6390/AB XXIV. GP
Eingelangt am 26.11.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für Justiz
Anfragebeantwortung
Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Urteilsverzicht beim OGH“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Eine gesonderte Erfassung von Vergleichen und Anerkenntnissen ist derzeit in der automationsunterstützen Registerführung des Obersten Gerichtshofs nicht vorgesehen. Diese Erledigungsformen werden (neben allen anderen Erledigungsformen, die nicht Sachentscheidung oder Zurückweisung/-ziehung sind) als „Erledigung auf andere Weise“ erfasst.
Lediglich das „Ruhen des Verfahrens“ ist gesondert zu erfassen.
Danach ergibt sich für die Jahre 2008 und 2009 folgendes Mengengerüst:
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2008 |
2009 |
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Zurückziehung des Rechtsmittels |
17 |
15 |
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Ruhen des Verfahrens |
0 |
1 |
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Erledigung auf andere Art |
287 |
251 |
Zu 4 und 5:
Das österreichische Zivilrecht ist maßgeblich vom Grundsatz der Privatautonomie getragen. Im Bereich des Zivilverfahrensrechts, das der Durchsetzung des Privatrechts dient, bestehen daher weitgehende Dispositionsmöglichkeiten der Parteien. Sie entscheiden nicht nur darüber, was Gegenstand des Rechtsstreits ist, sondern auch über dessen Beginn (Einbringung der Klage) und als logische Folge daraus auch über dessen Beendigung. Die in der Hand der Parteien liegenden Beendigungsmöglichkeiten sind etwa der Abschluss eines Vergleichs, die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels oder das Anerkenntnis des Prozessstandpunktes der Gegenseite, aber auch die Vereinbarung des Ruhens, wenngleich letzteres an sich nur einen Verfahrensstillstand und keine endgültige Beendigung bedeutet. Das Verfahrensrecht trifft Vorkehrungen, dass solche Dispositionen entweder im Einvernehmen getroffen werden müssen oder die Rechtsposition der Gegenseite nicht beeinträchtigen. Ich sehe hierin keinen Missbrauch. Es kommt - im Gegenteil - ein Eingriff in diese einen tragenden Grundsatz darstellende Dispositionsfreiheit der Parteien meines Erachtens nicht in Frage.
Eine „Weiterführung“ des Verfahrens in dem Sinn, dass vom Obersten Gerichtshof zwar nicht der Rechtsstreit entschieden wird, die sich stellende Rechtfrage aber abstrakt geklärt wird, ist meines Erachtens auch kein gangbarer Weg, so gut ich das hinter dem Vorschlag stehende Anliegen verstehe. Ein Rechtsstreit wird immer nur zwischen den Parteien geführt und entschieden; auch die in ihm ergehenden Entscheidungen wirken nicht über den entschiedenen Fall hinaus. Da die Rechtsfragen eines Falles untrennbar nicht nur mit dem zu Grunde liegenden Sachverhalt, sondern in den Rechtsmittelinstanzen auch mit den entsprechenden Anfechtungserklärungen verknüpft sind, ist ohne Mitwirkung der Parteien die Festlegung eines der rechtlichen Beurteilung zu Grunde liegenden Sachverhaltes auch schwer denkbar und die Rechtsfrage daher erst zu definieren, weil diese ja je nach Sachverhalt verschieden sein kann. In vielen Fällen - immer wenn eine (Teil-)Aufhebung des Verfahrens geboten ist - wäre auch durch eine solche „abstrakte“ Fortführung des Verfahrens nichts gewonnen, weil die Sache noch gar nicht zur Entscheidung reif ist.
Die Erfahrung lehrt zudem, dass die Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus früheren Entscheidungen nicht immer gegeben ist; Abweichungen im Ergebnis ergeben sich häufig aus nicht bedachten Unterschieden auf tatsächlicher Ebene, anderen anwendbaren Rechtsvorschriften oder einem Wandel von Recht oder Rechtsprechung.