5654/AB XXIV. GP

Eingelangt am 10.08.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0156-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 5684/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Europäischer Haftbefehl und Übergabeverfahren – Anwendung durch die Mitgliedstaaten bzw. Österreich im Jahr 2009“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Der Europäische Haftbefehl ist weiterhin als überaus erfolgreich zu beurteilen. Die Übergabeverfahren können innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen werden, so dass die Betroffenen möglichst rasch vor die zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsstaates gebracht werden und dort ihre Verteidigungsrechte wahrnehmen können.


Bestehende Schwierigkeiten konnten in der praktischen Anwendung teilweise entschärft werden. Manche Mitgliedstaaten fordern weiterhin eine äußerst umfassende Beschreibung des Sachverhalts und die Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten. Teilweise werden im Rahmenbeschluss nicht vorgesehene Gegenseitigkeitserklärungen gefordert.

Für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls genügt es, dass die Taten im Ausstellungsstaat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten bedroht und im Vollstreckungsstaat zumindest gerichtlich strafbar sind. Dies führt bei Staaten mit absolutem Legalitätsprinzip auch in Fragen der Auslieferung dazu, dass deren Justizbehörden hinsichtlich Personen, die sich ins Ausland abgesetzt haben, immer die Auslieferung begehren müssen, wenn die formellen Voraussetzungen für einen Europäischen Haftbefehl vorliegen. Diese Staaten wurden im Rahmen verschiedener Ratsarbeitsgruppen ersucht, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Ausstellung von Europäischen Haftbefehlen einzuführen.

Zu 2:

Alle Mitgliedstaaten haben den Europäischen Haftbefehl umgesetzt und wenden diesen an.

Die Länderberichte der 4. Runde der gegenseitigen Begutachtung hinsichtlich der praktischen Anwendung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl sind bereits weitgehend veröffentlicht worden und im öffentlichen Register der Ratsdokumente unter http://register.consilium.eu.int abrufbar.

Zu 3:

Die im Abschlussbericht über die 4. Runde der gegenseitigen Begutachtung hinsichtlich der praktischen Anwendung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl enthaltenen Schlussfolgerungen und die als Konsequenz derselben ausgesprochenen Empfehlungen sind aus dem öffentlich zugänglichen Ratsdokument Dok. 8302/4/09 Rev. 4 ersichtlich.

Zu 4:

Die Anzahl der von den Mitgliedstaaten erlassenen Europäischen Haftbefehle ergibt sich aus den öffentlich zugänglichen Ratsdokumenten Dok. 9734/5/09 und Dok. 7551/2/10.



Ausstellungsstaat

2008

2009

Belgien

 

 

Bulgarien

 

 

Dänemark

52

 

Deutschland

2149

2433

Estland

119

46

Finnland

107

129

Frankreich

1184

1240

Griechenland

623

 

Irland

40

33

Italien

 

 

Lettland

140

171

Litauen

348

354

Luxemburg

40

46

Malta

2

7

Niederlande

392

 

Österreich

461

292

Polen

4829

4844

Portugal

104

 

Rumänien

2000

 

Schweden

190

263

Slowakei

342

485

Slowenien

39

27

Spanien

623

489

Tschechische Republik

494

439

Ungarn

975

 

Vereinigtes Königreich

 

 

Zypern

16

17

Summe

15269

11315

 

Zu 5 und 6:

Statistiken über die Staatsbürgerschaft der mit Europäischen Haftbefehlen gesuchten Personen und über die den Haftbefehlen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen werden nicht geführt.


Zu 7:

In der Tabelle ist die Anzahl der auf Grund Europäischer Haftbefehle in den Mitgliedstaaten festgenommenen Personen ersichtlich:

Mitgliedstaat

2008

2009

Belgien

 

 

Bulgarien

 

 

Dänemark

19

 

Deutschland

974

1208

Estland

50

30

Finnland

22

22

Frankreich

454

789

Griechenland

154

 

Irland

320

463

Italien

 

 

Lettland

7

11

Litauen

37

30

Luxemburg

18

16

Malta

15

2

Niederlande

185

 

Österreich

177

180

Polen

213

 

Portugal

90

 

Rumänien

351

 

Schweden

48

90

Slowakei

58

66

Slowenien

61

47

Spanien

1230

1232

Tschechische Republik

178

234

Ungarn

113

 

Vereinigtes Königreich

 

 

Zypern

8

13

Summe

4782

4433

 


Daten, auf Grund welcher Europäischer Haftbefehle die Festnahmen in den Mitgliedstaaten erfolgt sind, liegen nicht vor.

Zu 8:

Daten über die Staatangehörigkeit der auf Grund Europäischer Haftbefehle in den Mitgliedstaaten festgenommen Personen werden von den Mitgliedstaaten nicht erhoben.

Zu 9:

Die Zahlen der Treffer auf Grund ausländischer Europäischer Haftbefehle und der eingeleiteten Verfahren unterscheiden sich wesentlich von der Zahl jener Personen, die sich in Übergabehaft befunden haben. Personen, die sich in Untersuchungshaft oder Strafhaft oder auf freiem Fuß befinden, werden nicht als auf Grund eines Europäischen Haftbefehls festgenommene Personen gezählt. Das bedeutet, dass tatsächlich mehr Personen übergeben werden als auf Grund eines Europäischen Haftbefehls festgenommen wurden.

Aus der Anzahl und Staatsangehörigkeit der von Österreich an Ausstellungsstaaten festgenommenen Personen ersichtlich:

Ausstellungsstaat

(Anzahl der Personen)

Staatsangehörigkeit

Zahl

Belgien (4)

Rumänien

2

 

Serbien

1

 

Slowenien

1

Bulgarien (2)

Bulgarien

2

Deutschland (72)

Albanien

2

 

Belarus

1

 

Bosnien Herzegowina

1

 

Bulgarien

1

 

Deutschland

31

 

Georgien

1

 

Griechenland

1

 

Italien

3

 

Kosovo

1

 

Kroatien

1

 

Mazedonien

2

 

Moldau

2

 

Nigeria

1

 

Österreich

2

 

Polen

1

 

Rumänien

9

 

Russland

2

 

Serbien

5

 

Staatenlos

2

 

Ungarn

3

Frankreich (2)

Rumänien

2

Italien (7)

Albanien

1

 

Algerien

1

 

Italien

2

 

Rumänien

2

 

Serbien

1

Litauen (2)

Litauen

2

Luxemburg (1)

Serbien

1

Niederlande (4)

Deutschland

1

 

Irak

1

 

Niederlande

2

Polen (26)

Polen

26

Rumänien (21)

Deutschland

1

 

Moldau

1

 

Rumänien

19

Schweden (1)

Schweden

1

Slowakei (9)

Griechenland

1

 

Slowakei

8

Slowenien (2)

Slowenien

1

 

Kosovo

1

Tschechische Republik (4)

Tschechische Republik

3

 

Belarus

1

Ungarn (23)

Moldau

1

 

Rumänien

1

 

Ungarn

21

Summe

 

180

Zu 10:

Der Tabelle sind Anzahl und Staatsangehörigkeit der von Österreich an Ausstellungsstaaten übergebenen Personen zu entnehmen:

Ausstellungsstaat

(Anzahl der Personen)

Staatsangehörigkeit

Zahl

Belgien (4)

Rumänien

3

 

Serbien

1

Bulgarien (1)

Bulgarien

1

Deutschland (95)

Albanien

2

 

Belarus

1

 

Bosnien Herzegowina

1

 

Bulgarien

1

 

Deutschland

41

 

Georgien

1

 

Griechenland

1

 

Italien

3

 

Kosovo

1

 

Kroatien

3

 

Mazedonien

2

 

Moldau

1

 

Nigeria

3

 

Österreich

1

 

Polen

4

 

Rumänien

12

 

Russland

3

 

Serbien

5

 

Staatenlos

2

 

Tschechische Republik

1

 

Türkei

1

 

Ukraine

1

 

Ungarn

4

Frankreich (3)

Rumänien

3

Italien (7)

Albanien

1

 

Algerien

1

 

Irak

1

 

Italienisch

1

 

Rumänien

2

 

Serbien

1

Litauen (3)

Litauen

3

Niederlande (4)

Irak

1

 

Niederlande

3

Polen (32)

Polen

32

Rumänien (25)

Moldau

1

 

Rumänien

24

Schweden (1)

Schweden

1

Slowakei (9)

Griechenland

1

 

Slowakei

8

Slowenien (1)

Slowenien

1

Spanien (1)

Portugal

1

Tschechische Republik (6)

Tschechische Republik

5

 

Vereinigte Staaten

1

Ungarn (42)

Moldau

1

 

Rumänien

1

 

Ungarn

40

Summe

 

234

 

Zu 11:

Ein Österreicher hat sich 2009 mit seiner Übergabe einverstanden erklärt.

Zu 12 und 13:

Im Jahre 2009 wurden in Österreich 292 neue Europäische Haftbefehle erlassen und in das Schengener Informationssystem eingespeist. Daten hinsichtlich der den österreichischen Europäischen Haftbefehlen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen und der Staatsangehörigkeit der gesuchten Personen wurden nicht erhoben.


Zu 14:

Der Tabelle ist die Anzahl der von den Vollstreckungsstaaten an Österreich übergebenen Personen zu entnehmen:

Vollstreckungsstaat

Zahl der übergebenen Personen

Bulgarien

3

Deutschland

17

Frankreich

1

Italien

4

Rumänien

2

Slowakei

1

Slowenien

1

Tschechische Republik

3

Ungarn

5

 

 

Summe

37

 

Zu 15:

Eine weitere gegenseitige Evaluierung der „praktischen Anwendung des Europäischen Haftbefehls und der entsprechenden Übergabeverfahren“ zwischen den Mitgliedstaaten ist derzeit nicht vorgesehen.

Jeder Mitgliedstaat hat den Rat bis Mitte 2011 über die Aktionen und Maßnahmen zu informieren, die er aufgrund der an ihn gerichteten Empfehlungen getroffen hat oder treffen wird. Im Hinblick darauf wird derzeit im Bundesministerium für Justiz geprüft, ob und gegebenenfalls welche Aktionen und Maßnahmen durch Österreich in diesem Zusammenhang zu setzen sind. Im Hinblick darauf, dass die österreichische Umsetzungsgesetzgebung zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl weitestgehend mit den im Abschlussbericht enthaltenen Empfehlungen im Einklang steht, wird sich für Österreich voraussichtlich nur ein geringer Handlungsbedarf ergeben.


Zu 16:

Beim Leitfaden zum Europäischen Haftbefehl handelt es sich um ein Handbuch, das den mit Fällen des Europäischen Haftbefehls befassten Richtern und Staatsanwälten die Anwendung des Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in der Praxis erleichtern und nach Möglichkeit eine einheitliche Anwendung der enthaltenen Regelungen sicherstellen soll.

Das Handbuch ist als Ratsdokument Dok. 14782/1/07 öffentlich zugänglich.

Zu 17:

Das Bundesministerium für Justiz wurde vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, dem die zentrale Koordinierung der Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union obliegt, mit folgenden, derzeit noch beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Vorabentscheidungsverfahren befasst, die der Klärung der unten wiedergegebenen Vorlagefragen (kursiv geschrieben) der Auslegung des Rahmenbeschlusses Nr. 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten dienen sollen:

 

-       Rechtssache C-261/09 („Mantello“)

 

„1. Beurteilt sich die Frage, ob „dieselbe Handlung“ im Sinne des Art. 3 Nr. 2 RB 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190 v. 18.7.2002 S. 1 – RbEuHb) vorliegt,

a)  nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats,

b)  nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats oder

c)  nach einer autonomen unionsrechtlichen Auslegung des Begriffs „dieselbe Handlung“?

2. Ist eine unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln „dieselbe Handlung“ im Sinne des Art. 3 Nr. 2 RbEuHb wie die Mitgliedschaft in einer Vereinigung mit dem Zweck unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln, sofern die Ermittlungsbehörden zum Zeitpunkt der Aburteilung der Einfuhr Informationen und Beweis hatten, wonach der dringende Verdacht einer Mitgliedschaft bestand, es aber aus ermittlungstaktischen Gründen unterließen, dem Gericht die diesbezüglichen Informationen und Beweise zu unterbreiten und deswegen Anklage zu erheben?“


 

-       Rechtssache C-306/09 („I.B.”)

 

“1. Ist der Europäische Haftbefehl, der zur Vollstreckung einer Verurteilung ausgestellt wurde, die in Abwesenheit ergangen ist, ohne dass die verurteilte Person vom Termin und vom Ort der Verhandlung unterrichtet wurde, und gegen die sie noch ein Rechtsmittel einlegen kann, nicht als ein Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel im Sinne von Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten anzusehen, sondern als ein Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung im Sinne von Art. 5 Nr. 3 desselben Rahmenbeschlusses?

2. Sind im Falle einer verneinenden Antwort auf die erste Frage Art. 4 Nr. 6 und Art. 5 Nr. 3 desselben Rahmenbeschlusses in dem Sinne auszulegen, dass sie es den Mitgliedstaaten nicht erlauben, die Übergabe einer sich auf ihrem Gebiet aufhaltenden Person, die unter den in der ersten Frage beschriebenen Umständen Gegenstand eines Haftbefehls zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ist, an die Justizbehörden des Ausstellungsstaates davon abhängig zu machen, dass diese Person zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel zur Sicherung, die im Ausstellungsstaat endgültig gegen sie verhängt worden wäre, in den Vollstreckungsstaat rücküberstellt wird?

3. Verstoßen im Falle einer bejahenden Antwort auf die 2. Frage dieselben Artikel gegen Art. 6 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union insbesondere gegen den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung?

4. Sind im Falle einer verneinenden Antwort auf die 1. Frage die Art. 3 und 4 desselben Rahmenbeschlusses in dem Sinne auszulegen, dass sie es verbieten, dass die Justizbehörden eines Mitgliedstaates die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls verweigern, wenn ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen, dass dessen Vollstreckung die Grundrechte der betroffenen Person verletzen würde, so wie sie in Art. 6 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert sind?”

 

-       Rechtssache C-264/10 („Kita“)

 

„Ist Art. 5 Z 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der Weise auszulegen, dass die Rücküberstellung einer Person, die früher auf Grund eines Europäischen Haftbefehls zur Strafverfolgung übergeben worden ist, automatisch stattfindet, selbst wenn der Verurteilte nicht zustimmt, obwohl die Zustimmung nach dem Überstellungsübereinkommen des Europarats vorliegen muss?“

Der Gerichtshof der Europäischen Union veröffentlicht alle Vorlagefragen und Entscheidungen auf seiner web-site http://www.curia.eu.

Zu 18:

Ich befürworte grundsätzlich eine sinnvolle Verbesserung der im Rahmen der Europäischen Union erstellten Statistik über die Anwendung des Europäischen Haftbefehls. Nach Vorliegen der entsprechenden Fragenliste durch die Europäische Kommission, deren Erstellung derzeit vorbereitet wird, wird dazu seitens des Bundesministeriums für Justiz Stellung genommen werden. Es ist jedoch zu betonen, dass die Umstellung einer bestehenden Statistik einer Vorbereitungsphase von mindestens einem Jahr bedarf, weil die erforderlichen statistischen Daten entweder im Berichtsweg oder durch Umstellung der Registerführung erhoben werden müssen.

 

. August 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)