Nuklearpolitik Österreichs ein. Insbesondere werden die Bemühungen Österreichs betreffend das tschechische Atomkraftwerk Temelin auf Basis der Schlussberichte weiter intensiv fortgesetzt.

 

Die Bundesregierung wird die österreichische Anti-Atompolitik gegenüber internatio­nalen Institutionen, der EU und den Nachbarstaaten, die Kernkraftwerke betreiben oder planen, weiterhin mit Nachdruck vertreten.

 

Zu den Fragen 16 und 17:

Ø     Werden Sie einem Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM – Vertrag zustim­men?

Ø     Sollte das nicht der Fall sein, was sind die Gründe dafür?

 

Österreich wurde am 1. Jänner 1995 Mitglied der Europäischen Union und Vertrags­partner der die Union begründenden Verträge, nämlich des EG-Vertrags, des (da­maligen) EGKS-Vertrags und des EURATOM-Vertrags. Damals wie heute konnte ein Beitritt nur als gemeinsamer Beitritt zu allen Gemeinschaften erfolgen; so enthält der EU-Vertrag nur einen einzigen Artikel über den Beitritt zur Europäischen Union, die in ihrer gesamten Struktur eine administrative Einheit mit einheitlichem institutionellen Rahmen und gemeinsamem Budget bildet.

 

Nach überwiegender Auffassung besteht aus rechtlicher Sicht keine Möglichkeit eines einseitigen, isolierten Austritts nur aus dem EURATOM-Vertrag. Dies ergibt sich – neben den institutionellen Verflechtungen zwischen den Gründungsverträgen, die sich insbesondere in gemeinsamen Organen manifestieren – aus gemeinschafts­rechtlicher Sicht aus der ausdrücklich normierten unbegrenzten Geltungsdauer des Vertrags und dem Mangel einer ausdrücklichen Austrittsmöglichkeit. Daneben bietet auch das allgemeine Völkerrecht keine Handhabe für einen einseitigen Austritt; ins­besondere erwächst aus Art. 56 der Wiener Vertragsrechtskonvention kein beliebi­ges Austrittsrecht. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 56 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention, dass ein allgemeines Kündigungsrecht nur be­steht, sofern „feststeht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigten“ oder sich ein Austrittsrecht aus der „Natur des Vertrags“ herleiten lässt. Nach herrschender Auffassung kann weder aus der Absicht der Vertragspartner des EURATOM-Vertrags noch aus der Natur des EURATOM-Vertrags ein solches Austrittsrecht geschlossen werden.

 

Neben den rechtlichen Argumenten, die gegen die Möglichkeit eines einseitigen Aus­tritts sprechen, halte ich es auch aus politischer Sicht für Ziel führender, wenn Öster­reich sich nicht durch einen Austritt aus dem EURATOM-Vertrag aller Einflussmög­lichkeiten auf die europäische Nuklearpolitik entledigt.

 

Österreich hat stets eine kritische Linie zur Nutzung der Kernenergie und ihren nega­tiven Folgen vertreten. Die damit verbundenen Anliegen können am besten durch eine Revision des EURATOM-Vertrags erreicht werden. Mit einem Ausscheiden aus EURATOM wäre ein den Interessen Österreichs abträglicher Verzicht auf Mitspra­cherechte in Fragen der Erzielung einer maximalen atomaren Sicherheit verbunden. Österreich wird daher eine umfassende Reform des EURATOM-Vertrags beharrlich weiter verfolgen.