5989/AB XXIV. GP
Eingelangt am 07.09.2010
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Bundeskanzler
Anfragebeantwortung
An die
Präsidentin des Nationalrats
Maga Barbara PRAMMER
Parlament
1017 W i e n
GZ: BKA-353.110/0166-I/4/2010
Wien, am 7. September 2010
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben am 8. Juli 2010 unter der Nr. 6048/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Abkommen über Datenübermittlungen an US-Behörden gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 und 2:
Ø Wie ist der aktuelle Stand der Bemühungen um ein Datenschutzrahmenabkommen zwischen den USA und der EU?
Ø Wurde über die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission im Rat bereits abgestimmt?
Die Europäische Kommission hat am 31. Mai eine Empfehlung für Verhandlungsrichtlinien für ein Datenschutzabkommen mit den USA vorgelegt (Dok. 10378/10, Restreint). Zu dieser Empfehlung hat der Europäische Rat gemäß Art 218 Abs. 3 AEUV einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen und über die Benennung des Verhandlungsführers zu erlassen. Bislang fand in einer Ausschusssitzung des Rates (CATS) am 5./6.Juli 2010 eine erste strategische Diskussion zu einem vom belgischen Vorsitz vorbereiteten Diskussionspapier (Dok. 11295/10) statt; eine Abstimmung im Rat erfolgte noch nicht. Die nächste Behandlung des Dossiers soll am 3. September 2010 in der Ratsarbeitsgruppe „Datenschutz und Informationsaustausch“ und am 23./24. September 2010 neuerlich im CATS erfolgen.
Zu Frage 3:
Ø Haben Sie dabei bzw. werden Sie dabei die Position vertreten, dass individuelle, durchsetzbare Rechte in den USA auch für Nicht-US-BürgerInnen sowie wirksame Rechtsschutzverfahren im Bereich des Datenschutzes unabdingbare Voraussetzung für jegliche Datenübermittlung an die USA sind?
In der Empfehlung der Kommission ist vorgesehen, dass mit dem geplanten Abkommen individuelle, durchsetzbare Rechte des Einzelnen (d.h. auch von Nicht-US-BürgerInnen) in Bezug auf den Datenaustausch zwischen der EU und den USA etabliert werden sollen. Diese Bestimmungen werden von mir explizit unterstützt.
Zu Frage 4:
Ø Hat die USA diesbezüglich Bereitschaft für ein Entgegenkommen gezeigt?
Da die Verhandlungen mit den USA noch nicht aufgenommen wurden und bislang nur eine erste strategische Diskussion in einer Ausschusssitzung des Rates (CATS) stattfand, ist zur Position der USA zu dem geplanten Abkommen noch nichts Konkretes bekannt.
Zu Frage 5:
Ø Wie rechtfertigen Sie die derzeit auf bilateraler Ebene zwischen Österreich und den USA stattfindenden Verhandlungen über die Weitergabe von Polizeidaten sowie eine mögliche Teilnahme an der „Terrorist Screening Database“ im Hinblick auf das angestrebte EU-USA Rahmenabkommen?
Es werden derzeit unter Federführung des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA) Verhandlungen über die „Weitergabe von Polizeidaten“ (Prüm-Like-Abkommen) mit den USA geführt. Diese gehen auf eine entsprechende Initiative der USA infolge der vom US-Kongress im Jahre 2007 verabschiedeten Ausführungsgesetzgebung zum sog. „09/11 Commission Act“ („09/11 Act“) zurück. Auf dieser Grundlage wurde die Teilnahme am sog. „Visa Waiver“-Programm der USA („visumfreie Einreise“) mit zusätzlichen Erfordernissen des Informationsaustausches verknüpft, einschließlich des Abschlusses eines sog. Prüm-Like-Abkommens bzw. einer Vereinbarung über den Austausch von Daten zur Erkennung von Terroristen („terrorism screening information“) gemäß der Homeland Security Presidential Directive 6 (HSPD-6). Diese Anforderungen wurden vom US-Heimatschutzministerium (Department of Homeland Security) offiziell im Dezember 2008 den in Betracht kommenden Staaten brieflich mitgeteilt. Für Österreich stellt die Beibehaltung
der Visumfreiheit im Verhältnis zu den USA ein wichtiges außenpolitisches Ziel dar. Gleichzeitig setzen sich die VertreterInnen des Bundeskanzleramtes, welche in Bezug auf Datenschutzangelegenheiten in die Verhandlungen eingebunden sind, nicht zuletzt im Lichte entsprechender Forderungen des Datenschutzrates vom 28. November 2008 (GZ BKA-817.345/0002-DSR/2008) für ein möglichst hohes Datenschutzniveau ein.
Zu Frage 6:
Ø Sehen Sie die Gefahr, dass die europäischen Bemühungen um ein hohes Datenschutzniveau durch bilaterale Abkommen unterlaufen werden?
Nach der in der Beantwortung der Fragen 1 und 2 zitierten Empfehlung der Kommission soll der Anwendungsbereich des geplanten Datenschutzabkommens auch bestehende EU- bzw. mitgliedstaatliche Abkommen umfassen, die nach einer Übergangsfrist an den Standard des Datenschutzabkommens angepasst werden sollen. Dieser Vorschlag wird von den VertreterInnen des Bundeskanzlers unterstützt.
Zu den Fragen 7 und 14:
Ø Beabsichtigen Sie vor dem Abschluss der bilateralen Abkommen die Ergebnisse der Verhandlungen auf europäischer Ebene abzuwarten?
Ø Wann ist mit einem Abschluss der Verhandlungen zu rechnen?
Die VertreterInnen des Bundeskanzleramtes versuchen den in der Beantwortung der Fragen 5 und 6 angesprochenen Umständen dadurch Rechnung zu tragen, dass sie für eine konstruktive bilaterale Verhandlungsführung zugleich aber gegen einen übereilten Abschluss unter Aufgabe wesentlicher datenschutzrechtlicher Zielsetzungen eintreten. Wie sich die Verhandlungen auf EU-Ebene entwickeln, kann nach derzeitigem Stand noch nicht abschließend eingeschätzt werden. Eine unmittelbare zeitliche Abstimmung mit den besagten bilateralen Gesprächen erscheint daher derzeit schwierig und steht auch nicht zur alleinigen Disposition des Bundeskanzlers. Zudem obliegt der formelle Abschluss ausverhandelter (bilateraler) Staatsverträge nach Art. 65 Abs. 1 B‑VG dem Bundespräsidenten.
Zu Frage 8:
Ø Der Austausch von Daten wie Fingerabdrücken, DNS-Spuren, Kennzeichendaten usw. wurde in Europa zunächst durch das Abkommen von Prüm geregelt und mittlerweile in EU-Recht übergeführt. In diesem Abkommen sind zur Wahrung der Rechte Betroffener diverse Sicherheitsvorschriften (Protokollierungen, Löschungen, Auskunftspflichten etc.) vorgesehen. Das Abkommen bietet dennoch zahlreiche datenschutzrechtliche Probleme. Diese würden durch die große Entfernung zu den USA und das unterschiedliche Rechtssystem noch dramatisch verschärft. Vertritt Österreich in den Verhandlungen mit den USA die Position, dass in einem allfälligen Abkommen strengere Datenschutzregeln als im Prümer Vertrag, gleich strenge Regeln, oder lockerere Regeln enthalten sein sollen?
Datenschutzrechtliche Probleme im Hinblick auf die Anwendung des Prümer Beschlusses/Vertrages sind mir nicht bekannt. Ich verweise daher auf die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Inneres. Gemäß Art. 30 Abs. 5 des Prüm-Beschlusses (Beschluss 2008/615/JI des Rates) sind jedoch sowohl die unabhängigen Datenschutzbehörden der Mitgliedstaaten als auch die protokollführenden Stellen der Sicherheitsbehörden verpflichtet, Stichproben zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Übermittlungen anhand der zugrunde liegenden Aktenvorgänge zu nehmen. Damit soll allfälligen missbräuchlichen Zugriffen vorgebeugt werden. Im Hinblick auf das Ö/US-Prüm-Like-Abkommen haben sich die VertreterInnen des Bundeskanzleramtes – in Entsprechung der obzitierten Stellungnahme des Datenschutzrates vom 28. November 2008 für eine möglichst weitgehende Wiedergabe der Datenschutzbestimmungen des Prümer Beschlusses im bilateralen Abkommen mit den USA eingesetzt.
Im Hinblick auf das geplante EU/US-Datenschutzabkommen ist in der Empfehlung der Kommission vorgesehen, dass mit diesem Abkommen individuelle, durchsetzbare Rechte des Einzelnen (insb. Recht auf Löschung, Richtigstellung und Auskunft) in Bezug auf den Datenaustausch zwischen der EU und den USA etabliert werden sollen. Ebenso sollen Vorschriften zur Datensicherheit (Protokollierung, Dokumentation) in das Abkommen aufgenommen werden. Die Umsetzung dieser Bestimmungen in dem Abkommen wird von Österreich explizit unterstützt. Ihre genaue Festlegung erfolgt jedoch erst im Entwurf des Abkommens. Ein Vergleich mit den entsprechenden Bestimmungen des Prümer Beschlusses ist daher noch nicht möglich.
Zu Frage 9:
Ø Wie ist diesbezüglich derzeit der Stand der Verhandlungen?
Im Hinblick auf das Ö/US-Prüm-Like-Abkommen bemüht sich Österreich um eine mit dem EU-Prüm-Beschluss harmonisierte Gestaltung der Datenschutzbestimmungen im Bereich des Individualrechtsschutzes. Die Verhandlungen mit der US-Seite sind derzeit noch nicht abgeschlossen.
Zu Frage 10:
Ø Durch die Einbettung in den europäischen Rechtsrahmen ist im Bereich des Prümer Abkommens in gewissen Grenzen die Durchsetzung der Pflichten der Vertragsstaaten gewährleistet. Im Verhältnis zu den USA fehlt ein derartiger gemeinsamer, verbindlicher Rechtsrahmen. Mit welchen Maßnahmen soll daher die Einhaltung der voraussichtlich zu erlassenden Vereinbarungen über Datenverwendung, -aufbewahrung, -löschung etc. gewährleistet werden?
In der Frage eines angemessenen Schutzes der Interessen Betroffener im Rahmen des Ö/US-Prüm-Like-Abkommens wurde noch keine abschließende, einvernehmliche Lösung in den Verhandlungen erzielt (siehe auch Beantwortung zu Frage 8).
Zu Frage 11:
Ø Zeigen die USA die Bereitschaft, individuelle Rechte und wirksamen Rechtsschutz für alle Menschen unabhängig von der Staatsbürgerschaft zu gewähren?
Die Grundsatzproblematik beim Thema Individualrechtsschutz besteht darin, dass die USA derzeit Vorbehalte hegen, durch ein völkerrechtliches Abkommen Verpflichtungen zu übernehmen, auf die sich einzelne Betroffene direkt berufen könnten. Dies würde auch autonome legislative Schritte zur Stärkung von Betroffenenrechten gegenüber Regierungsstellen, insbesondere auf dem Felde der Datenlöschung oder Datenberichtigung, erfordern.
Zu Frage 12:
Ø Vertritt Österreich in den Verhandlungen die Position, dass solche individuelle Rechte und ein wirksamer Rechtsschutz unabdingbare Voraussetzung für die Datenübermittlung an die USA sind?
Ich verweise auf die Beantwortungen zu den Fragen 8 bis 11.
Zu Frage 13:
Ø Welche Bundesministerien sind in die Verhandlungen über dieses Abkommen eingebunden?
Im Hinblick auf das geplante EU/US-Datenschutzabkommen ist das Bundeskanzleramt federführend zuständig. Ebenfalls eingebunden sind das Bundesministerium für Justiz, das Bundesministerium für Inneres und das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten.
Die Verhandlungsleitung für das Ö/US-Prüm-Like-Abkommen obliegt auf der Grundlage eines entsprechenden Mandats dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten. Eingebunden sind des Weiteren das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium für Justiz und das Bundesministerium für Inneres.
Zu den Fragen 15, 16 sowie 19 bis 21:
Ø Wie ist der Stand der Verhandlungen bezüglich einer möglichen Teilnahme Österreichs an der „Terrorist Screening Database“ der USA?
Ø Wann ist mit einem Abschluss der Verhandlungen zu rechnen?
Ø Zeigen die USA die Bereitschaft, individuelle Rechte und wirksamen Rechtsschutz für alle Menschen unabhängig von der Staatsbürgerschaft in diesem Zusammenhang zu gewähren?
Ø Vertritt Österreich in den Verhandlungen die Position, dass solche individuelle Rechte und ein wirksamer Rechtsschutz unabdingbare Voraussetzung für die Datenübermittlung an die USA im Rahmen der Terrorist Screening Database sind?
Ø Welche Bundesministerien sind in die Verhandlungen über dieses Abkommen eingebunden?
Es werden derzeit keine Verhandlungen bezüglich einer Teilnahme Österreichs an der „Terrorist Screening Database“ der USA geführt.
Zu den Fragen 17 und 18:
Ø Welche Datenbestände kommen aus österreichischer Sicht für eine Teilnahme an diesem Datenbanksystem und damit für eine Übermittlung an die USA in Frage?
Ø Auf welcher Rechtsgrundlage beruhen diese Datenbestände?
Diese Fragen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzleramts.
Zu den Fragen 22 und 23:
Ø Können Sie ausschließen, dass hinsichtlich der beiden möglichen Abkommen durch die USA Druck auf die österreichische Seite ausgeübt wird, indem eine mögliche Verknüpfung mit der Teilnahme Österreichs am „Visa Waiver Programm“ der USA, d.h. der visafreien Einreise für österreichische StaatsbürgerInnen, diplomatisch in den Raum gestellt wurde? (vgl. dazu etwa den Bericht in der „Presse“ vom 25.3.2009)
Ø Wie wird von österreichischer Seite auf derartige Drohungen reagiert?
Zum Zusammenhang mit dem Visa‑Waiver-Programm verweise ich auf die Beantwortung zu Frage 5. Ansonsten betreffen diese Fragen keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzleramts.
Mit freundlichen Grüßen