5631/AB XXIV. GP
Eingelangt am 06.08.2010
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BM für Verkehr, Innovation und Technologie
Anfragebeantwortung
GZ.
BMVIT-10.000/0035-I/PR3/2010 DVR:0000175
An die
Präsidentin des Nationalrats
Mag.a Barbara PRAMMER
Parlament
1017 W i e n
Wien, am . Juli 2010
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Moser, Freundinnen und Freunde haben am 8. Juni 2010 unter der Nr. 5639/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend schwere Sicherheitsmängel bei Straßenbahn- und U-Bahntüren in Wien gerichtet.
Einleitend möchte ich festhalten, dass der öffentliche Verkehr im allgemeinen und der Schienenverkehr im Besonderen eine sehr sichere Art der Mobilität darstellen. Daher muss es unsere gemeinsame Anstrengung gerade im Sinne der Verkehrssicherheit sein, diesen Verkehrsträger weiter auszubauen und zu fördern. Das Risiko in einem Schienenfahrzeug verletzt zu werden ist 64 mal geringer als in einem PKW. Und eine weitere positive Nachricht zum Schienenverkehr bestätigt der aktuelle Bericht der unabhängigen Unfalluntersuchungsstelle des Bundes, nämlich dass es 2009 österreichweit bei den Bahnen um 188 Unfälle weniger gegeben hat als 2008.
Das Unternehmen Wiener Linien hat 2009 über 800 Mio. Fahrgäste (mit der Ausnahme von bedauerlichen Einzelereignissen) sicher und umweltfreundlich befördert und damit als das Unternehmen in Österreich mit den meisten Fahrgästen.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:
Ø Teilen Sie die Auffassung, dass bei einer Serie von Unfallereignissen, bei denen immer wieder besonders SeniorInnen und Kinder verletzt oder gar getötet wurden, nicht immer wieder mit Hinweisen auf falsches Verhalten der Fahrgäste oder des Fahrpersonals oder mit Hinweisen auf seltene Einzelereignisse zur Tagesordnung übergegangen werden darf?
Dazu darf ich anmerken, dass für Unfälle eine eigene unabhängige Unfalluntersuchungsstelle des Bundes eingerichtet ist. Meldungen von Unfällen oder Störungen beim Betrieb einer Straßenbahn im Sinne der Meldeverordnung ergehen an die Exekutive. Meldungen bei U-Bahnen an die unabhängige Unfalluntersuchungsstelle des Bundes, die die Unfallursachen unabhängig und nach sachlichen Kriterien ermittelt. Der Bericht dieser Stelle wird jährlich dem Parlament vorgelegt und in den zuständigen Ausschüssen debattiert. Entsprechende Untersuchungsberichte, Vorfallanzeigen oder allfällige Sicherheitsempfehlungen werden in diesem Fall an die zuständige Eisenbahnbehörde gerichtet, das ist im Anlassfall die zuständige Landesbehörde in Wien. Allfällige empfohlene Maßnahmen im Bereich des Betriebes von Straßenbahnen sind mir daher nicht bekannt.
Zu den Fragen 2 bis 5:
Ø Welche Pflichten zur Prüfung der Türfühlerkanten (Einklemmschutz) von Straßenbahnen und U-Bahnen sind nach der Straßenbahnverordnung vorgesehen? Welche ergänzenden Bestimmungen gibt es für die Prüfung von Türfühlerkanten (Einklemmschutz) von Straßenbahnen und U-Bahnen?
Ø Halten Sie die derzeit bestehenden Prüfpflichten für Türfühlerkanten (Einklemmschutz) von Straßenbahnen und U-Bahnen nach den aufgetretenen Unfallereignissen für ausreichend oder müssen diese Prüfpflichten aufgrund der regelmäßigen Unfallereignisse verschärft werden? Welche diesbezüglichen Überlegungen zur Änderung (Anpassung) der Straßenbahnverordnung wurden bereits angestellt? Wann sollen gegebenenfalls entsprechende Schritte gesetzt werden?
Ø Für die Verwendung von kraftbetätigten Türen müssen gemäß § 45 Absatz 3 Straßenbahnverordnung Einrichtungen vorhanden sein, die verhindern, dass ein- oder aussteigende Personen von sich schließenden Türenblättern durch Einklemmen verletzt werden. Halten Sie diese Bestimmung nach den aufgetretenen Unfallereignissen immer noch für ausreichend? Welche diesbezüglichen Überlegungen zur Änderung (Anpassung) der Straßenbahnverordnung wurden bereits angestellt? Wann sollen gegebenenfalls entsprechende Schritte gesetzt werden?
Ø Inspektionen von Straßenbahnfahrzeugen und U-Bahnfahrzeugen sind gemäß § 61 Absatz 3 Straßenbahnverordnung planmäßig wiederkehrend erst nach Zurücklegung von 500.000 km bzw. nur alle acht Jahre durchzuführen. Halten Sie diese Bestimmung nach den aufgetretenen Unfallereignissen immer noch für ausreichend? Welche diesbezüglichen Überlegungen zur Änderung (Anpassung) der Straßenbahnverordnung wurden bereits angestellt? Wann sollen gegebenenfalls entsprechende Schritte gesetzt werden?
Nach § 45 Abs.3 Straßenbahnverordnung (StrabVO) müssen für die Verwendung von kraftbetätigten Türen Einrichtungen vorhanden sein, die verhindern, dass ein- oder aussteigende Personen von sich schließenden Türblättern durch Einklemmen verletzt werden.
Gemäß § 61 Abs.1 StrabVO umfasst die Instandhaltung der Betriebsanlagen und Fahrzeuge Wartung, Inspektionen und Instandsetzungen die sich mindestens auf jene Teile erstrecken muss, deren Zustand die Betriebssicherheit und Verfügbarkeit beeinflussen kann. Zudem sieht Abs.2 des genannten Paragrafen vor, dass sich Art und Umfang der Wartung und der Inspektionen nach Bauart und Belastung der Betriebsanlagen und der Fahrzeuge zu richten haben.
Aus der Verordnung ergibt sich daher, dass zwischen den Inspektionen (früher als Hauptuntersuchungen bezeichnet), weiterhin Wartungen durchzuführen sind, wobei die Wartungsintervalle auf Bauart und Belastung des Fahrzeuges abzustimmen sind.
Vor dem Übergang der Zuständigkeit an die Landesbehörden existierten entsprechend der Bestimmung des § 61 Abs.2 StrabVO für jedes Fahrzeug bzw. jeden Fahrzeugtyp eigene Wartungspläne. Über die Wartung und die Inspektionen sind nach § 61 Abs.6 StrabVO Aufzeichnungen zu führen. Die Aufzeichnungen sind den für den Bau und die Instandhaltung wesentlichen Unterlagen beizugeben. Nach § 61 Abs.7 StrabVO sind die Aufzeichnungen über die Wartung bis zur nächsten Inspektion, mindestens jedoch drei Jahre, diejenigen über die Inspektionen bis zur Außerbetriebsetzung der Betriebsanlagen und Fahrzeuge aufzubewahren.
§ 61 StrabVO sieht eine Inspektion nach Zurücklegung von 500.000 km, jedoch spätestens alle acht Jahre, sowie nach Unfällen, die betriebssicherheitsrelevante Einrichtungen beschädigen, vor. Seit Inkrafttreten der Novelle der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über den Schutz der ArbeitnehmerInnen bei der Benutzung von Arbeitsmitteln (AM-VO), BGBl. II Nr. 21/2010, sind Türen in Fahrzeugen auch nach dieser Norm zu prüfen.
Zu den Fragen 6 und 8:
Ø Das Unfallfahrzeug vom Enkplatz gehört zu den ältesten Fahrzeugserien bei der Wiener U-Bahn. Trifft es zu, dass die Eisenbahnaufsichtsbehörde des Verkehrsministeriums gerade für diese alte Fahrzeugserie eine Ausnahmegenehmigung erteilt hat, der zufolge die ohnehin schon sehr großzügigen Prüffristen in der Straßenbahnverordnung von 500.000 km (bzw. 8 Jahre) von den Wiener Linien sogar noch auf 750.000 km (bzw. 8 Jahre) hinaufgesetzt werden dürfen? Halten Sie diese Ausnahmegenehmigung nach dem Unfallereignis am Enkplatz noch für vertretbar?
Ø Gibt es noch weitere Straßenbahnfahrzeuge oder U-Bahnfahrzeuge der Wiener Linien, für die die Eisenbahnaufsichtsbehörde des Verkehrsministeriums die ohnehin schon sehr großzügigen Prüffristen in der Straßenbahnverordnung von 500.000 km (bzw. 8 Jahre) noch weiter hinaufgesetzt hat? Falls dies zutrifft, waren auch diese Straßenbahnfahrzeuge und U-Bahnfahrzeuge in den letzten Jahren in Unfallereignisse verwickelt, bei denen Fahrgäste eingeklemmt, mitgeschleift oder verletzt wurden?
Der Obersten Eisenbahnbehörde liegen - infolge deren Unzuständigkeit - bislang keine Daten zum Unfallfahrzeug am Enkplatz vor.
Vor Übergang der Zuständigkeit im Jahr 2001 wurden Genehmigungen für bestimmte U-Bahnfahrzeuge (Typen T, U, U1, U2 und U11 sowie E6 und c6) erteilt, in denen für die Inspektion eine Überschreitung einer bestimmten Kilometergrenze vorgesehen war. Der Antrag wurde seinerzeit damit begründet, dass sich aufgrund der statischen Auswertungen der Hauptuntersuchungen die ursprünglichen Fristen als zu kurz herausgestellt hatten. Im gleichzeitig vorgelegten Wartungsplan wurde detailliert dargestellt, welche Untersuchungen im Rahmen der Wartung innerhalb welcher Frist (wöchentlich, jährlich, nach 7.500 km, 22.500 km, 37.500 km, 45.000 km, 97.500 km, etc) jeweils durchzuführen waren. Durch die Erhöhung der Kilometergrenze für die Inspektionen wurden die Fristen für die im Rahmen der Wartung durchzuführenden Arbeiten nicht geändert.
Inwieweit diese Ausnahmen noch aufrecht sind, liegt infolge des Übergangs der Zuständigkeit durch das Deregulierungsgesetz 2001 nicht in meiner Ingerenz.
Zu Fragen 7 und 9:
Ø Welche Maßnahmen werden sie anordnen, um die erteilte Ausnahmegenehmigung für die Hinaufsetzung der Prüffristen von 500.000 km (bzw. 8 Jahre) auf 750.000 km (bzw. 8 Jahre) zu überprüfen und aufzuheben?
Ø Durch die regelmäßigen Unfallereignisse mit Straßenbahnen und U-Bahnen ist wohl eindeutig nachgewiesen, dass die derzeitigen Prüffristen in der Straßenbahnverordnung nicht ausreichend sind. Welche Maßnahmen werden Sie anordnen, um die großzügigen Prüffristen in der Straßenbahnverordnung von 500.000 km (bzw. 8 Jahre) zu überprüfen und realistische Prüffristen festzulegen?
Die Straßenbahnverordnung legt prinzipiell nicht nur die geltenden Inspektionsfristen fest, sondern auch die Pflicht zur Wartung (wie schon in der Beantwortung zu den Fragepunkten 2 bis 5 ausgeführt).
Bevor eine Verkürzung der Inspektionsfristen geprüft werden kann, wäre somit von der zuständigen Behörde zu überprüfen, ob die Wartung im ausreichenden Umfang festgelegt wurde bzw. erfolgt.
Zu Frage 10:
Ø Nach dem Unfallereignis am Enkplatz haben die Wiener Linien in einer Medienoffensive verkündet, dass mehrere tausend Türen (von allen anderen U-Bahnzügen) einer technischen Kontrolle unterzogen und auf ihre korrekte Schließweise hin überprüft werden sollen. Das wirkt beinahe wie ein Eingeständnis, dass die bisherigen Prüfungen entweder gar nicht oder nicht in ausreichendem Umfang durchgeführt wurden. Welche Konsequenzen (insbesondere hinsichtlich einer Anpassung der Straßenbahnverordnung) werden Sie aus diesem Eingeständnis ziehen?
In welcher Art und Weise das Unternehmen Wiener Linien auf Medienberichte reagiert, liegt in dessen Entscheidungskompetenz.
Zu Frage 11:
Ø Bisher wurden immer wieder MitarbeiterInnen des Fahrpersonals nach Unfallereignissen angeklagt (fahrlässige Körperverletzung, fahrlässige Tötung). Auch nach dem Unfallereignis am Enkplatz wurde sofort der U-Bahnfahrer beschuldigt. Nicht ausreichende Prüfungen und Kontrollen liegen jedoch nicht in der Verantwortung des Fahrpersonals, sondern Prüfungen und Kontrollen sind von der Geschäftsführung zu veranlassen und anzuordnen. Welche legistischen Maßnahmen sind beabsichtigt, um die Verantwortung der Unternehmensleitung für die Durchführung der Prüfungen klarzustellen?
Dazu ist anzumerken, dass für Verstöße gegen Verpflichtungen nach dem Eisenbahngesetz bzw. der Straßenbahnverordnung Strafbestimmungen im Eisenbahngesetz vorgesehen sind. Die Regelungen des gerichtlichen Strafrechts (fahrlässige Körperverletzung, fahrlässige Tötung) fallen in die Zuständigkeit der Bundesministerin für Justiz.