6133/AB XXIV. GP
Eingelangt am 09.09.2010
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BM für Inneres
Anfragebeantwortung
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Frau Präsidentin des Nationalrates Mag. Barbara Prammer Parlament 1017 Wien
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Die Abgeordnete zum Nationalrat Korun, Freundinnen und Freunde haben am 9. Juli 2010 unter der Zahl 6105/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend „medizinische Behandlung in der Schubhaft“ gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Zu Frage 1:
Die primär durch die Polizeiamts- bzw. Honorarärzte in den Polizeianhaltezentren durchgeführte ärztliche Versorgung Angehaltener wird auf Basis der getroffenen strukturellen und organisatorischen Vorkehrungen auf hohem Niveau gewährleistet.
Es erfolgt eine systematische Haftfähigkeitsprüfung sowie eine präventivmedizinische Neuzugangsuntersuchung zur Abklärung der Haftfähigkeit mit einer umfassenden Anamneseerhebung einschließlich einer Dokumentation des Gesundheitszustandes, eine laufende kurative Betreuung und eine Behandlung von Akuterkrankungen.
Die ärztliche Aufgabenbesorgung ist Gegenstand kontinuierlicher chefärztlicher Kontrollen und die medizinische Betreuung wird auch laufend von den Ärztinnen bzw. Ärzten der internationalen Besuchsgremien und von den Kommissionen des Menschenrechtsbeirates überprüft.
Zu den Fragen 2, 11 und 20:
Die Doppelrolle der Polizeiärzte wurde bereits mehrfach examiniert. Im Zusammenhang mit einer Trennung zwischen kurativer und gutachterlicher Tätigkeit wird ausgeführt, dass das Vertrauensverhältnis eines Angehaltenen zu einem Arzt, der heute als Gutachter und morgen als kurativer Arzt kommt, gleich hoch gesehen wird. Die Erfahrung hat gezeigt,
dass z.B. Schubhäftlinge, die alles daran setzten, um ihre Entlassung aus medizinischen Gründen zu erreichen, sich auch bei einem Arztwechsel nicht von ihrem eigentlichen Ziel abbringen ließen. Zu ausschließlich kurativ tätigen Amtsärzten würde auch kein besonderes Vertrauen aufgebaut werden, weil es den betroffenen Insassen nicht vermittelbar ist, dass der Arzt, der ins Polizeianhaltezentrum kommt, „nicht“ Teil der Organisation Polizei ist.
Der Polizeiarzt zeichnet nicht einzig und alleine verantwortlich, zumal Befundungen und Gutachten anderer Ärzte und insbesondere der konsultierten Ambulanzen ein wichtiges Kalkül darstellen.
Amtsärzte fungieren folglich nur als Sachverständige. Ein de facto möglicher Interessenskonflikt des polizeiärztlichen Dienstes wird ausgeschlossen, da den Polizeiärzten als behördliche Gutachter einerseits, sowie als kurativ nach besten Wissen und Gewissen tätigen Medizinern andererseits keine Vor- bzw. Nachteile erwachsen können.
Die generelle Situation ergibt sich aus der die Haftfähigkeit gutachterlich beurteilenden Funktion des Arztes, welcher somit einen entscheidenden Beitrag zum Haftverbleib des Betroffenen liefert. Die Feststellung der Haftfähigkeit obliegt der Behörde.
Eine freie Arztwahl ist gemäß § 10 Abs. 5 AnhO (Häftlingen steht es frei, auf ihre Kosten zu ihrer medizinischen Betreuung einen Arzt ihrer Wahl beizuziehen) möglich.
Zu Frage 3:
Nein.
Zu Frage 4:
Hungerstreik (Beginn) |
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2007 |
2008*) |
2009 |
2010 (Stichtag 37.07.10) |
Standort |
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PAZ Bludenz |
46 |
19 |
31 |
5 |
PAZ Eisenstadt I |
50 |
13 |
51 |
19 |
PAZ Eisenstadt II |
40 |
3 |
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PAZ Graz |
67 |
35 |
45 |
30 |
PAZ Innsbruck |
120 |
60 |
112 |
53 |
PAZ Klagenfurt |
11 |
5 |
20 |
18 |
PAZ Leoben |
74 |
41 |
53 |
24 |
PAZ Linz |
81 |
47 |
11 |
1 |
PAZ Salzburg |
174 |
66 |
194 |
76 |
PAZ Schwechat |
52 |
29 |
34 |
40 |
PAZ St. Pölten |
157 |
53 |
91 |
59 |
PAZ Steyr |
11 |
28 |
35 |
22 |
PAZ Villach |
18 |
20 |
11 |
7 |
PAZ Wels |
41 |
31 |
27 |
28 |
PAZ Wien Hernalser Gürtel |
973 |
613 |
911 |
627 |
PAZ Wien Roßauer Lände |
153 |
88 |
177 |
158 |
PAZ Wr. Neustadt |
44 |
20 |
48 |
22 |
Gesamtergebnis |
2112 |
1164 |
1833 |
1160 |
*) Aufgrund einer technischen Umstellung liegen nur Daten für den Zeitraum 01.04.2008 bis 31.12.2008 auf
Zu Frage 5:
2007: 37-mal
2008: 22-mal
2009: 73-mal
Zu Frage 6:
2007: 665
2008 *): 564
2009: 766
*) Aufgrund einer technischen Umstellung liegen nur Daten für den Zeitraum 01.04.2008 bis 31.12.2008 auf
Zu Frage 7:
Entsprechende Statistiken werden nicht geführt.
Zu den Fragen 8 und 9:
Während des genannten Zeitraumes ereignete sich ein Todesfall in Schubhaft.
Nach Prüfung umfangreicher Dokumentationen, dem vorliegenden Obduktionsbefund und den kriminalpolizeilichen Erhebungen konnte Fremdverschulden eindeutig ausgeschlossen werden.
Zu Frage 10:
Das Ärztegesetz ist auf Polizeiärzte, die für eine Bundespolizeidirektion, eine Sicherheitsdirektion oder das Bundesministerium für Inneres auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung oder eines öffentlich rechtlichen Dienstverhältnisses tätig werden, hinsichtlich ihrer amtsärztlichen Tätigkeit nicht anzuwenden.
Im Rahmen von kurativen Tätigkeiten für die Dienstbehörden unterliegen die Polizeiamtsärzte jedoch seit dem Inkrafttreten der 14. Novelle des Ärztegesetzes (§ 41 Abs. 4) dem Ärztegesetz.
Zu den Fragen 12 und 13:
Die Grundlagen für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Supervision für alle Bediensteten des Ressorts wurden bereits geschaffen. In drei Bundesländern (Wien, Tirol und Steiermark) laufen seit mehreren Monaten entsprechende Probebetriebe. Aber auch für Bedienstete aus anderen Bundesländern besteht bereits die Möglichkeit eine Supervision im Wege der Präventivkräfte (B-BSG) bzw. durch den psychologischen Dienst des Bundesministeriums für Inneres in Anspruch zu nehmen.
Zu den Fragen 14 bis 16:
Ja.
Zu den Fragen 17 bis 19:
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Überstellung in eine Krankenanstalt sind im § 78 Abs. 6 FPG normiert.
Die Einlieferung in eine Krankenanstalt ist vom klinischen Bild abhängig. Es obliegt dem Amtsarzt, aufgrund der Anamnese bzw. körperlichen Untersuchung individuell in Analogie zu anderen ärztlichen Untersuchungen das weitere Procedere vorzuschlagen.
Die Entlassung eines Schubhäftlings wird durch die Behörde verfügt, wenn der zuständige Amtsarzt die Haftunfähigkeit des Betroffenen festgestellt hat. Die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine Person als haftunfähig einzustufen ist, wurde in einem Erlass an Hand eines zu prüfenden Kriterienkataloges mit mehreren Parametern beantwortet.
Zu Frage 21:
Die Gutachten liegen derzeit noch nicht vor. Am 23. August 2010 wurde die Staatsanwaltschaft Wien um dringliche Übermittlung des endgültigen Obduktionsgutachtens ersucht. Bis wann das Attest vorliegt, kann zurzeit nicht gesagt werden. Eine Veröffentlichung des Gutachtens ist nicht vorgesehen.
Zu Frage 22:
Die Einschaltung des Büros für Besondere Ermittlungen (BBE) erfolgte auf Grund der Dienstanweisung der Bundespolizeidirektion Wien, da aufgrund der Angaben des Herrn Sam M. der Verdacht einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung durch einen Bediensteten nicht auszuschließen war.
Nachdem das BBE von den, von Sam M. geäußerten Vorwürfen am 9. Februar 2010, gegen 21.00 Uhr, in Kenntnis gesetzt worden war, wurden nachstehend angeführte Ermittlungen/Maßnahmen gesetzt:
Abschließend wird darauf hingewiesen, dass laut Mitteilung des Büros für besondere Ermittlungen in weiterer Folge das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung von der Staatsanwaltschaft Wien mit weiteren Ermittlungen beauftragt wurde (§ 4 Abs 1 Zif 15 BAK-G).
Zu Frage 23:
Herr Sam M. hat seine Abschiebung derart vereitelt, indem er sich selbst Schnittverletzungen zugefügt hat. Diese wurden im Polizeianhaltezentrum behandelt und es wurde versucht, ihn via Brüssel mit einer Linienmaschine abzuschieben.
Im Zuge dieser Abschiebung fügte er sich eine weitere stärker blutende Wunde zu, sodass die Abschiebung in Brüssel abgebrochen und er nach Österreich zurückgebracht und in Schubhaft genommen wurde.
In Brüssel behauptete er bereits einem Arzt und der dortigen Polizei gegenüber, dass er im PAZ von Beamten vergewaltigt worden sei.
Die StA Wien führte die Ermittlungen gegen unbekannte Täter wegen Verdachts der Vergewaltigung. Am 28. Juni 2010 hat die StA Wien die Ermittlungen gegen unbekannte Täter eingestellt.
Nach dieser Mitteilung der StA Wien wurde Herr M. aus der Schubhaft entlassen und die Unterbringung in einem gelinderen Mittel angeordnet.
Die Entlassung aus der Schubhaft erfolgte, da derzeit kein entsprechender Flug nach Gambia geplant ist und die Abschiebung mit einer Linienmaschine nicht zweckmäßig erscheint.
Zu den Fragen 24 und 25:
Durch vom Bundesministerium für Inneres beauftragte, unabhängige Organisationen, konkret die Caritas und den Verein Menschenrechte Österreich, wird eine professionelle Information und Betreuung gewährleistet.
Ziel ist es, den Schubhäftlingen eine entsprechende psychosoziale Betreuung und Rückkehrvorbereitung anzubieten. Dabei werden die Klienten vor allem durch muttersprachliche Betreuerinnen und Betreuer in den Polizeianhaltezentren aufgesucht, um über laufende asyl- und fremdenrechtliche Verfahren zu informieren und die zu erwartende Perspektive zu erläutern. Darüber hinaus haben Vertreter anderer unabhängiger Organisationen – auch außerhalb regulärer Amtsstunden – als Rechtsbeistand Zugang zum Polizeianhaltezentrum.